Patienten mit CKD können sowohl erhöhte als auch erniedrigte Knochenumsatzraten aufweisen, wie bereits im CKD-MBD-Kapitel erläutert wurde. Vom pathophysiologischen Gesichtspunkt erscheint es sinnvoll, Patienten mit erhöhtem Knochenstoffwechsel mit antiresorptiven (antikatabolen) Therapien zu behandeln. Umgekehrt könnten Patienten mit niedrigem Knochenstoffwechsel eher von einer osteoanabolen Therapie profitieren. Ob eine antiresorptive Therapie bei CKD-Patienten mit niedrigem Knochenstoffwechsel aber dennoch Vorteile bezüglich Frakturprävention bringen kann, wird aktuell in Expertenkreisen kontroversiell diskutiert [
81,
82].
Sämtliche Evidenz bezüglich Senkung des Frakturrisikos durch verschiedene medikamentöse Osteoporosetherapien bei Patienten mit CKD-MBD im Stadium G3–5 stammt aus Post-hoc-Analysen von Phase-III-Studien mit den entsprechenden Einschränkungen bezüglich ihrer Aussagekraft. Die Tab.
4 gibt eine Übersicht über die verfügbare Osteoporosetherapie im Kontext der CKD. Für alle Therapien gilt, dass der Kalzium- und Vitamin-D-Status vor Beginn einer Osteoporosetherapie überprüft und bei Mangel substituiert werden sollten, um eine klinisch relevante Hypokalziämie zu vermeiden. Ein unkontrollierter Hyperparathyreoidismus sollte ebenfalls vor der Einleitung einer Osteoporosetherapie ausreichend behandelt sein. Antiresorptive Medikamente, insbesondere Denosumab als sehr potentes Antiresorptivum, können bei fortgeschrittener CKD eine iatrogene Hypokalzämie induzieren [
83]. Eine Kontrolle des Serumkalziums sollte daher kurzfristig (1 bis 2 Wochen) nach Beginn einer antiresorptiven Therapie erfolgen.
Tab. 4
Datenlage zur Wirksamkeit und Sicherheit von Osteoporosetherapien bei CKD
Bisphosphonate (Alendronat [ 84, 85], Ibandronat [ 86], Risedronat [ 87, 88], Zoledronat a) | Ja | Frakturen ↓ | KMD ↑ | Hypokalzämie (insbesondere i.v.) Ösophagitis (p.o.) Nephrotoxizität (i.v.) Atypische Frakturen, Kieferknochennekrose | Euvolämie Infusionsgeschwindigkeit GFR-Grenzen |
| Nein | Frakturen ↓ | KMD ↑ | Hypokalzämie Atypische Frakturen, Kieferknochennekrose | Rebound-Effekt nach Absetzen |
| Nein | Frakturen ↓ | KMD ↑ | Venöse Thrombembolien Hitzewallungen | Risikoreduktion für Brustkrebs Frakturreduktion nur für vertebrale Frakturen gezeigt |
Hormonersatztherapie (Östrogen ± Gestagen) | Nein | Keine Daten | Keine Daten | Mammakarzinom, venöse Thrombembolien, ischämischer Insult | Unklares Nutzen-Risiko-Verhältnis bei CKD |
| Nein | Frakturen ↓ | KMD ↑ | Blutdrucksenkung | Therapiedauer maximal 24 Monate, antiresorptive Anschlusstherapie |
| Unwahrscheinlich | Keine Daten | KMD ↑ | Hypokalziämie Kardiovaskuläres Risiko bei CKD 4–5 unklar | Therapiedauer maximal 12 Monate; antiresorptive Anschlusstherapie |
Bisphosphonate
Bisphosphonate (in Österreich verfügbar: Alendronat, Risedronat, Ibandronat, Zoledronat) sind potente Inhibitoren der Knochenresorption. Sie werden an metabolisch aktiven Umbaueinheiten im Knochen abgelagert und bewirken eine Apoptose von Osteoklasten. Die Resorptionsaktivität wird im Gesamtskelett deutlich gedämpft und das Frakturrisiko reduziert.
Oral werden Bisphosphonate nur in geringem Ausmaß (maximal 3 %) resorbiert; die Einnahme erfolgt stets nüchtern in ausreichendem Abstand zur Nahrungsaufnahme, mit ausreichend Wasser und in aufrechter Körperhaltung, um Irritationen der Ösophagusschleimhaut zu vermeiden.
Bei intravenöser Bisphosphonat-Gabe kann, überwiegend bei erstmaliger Verabreichung, eine sog. „Akutphase-Reaktion“ – im Wesentlichen ein grippales Zustandsbild mit Fieber und Muskelschmerzen – auftreten, die in der Regel innerhalb von 36 h nach intravenöser Gabe beginnt und 24–48 h anhält. Eine symptomatische Therapie mit z. B. Paracetamol wird hier allgemein empfohlen.
