Open Access 27.07.2020 | Diabetes | Originalien
Diabetes und Knochen
Erschienen in: Journal für Mineralstoffwechsel & Muskuloskelettale Erkrankungen | Ausgabe 4/2020
Zusammenfassung
Knochengesundheit und Diabetes mellitus sind eng miteinander verknüpft, da sie nicht nur beide häufige chronische Erkrankungen darstellen und ihre Häufigkeit mit zunehmendem Alter ansteigt, sondern auch weil Diabetes das Risiko für Fragilitätsfraktur steigert. Bei Typ-2-Diabetes-mellitus hat sich gezeigt, dass das tatsächliche Frakturrisiko sowohl mit der Knochendichtemessung als auch mit dem Fracture Risk Assessment Tool (FRAX) unterschätzt wird, wenn das Risiko nicht entsprechend adjustiert wird.
Während etablierte Osteoporosetherapie auch bei Menschen mit Diabetes mellitus wirken und auch eingesetzt werden werden sollen, gilt es, die Besonderheiten der antihyperglykämischen Substanzen hinsichtlich des Frakturrisikos in der individualisierten Therapie zu berücksichtigen und jene Substanzen mit erhöhtem Frakturrisiko zu meiden.
Eine diabetische Stoffwechsellage beeinflusst die Knochengesundheit in mannigfaltiger Weise. Zahlreiche Studien belegen ein erhöhtes Frakturrisiko, wobei dies bei Typ-1-Diabetes-mellitus (T1DM) noch stärker ausgeprägt sein dürfte als bei Typ-2-Diabetes-mellitus (T2DM) [1‐9]. So konnte beispielsweise eine prospektive Studie ein um 22 % erhöhtes relatives Risiko für nichtvertebrale Frakturen bei PatientInnen mit T2DM zeigen [1]. Ebenso verifizierte die Women’s Health Initiative Observational Study anhand 93.000 postmenopausaler Frauen mit Diabetes mellitus ein signifikant erhöhtes Risiko für Frakturen an mehreren Lokalisationen (u. a. Hüfte, Sprunggelenk, Wirbelkörper; HR 1,20; 95 %-CI: 1,11–1,30) [2]. Aufgrund des oft frühen Auftretens eines Diabetes mellitus Typ 1 betrifft der gestörte Knochenstoffwechsel auch jüngere PatientInnen, bei denen man sonst noch nicht an Osteoporose denken würde. Während sich bei T1DM eine verminderte Knochenmineraldichte findet, können PatientInnen mit T2DM aufgrund des oft bestehenden erhöhten Körpergewichtes eine erhöhte Knochenmineraldichte aufweisen, welche jedoch keinen mechanisch gut belastbaren Knochen repräsentiert und über das tatsächlich erhöhte Frakturrisiko hinwegtäuscht [1, 7, 10‐12]. Ebenso zeigte sich die mittels hochauflösender peripherer quantitativer CT (HR-pqCT) erhobene volumetrische Knochendichte in Individuen mit T2DM signifikant erhöht [13]. Dadurch ist die Erhebung des Frakturrisikos mittels osteodensitometrischer Messung und routinemäßiger Anwendung des Fracture Risk Assessment Tool (FRAX) in diesem Patientenkollektiv eingeschränkt, bei letzterem bedient man sich einer Adjustierung für Diabetes mellitus. Als möglicher geeigneter Surrogatparameter zeigte sich Sklerostin, ein von Osteozyten gebildetes Glykoprotein, welches die Differenzierung von Osteoblasten und damit die Osteogenese hemmt [14]. Es konnten nicht nur erhöhte Sklerostinwerte bei diabetischer Stoffwechsellage, sondern auch eine signifikante Assoziation zwischen Sklerostinwerten und Krankheitsdauer, HbA1c sowie Frakturraten unabhängig von der Knochenmineraldichte gezeigt werden [15‐20].
Der Knochen ist ein dynamisches Gewebe, das sich stets im Gleichgewicht zwischen Knochenabbau und Knochenaufbau befindet (Remodelling), wobei altes, durch Belastungsschäden und Mikrofrakturen geschädigtes Gewebe durch neues ersetzt und so die mechanische Kompetenz aufrechterhalten wird. Verhaeghe et al. konnten im Tiermodell zeigen, dass eine diabetische Stoffwechsellage über eine Verminderung der Osteoblastenaktivität zu einem verminderten Knochenumsatz führt [21]. Konkordant zeigten Achemlal et al. eine Erniedrigung von Osteocalcin, ein Marker für die Osteoblastenaktivität, im Serum von PatientInnen mit T2DM [22]. Im Tiermodell resultierte fehlendes Osteocalcin durch Veränderungen des Insulinrezeptors bei Adipositas und Glukosestoffwechselstörungen, wobei sich durch intermittierende Verabreichung von Osteocalcin eine Verbesserung der Glukosetoleranz und Insulinsensitivität erreichen ließ [23, 24]. Hinsichtlich der Rolle von Osteoklasten, welche für den Knochenabbau verantwortlich sind, zeigten sich widersprüchliche Ergebnisse [22, 25, 26].
