Fallbericht
Ein 63-jähriger Patient wurde mit dem Verdacht auf einen stattgehabten epileptischen Anfall mit der Rettung an die neurologische Notfallambulanz gebracht. Eigenanamnestisch hat der Patient keine Erinnerung für das Ereignis. Der Patient berichtet lediglich, dass er zu Hause auf der Couch saß. Seine nächste Erinnerung ist, dass er im Rettungswagen mit Muskelschmerzen wieder zu Bewusstsein kam. Fremdanamnestisch wird von seiner Frau berichtet, dass der Patient plötzlich einen starren Blick gehabt hatte, dann den Kopf nach rechts drehte und anschließend am ganzen Körper „krampfte“. Die Hautfarbe wird als „definitiv nicht blass“ berichtet. Die motorischen Entäußerungen zeigten sich initial in Form einer diffusen „Steifigkeit“, gefolgt von Muskelzuckungen an allen Extremitäten. Insgesamt hatte die Episode ca. 3 min angedauert; bei der Ankunft des Notarztes war der Patient immer noch bewusstlos. Im neurologischen Status in der Notfallambulanz zeigte sich ein somnolenter Patient, der jedoch auf Ansprache gut weckbar war und sich in allen Qualitäten orientiert zeigte. Es findet sich ein Zungenbiss links lateral, zudem kam es zu unwillkürlichem Harn- und Stuhlverlust. Der übrige neurologische Status ist regelrecht. Anhand der klinisch-anamnestischen Konstellation wird ein fokal zu bilateral tonisch-klonischer epileptischer Anfall suspiziert.
Anamnestisch lassen sich weder ätiologische Momente (wie z. B. ein relevantes Schädelhirntrauma, Hirntumor-Erkrankung oder Schlaganfall in der Vergangenheit, etc …) noch Provokationsfaktoren (z. B. Fieber, Alkoholentzug, Schlafmangel) erheben. Eine MRT-Untersuchung des Gehirns zeigt bis auf eine leichte Atrophie des linken Hippocampus einen regelrechten Befund. Eine ausführliche Anamnese erbrachte die Information, dass der Patient seit circa einem Jahr „vergesslicher geworden“ ist. Es wird berichtet, dass der Patient oft Gegenstände verlegt, sich an neue Informationen oftmals nicht wiedererinnern kann und es schwieriger wird, mit ihm längere Gespräche zu führen. Zudem schildern Patient und Gattin aufgrund dieser Beeinträchtigunen einen zunehmenden sozialen Rückzug. Des Weiteren werden von der Gattin Episoden berichtet, im Rahmen derer der Patient desorientiert wirkt und immer dieselben Fragen stellt. Diese Episoden können bis zu mehrere Stunden lang andauern. Der Patient wird von seiner Gattin als in den täglichen Aktivitäten des Alltags nach wie vor selbstständig geschildert. Die neuropsychologische Diagnostik ist mit einer leichten kognitiven Beeinträchtigung vereinbar. Elektroenzephalographisch konnten interiktale Sharp Waves temporal links nachgewiesen werden. Zusätzlich wurde eine von den oben genannten Episoden mit einem entsprechenden elektroenzephalographischen Anfallsmuster aufgezeichnet. Es wurde eine Diagnose einer fokalen Epilepsie im Rahmen einer leichten kognitiven Beeinträchtigung gestellt. Eine Therapie mit Levetiracetam wurde vorsichtig über einige Tage hinweg auf die Zieldosis von 1000 mg pro Tag aufdosiert und im Verlauf vom Patienten gut vertragen. Der Patient zeigte sich nach einem Jahr Follow-up anfallsfrei und kognitiv unverändert.