Bei allen Bisphosphonaten stellen eine Hypokalzämie, eine Gravidität oder eine fortgeschrittene CKD eine Kontraindikation dar.
Da Bisphosphonate renal eliminiert werden, besteht ein gewisses Potenzial für eine direkte Nephrotoxizität. Fälle von akutem Nierenversagen nach i.v.-Bisphosphonat-Gabe wurden berichtet. Es dürfte sich jedoch insgesamt um eine Nebenwirkung handeln, die vor allem i.v.-Bisphosphonate betrifft und selten ist [
100]. So wurden i.v.-Bisphosphonate auch in kleineren Studien bei nierentransplantierten Patienten verabreicht, ohne dass eine Nephrotoxizität beobachtet worden wäre [
101,
102]. Um das Risiko einer akuten Nephrotoxizität dennoch zu minimieren, sollten insbesondere i.v.-Bisphosphonate nur bei Euvolämie verabreicht werden. Bei Exsikkose sollte die Bisphosphonat-Gabe postponiert werden. Eine langsamere Verabreichung (z. B. Verdopplung der Infusionsdauer) von i.v.-Bisphosphonaten bei Patienten mit CKD kann erwogen werden, um die pharmakologischen Spitzenspiegel zu senken und so möglicherweise das Risiko einer akuten Nierenschädigung weiter zu reduzieren [
103]. Aufgrund der renalen Elimination von Bisphosphonaten wurde auch von manchen Klinikern vorgeschlagen, die verabreichte Dosis von i.v.-Bisphosphonaten der GFR anzupassen (Dosisreduktion bei CKD) [
103]. Es ist allerdings unklar, ob eine Dosisreduktion von i.v.-Bisphosphonaten bei CKD-Patienten einen Vorteil bezüglich Sicherheit bringt und ob bei reduzierter Dosis eine ausreichende Wirksamkeit noch gegeben ist. Daher empfehlen die Autoren dieser Leitlinie, die regulären Dosierempfehlungen und Nierenfunktionsgrenzen der i.v.-Bisphosphonate gemäß Fachinformationen einzuhalten (Tab.
5) und i.v.-Bisphosphonate nur bei klinischer Euvolämie und mit langsamerer (halber) Infusionsgeschwindigkeit bei Patienten mit CKD zu verabreichen. Bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz im Stadium CKD G4 (eGFR 15–29 ml/min/1,73 m
2) sollten aufgrund der oben genannten Überlegungen präferenziell orale und nicht i.v.-Bisphosphonate zum Einsatz kommen. Auch orale Bisphosphonate sind bei Patienten im Stadium CKD G4 laut aktuellen Fachinformationen (Tab.
5) kontraindiziert (Risedronat) bzw. „nicht empfohlen“ (Alendronat), es handelt sich daher bei Patienten im Stadium CKD G4 um eine Off-label-Behandlung. Die Autoren dieser Leitlinie empfehlen daher, vor Therapiestart mit einem Bisphosphonat im Stadium CKD G4 die Patienten über diesen Umstand aufzuklären und dies auch entsprechend zu dokumentieren. Aufgrund der antiresorptiven Wirkungsweise können bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz nach Bisphosphonat-Beginn Hypokalzämien auftreten. Eine Laborkontrolle 1 bis 2 Wochen nach Therapiestart wird daher empfohlen. Bei Patienten mit CKD G4 und unklaren Konstellationen sollte eine Überweisung an eine nephrologische und/oder osteologische Ambulanz bezüglich näherer Evaluierung und Therapieentscheidung erwogen werden. Bei Patienten im Stadium CKD 5D (Dialyse) sollte die Therapie direkt mit dem behandelnden Nephrologen akkordiert werden.
Tab. 5
Nierenfunktionsgrenzen für Bisphosphonate gemäß jeweiliger Fachinformation, Stand 01/2022
Alendronat | 70 mg p.o. 1‑mal/Woche | CrCl < 35 ml/min „Nicht empfohlen“ |
Ibandronat | 3 mg i.v. alle 3 Monate | CrCl < 30 ml/min |
Ibandronat | 150 mg p.o. 1‑mal/Monat | CrCl < 30 ml/min „Nicht empfohlen“ |
Risedronat | 35 mg p.o. 1‑mal/Woche | CrCl < 30 ml/min |
Zoledronat | 5 mg i.v. 1‑mal/Jahr | CrCl < 35 ml/min |
Bisphosphonate haben eine lange Verweildauer im Knochen. Residuale Wirkungen auf den Knochenstoffwechsel lassen sich auch nach Beendigung der Bisphosphonat-Therapie nachweisen. Das Auftreten von atypischen Femurfrakturen ist sehr selten, scheint aber unter einer Langzeitgabe mit Bisphosphonaten zuzunehmen. Kiefernekrosen sind bei dieser für Osteoporose zugelassenen Therapie eine sehr seltene Nebenwirkung. Eine Kontrolle des Zahnstatus ist allerdings vor Therapiebeginn empfehlenswert.
