„Bloating“ beschreibt ein Gefühl eines gasgefüllten Abdomens, oft begleitet von Völlegefühl und abdominellem Druckgefühl [
1]. Im Deutschen wird dies am besten durch „Gefühl des geblähten Abdomens“ übersetzt. Für diesen Übersichtsartikel werden wir im Interesse knapper Formulierungen jedoch „Blähungen“ verwenden. Eine abdominelle Distension beschreibt eine vom Patienten selbst bemerkte, jedoch objektivierbare Zunahme des Bauchumfanges. Blähungen und Distension können nebeneinander bestehen (50–60 %; [
2]), genauso oft tritt jedoch nur das eine oder andere Symptom auf. Flatulenz bezeichnet häufigen störenden Windabgang und kann beide Symptome begleiten.
Gelegentliche
Blähungen oder Distension sind wahrscheinlich allen Menschen bekannt, und es wird eine Punktprävalenz von 15–20 % berichtet [
3‐
6]. Die Prävalenz ist bei Patienten mit Reizdarmsyndrom (englisch: „irritable bowel syndrome“, IBS) jedoch deutlich erhöht und tritt in dieser Gruppe in 60–80 % aller Fälle auf [
7‐
10]. Blähungen sind ein häufiges Symptom bei IBS, aber für diese Diagnose weder notwendig noch spezifisch. Betroffen sind besonders Frauen, Patienten mit Reizdarmsyndrom vom Obstipationstyp (IBS-C), Adipositas, Begleiterkrankungen und Patienten mit einer hohen Zahl somatischer Symptome [
5,
10‐
12]. Blähungen werden durch Mahlzeiten verstärkt und sind häufig abends stärker ausgeprägt als am Morgen [
1].
Diagnostik
Die Rom-Foundation hat eine Liste von Kriterien für die einheitliche Diagnosestellung von Blähungen erstellt (Tab.
1). Eine Liste der möglichen auslösenden Ursachen ist in Tab.
2 zusammengestellt und soll als Basis der hierfür nötigen Diagnostik dienen. Grundlage der Abklärung ist eine ausführliche Anamnese und sorgfältige körperliche Untersuchung. Die Anamnese sollte das Beschwerdebild charakterisieren, d. h. die Symptome, deren Zeitverlauf, Schweregrad, Alltagseinschränkungen, aggravierende und erleichternde Faktoren erfassen (Tab.
3). Blähungen, Distension, aber auch Eruktationen oder Flatus sind oft für den Patienten quälende Symptome. Da funktionelle Magen-Darm-Erkrankungen mit Blähungen in der Population sehr viel häufiger als strukturelle Erkrankungen oder Motilitätsstörungen sind, ist die Vortestwahrscheinlichkeit für funktionelle Erkrankungen hoch. Angsterkrankungen, Depression und hinweisende Symptome somatoformer Erkrankungen wie Spannungskopfschmerz und Gelenkbeschwerden sollten aktiv erfragt werden, da eine frühe gezielte Psychotherapie bzw. Medikamententherapie hier den Krankheitsverlauf verändern kann [
43].
Tab. 1
Diagnostische Kriterien für funktionelle Blähungen/Distension. (Nach [
85])
Rezidivierende Blähungen und/oder Distension im Durchschnitt ≥ 1-mal pro Woche |
Blähungen und/oder Distension sind die dominierenden gastrointestinalen Symptome |
Patienten erfüllen die Kriterien für IBS, funktionelle Obstipation oder Diarrhoe bzw. postprandiales Stresssyndrom nicht |
Symptombeginn vor ≥ 6 Monaten |
Es bestehen Symptome in den letzten 3 Monaten |
Tab. 2
Mögliche Ursachen für Blähungen und abdominelle Distension
Karbohydrat-Intoleranzen (z. B. Fruktose, Laktose) | Reizdarm |
Bakterielle Überwucherung des Dünndarms (SIBO) | Funktionelle Dyspepsie |
Zöliakie | Beckenbodendysfunktion |
Pankreasinsuffizienz | |
St. n. gastroösophagealer Chirurgie (z. B. Magenbypass) | |
Motilitätsstörungen/Gastroparese/Outletobstruktion/chronisch-intestinale Pseudoobstruktion | |
Dünndarmdivertikel | |
Aszites | |
Adipositas | |
Hypothyreoidismus | |
Tab. 3
Strukturierte Anamnese bei Patienten mit abdominellen Blähungen (Vorschläge der Autoren)
Besteht ein Gefühl des geblähten Abdomens? | Blähungen/Distension Symptomcharakterisierung |
Spüren Sie eine Zunahme des Bauchumfangs? |
Seit wann bestehen diese Beschwerden? |
Bestehen Abdominalschmerzen? |
Wie ist der zeitliche Verlauf innerhalb eines Tages? In einer typischen Woche, wie viele gute (Beschwerdearme) und schlechte Tage bestehen? |
Eruktationen? Häufiger Windabgang? |
Was sind verstärkende bzw. lindernde Faktoren von Blähungen/Distension? (Vor/nach Stuhlgang, Obstipation, Essen, Zyklus, Bewegungen, Stress …) | Verstärker |
Besteht eine Abhängigkeit der Beschwerden zur Nahrungsaufnahme und wenn ja: Zu welchen (Getreide, Milchprodukte, Fruktose, nichtabsorbierbare Zucker) | Ernährungsfaktoren |