Hintergrund
Die jährliche kumulative Inzidenz aller Epilepsien beträgt über alle Altersgruppen hinweg ca. 67,77 pro 100.000 Personen. In der Gruppe der Menschen älter als 65 Jahre ist die Inzidenz von Epilepsieerkrankungen deutlich höher und liegt bei 90 bis 150 pro 100.000 Personen. Die Prävalenz der Epilepsie nimmt ebenfalls mit dem Alter zu und steigt auf 1–2 % bei über 85-Jährigen. Die Inzidenz der Epilepsie zeigt eine bimodale Verteilung (U-förmige Kurve) mit Spitzenwerten im ersten Lebensjahr (Early-onset-Epilepsie) sowie bei älteren Menschen (Late-onset-Epilepsie) [
1,
2]. Nachdem sowohl Epilepsie als auch Demenz eine höhere Inzidenz im Alter zeigen, ist es nicht erstaunlich, dass eine Komorbidität zwischen Demenz und Epilepsie besteht. Schätzungen zufolge liegt die Gesamtprävalenz von Demenz bei Patienten mit Epilepsie bei 8,1 bis 17,5 pro 100.000 Personen. Epidemiologische Studien zeigen zwar ein erhöhtes Risiko, bei vorbekannter Epilepsie Demenz zu entwickeln [
2‐
4]; andererseits haben Personen mit Demenz ein 2‑ bis 10-fach höheres Risiko eine Epilepsieerkrankung zu entwickeln.
Obwohl eine Epilepsieerkrankung bei jeder Form von Demenz auftreten kann, zeigen manche Formen wie Early-onset-Alzheimer-Erkrankung und vaskuläre Demenz die größte Wahrscheinlichkeit, eine Epilepsie zu entwickeln. Besonders hoch ist das Risiko für die Manifestation von epileptischen Anfällen bei Demenzpatient*innen bei denen sich im EEG interiktale epileptiforme Potentiale finden. Die Komorbidität zwischen Demenz und Epilepsie ist vermutlich nicht zufällig und lässt eine Interaktion zwischen den beiden Erkrankungen suspizieren.
Klinische Studien, die Patient*innen mit Demenz vom Beginn der Erkrankung weg beobachteten , zeigten, dass in einigen Fällen epileptische Anfälle die erste Manifestation der Alzheimer-Krankheit darstellen oder gleichzeitig mit dem Beginn einer kognitiven Beeinträchtigung auftreten. Manche Autor*innen vermuten, dass epileptische Anfälle, die mit dem Auftreten einer Demenzerkrankung einhergehen, das epileptogene Potenzial von Amyloid widerspiegeln [
5]. Eine aus dieser klinischen Assoziation zwischen Demenzbeginn und dem Auftreten von epileptischen Anfällen abgeleitete Hypothese ist, dass zwischen den beiden Erkrankungen eine wechselseitige pathophysiologische Interaktion betsteht. Es wird vermutet, dass die Alzheimer-Pathologie das Auftreten von epileptischen Anfällen prädisponiert aber auch umgekehrt epileptische Anfälle mit der Entwicklung von Alzheimer-Pathologie einhergehen und diese verschlimmern können.
Die meiste Evidenz eines pathophysiologischen Zusammenhanges zwischen Epilepsie und Demenz stammt aus Tiermodellen [
6,
7]. Tau-Protein und Amyloid β erhöhen die neuronale Erregbarkeit durch viele Prozesse (wie z. B. die Spaltung von Kanaluntereinheiten an der neuronalen Membran) und erleichtern so das Auftreten von Anfällen. Die Alzheimer-Krankheit ist auch mit dem Vorhandensein von Neuroinflammation und von Locus-coeruleus-Neurodegeneration verbunden, die beide zu einer erhöhten neuronalen Erregbarkeit führen. Darüber hinaus kann ein durch die Neurodegeneration des Locus coeruleus verursachter Mangel von Norepinephrinen im Gehirn die Neuroinflammation weiter verstärken [
6]. Ebenso führen epileptische Anfälle zu einer Zunahme der Amyloidablagerungen im Gehirn und der Tau-Phosphorylierung [
8]. Aus umgekehrter Sicht können sich alzheimertypische neuropathologische Veränderungen auch bei Epilepsiepatienten finden. Eine Studie an einer Gruppe von Patienten mit arzneimittelresistenter Temporallappenepilepsie, die mittels einer epilepsiechirurgischen Resektion des vorderen Schläfenlappens behandelt wurden, zeigte eine erhöhte Expression von Amyloid Precursor Protein (APP) im Hippocampus [
9]. Neben den präklinische Daten aus tierexperimentellen Studien weisen auch klinische epidemiologische Studien darauf hin, dass eine Epilepsieerkrankung Neurodegeneration und Alzheimer verschlimmern kann.