Es gibt keine durch Frakturdaten validierten individuellen Entscheidungskriterien für die Wiederaufnahme einer Therapie nach einer Therapiepause oder einen weiteren Therapieverzicht in Abhängigkeit von Veränderungen der KMD, der Knochenumbaumarker oder anderer messtechnischer oder klinischer Kriterien. Datenbankanalysen geben allerdings Hinweise auf einen Wiederanstieg des Knochenbruchrisikos nach Absetzen einer Bisphosphonat-Therapie [
74].
Denosumab
Denosumab ist ein monoklonaler Antikörper gegen RANKL, der die Reifung und Aktivierung der Osteoklasten hemmt. Er wird alle 6 Monate subkutan verabreicht und wird nicht renal eliminiert.
Bei der Behandlung der postmenopausalen Osteoporose ist eine Reduktion von vertebralen und nichtvertebralen Frakturen inklusive proximaler Femurfrakturen in Studien bis zu 10 Jahre nachgewiesen. Die Wirkung ist unabhängig von einer eventuellen Vorbehandlung mit Bisphosphonaten [
104]. Die optimale Behandlungsdauer ist nicht definiert. Nach Absetzen von Denosumab kommt es im Gegensatz zu den Bisphosphonaten zu einem raschen Anstieg des Knochenumbaus und in weiterer Folge zu einer Abnahme der Knochenmineraldichte und einer Zunahme der Frakturrate [
105]. Nach Beendigung einer Denosumab-Therapie sollte daher eine Bisphosphonat-Therapie angeschlossen werden, um diesen überschießenden Knochendichteverlust abzufangen [
105]. Kiefernekrosen und atypische Femurfrakturen sind bei dieser für die Osteoporose zugelassenen Therapie und Dosierung eine sehr seltene Nebenwirkung [
74].
Laut aktueller Fachinformation besteht für Denosumab keine Kontraindikation bei eingeschränkter Nierenfunktion, auch nicht im Dialysestadium. Mit abnehmender GFR steigt allerdings die Wahrscheinlichkeit für klinisch relevante schwere Hypokalzämien [
83], sodass hier entsprechende Laborkontrollen des Serumkalziums 1 bis 2 Wochen nach Therapiebeginn empfohlen werden. Auch hier sollte bei Patienten im Stadium CKD 5D (Dialyse) die Therapie direkt mit dem behandelnden Nephrologen akkordiert werden.
Hormonersatztherapie
Vor allem aus Analysen der sog. Women’s Health Initiative(WHI)-Studie gibt es Hinweise, dass eine Behandlung mittels Hormonersatztherapie (englisch: „hormone replacement therapy“ [HRT]), bestehend aus Östrogen mit oder ohne Gestagen, bei postmenopausalen Frauen zu einer verminderten Frakturrate führt [
106,
107]. In Subgruppenanalysen bei Frauen unter 60 Jahren erscheint dieser frakturprotektive Effekt einer HRT zumindest fraglich [
108]. Post-hoc-Analysen der WHI-Studie zur Frakturprävention einer HRT bei Frauen mit CKD liegen nicht vor.
Die in der WHI verwendete HRT, bestehend aus konjugiertem equinem Östrogen in Kombination mit Medroxyprogesteron-Acetat, wird aktuell nicht mehr verwendet. Für alternative, aktuell verfügbare HRT-Präparate gibt es keine ähnlich zur WHI-Studie gelagerte Evidenz bezüglich Frakturprävention.
Mögliche Nebenwirkungen einer HRT sind eine erhöhte Inzidenz an Mammakarzinomen, venösen Thromboembolien und ischämischen Insulten [
106,
107]. Da es sich bei CKD-Patienten um ein kardiovaskuläres Hochrisikokollektiv handelt [
109], ist hier das Nutzen-Risiko-Verhältnis einer HRT bezüglich Frakturprävention zumindest unklar und möglicherweise ungünstig.
Raloxifen
Raloxifen ist zugelassen für die Prävention und Therapie der Osteoporose bei postmenopausalen Frauen. Raloxifen ist ein selektiver Östrogenrezeptormodulator (SERM), der die Knochenresorption hemmt und das Frakturrisiko für vertebrale Frakturen reduziert. Für nichtvertebrale Frakturen und proximale Femurfrakturen liegen keine Frakturpräventionsdaten vor.
