Die diabetische Ketoazidose (DKA) und das hyperglykämische hyperosmolare Syndrom (HHS) sind die zwei schwerwiegendsten, akut lebensbedrohlichen hyperglykämischen Notfälle in Patient*innen mit Diabetes Typ 1 und Diabetes Typ 2. Weltweit zeigt sich in den letzten 10 Jahren eine Zunahme der stationären Aufnahmen aufgrund dieser hyperglykämischen Krisen. Die DKA ist gekennzeichnet durch eine Hyperglykämie, Ketonämie sowie metabolische Azidose mit erhöhter Anionenlücke, während es beim HHS zu einer ausgeprägten Hyperglykämie, Hyperosmolarität und Dehydration ohne Azidose kommt. Die frühzeitige Diagnose und die Kenntnisse der Therapiemodalitäten sind notwendig, um Komplikationen zu vermeiden. Die Therapiesäulen beruhen auf dem Flüssigkeitsersatz, Insulintherapie und Elektrolytausgleich sowie der Behandlung der auslösenden Ursache. Ohne eine entsprechende Behandlung sind hyperglykämischen Krisen mit einer erheblichen, wenn auch weitgehend vermeidbaren Morbidität und Mortalität verbunden. Die Verwendung von DKA-/HHS-Protokollen in den Krankenhäusern ist zu empfehlen. Wiederholte Schulungen der Patient*innen sowie der behandelnden Teams inklusive der „sick day rules“ sind in der Prävention und Therapie der hyperglykämischen Krisen entscheidend.
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Hyperglykämische Krisen
Die diabetische Ketoazidose (DKA) sowie das hyperglykämische hyperosmolare Syndrom (HHS) sind zwei potenziell lebensbedrohliche akute Komplikationen des Diabetes mellitus (Tab. 1). Die häufiger auftretende DKA ist die Folge eines absoluten oder relativen Insulinmangels (Insulinspiegel reichen nicht aus, um die Ketonkörperproduktion zu unterdrücken) mit erhöhten gegenregulatorischen Hormonwerten und führt zu Hyperglykämie, Ketonämie sowie metabolischer Azidose und zirkulatorischem Volumenmangel. Im Unterschied zur ketoazidotischen Entgleisung reicht beim HHS die residuale Insulinwirkung für eine Hemmung der Lipolyse und konsekutiven Ketogenese. Die Hyperglykämie, Hyperosmolariät und Dehydration sind hingegen beim HHS deutlicher ausgeprägter und es betrifft hier vor allem Patient*innen mit Diabetes Typ 2 (T2DM). Die DKA tritt primär bei Patient*innen mit Diabetes Typ 1 (T1DM) auf, kann jedoch auch bei anderen Diabetesformen auftreten. Die Mortalitätsraten einer DKA bei Erwachsenen konnten in den letzten 20 Jahren gesenkt werden (< 1 %). Jedoch ist die Prognose bei älteren Patient*innen (> 65 Jahre), welche im Koma und mit Hypotension eingeliefert werden, deutlich schlechter. Weiters erhöht die Anzahl der DKAs (> 5 Ereignisse) das Mortalitätsrisiko auf 23,4 % im Langzeitverlauf. Eine DKA wird häufig nicht adäquat therapiert und Untersuchungen haben gezeigt, dass Patient*innen mit T1DM eine DKA entwickelt haben, während sie sich in stationärer Behandlung im Krankenhaus befanden. Dies führt zu erhöhter Morbidität und verlängertem Krankenhausaufenthalt für diese Patient*innen. Auch die Prognose eines HHS verschlechtert sich mit zunehmendem Alter und die Mortalität liegt zwischen 5 und 20 %.