Epilepsie kann bei Alzheimer in jedem Stadium auftreten, manchmal auch vor den kognitiven Defiziten
Epileptiforme Aktivität ist definiert als paroxysmale scharfe Wellenformen (Spikes und scharfe Wellen) im EEG mit einer Dauer von 20 bis 200 ms, die die Hintergrundaktivität unterbrechen. Die Sensitivität von EEG-Aufzeichnungen zur Erkennung epileptiformer Aktivität hängt von der Art des verwendeten EEG-Protokolls ab. Bei älteren Erwachsenen zeigt das Routine-EEG bei etwa einem Drittel der Patienten mit leichter kognitiver Beeinträchtigung oder Demenz und komorbiden Anfällen eine interiktale epileptiforme Aktivität. Die Sensitivität des EEG steigt mit längerer Aufzeichnungsdauer, der Erfassung von Schlaf und mit seriellen EEG-Untersuchungen. Die Aufzeichnung von epileptiformer Aktivität bei der Alzheimer-Krankheit wird durch die Verwendung von nichtinvasiven Elektroden begrenzt – eine Einschränkung, die in Tiermodellen, in denen üblicherweise subdurale oder Tiefenelektroden verwendet werden, nicht auftritt [
10]. Rezent wurden mittels intrakranieller Foramen-ovale-Elektroden subklinische Anfälle und epileptiforme Spikes während des Schlafs bei zwei Alzheimer-Patienten ohne Anamnese von epileptischen Anfällen oder Nachweis von epileptiformer Aktivität im Oberflächen-EEG identifiziert [
11]. In einer retrospektiven Studie über die Inzidenz subklinischer epileptiformer Aktivität bei der Alzheimer-Krankheit und deren potenzielle Auswirkungen auf den kognitiven Abbau konnten Vossel et al. subklinische epileptiforme Aktivität mehr als viermal so häufig wie bei altersgleichen Kontrollen dokumentieren [
5]. Zudem zeigten Patient*innen mit subklinischer epileptiformer Aktivität im Laufe der Zeit eine schnellere Verschlechterung der Mini-Mental State Examination (MMSE) und der exekutiven Funktionen verglichen mit Alzheimer-Patienten ohne solche Aktivität [
12]. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass subklinische epileptiforme Aktivität bei der Alzheimer-Krankheit häufiger vorkommt als bisher angenommen und werfen die Möglichkeit auf, dass epileptiforme Aktivität den kognitiven Verfall beschleunigen könnte.
Klinik und Diagnostik
Epilepsie kann bei Alzheimer in jedem Stadium auftreten, manchmal auch vor dem Auftreten der kognitiven Defizite [
13‐
15]. Eine Demenzdiagnostik sollte deshalb bei Late-onset-Epilepsie in Betracht gezogen werden und vor dem Therapiebeginn stattfinden. Semiologisch können verschiedene Anfallstypen auftreten, darunter fokal nicht bewusst erlebte Anfälle mit Symptomen, die für die mesiotemporalen Strukturen, insbesondere den Hippocampus, lokalisieren, wie z. B. amnestische Anfälle, Déjà vu oder Jamais vu, Arrest, oroalimentäre Automatismen, „ictal fear“, epigastrisches Gefühl, metallischer Geschmack, olfaktorische Halluzinationen, Tachykardie, Bradykardie, Asystolie. Anhand der milden Symptomatik können fokal nicht bewusst erlebte Anfälle vom Patienten bzw. Caregiver übersehen bzw. als unspezifische Beschwerden im Rahmen der Demenz eingestuft werden. Rezente Evidenz deutet auf einen möglichen Beginn von epileptischen Anfällen bereits bei MCI-Patienten hin [
10].