Ein bedeutender zusätzlicher Effekt ist die Reduktion des relativen Risikos eines invasiven (Östrogenrezeptor-positiven) Mammakarzinoms um 79 %. Eine unerwünschte Nebenwirkung ist die Erhöhung des thromboembolischen Risikos [
74]. Raloxifen ist laut Fachinformation „bei schwerer Nierenfunktionsstörung“ kontraindiziert. In der Fachinformation ist die „schwere Nierenfunktionsstörung“ nicht näher definiert, im Allgemeinen kann darunter ein CKD-Stadium 4 (eGFR < 30 ml/min/1,73 m
2) verstanden werden.
Teriparatid
Teriparatid, ein aminoterminales Fragment des Parathormons, wird 1‑mal täglich subkutan über bis zu 24 Monate angewandt. Der osteoanabole Effekt beruht auf einer Beschleunigung der Reifung und Stimulierung von Osteoblasten. Im Anschluss an die anabole Reaktion des Knochens kommt es nach Beendigung der Teriparatid-Therapie wiederum zu einem gesteigerten Knochenabbau, weshalb eine unmittelbare Anschlussbehandlung mit einem Antiresorptivum (Bisphosphonat, Denosumab, SERM) unbedingt notwendig ist [
74].
Laut aktueller Fachinformation ist Teriparatid bei „schwerer Nierenfunktionsstörung“ kontraindiziert. Teriparatid ist per se nicht nephrotoxisch, die Kontraindikation stützt sich vermutlich eher auf die mangelnde Datenlage bei schwerer Niereninsuffizienz bei den Zulassungsstudien. In Fallserien konnte bei Dialysepatienten eine Zunahme der Knochendichte unter Teriparatid beobachtet werden [
94‐
96,
110,
111]. Aufgrund von pathophysiologischen Überlegungen erscheint eine Teriparatid-Therapie bei ausgeprägtem Hyperparathyreoidismus nicht sinnvoll, da hier von einem PTH-Überschuss in Kombination mit einer mehr oder weniger ausgeprägten PTH-Resistenz des Knochens ausgegangen wird. Eine zusätzliche PTH-Gabe (bzw. Teriparatid als PTH-Fragment) bringt daher voraussichtlich keinen weiteren therapeutischen Nutzen. Unter Teriparatid kommt es kurzfristig (innerhalb von Stunden) zu einer transienten Hyperkalzämie und dann sekundär zu einer Hyperkalziurie [
112], welche potenziell bei Nierenkranken und insbesondere Patienten mit Nephrolithiasis nachteilig sein könnte. Bei Patienten im Stadium CKD G4–5D ist eine Therapie mit Teriparatid eine Off-label-Anwendung. Eine Teriparatid-Therapie erscheint den Autoren dieser Leitlinie bei Patienten im Stadium CKD G4–5D mit niedrigem PTH bzw. gut kontrolliertem sekundären HPT (s. Tab.
3) eine rationale Therapieoption.
Romosozumab
Romosozumab, ein Anti-Sclerostin-Antikörper, wirkt sowohl osteoanabol als auch antiresorptiv (dualer Wirkmechanismus). Studiendaten bei postmenopausalen Frauen mit einem erhöhten Knochenbruchrisiko zeigen eine außergewöhnlich starke Zunahme der KMD und Reduktion der Frakturrate bei monatlicher Applikation für 12 Monate [
113‐
115]. Romosozumab ist aktuell kontraindiziert bei Patienten mit kardiovaskulären Ereignissen in der Anamnese, womit aufgrund der hohen Prävalenz von kardiovaskulären Erkrankungen bei CKD diese Therapie für viele CKD-Patienten ausscheidet. Zukünftig könnte Romosozumab jedoch eine neue Behandlungsoption auch für manche CKD-Patienten mit Osteoporose darstellen [
73]. Präliminäre Daten zeigen einen weitgehend erhaltenen Effekt von Romosozumab auf die Knochendichtezunahmen bei Patienten mit CKD G3 im Vergleich zu Nierengesunden, ohne Auffälligkeiten bezüglich der Sicherheit [
97]. Bei CKD G4–5D liegen aktuell nur begrenzte Daten vor. Bei CKD G4–5D kommt es nach Romosozumab-Gabe zu einem deutlichen Abfall des Serumkalziums, dem auch teilweise therapeutisch entgegengesteuert werden musste [
98,
99]. Die Anwendung von Romosozumab bei CKD 4–5D wird daher aktuell nur mit großer Vorsicht und engmaschiger Kontrolle empfohlen.