Einleitung
Das atypische Antipsychotikum Clozapin eignet sich als effektive Therapieoption bei Schizophrenie und ist indiziert bei therapieresistenter Schizophrenie sowie als Alternative beim Auftreten von Bewegungsstörungen als unerwünschte Wirkung anderer Antipsychotika [
1,
2]. Trotz effektiver Wirkung wird Clozapin zuweilen zögerlich verschrieben. Dies ist zum Teil auch auf Befürchtungen vor möglichen schwerwiegenden unerwünschten Wirkungen und Risiken (u. a. Agranulozytose, Myokarditis, Leberschäden und kardiovaskuläre Ereignisse) zurückzuführen [
3‐
5]. Aktuell gibt es kaum Daten zur gemeinsamen Anwendung von Clozapin zusammen mit immunsuppressiver Medikation nach Organtransplantation [
6,
7]. Bei gemeinsamer Anwendung müssen potenzielle Wechselwirkungen und ein teilweise ähnliches Nebenwirkungsprofil bedacht werden [
6].
Der nach Lebertransplantation häufig verschriebene Calcineurininhibitor Tacrolimus kann unter anderem zu neuropsychiatrischen Nebenwirkungen führen [
8], wobei ein erhöhtes Risiko dafür im Falle einer bereits vorbestehenden psychiatrischen Diagnose beschrieben wird [
9].
Sowohl Tacrolimus als auch Clozapin werden hepatisch metabolisiert, unter anderem über das Isoenzym 3A4 des Cytochrom-P450-System (CYP 3A4) [
10,
11]. Bei gemeinsamer Anwendung wurde bisher vor allem ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Nebenwirkungen beschrieben [
6]. Trotz potenzieller Risiken einer gemeinsamen Anwendung von Clozapin und Tacrolimus sollten das therapeutische Potenzial von Clozapin und die Erleichterung für Betroffene berücksichtigt werden. Unter einer Therapie mit Clozapin wird eine geringere Gesamtmortalität beschrieben, was unter anderem auf geringeres selbstgefährdendes Verhalten, bessere Therapieadhärenz und eine geringere Hospitalisierung zurückgeführt werden kann [
12,
13]. Insbesondere Adhärenz spielt auch nach Organtransplantation eine essenzielle Rolle, vor allem hinsichtlich einer geringeren Gesamtmorbidität und des Erhalts des Organtransplantats [
6].
Fallbeispiel
In diesem Beispiel handelt es sich um einen etwa 50-jährigen Patienten mit vorbekannter paranoider Schizophrenie (F20.0) bei welchem für etwa zehn Jahre eine adäquate Symptomreduktion unter einer antipsychotischen Medikation mit 4 mg Risperidon abends erreicht werden konnte. Die medikamentöse Therapie wurde bei der letzten stationären Aufnahme, nach akuter psychotischer Exazerbation durch psychosoziale Stressfaktoren, etabliert. Während der SARS-CoV-2-Pandemie hatte der Patient eine Phase mit exzessivem Alkoholkonsum bei zugrunde liegender chronischer Alkoholkonsumstörung mit einer täglichen Trinkmenge von bis zu ca. 4 l Wein (ca. 320 g Alkohol) entwickelt sowie konsekutiv eine transplantationswürdige alkoholassoziierte Leberzirrhose.
Bei weiterhin gutem Ansprechen auf die antipsychotische Medikation, der wieder schnell erreichten Abstinenz und der gegebenen Adhärenz des Patienten konnte nach internistischer, psychiatrischer und transplant-chirurgischer Freigabe im Sommer 2022 erfolgreich eine Lebertransplantation durchgeführt werden. Im Anschluss an die Transplantation wurde eine Immunsuppression mit dem Calcineurininhibitor Tacrolimus in einer Tagesdosis von 5 mg etabliert. Trotz fehlender relevanter Interaktion von Tacrolimus und Risperdal war bereits initial nach der Transplantation eine deutliche Verschlechterung des psychopathologischen Zustandsbildes bemerkbar mit anschließend mehrfach notwendigen akuten psychiatrisch-stationären Aufenthalten.