Tonisch-klonische Anfälle entsprechen in den meisten Fällen einer sekundären Generalisierung von fokal nicht bewusst erlebten Anfällen, sodass eine sorgfältige Anamnese der „Vorankündigungszeichen bzw. Aura“ differenzialdiagnostisch sehr relevant ist. Myoklonien wurden oft im Rahmen einer fortgeschritten Alzheimer-Demenz beschrieben, nichtsdestotrotz zeigt aktuelle Evidenz, dass myoklonische Anfälle nicht häufig sind. Bilateral tonisch-klonische Krampfanfälle sind im Vergleich zu jungen Erwachsenen seltener [
16].
Die Diagnose von epileptischen Anfällen und Epilepsie kann bei älteren Patienten mit Demenz besonders schwierig sein. Erstens können verschiedene Arten von unterschiedlichen Beschwerden bzw. Episoden epileptische Anfälle vortäuschen. Zum Beispiel kann selten eine Synkope mit Myoklonus, Zungenbiss und Harninkontinenz einhergehen [
17]. Im Gegensatz zu bilateral tonisch-klonischen Anfällen bestehen bei einer (konvulsiven) Synkope oft unspezifische Prodromi, gefolgt von einem Bewusstseinsverlust mit tonischer Extension der beiden Arme und nachfolgend irregulären Zuckungen, die meist kurz (20–30 s) andauern und mit rascher Reorientierung einhergehen [
16]. Eine ergänzende Anamnese hinsichtlich Herzrhythmusstörungen und entsprechende kardiologische Diagnostik sollte unter solchen Umständen stattfinden. Des Weiteren kann die Diagnose eines epileptischen Anfalls bei Alzheimer-Patient*innen besonders schwierig sein, da plötzliche Episoden einer postiktalen Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten als gewöhnliche Fluktuation des dementiellen Zustands interpretiert werden können. Postiktale Verwirrtheit kann Stunden oder sogar Tage andauern [
17]. Bei längerer Persistenz an fokalen postiktalen Defiziten können auch TIA oder Schlaganfälle differenzialdiagnostisch infrage kommen.
Aufgrund der bei älteren Patient*innen häufig vorkommenden Polypharmazie und der Vielzahl von Komorbiditäten ist es wichtig, in der Medikation der Patient*innen auf mögliche solche Pharmaka zu achten, die potentiell die Anfallsschwelle senken und akut symptomatische epileptische Anfälle auslösen können (z. B. Antidepressiva wie z. B. Bupropion, Analgetika wie z. B. Tramadol, Antibiotika wie z. B. Cefepime oder Imipenem).
Sehr wichtig ist die Durchführung eines EEG in den ersten 48 h
Eine ausführliche Labordiagnostik zum Ausschluss metabolischer Ursachen akut symptomatischer epileptischer Anfälle wie z. B. Elektrolytentgleisungen, Hyper‑/Hypoglykämie und ggf. Intoxikationen sollte routinemäßig durchgeführt werden [
17].
Die zeitnahe Durchführung eines EEG (in den ersten 48 h nach dem Anfallsereignis) ist sehr wichtig in der Diagnostik epileptischer Anfälle sowie zur Differenzialdiagnostik [
18]. Allerdings gibt das erste EEG auch bei vorliegender epileptischer Genese nur in etwa einem Drittel der Fälle klare Hinweise in Form epileptiformer Potenziale – somit kann aufgrund eines unauffälligen EEG eine Epilepsie nicht ausgeschlossen werden. Unspezifische Veränderungen wie milde fokale bzw. diffuse Veränderungen (meistens Verlangsamungen) sind bei älteren Patienten häufig zu finden [
19]. In besonderen Fällen wie bei einem akuten Delir ist die Durchführung eines EEG zum Ausschluss eines nicht-konvulsiven Status epilepticus (NCSE) indiziert.