Tab. 1
Klinik diabetische Ketoazidose (DKA) und hyperglykämisches hyperosmolares Syndrom (HHS) (adaptiert nach Umpierrez et al. [1])
DKA
HHS
Entwickelt sich in Stunden bis Tagen
Entwickelt sich über Tage bis Wochen
Meistens ansprechbar
Häufig Bewusstseinsstörungen
Polyurie, Polydipsie, Gewichtsabnahme und Dehydration
Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen
Oft zusätzlich andere akute Erkrankungen
„Kußmaul“-Atmung
–
1/3 der hyperglykämischen Krisen haben „hybrid“ DKA/HHS-Klinik
Kein Nachweis von Ketonen, normaler pH in Blutgasanalyse
Diabetes-Typisierung
In vielen Fällen, wenn es zu einer Erstmanifestation eines Diabetes mellitus mit einer DKA kommt, handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um einen T1DM. Die DKA als Erstmanifestation eines T1DM kommt im Erwachsenenalter weniger häufig vor als in der Pädiatrie. Obwohl der T1DM die häufigste endokrinologische Erkrankung des Kindesalters ist und dementsprechend der T1DM mit Kindern assoziiert wird, ist zu beachten, dass bis zu 42 % der Patient*innen mit T1DM erst im Alter > 30 manifestieren. Mit zunehmendem Alter steigt somit das Risiko einer Fehldiagnose (meistens T2DM) von 30 % (Alter 18–29 Jahre) auf 55 % (Alter > 50 Jahre). Eine verspätete oder falsche Diagnose ist mit einem erhöhten konsekutiven Risiko für DKA verbunden. Die Bestimmung von C‑Peptid sowie den T1DM-spezifischen Autoantikörpern (gegen Insulin, Tyrosin-Phosphatase, Glutaminsäure-Decarboxylase 65 sowie Zink-Transporter 8) ist für die richtige Diabetestypisierung hilfreich.
Jedoch gibt es auch Patient*innen mit Typ-2-Diabetes (T2DM), welche eine DKA entwickeln können, bekannt einerseits als „ketone-prone T2DM“ und anderseits im Zusammenhang mit akuten schweren Erkrankungen (Abszesse, schwere Infektionen), welche durch eine Zunahme der Insulinresistenz eine metabolische Entgleisung triggern.
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Risikofaktoren für DKA unter Gliflozinen
Gliflozine (SGLT-2-Hemmer) können in seltenen Fällen zum Auslösen einer diabetischen Ketoazidose beitragen. In randomisiert kontrollierten Studien mit T2DM und Gliflozinen kam es zu 0,6 bis 2,2 DKAs pro 1000 Personenjahre. Als Mechanismen werden Änderungen des Insulin-Glukagon-Verhältnisses durch die Glukosurie, Effekte der Gliflozine an der Bauchspeicheldrüse und vermehrte renale Rückresorption von Ketonen diskutiert. Das Risiko für eine Ketoazidose ist erhöht in Situationen mit vermehrtem Insulinbedarf, wie z. B. bei akuten schweren Erkrankungen oder Eingriffen. Gefährdet sind vor allem jene Patient*innen mit Gliflozinen, bei denen mehrere mögliche Ursachen für eine DKA wie Infektion, Eingriffe, inadäquate Diabetestherapie zusammenkommen. Die Diagnose von Gliflozin-assoziierten Ketoazidosen wird dadurch erschwert, dass der Blutzucker nur mäßig erhöht oder sogar normal (euglykäme DKA) sein kann und dass keine Ketone im Harn nachweisbar sein können (milde DKA). In 12–20 % der Patient*innen mit T2DM unter SGLT-2-Hemmern kommt es zu asymptomatisch erhöhten Ketonen im Blut (Beta-Hydroxybutyrat). Um das Risiko für DKA unter Gliflozineinnahme zu reduzieren, sind die Schulung auf „sick day rules“, das Vermeiden von Fastenperioden und Alkoholübergenuss sowie das rechtzeitige Pausieren dieser Medikamente vor größeren Operationen und während akuter Erkrankungen (Infektionen) notwendig (Tab. 2).
Tab. 2
Risikosituationen für Gliflozin-assoziierte diabetische Ketoazidose (DKA) und präventive Maßnahmen (adaptiert nach Nationale Versorgungs-Leitlinie [2])
Einnahme fortsetzen, wenn klinischer Zustand gebessert und Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme normalisiert
Drohende Dehydration (z. B Vorbereitung zur Koloskopie, exzessives Training)
Pausierung, bis Dehydration behoben
Low-Carb-Ernährung
Pausierung, bis normale Ernährung wieder aufgenommen wird
Exzessiver Alkoholkonsum
Sofortige Pausierung
Indikation für Gliflozin im Verlauf reevaluieren
Bariatrische Chirurgie
Pausierung bei präoperativer Diät, Indikation für Gliflozin postoperativ reevaluieren
Größerer operative Eingriffe
Drei Tage vor Eingriff pausieren
Einnahme fortsetzen, wenn klinischer Zustand gebessert und Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme normalisiert
Therapie hyperglykämischer Krisen
Die wichtigsten initialen therapeutischen Maßnahmen bei DKA und HHS sind der Flüssigkeitsausgleich mit Substitution von Kalium (abhängig von der Höhe des Serumkalium) gefolgt von der Insulingabe (siehe Abb. 1).