Tacrolimus kann psychiatrische unerwünschte Wirkungen verursachen
Im Rahmen dieser Aufnahmen wurde die laufende antipsychotische Medikation mit Risperidon 4 mg maximaler Tagesdosis (MTD) um Paliperidon als orale Gabe mit 3 mg MTD sowie in weiterer Folge um eine Paliperidon-Depotinjektion 150 mg (alle vier Wochen) erweitert. Bei weiterhin unzureichendem Ansprechen wurden Lorazepam sowie Quetiapin in niedriger Dosis als Bedarfsmedikation etabliert. Aufgrund des anhaltend instabilen Zustandes wurde der Patient schließlich auch an der Univ.-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinische Abteilung für Sozialpsychiatrie in Wien vorstellig.
Zum Zeitpunkt der Vorstellung berichtete der Patient von akustischen Halluzinationen im Sinne von bedrohlichen und imperativen Phänomenen, paranoiden Ideen, Anspannungszuständen vor allem nachts, Einschlafstörungen und Konzentrationsschwierigkeiten. In der „Positive and Negative Syndrom Scale“ (PANSS) für Schizophrenie [
14,
15] war eine Gesamtpunkteanzahl von 106 Punkten (Positiv-Skala: 21, Negativ-Skala: 27, Allgemeine Psychopathologie: 58) fassbar.
Zunächst wurde versucht, die Dosis von Quetiapin zu steigern, was aufgrund einer ausgeprägten Sedierung seitens des Patienten nicht toleriert wurde. Eine zusätzliche orale Therapie mit Olanzapin mit schließlich 10 mg MTD wurde etabliert, welche bei fehlendem Ansprechen und ebenfalls stark sedierendem Effekt jedoch wieder abgesetzt wurde.
Der PANSS kann als klinische Ratingskala bei Schizophrenie verwendet werden
In Zusammenschau der Befunde wurde mit dem Patienten eine schrittweise Umstellung auf eine Monotherapie mit Clozapin besprochen. Wichtige Sicherheitsaspekte und mögliche Risiken wurden mit dem Patienten und der Begleitperson besprochen, insbesondere die Notwendigkeit einer regelmäßigen Einnahme und wöchentlicher Blutabnahmen zum Ausschluss einer Agranulozytose in den ersten 18 Wochen sowie im Anschluss daran einmal monatlich [
1,
16,
17].
Unter wöchentlichen Blutbildkontrollen und regelmäßigen Kontrollen der Medikamentenspiegel und der Leber- und Nierenfunktionsparameter sowie metabolischer Parameter fand eine schrittweise Etablierung von Clozapin mit initial 12,5 mg statt. Der Patient befand sich außerdem über die Abteilung für Transplantchirurgie in regelmäßiger ambulanter Betreuung, über die auch die Dosierung von Tacrolimus engmaschig evaluiert wurde.
Drei Wochen nach dem Start mit Clozapin berichtete der Patient von einer subjektiven Besserung. Er konnte sich besser von den akustischen Halluzinationen distanzieren und auch Anspannungszustände und Durchschlafstörungen kamen seltener vor. Dies konnte auch außenanamnestisch bestätigt werden. Zu dieser Zeit lag der Medikamentenspiegel von Clozapin im therapeutischen Bereich (477,6 ng/mL; therapeutischer Bereich: 350–600 ng/mL) bei einer MTD von 400 mg. Wie vorab bereits geplant, wurden schließlich Risperidon und Paliperidon (orale sowie Depotgabe) schrittweise ausgeschlichen. Die Gesamtpunktezahl im PANSS war mittlerweile auf 60 gesunken (Positiv-Skala: 12, Negativ-Skala: 15, Allgemeine Psychopathologie: 33).
