Bei DelirpatientInnen handelt es sich häufig um ältere, multimorbide Menschen, die eine Polypharmazie erhalten und ein hohes Risiko für Nebenwirkungen aufweisen. Somit gilt auch in der Delirbehandlung der Leitspruch „so wenig wie möglich, so viel wie notwendig“. Lediglich Haloperidol und Risperidon haben eine Zulassung zur Behandlung von OPS; Haloperidol ist für das Delir zugelassen, Risperidon jedoch nur zur Behandlung von Verhaltensstörungen bei Demenz wie Unruhe/Erregung, Wahn, Aggression, Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus. Nachdem atypische Antipsychotika im Allgemeinen ein günstigeres Nebenwirkungsprofil aufweisen und von der Gabe von Haloperidol aufgrund des erhöhten Risikos für das Auftreten von extrapyramidalen Symptomen als first-line Therapie abgeraten wird, bewegt sich die psychopharmakologische Therapie des Delirs fast ausschließlich im off-label Bereich. Die in der Behandlung des Delirs eingesetzten Antipsychotikadosierungen sind geringer als jene, die in den primären Indikationen (z. B. Schizophrenie) verabreicht werden, wofür es keinen wissenschaftlichen Beleg gibt.
Studien konnten zeigen, dass die atypischen Antipsychotika Risperidon [
28], Quetiapin [
29,
30], Olanzapin [
28] und Amisulprid [
31] in der Behandlung des Delirs effektiv sind. Die Wirksamkeit von Aripiprazol [
32,
33] und Paliperidon [
34] wurde in offenen Studien gezeigt. Welches dieser Medikamente eingesetzt wird, richtet sich in Zusammenschau mit der klinischen Situation und der sonstigen Krankengeschichte nach dem Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil und der verfügbaren Darreichungsform. Beim Delir werden sublinguale und intramuskuläre Verabreichungsformen erwogen, da oftmals eine perorale Einnahme nicht möglich ist; leider ist derzeit kein Antipsychotikum in intravenöser Darreichungsform verfügbar; Haloperidol ist intravenös nicht mehr zugelassen wegen potenzieller QTc Verlängerung. Beispielsweise haben Quetiapin und Olanzapin sedierende Eigenschaften, Olanzapin wird jedoch aufgrund seiner anticholinergen Wirkung (potenziell delirogen) eher nicht empfohlen. Quetiapin kann bei PatientInnen mit Parkinson Syndrom oder sonstiger dopaminerger Neurodegeneration (z. B. Lewy-Body Demenz) angewandt werden, nachdem es nur schwach antidopaminerg wirksam ist. Aripiprazol und Amisulprid weisen wenig sedierende Wirkung auf. Amisulprid kann bei PatientInnen mit eingeschränkter Leberfunktion, Quetiapin bei eingeschränkter Nierenfunktion und Aripiprazol bei QTc Verlängerung gegeben werden. Die S3 Leitlinie für Demenzen der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) sieht vor, dass ein Delir (bei Demenz) nach entsprechender diagnostischer Abklärung mit Antipsychotika behandelt werden kann (Evidenzgrad 0 = „Kann-Empfehlung“). Es exitistieren keine randomisierten kontrollierten Studien zur speziellen Behandlung von Delir bei Demenz mit Antipsychotika. In der S3 Leitlinie Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin wird ebenfalls angegeben, dass die Gabe von Haloperidol, Risperdon, Olanzapin oder Quetiapin beim Delir erfolgen kann (Evidenzgrad 0) [
35].
Der Einsatz von Antipsychotika beim Delir wurde in letzter Zeit von verschiedenen Forschungsgruppen kritisch beleuchtet. Größere Studien und Meta-Analysen haben die Wirksamkeit von Antipsychotika beim Delir trotz ihrer breiten Anwendung in Frage gestellt. Girard et al. untersuchten die Wirkung von Haloperidol und Zipradison intravenös in 566 beatmeten ICU PatientInnen in einer rezenten prospektiven, randomisierten, Plazebo-kontrollierten Studie und zeigten, dass die Gabe der beiden Antipsychotika nicht zu einer Verkürzung der Delirdauer oder Reduktion der Mortalität im Vergleich zu Plazebo führt [
36]. Bereits 2010 publizierte dieselbe Forschungsgruppe die Vorgängeruntersuchung (MIND trial) in 101 beatmeten ICU PatientInnen und wies einerseits die Machbarkeit von randomisierten, kontrollierten Studien in diesem speziellen Patientenkollektiv nach, zeigte jedoch bereits, dass die Gabe von Antipsychotika keinen Einfluss auf die Anzahl der Tage ohne Delir hat [
37]. Auch Page et al. konnten keinen positiven Effekt von Haloperidol auf die Delirdauer nachweisen (141 beatmete PatientInnen) [
38]. Bei der Interpretation oben genannter Studien muss jedoch berücksichtigt werden, dass diese jeweils in schwer kranken Menschen auf ICU durchgeführt wurden und die Ergebnisse sich daher nicht ohne Weiteres auf DelirpatientInnen auf Allgemeinen Stationen übertragen lassen. In der aktuellen Studie von Girard et al. [
36] litten der Großteil (88 %) der untersuchten PatientInnen an einem hypoaktiven Delir (das Überwiegen dieser Form an ICU ist evident, vgl. „Symptomatik“) und Ziprasidon (im deutschsprachigen Raum nicht intravenös verfügbar) wird in der klinischen Praxis beim Delir kaum eingesetzt. Allerdings zeigen Meta-Analysen von randomisierten kontrollierten Studien, die auch nicht-ICU PatientInnen untersuchten, ebenfalls keinen Effekt von typischen oder atypischen Antipsychotika auf den Schweregrad des Delirs oder die Mortalität [
39]. Eine weitere Meta-Analyse in ICU-PatientInnen fand ebenso keinen signifikanten positiven Effekt von Antipsychotika [
40]. Beide Studien weisen jedoch auf den gegenwärtigen Mangel an ausreichend großen, randomisierten, kontrollierten Studien zur Untersuchung der Effektivität von Antipsychotika beim Delir hin. Nur eine aktuelle Meta-Analyse von Wu et al. empfiehlt die Gabe von Haloperidol in Kombination mit Lorazepam als first-line Therapie beim Delir [
41]; eine Empfehlung, die jedoch bei genauerer Betrachtung der 13 eingeschlossenen Studien lediglich auf die Ergebnisse einer Studie zurückzuführen und daher sehr fragwürdig ist [
42]. Prinzipiell wird basierend auf der vorhandenen Datenlage eine restriktive, überlegte Verschreibung von Antipsychotika empfohlen, insbesondere beim hypoaktiven Delir [
26]. Nachdem es sich (trotz des postulierten Dopamin Arousal im Delir) wohl vor allem auch um eine symptomatische Therapie handelt, ist der Einsatz eher bei Delir-PatientInnen mit hyperkinetischen Verlaufsformen, Agitation und produktiv-psychotischer Symptomatik gerechtfertigt.