Abb. 1
Therapieschema für diabetische Ketoazidose (DKA) und hyperglykämisches hyperosmolares Syndrom (HHS) bei Erwachsenen, adaptiert nach Umpierrez et al. [1]. BZ Blutzucker, h Stunde, U Unit/Einheit, kg kg Körpergewicht. Bikarbonat sollte nur bei pH < 7,0 gegeben werden, Phosphatgabe nur bei Muskelschwäche, respiratorischem Versagen und Phosphatmangel < 1,0 mmol/l
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Die Ziele des Flüssigkeitsausgleichs sind:
das zirkulatorische Volumen wiederherzustellen bzw. aufrechtzuerhalten (ca. 100 ml/kg Flüssigkeitsdefizit),
die Verringerung der Ketonkörperbildung bei DKA und
die Korrektur der Elektrolytstörungen.
Eine schwere DKA bedarf in jedem Fall einer intensivmedizinischen Betreuung.
Ein oder mehrere der folgenden Werte sind hinweisend für eine schwere DKA:
Blutketone > 6 mmol/L
Bikarbonat < 5 mmol/L
Venöser/arterieller pH < 7,0
Hypokaliämie bei Aufnahme (< 3,5 mmol/L)
Anionenlücke > 16 (AL = (Na++K+)-(Cl−+HCO3−))
GCS < 12
SO2 < 92 % bei Raumluft (ohne vorbestehende Lungenerkrankung)
Systolischer Blutdruck < 90 mm Hg
Puls > 100 Schläge pro Minute oder < 60 Schläge pro Minute
Die Insulingabe erfolgt intravenös über einen Insulinperfusor mit einer Rate basierend auf dem (geschätzten oder gemessenen) Körpergewicht (KG) (Start mit 0,1 Einheit pro kg KG pro Stunde). Die Insulintherapie senkt nicht nur den Blutzuckerspiegel, sondern unterdrückt auch die Ketogenese und korrigiert Elektrolytstörungen (in erster Linie der Pseudohyponatriämie).
Ein häufiges biochemisches Monitoring von Glukose, Ketonen, arteriellem oder venösem pH, Bikarbonat sowie den Elektrolyten (Natrium, Kalium) ist notwendig. Eine venöse Blutgasanalyse ist für die Diagnose und das Management der DKA ausreichend, wenn keine andere Indikation für eine arterielle Blutgasanalyse gegeben ist.
Dabei sind folgende metabolische Behandlungsziele für die DKA anzustreben:
Reduktion der Blutketone um 0,5 mmol/L pro Stunde
Anheben des venösen Bikarbonats um 3,0 mmol/L pro Stunde
Reduktion des Blutzuckers um 50 mg/dl (max. < 100 mg/dl) pro Stunde
Halten des Kaliums zwischen 4,0 und 5,5 mmol/L.
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Sollten diese Therapieziele nicht erreicht werden, muss die Insulindosis entsprechend angepasst werden. Die Reduktion der Ketogenese ist gleich wichtig wie die Normalisierung des Blutzuckerspiegels. Eine zusätzliche intravenöse Glukosegabe (bei Blutzuckerwerten < 250 mg/dl) kann notwendig werden, um Hypoglykämien zu verhindern, um die Insulinsubstitution (mindestens 0,05 IE pro kg KG) für die Suppression der Ketogenese aufrechtzuerhalten.
Eine DKA gilt erst als ausreichend therapiert, wenn der pH > 7,3, das Bikarbonat > 15,0 mmol/L und Blutketone < 0,6 mmol/L sind. Innerhalb von 24 h sollten die Ketonämie und die Azidose bei den meisten Patient*innen ausgeglichen sein.