Zwei Wochen nach der letztmaligen Gabe des Depots kam es im Rahmen eines Folgetermins erstmalig zu extrapyramidalen Störungen (EPS) im Sinne einer Kiefersperre, Sialorrhoe, Rigor in den oberen Extremitäten und beidseitigem Tremor in den Händen [
18]. Der Patient erhielt initial Biperiden und wurde zur Observanz und Stabilisierung stationär-psychiatrisch für zwei Tage aufgenommen. Bereits nach der ersten Gabe von Biperiden zeigte sich ein deutlicher Rückgang der geschilderten Symptomatik. Während des Aufenthaltes wurde Biperiden auf ein orales Retard-Präparat mit 4 mg MTD abends umgestellt. Weiters wurde in dieser Zeit Clozapin pausiert sowie eine Beendigung der Paliperidon-Depotgabe vereinbart, nachdem Paliperidon als Ursache der Bewegungsstörungen vermutet wurde. Extrapyramidale Störungen können auch bei atypischen Antipsychotika (besonders bei Polypragmasie) auftreten [
18].
EPS können auch bei atypischen Antipsychotika (besonders bei Polypragmasie) auftreten
Bei weiterhin Sistieren der extrapyramidalen Symptomatik konnte Clozapin erneut schrittweise etabliert und der Patient wieder in den extramuralen Bereich entlassen werden. Biperiden wurde in weiterer Folge reduziert und schließlich abgesetzt. Nach dem Aufenthalt erhielt der Patient zwischenzeitlich erneut Lorazepam 2,5 mg, da er nach dem Zwischenfall wieder vermehrt unter Anspannung litt.
In den weiteren Folgeuntersuchungen berichtete der Patient, sich seit der Etablierung von Clozapin insgesamt wohler zu fühlen, wieder öffentliche Verkehrsmittel benutzen zu können und auch über eine subjektiv gebesserte Konzentrationsfähigkeit. In folgenden Kontrollen waren zwischenzeitlich Schwankungen im Clozapinspiegel unterhalb und oberhalb des therapeutischen Bereichs erhebbar, welche wahrscheinlich auf Änderungen im Rauchverhalten zurückzuführen waren und auf die mit entsprechender Dosisanpassung und aufklärenden Gesprächen reagiert wurde. Änderungen im Rauchverhalten können den Clozapinspiegel erheblich beeinflussen [
1,
10]
.
Der Patient berichtete weiterhin über vermehrten Speichelfluss (siehe oben), weshalb eine Off-Label-Therapie mit Diphenhydraminhydrochlorid [
19] (nach Ablehnung der Alternativen) angeboten wurde. Diese wurde auf Wunsch des Patienten jedoch bei Konzentrationsschwierigkeiten und Müdigkeit am Folgetag nach Einnahme wieder beendet und der Patient gab an, die Hypersalivation vorerst zu tolerieren, da er sich insgesamt wohler fühlte. Im PANSS lag der Patient zuletzt bei 32 Punkten gesamt (Positiv-Skala: 8 P, Negativ-Skala: 8 P, Allgemeine Psychopathologie: 16 P).
Änderungen im Rauchverhalten können den Clozapinspiegel erheblich beeinflussen
Die psychopharmakologische Medikation belief sich 21 Wochen nach der Etablierung von Clozapin lediglich auf eine Tagesdosis von 400 mg Clozapin. Tacrolimus lief mit 5 mg Tagesdosis weiter wie gehabt. Wöchentliche psychiatrische Verlaufskontrollen und regelmäßige Laborkontrollen waren auch weiterhin vorgesehen sowie die Betreuung über die Lebertransplant-Ambulanz. Insgesamt präsentierte sich der Patient deutlich gebessert hinsichtlich psychotischer Symptomatik und auch die extrapyramidale Symptomatik sistierte weiterhin.
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