In welcher Form und wie stark schränken die Beschwerden den Alltag ein? In welcher Form sind Beschwerden relevant? | Alltagsrelevanz |
B‑Symptomatik (Fieber, Nachtschweiss); Gewichtsverlust, Gewichtsverlauf in den letzten 4 Wochen/6 Monaten | B‑Symptome |
Wiederholtes Erbrechen? Hämatemesis? Blut ab ano? Dysphagie? Abdominelle Masse? Schmerzen stören die Nachtruhe? | Alarmsymptome |
Wie oft muss Patient/Patientin das WC für Stuhlgang aufsuchen (Evakuierungen/24 h)? Bei Diarrhoe muss nächtliche Diarrhoe und Inkontinenz aktiv erfragt werden. Stuhlkonsistenz? Steatorrhoe? | Stuhlgewohnheiten |
Besteht eine Outletsymptomatik? (Starkes Pressen, Unmöglichkeit, Stuhlgang nach aussen zu befördern, Schwierigkeit der Evakuierung auch von flüssigem Stuhlgang, Gefühl der inkompletten Stuhlentleerung, anale Schmerzen) | Outletsymptomatik |
Frühes Sättigungsgefühl? Kleine Nahrungsmengen? Regurgitationen? | Gastroparese |
Schmerzepisoden mit Stuhlverhalt und Erbrechen | (Sub‑)Ileus |
Medikation (Antibiotika, Immunsuppressiva, NSAR, Opiate, Abführmittel, PPI) | Medikamente |
Begleiterkrankungen (Hinweise für Herzinsuffizienz, Leberzirrhose, Sklerodermie) | Komorbiditäten |
Malignome des Gastrointestinaltrakts bei Verwandten 1. Grades | Familienanamnese |
Letzte Endoskopien? Voroperationen im Abdomen? | Vorbefunde? Operation? |
Life events in den letzten Monaten? Stressoren in Arbeit, Familie, sonstigem Alltag? | Psychosoziale Situation |
Spannungskopfschmerz, Gelenkbeschwerden, Schmerzen in anderen Körperregionen | Im geeigneten Kontext Hinweis für somatoforme Erkrankungen |
Noxen (Nikotin, Alkohol, Drogen) | Noxen |
Schlafstörungen (mehr oder weniger als früher), gedrückte Stimmung? Interesse und Freudeverlust (Dinge, die früher Spass gemacht haben, machen keine Freude mehr)? Grübeln? | Behutsames Screening bzgl. Depression |
Panikattacken? Angstgefühle? Traumatische Erlebnisse in der Vergangenheit? | Screening für Angststörungen, PTSD |
Wieviel Stunden Sport pro Woche? | Sport |
Es ist jedoch wichtig, die Patienten in Hinblick auf eine mögliche strukturelle Erkrankung effizient und gezielt abzuklären. Dafür hat sich das Konzept der Alarmsymptome bewährt. Alarmsymptome sind insbesondere Gewichtsverlust, Fieber oder Nachtschweiss, Blutungszeichen (Blut ab ano, Hämatemesis, Hämatochezie), Erbrechen oder Beschwerden, welche die Nachtruhe stören. In diesen Situationen ist eine endoskopische Abklärung und Bildgebung obligat durchzuführen. Bei Fehlen von Alarmsymptomen ist die Entscheidung zur Gastro‑/Koloskopie individuell zu treffen; diese sollten in Abhängigkeit vom Lebensalter jedoch als niederschwellig indiziert erachtet werden. Ein Kolonkarzinomscreening wird in der Schweiz zwischen 50 und 69 Lebensjahren von der Krankenkasse bezahlt und sollte, wenn noch nicht erfolgt, veranlasst werden, da eine niedrige Patiententeilnahme den Screeningerfolg entscheidend limitiert [
44].
Initiale Abklärungsschritte sind ein orientierendes Labor mit Blutbild, Markern der Inflammation (CRP), Schilddrüsen- und Eisenstatus (TSH, Ferritin) und Sprue-Serologie (IgA-Gesamtkonzentration, anti-Transglutaminase IgA) sowie eine orientierende Stuhldiagnostik (Calprotectin und fäkal-okkultes Blut). Zur Abklärung von Differenzialdiagnosen wie Aszites, Adipositas, abdominelle Raumforderungen und/oder eine intestinale Obstruktion ist eine abdominelle Bildgebung hilfreich. Ein abdomineller Ultraschall hat den Vorteil, dass die relevanten Befunde dem Patienten direkt demonstriert werden können, was Krankheitsverständnis und die Arzt-Patienten-Beziehung gewöhnlich stärkt. Ein CT-Abdomen bzw. eine Magnetresonanztomographie (MRT) bieten zu einem höheren Preis mehr Information und bieten sich bei Hinweisen für strukturelle Magen-Darm-Erkrankungen an. Von Patienten wird meist eine Gasbestimmung gewünscht. Dies ist aus CT und MRT prinzipiell möglich, in der Routinediagnostik jedoch nicht etabliert und kaum sinnvoll, da sich zumindest bei funktionellen Magen-Darm-Erkrankungen die intestinale Gasmenge bei Patienten mit und ohne Blähungen kaum unterscheidet (s. oben). Da eine endoskopische Dünndarmsaftaspiration zur Diagnostik einer SIBO aufwändig, arbeitsintensiv, invasiv und teuer ist, wird dies in der Praxis fast nie durchgeführt und nichtinvasiv mit einem Atemtest versucht, die bei SIBO bakteriell vermehrt produzierten Gase (H
2 mit oder ohne CH
4-Bestimmung) in der Atemluft zu quantifizieren ([
45]; Abb.