Ein Status epilepticus (SE) ist das Fortbestehen eines epileptischen Anfalls für die Dauer > 5 min beim bilateral tonisch-klonischen Anfall (konvulsiver SE) und > 10 min beim fokalen SE mit oder ohne Bewusstseinsbeeinträchtigung (NCSE). Die Diagnose von SE ist im Alter besonders herausfordernd. Erstens tritt bei Patient*innen im höheren Alter ein Status epilepticus häufiger als erste Manifestation einer Epilepsieerkrankung auf, zweitens kommt es häufig zu NCSE d. h. ohne relevante motorische Entäußerungen. Die Inzidenz des SE beträgt bei Menschen ≥ 60 Jahre 79,9/100.000 Erwachsene pro Jahr, verglichen mit 18,8/100.000 Erwachsene pro Jahr bei < 60-Jährigen [
21]. Morbidität und Mortalität des SE sind hoch und steigen altersabhängig von 4,1 % bei < 60-Jährigen auf 22,5 % bei Patienten ≥ 60 Jahre an [
20,
21]. Somit ist die rasche Erkennung und entsprechende Behandlung eines Status epilepticus im Alter umso mehr indiziert.
Therapie
Bei der Behandlung von Epilepsiepatient*innen mit Demenz muss man altersassoziierte Faktoren berücksichtigen. Zuerst reagieren alte Menschen meist sensibler auf Medikamente, insbesondere zentral wirksame Substanzen, wobei unspezifische Nebenwirkungen wie Schwindel, Müdigkeit, Gangunsicherheit und Konzentrationsstörungen häufig sind [
16,
17]. Ältere Anti-Anfallsmedikamente wie Phenobarbital, Phenytoin und Valproinsäure haben ein schlechteres kognitives Verträglichkeitsprofil. Unter den neueren Anti-Anfallsmedikamenten weist Topiramat ein schlechtes kognitives Verträglichkeitsprofil auf [
16,
17,
22] mit Beeinträchtigung der Wortflüssigkeit und anderer frontaler Funktionen. Andere Medikamente wie Levetiracetam, Lamotrigin, Oxcarbazepin, Eslicarbazepin, Gabapentin, Lacosamid, Brivaracetam und Perampanel zeigen eine bessere Verträglichkeit hinsichtlich der kognitiven Funktion [
7].
Unter den oben genannten Anti-Anfallsmedikamenten hat Carbamazepin eine schlechtere Verträglichkeit verglichen mit Lamotrigin [
23] und Gabapentin [
24] bei einer weitgehend vergleichbaren Anfallsfreiheitsrate. In einer randomisierten Doppelblind-Studie wurde Levetiracetam mit Carbamazepin und Lamotrigin in Epilepsiepatienten älter als 60 Jahre verglichen. Die drei Medikamente zeigten vergleichbare Wirksamkeit, mit jedoch weniger Therapieabbrüchen (d. h. besserer Tolerabilität) bei Levetiracetam oder Lamotrigen verglichen mit Carbamazepin [
25].
Vor Therapiebeginn sollte neben einer Basislabordiagnostik zur Beurteilung von Nierenfunktion und Lebersyntheseleistung auch eine neuropsychologische Diagnostik erfolgen, um eventuelle negative kognitive Effekte durch die medikamentöse Therapie im Verlauf beurteilen zu können. Neben den kognitiven Nebenwirkungen können Anti-Anfallsmedikamente eine Enzyminduktion (Carbamazepin, Phenytoin, Phenobarbital) oder Enzyminhibition (Valproinsäure) fördern, was bei einer Polypharmazie problematisch sein kann [
26]. Dazu sollte die im Alter häufig verminderte Funktion von Leber und/oder Nieren in der Auswahl und Dosierung von Anti-Anfallsmedikamenten berücksichtigt werden.
