Einführung
Resilienz – Definition und Faktoren
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konstant verfügbar sein,
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ein Gefühl von Sicherheit vermitteln,
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feinfühlig auf die Bedürfnisse eingehen können,
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wertschätzend sein, Vertrauen und Unterstützung bieten,
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das Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen stärken (vgl. Bengel et al. 2009),
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eine optimistische Grundhaltung vermitteln,
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herausfordernde, jedoch bewältigbare Anforderungen stellen und dabei individuell-passgenaue Unterstützung anbieten,
Allgemeine Parallelen zwischen der Personzentrierten Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie und dem Resilienzansatz
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Die Beziehung ist ist nicht nur der der wichtigster Schutzfaktor zur Entwicklung von Resilienz (s. oben). Auch im PCA wird die Beziehungs(gestaltung) zwischen TherapeutIn und PatientIn, allgemeiner: zwischen zwei Menschen, als bedeutendste (Wirk)variable, als „das zentrale Element von Beratung und Therapie“ (Weinberger 2013, S. 29; Hervorh. im Original) gesehen. Rogers selbst hat als erste Bedingung, damit sich ein therapeutischer Prozess entwickelt, formuliert: „Zwei Personen befinden sich im Kontakt“ und zwar so, „dass es sich um eine echte Beziehung zweier Personen handelt, in der beide nach besten Kräften bemüht sind, in der Interaktion sie selbst zu sein“ (1959/1987, S. 40 f.).
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Beide Ansätze gehen vom Paradigma des Kindes als aktivem Mitgestalter und Bewältiger seines Lebens aus. Dabei wird in beiden Ansätzen davon ausgegangen, dass das Kind Stärken und Ressourcen mitbringt, auf die es zurückgreifen kann und die gefördert werden können. Diese Förderung des individuellen Wachstums entspricht der Förderung der Aktualisierungstendenz und wird dem Entwicklungsprinzip gerecht. Schmid (2008) verweist darauf, dass im Sinne Rogers die Aktualisierungstendenz allerdings immer auch eine Beziehungsdimension hat: „die Tendenz zur Aktualisierung ist […] ein Potenzial über das jeder Mensch ‚in sich‘ verfügt, das aber der Beziehung bedarf um wirksam zu werden“ (ebd. S. 126). Behr (1989) überträgt die grundlegenden Annahmen des Personzentrierten Ansatzes auf Bildungsprozesse: „Kinder lernen und entwickeln sich aus sich selbst heraus am besten – sie benötigen dazu nicht Lenkung, sondern viel eher förderliche Bedingungen, insbesondere nicht dirigierende Beziehungsangebote von Erwachsenen“ (ebd., S. 152).
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PCA und Resilienzforschung fokussieren die Förderung und Aktivierung der Schutzfaktoren und der personalen wie sozialen Ressourcen. Die Ressourcenorientierung hat in einer Vielzahl von Publikationen der letzten Jahre im Rahmen der Personzentrierten Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie besondere Beachtung gefunden – dabei geht es nicht nur darum über die Ressourcenorientierung und -aktivierung eine Beziehung aufzubauen, sondern eben gezielt die blockierte Aktualisierungstendenz über den Ressourcenansatz zu verlebendigen (vgl. Weinberger 2013; Behr et al. 2014). So formulieren Stumm und Keil (2014, S. 4): „Es ist aber Markenzeichen der personzentrierten Haltung, unter die Oberfläche zu gelangen bzw. hinter die Kulissen zu blicken und dort nach den unentwickelten Potentialen, nach nicht geborgenen Schätzen und nach Ressourcen zu suchen“.
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Die Entwicklung des Selbst-Konzepts ist im Zusammenhang mit der Selbstaktualisierungstendenz im PCA mehrfach untersucht worden. Dabei geht es insbesondere um die bedingungslose Wertschätzung und Akzeptanz des Kindes und die adäquate Spiegelung seiner Emotionen, um eine (möglichst) unverzerrte Symbolisierung von Erfahrungen und somit eine kongruente Selbst-Entwicklung zu ermöglichen (z. B. Rogers 1959/1987; Weinberger 2013; Biermann-Rathjen 2002). Auch in der Resilienzforschung werden ein starker Selbstwert, positive Selbstwirksamkeitserfahrungen und eine adäquate Selbst- (und Fremd-) Wahrnehmung als bedeutende Schutzfaktoren angesehen.