3). Nichtverstoffwechselbare Laktulose (10–30 g) oder Glukose (50–75 g) werden als Substrate verwendet. Ein basaler H
2-Level von 20 ppm bzw. 10 ppm für CH
4 vor der Zuckerbelastung sowie vor allem ein früher Peak, d. h. Anstieg um mindestens 20 ppm H2 oder 10 ppm für CH4 innerhalb der ersten 60–90 min werden als hinweisend für eine SIBO interpretiert [
45‐
47]. Diese Grenzwerte werden jedoch kontrovers diskutiert [
48]; von einigen Spezialisten wird die Glukose als zu bevorzugendes Substrat vorgeschlagen [
49], da es nicht laxativ wirkt und im oberen Dünndarm gewöhnlich komplett absorbiert wird (was jedoch bei SIBO in distalen Dünndarmabschnitten die Diagnostik limitiert). Ferner stellt eine beschleunigte Dünndarmpassage grundsätzlich eine mögliche Limitierung der Aussagekraft dieser Atemtests dar. Bei schneller Dünndarmpassage kommt es zu einem frühen Kontakt des Substrates (Laktulose oder Glukose) mit der physiologischen Dickdarmmikrobiota und damit H
2-Peak in der Ausatemluft. In der Tat scheint in fast 90 % der Fälle Laktulose bereits nach 90 min im Zökum anzukommen, und damit ist dieses Zeitfenster suboptimal [
50]. Idealerweise sollte man daher den Laktulose-Atemtest mit einer szintigraphischen orozökalen Transitmessung verknüpfen [
51]. Nur bei Patienten, bei denen ein H
2-Peak auftritt, bevor der Tracer das Zökum erreicht, ist valide treffsicher von einer SIBO auszugehen. Mit diesen Kriterien wurde bei 35/89 IBS-Patienten (39 %) ein SIBO diagnostiziert; interessanterweise hatten sich die Symptome dieser Patienten (einschliesslich Blähungen) signifikant stärker durch antibiotische Therapie (Rifaximin 600 mg/d für zehn Tage) gebessert als die Symptome der Patienten ohne SIBO [
51]. Es scheint klar, dass die Komplexität der Mikrobiota, ihrer vielfältigen Stoffwechselaktivitäten und Biogeografie mit einem Atemtest nicht annähernd adäquat erfasst werden kann. Die schwere Zugänglichkeit des Dünndarms limitiert jedoch aktuell die Diagnostik, und innovative Ansätze sind notwendig. Der wesentliche klinische Nutzen des Laktulose-Atemtests ist, dass die abdominellen Beschwerden des Patienten nach Nahrungs-Challenge strukturiert quantifiziert werden können. Ob sich die Laktulose-Challenge als Verlaufstest eignet oder ggf. das Ansprechen auf eine FODMAPS-Diät (s. unten) voraussagt, müsste allerdings noch untersucht werden.
Mögliche Motilitätsstörungen sollten bei klinischem Verdacht gezielt abgeklärt werden. Der Goldstandard zum Nachweis einer Gastroparese ist die 4‑h-Magenentleerungsszintigraphie [
52]; bei Outletsymptomatik sollte eine anorektale Funktionsdiagnostik erfolgen [
53]. Letztere weist bei funktionellen Blähungen häufig und typischerweise eine rektale (viszerale) Hypersensitivität nach [
54]. Vor allem bei Blähungen mit abdomineller Distension findet sich gehäuft eine Konstipation assoziiert mit verlangsamter Kolon-Transitzeit [
37], sodass im Falle einer refraktären Verstopfungssymptomatik ein Hinton-Test (Bestimmung der Kolon-Transitzeit mittels radioaktiver Marker) sinnvoll erscheint.
Das wichtigste negative Alarmsymptom ist der „test of time“; gemeint sind ähnliche Beschwerden, die über Jahre und Jahrzehnte bei demselben Patienten auftreten. Die Abklärungen sollten bei Erstmanifestation gründlich erfolgen, um die Diagnose zu sichern. Preistreibend sind vor allem aber repetitive Untersuchungen in den Jahren und Jahrzehnten nach der Erstdiagnose, welche daher vermieden werden sollten.
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