Vor Therapiebeginn: Basislabor sowie neuropsychologische Diagnostik
Eine wichtige Rolle bei der Wahl der Anti-Anfallsmedikation spielen Komorbiditäten. Anti-Anfallsmedikamente wie Valproinsäure, Carbamazepin und Phenobarbital sind mit dem Auftreten einer reduzierten Knochendichte assoziiert, was u. a. aufgrund des anfallsbezogenen Sturz‑/Frakturrisikos nicht übersehen werden darf. Bei kardialen Vorerkrankungen, insbesondere AV-Block, sollten Natriumblocker vermieden und die „neue Generation von Anti-Anfallsmedikamenten“ favorisiert werden. In einer Phase-III-Non-Inferiority-Studie zeigte Lacosamid z. B. eine bessere Wirksamkeit und eine geringere Nebenwirkungsrate verglichen mit Carbamazepin bei Patienten ≥ 65 Jahren [
27]. Ebenso zeigt Eslicarbazepinacetat (ESL) im Gegensatz zu Carbamazepin und Oxicarbazepin ein deutlich geringeres Interaktionsrisiko und nur eine geringe enzyminduzierende Wirkung bei vergleichbarem Nebenwirkungsprofil [
28]. Bei psychiatrischen Erkrankungen ist Levetiracetam nicht das Mittel der Wahl. Brivaracetam ist ein neues antiepileptisches Molekül mit einem zu Levetiracetam vergleichbaren Wirkmechanismus, das in einer Phase-IIb-Studie zu einer Abnahme psychiatrischer Nebenwirkungen führte, die unter Levetiracetam bestanden hatten; deshalb stellt Brivaracetam bei psychiatrischen Nebenwirkungen unter Levetiracetam eine valide Option dar [
29]. Insgesamt sprechen die meisten epileptischen Anfälle im Zusammenhang mit der Alzheimer-Krankheit auf eine Monotherapie mit Anti-Anfallsmedikation [
30] an. Oft ist die Gabe von Anti-Anfallsmedikation in niedriger Dosierung, die bei älteren Menschen aufgrund der durch die im Alter nachlassenden Nieren- und Leberfunktion eingeschränkte Pharmakokinetik bevorzugt wird, ausreichend [
31].
Andererseits ist Polytherapie mit Anti-Anfallsmedikamenten ein anerkannter Faktor, der zu einer Zunahme der medikamentenbedingten kognitiven Beeinträchtigung beiträgt. Dies passiert vermutlich durch eine Verstärkung der Nebenwirkungen von 2 oder mehr Medikamenten oder wegen begleitender Komorbiditäten [
32].
Fazit für die Praxis
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Nach dem 65. Lebensalter steigt die Inzidenz sowohl von Demenz als auch Epilepsie an, weshalb man im Alter an beiden Erkrankungen leiden kann. Nicht immer ist die Komorbidität zwischen Demenz und Epilepsie zufällig. Es wird vermutet, dass sich Epilepsie im Alter und Demenz pathophysiologische Mechanismen teilen.
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Epileptische Anfälle können den Verlauf einer Demenzerkrankung beschleunigen und müssen somit diagnostiziert und behandelt werden.
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Bei Fluktuationen der Leistung bzw. bei „Abwesenheitsepisoden“ müssen Anfälle deshalb suspiziert werden.
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Die Behandlung muss die potentiellen kognitiven Nebenwirkungen der Anti-Anfallsmedikation, die Wechselwirkungen mit der Vormedikation und die zahlreichen Komorbiditäten in Betracht ziehen.
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Ältere Medikamente wie Phenobarbital, Phenytoin, Valproinsäure sowie neuere wie Carbamazepin und Topiramat stellen deshalb nicht die erste Wahl dar. Andere Medikamente wie Levetiracetam, Lamotrigin, Lacosamid, Brivaracetam, Eslicarbazabin und Perampanel haben eine bessere Verträglichkeit.
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Die optimale Dosis zum Erreichen der Anfallsfreiheit ist bei älteren Patienten niedriger als die Standarddosis; oft genügt eine Monotherapie.
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Jedenfalls gilt das Prinzip „Start low, go slow, aim low“.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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