Resilienzfokussierte Kinder- (und Jugendlichen-)Psychotherapie
Wirkfaktoren in der (Kinder- und Jugendlichen-) Psychotherapie aus therapieschulenübergreifender Perspektive
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Ressourcenaktivierung, also das Erkennen, Ansprechen und gezielte Unterstützen vorhandener Fähigkeiten, Interessen etc. der PatientIn
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Hilfe zur Problembewältigung, das konkrete Analysieren von Problemen der PatientIn sowie das Bearbeiten, ggfls. auch Erproben von Problemlösungen
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Klärung – hiermit ist die Unterstützung des Selbstverstehens der PatientIn gemeint, auch die Bearbeitung unbewusster Prozesse
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Prozessuale Aktivierung bedeutet eine Neu-Aktivierung festgefahrener kognitiv-emotionaler Schemata durch die reflexive Gestaltung neuer Beziehungserfahrungen oder spezifische erlebnisaktivierende Methoden.
Die Resilienzperspektive im therapeutischen Prozess
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Handlungsebene: Das Beobachtete wird beschrieben. Verbalisierungen des Geschehens auf der Handlungsebene machen einen großen Teil der Interventionen aus. Die Kinder werden „gespiegelt“; damit wird ressourcenorientiert an frühe positive Interaktionserfahrungen angeknüpft.
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Emotionale Ebene: Die – vielleicht auch nur latent – gezeigten Emotionen werden verbalisiert. Auch auf dieser Ebene hat das Spiegeln an sich eine große Bedeutung. Das Kind kann sich jetzt damit auseinandersetzen.
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Ebene der Resilienzfaktoren: Die sechs Resilienzfaktoren werden gezielt fokussiert und auf Handlungs- wie verbaler Ebene ‚angesprochen‘.
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Ebene der handlungsleitenden innerpsychischen Struktur: Hier kann der Bezug zum „Lebensthema“ bzw. den „handlungsleitenden Kognitionen“ (Kognitive Verhaltenstherapie) oder dem „internal working model“ (Bindungstheorie) – hergestellt werden. Es kann „Klärung“ im Sinne des Grawe’schen Wirkfaktors (Grawe 1998) stattfinden; solche Interventionen setzen präzise Kenntnisse der Geschichte des Kindes und seiner Lebensbewegungen voraus.
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Beziehungsebene: Auf der Basis gewachsenen Vertrauens kann das Geschehen auf der Ebene der Realbeziehung, aber auch der Übertragungsbeziehung angesprochen werden.
Konkrete resilienzförderliche Interventionen
Das Fokussieren der sechs Resilienzfaktoren im Therapieprozess
Resilienzförderung im Therapieprozess – ein Beispiel
Transkript der Therapiestunde | Hinweise auf Resilienzfaktoren | Mögliche ergänzende Interventionen auf der Ebene der Resilienzfaktoren |
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T: „Setz dich erstmal gemütlich hin …. Du schaust nachdenklich.“ E: „Hmm“ (leise. Lauter in einem erwartungsvollen Ton): „Machen wir heute was in der Hängematte?“ | T. spiegelt möglichen inneren Zustand des Kindes durch Fremdwahrnehmung | – |
T: „Ja klar, wenn du möchtest. Du bestimmst was wir spielen oder was wir machen.“ | T. betont die Eigen-verantwortung des Kindes und unterstützt damit sein Selbstwirksamkeitserleben | |
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Emil springt mit Anlauf auf die Polster u. legt sich auf den Rücken. Therapeutin gähnt laut auf und fragt: „Bist du müde?“ E: „Eigentlich net.“ | T. nimmt Gefühlswahrnehmung von Emil auf (gähnt) und konkretisiert (Selbstwahrnehmung) | – |
T: „Eigentlich net.“
Emil holt sich einen Hüpfball und setzt sich auf ihn (immer noch auf den Polstern) T. greift zur Hängematte. „Soll ich sie aufhängen?“ Emil nickt. „Du wirkst irgendwie müde, traurig? (Wiederholt) Traurig?“ E: „Müde!“ | T. bietet verschiedene Gefühlkategorien an, um Diffusität zu klären (Selbstwahrnehmung) | „Ah, du bist müde. Das ist manchmal gar nicht leicht zu unterscheiden. Wenn ich traurig bin, fühle ich mich auch oft müde und habe zu nichts Lust. Das hängt irgendwie zusammen.“ [Konkretisierung der Gefühle] |
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Emil wippt weiter auf dem Hüpfball
T: „Wie immer balancierst du so toll auf dem Ball, gell?“
Emil lässt sich mit Schwung mit dem Ball von den Polstern rollen und lacht dabei. Dann setzt er sich wieder oben auf den Ball
| T. hebt Emils Stärke hervor und betont durch „wie immer“ das es keine einmalige Stärke ist (Selbstwirksamkeit) | – |
T: „Ich denk nur, wenn du auf dem Ball balancierst, dass ist dann immer ein bisschen so, als wenn du gerade nachdenkst … Wie wenn du gerade deine Nachdenkminute hast …So überlegst, ach was will ich denn, was mach ich denn?“
Emil balanciert weiter, hält sich dabei an der Hängematte fest und lässt sich wieder runterrollen.