Die zusätzliche Gabe von Bikarbonat soll nur bei einem pH < 7,0 erfolgen, da durch die Insulintherapie sowie den Flüssigkeitsausgleich die kausale Therapie der DKA erfolgt. Auch die routinemäßige Gabe von Phosphat wird nicht empfohlen, außer bei nachgewiesenem Phosphatmangel.
Die Therapie der schweren DKA erfordert ein engmaschiges Monitoring, um Komplikationen wie Hypoglykämie, Hypokaliämie, Hyperkaliämie, Hypernatriämie sowie Hirnödem, Rhabdomyolyse und Nierenversagen zu vermeiden. Blutzuckerwerte und wenn verfügbar Blutketone müssen anfangs stündlich und im weiteren Verlauf zweistündlich kontrolliert werden, um die Insulindosis entsprechend anzupassen, um einerseits eine Blutzuckersenkung zu erreichen und anderseits eine zu schnelle Blutzuckersenkung zu vermeiden. Hypoglykämien während einer DKA sowie auch beim HHS sollten unbedingt vermieden werden, da diese nicht nur zu Krampfanfällen und Koma führen können, sondern auch die langfristige Mortalität erhöhen.
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Die Serumelektrolyte Kalium, Natrium, Chlorid sowie pH, Bikarbonat sollten zumindest zweistündlich und dann vierstündlich kontrolliert werden. Die Bestimmung von Phosphat, Kreatinin, Harnstoff und Kreatininkinase sollte in Abhängigkeit von dem Ausgangswert ein- bis zweimal täglich erfolgen. Ebenso ist Augenmerk auf eine ausreichende Harnausscheidung zu legen. Besondere Vorschicht ist dabei auf ältere Patient*innen, insbesondere bei Vorliegen von kardialen und renalen Vorerkrankungen, zu legen sowie auf jüngere Patient*innen (höheres Risiko für Hirnödem zwischen 18–25 Jahren) und Schwangere.
In den letzten Jahren haben sich im Management der hyperglykämischen Krisen bei Erwachsenen folgende Empfehlungen geändert:
Messung von Blutketonen statt Harnketonen, Steuerung der Insulintherapie in Abhängigkeit von den Blutketonen statt rein anhand der Blutglukose, Insulindosierung abhängig vom geschätzten Körpergewicht statt „sliding scales“ sowie Fortsetzung der Basisinsulingabe parallel zur intravenösen Insulintherapie. Weiters diskutiert wird die Art der Flüssigkeitssubstitution, da die meisten Leitlinien primär die 0,9 %-Kochsalzlösung anführen, welche jedoch das Risiko einer hyperchlorämischen Azidose bei großen Infusionsmengen birgt. Die Verwendung von kristalloiden Lösungen mit physiologischer Zusammensetzung wird befürwortet, unter Kontrolle des Kaliumbedarfs.
Schulung
Patient*innen mit T1DM benötigen eine strukturierte Schulung in der Umsetzung ihrer Insulintherapie. Diese beinhaltet die Insulindosiserhöhung bei Krankheit, Blutglukosemonitoring, Insulinverabreichung sowie Insulinpumpenhandhabung und Ketonmessungen. Gerade junge Patient*innen mit psychosozialen Herausforderungen und unzureichender Umsetzung ihrer Diabetestherapie benötigen eine psychologische Unterstützung im Rahmen eines multiprofessionellen Diabetesteams.
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Die Implementation von Protokollen zum Management der hyperglykämischen Krisen in den Krankhäusern sowie deren regelmäßige Anpassung an die lokalen Ressourcen und Schulung des Personals können das Outcome für die Patient*innen mit Diabetes verbessern.
Fazit für die Praxis
Die diabetische Ketoazidose kann nicht nur Patient*innen mit Typ-1-, sondern auch mit Typ-2-Diabetes mellitus betreffen.
Identifikation von Risikofaktoren prä- und intrahospital für eine hyperglykämische Krise.
Patient*innen mit Insulinmangel haben ein erhöhtes Risiko für eine DKA unter Gliflozinen.
Adäquate Insulingabe sowie Ketonmessung sind für den Ausgleich einer DKA zu empfehlen.
Implementierung von DKA/HHS-Management-Protokollen im Krankenhaus verbessert das Outcome der Patient*innen.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
G. Treiber gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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