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Pathophysiologische Mechanismen zwischen Glukose- und Knochenmetabolismus, welche zur erhöhten Knochenfragilität führen, sind noch nicht gänzlich geklärt und Gegenstand aktueller Forschung. So spielen neben dem direkten Einfluss der diabetischen Stoffwechsellage auf die Knochenqualität auch Langzeitkomplikationen des Diabetes mellitus eine entscheidende Rolle. Retinopathie, Polyneuropathie sowie beeinträchtigte körperliche Leistungsfähigkeit aufgrund reduzierter Muskelkraft und Koordination nach langjähriger Diabetesdauer sind nur einige der Faktoren, die zu einer erhöhten Sturzgefahr und somit Frakturneigung führen. Die Beteiligung weiterer Organsysteme, vor allem der Nieren, üben zusätzlich einen negativen Effekt auf die Knochenstruktur aus. Aber nicht nur die Grundkrankheit und deren Komplikationen, sondern auch die angewandten Therapien schädigen den Knochen [25]. Verschiedene Medikamentengruppen mit unterschiedlichen Wirkmechanismen und entsprechenden Vor- und Nachteilen stehen für die Behandlung des Diabetes mellitus zur Verfügung.
Glitazone repräsentieren eine Medikamentengruppe, welche die negativen Auswirkungen auf den Knochenstoffwechsel am deutlichsten zeigt. Sie entfalten ihre Wirkung über Aktivierung des Zellkernrezeptors PPARγ. Im Tiermodell konnte gezeigt werden, dass mesenchymale Stammzellen durch die PPARγ-Aktivierung vermehrt zu Adipozyten und weniger zu Osteoblasten differenzieren und somit ein Knochenmasseverlust resultiert [27, 28]. Außerdem führte Rosiglitazon zu vermehrtem Fettgewebe im Knochenmark, dessen Ausmaß invers mit der Knochenmineraldichte korreliert [29]. In klinischen Studien konnte durch die Behandlung mit Rosiglitazon ein Knochenmasseverlust (z. B. −1,9 % Rosiglitazone vs. −0,2 % Placebo) [30] sowie auch eine erhöhte Frakturrate gezeigt werden (z. B. HR [Hazard Ratio] 1,35; 95 %-CI [Konfidenzintervall]: 1,05–1,71 bei Männern; HR 1,57; 95 %-CI: 1,16–2,14 bei Frauen) [31]. Aufgrund dieser ungünstigen Effekte auf den Knochenstoffwechsel wurde eine Behandlung mit Glitazonen bereits als wesentlicher Risikofaktor in den Osteoporose-Leitlinien berücksichtigt.
Als häufigstes verwendetes orales Antidiabetikum zeigt sich Metformin mit noch nicht vollständig geklärtem Wirkprinzip. Einer der Mechanismen findet über Aktivierung der AMP-aktivierten Proteinkinase statt, welche ubiquitär und so auch im Knochengewebe vorkommt und zu einer Differenzierung und Mineralisierung der Osteoblasten führt [32]. Bisherige Untersuchungen lassen vermuten, dass Metformin über diesen Weg einen protektiven Effekt auf Knochengewebe ausübt. Außerdem zeigte sich im Tiermodell eine Reduktion des Knochenverlustes durch Metformin über Hemmung der Osteoklastenaktivität [33]. Klinische Studien konnten diesen Effekt nicht eindeutig belegen. Borges et al. zeigten eine signifikante Zunahme der Knochendichte durch Behandlung mit Metformin [34]. Ebenso resultierte die Einnahme von Metformin in einer relativen Risikoreduktion von 19 % hinsichtlich Frakturen, jedoch nicht an Lokalisationen, welche mit erhöhter Mortalität assoziiert sind (Hüfte, Wirbelkörper, Unterarm) [35]. Andere Studien hingegen konnten nur einen neutralen Effekt von Metformin nachweisen [36].
Obwohl Sulfonylharnstoffe seit mehreren Jahrzehnten zu den meist verwendeten antidiabetischen Therapien gehören, gibt es kaum Daten zum Einfluss dieser Therapie auf den Knochenstoffwechsel. Während einige Studien einen neutralen, allenfalls diskret protektiven Effekt aufweisen [35‐38], konnten Majumdar et al. ein erhöhtes Frakturrisiko durch Sulfonylharnstoffe nachweisen [39]. Diese Medikamentengruppe sollte jedenfalls aufgrund der bestehenden Hypoglykämiegefahr und des damit assoziierten erhöhten Sturzrisikos speziell bei älteren PatientInnen mit Vorsicht angewandt werden.
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Die Datenlage zum Einfluss inkretinbasierter Therapien (DPP-4-Hemmer und GLP-1-Rezeptor-Agonisten) auf den Knochenstoffwechsel zeigt sich überschaubar und teils heterogen. Während eine Metaanalyse basierend auf sehr wenigen Frakturen eine Senkung des Frakturrisikos durch DPP-4-Hemmer (OR [Odds Ratio] 0,60; 95 %-CI: 0,37–0,99; p = 0,045) vorschlug [40], konnte in großen Endpunktstudien mit größeren Fallzahlen ein neutraler Effekt beobachtet werden [39, 41]. GLP-1-Rezeptor-Agonisten zeigten einen neutralen Effekt auf Knochendichteparameter [42, 43]. Metaanalysen berichteten über eine Reduktion von Frakturraten unter dieser Substanzklasse [44], jedoch waren diese Studien nicht auf osteologische Fragestellungen hin ausgelegt, sodass es sich primär um Daten aus Nebenwirkungsmeldungen handelt. Schlussfolgerungen hinsichtlich Frakturraten von inkretinbasierten Therapien sind daher nur begrenzt möglich.
Die bisher kleinste Datenmenge zum Einfluss antidiabetischer Therapie auf die Knochengesundheit liefern SGLT2-Hemmer. Obwohl die Einnahme von SGLT2-Hemmern zu einer leichten Körpergewichtsreduktion führt, konnte kein signifikanter Verlust an Knochenmineraldichte gezeigt werden [45‐47]. Im CANVAS-Programm sind jedoch numerisch erhöhte Frakturraten unter Canagliflozin beobachtet worden (HR 1,23, 95 %-CI 0,99–1,52) [48], ein Befund, der in der CREDENCE-Studie [49] mit selbiger Substanz nicht bestätigt wurde und auch nicht in den Studien zu den randomisierten, kontrollierten Studien mit anderen SGLT2-Hemmern. Zur adäquaten Beurteilung des Einflusses von SGLT2-Hemmern auf den Knochenstoffwechsel sowie die Frakturraten sind noch weitere Studien notwendig.
Häufigeres Vorkommen von Osteopenie und Osteoporose bei T1DM lässt vermuten, dass Insulin einen osteoanabolen Effekt aufweist [50]. Schon bei Kindern und jungen Erwachsenen mit T1DM finden sich entsprechend niedrige Knochendichteparameter [50]. Konkordant zu dieser Annahme zeigten klinische Studien, dass eine intensivere Insulintherapie bei T1DM zu einer Verbesserung der Knochenmineraldichte führte [51]. Auch PatientInnen mit T2DM und sekundärer Insulinpflichtigkeit zeigen ein erhöhtes Frakturrisiko [35, 36, 52]. Das Fehlen adäquater randomisierter, kontrollierter Studien macht es jedoch schwierig, Schlüsse hinsichtlich der Kausalität zwischen Insulintherapie und Frakturrisiko zu ziehen. Es bleibt auch zu berücksichtigen, welche Rolle potenzielle Hypoglykämien und damit assoziierte Stürze und Frakturen spielen.
Bei PatientInnen mit Diabetes mellitus findet sich häufiger ein Vitamin-D-Mangel [53, 54]. Der Einfluss des Vitamin-D-Status auf den Glukosestoffwechsel wird aufgrund uneinheitlicher Ergebnisse kontrovers diskutiert. In Anbetracht der Knochenprotektivität scheint eine Supplementation mit Vitamin D und eine ausreichende Kalziumversorgung bei RisikopatientInnen sinnvoll [55].
Das Vorliegen eines Diabetes mellitus führt zu einem erhöhten Risiko für Fragilitätsfrakturen über bisher nicht vollständig geklärte pathophysiologische Mechanismen. Im Zuge einer osteologischen Abklärung mittels FRAX erfolgt, wie bereits erwähnt, eine Adjustierung für Diabetes mellitus, um das Frakturrisiko nicht zu unterschätzen. Das optimale osteologische Management bei DiabetespatientInnen ist noch nicht ausreichend etabliert und Gegenstand zukünftiger Studien. Die gemeinsame Leitlinie der Österreichischen Gesellschaft für Knochen und Mineralstoffwechsel (ÖGKM) und der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG) legt einen Behandlungspfad für Menschen mit Diabetes und Osteoporose dar. Diabetes mellitus wird dabei in die Risikostratifizierung miteinbezogen und entsprechend den Ausführungen oben wird man bevorzugt zu antihyperglykämischen Substanzen wie Metformin oder GLP-1-Rezeptor-Agonisten greifen. Jedoch hat der Diabetes per se keinen Einfluss auf die pharmakologische Therapiewahl zur Behandlung der Osteoporose, da die Substanzen auch bei Vorliegen eines Diabetes mellitus wirksam sind und keine unmittelbaren Einflüsse auf den Glukosestoffwechsel zeigen [56].
Ein hohes Maß an Aufmerksamkeit für die Schnittstelle zwischen Diabetologie und Osteologie ist essenziell, um bei jungen PatientInnen mit T1DM frühzeitig an eine osteologische Abklärung zu denken und Risiken osteologischer Komplikationen in der älteren Population bei der Wahl der geeigneten antidiabetischen Therapie miteinzubeziehen.
H. Sourij erhielt Forschungsgrants von Boehringer Ingelheim, Eli Lilly, MSD, Novo Nordisk und Sanofi sowie Sprecherhonorare von Amgen, AstraZeneca, Boehringer Ingelheim, Eli Lilly, MSD, Novartis, Novo Nordisk und Sanofi. O. Malle gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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