T: „Boa, das sieht ja schon aufregend aus. Das war eine harte Landung.“ | T. hilft Emil, sich angemessen einschätzen zu können (Selbst-wahrnehmung) | „Oder was meinst du?“ (Abgleich) „Was tut dabei gut, wozu hilft das?“ Oder: „Da hast du dir was Gutes einfallen lassen, um dir in Ruhe zu überlegen, was du heute spielen möchtest“ (Stressbewältigung, Problemlösestrategien) |
T. spricht Herausforderung an (Stressbewältigung) | – | |
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Emil steht an der Hängematte
E: „Legst du dich dann auch rein?“ T: „Wenn du möchtest?“ Emil nickt und legt sich in die Hängematte.
T: „Erstmal zum Ausruhen ein bisschen hin und her schaukeln?“ | Soziales Aushandeln bei Achtung der Wünsche des Kindes T. bietet Selbstregulationsstrategie an Wieder: Aushandlungsprozess | „Das war jetzt so aufregend, da tut es manchmal gut, sich ein bisschen zu entspannen“ |
E: „Ne, komm rein“. T: „Ich soll gleich rein?“ E: „Ja und dann immer mehr“
T. legt sich mit in die Hängematte, die deutlich hin und her wackelt
| – | „Aber dir war das nicht zu viel, du willst weiter machen.“ |
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T: „Ganz schön wackelig, wenn wir das zu Zweit drin sind, hui!“
Emil wackelt lächelnd hin und her.
T: „Ohhh, das ist ganz schön wackelig, ne?“
Beide drehen sich gegensätzlich zueinander hin und her
| T. spricht Herausforderung an Nonverbale und verbale Begleitung zur Aktivierung (Selbstregulation) | „da kann man ja Angst bekommen, aber dir macht das gar nichts aus“ (Abgleich von Fremd- und Selbstwahrnehmung) |
T: „Du drehst dich in die eine und ich in die andere Richtung. Ups!“
Emil steht halb auf, um noch mehr Schwung zu holen
| – | → ist auch ein Problemlöseverhalten „Oh bist du mutig. Du stehst sogar auf, obwohl das so wackelig ist. Du vertraust dir, dass du nicht herausfällst“ [Bestärken und Verdeutlichen der Selbstwirksamkeit] |
T: „Oh ist das wackelig. Das ist ja wackeliger zu zweit als wenn man alleine drin wär.“ E: „Ja. Der eine ist schwerer und dann kippt man schnell und dann ist auch weniger Platz.“ T: „Ja genau. Magst du auch mal alleine, in Sicherheit drin sein?“ E: „Ne.“ T: „Ist es wichtig, dass ich mit dabei bin?“ E: „Ja.“ | T. bietet immer wieder Sicherheit an [Stressbewältigung] T. verbalisiert Problemlöse-strategie des Kindes | – |
„Du hast eine Idee/Vorstellung, um mit der Situation umzugehen. Es ist Dir wichtig, dass ich dabei bin/dass wir das zusammen machen“ [soziale Situation wird klarer benannt] | ||
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Er bückt sich aus der Hängematte und zieht ein Polster in die Hängematte zu sich. „Koffer, Koffer.“ T: „Das soll unser Koffer sein.“ E: „Erste Ladung ist schon mal da.“ T: „Erste Ladung ist schon mal da. Der Koffer. Was sollten wir denn alles in dem Koffer drin haben?“ E: „Essen.“ T: „Ok, das ist wichtig. Essen, was noch?“ E: „Zähne putzen.“ T: „Was, Zähne putzen? Du denkst an Zähne putzen? Das überrascht mich!“ E: „Trinken!“ T: „Trinken … Ein bissl Kleidung, wenn wir nass werden oder wenn es kalt wird?“ E: „Ja, wärmere Kleidung.“ T: „Brauchen wir sonst noch was?“ E: „Rettungsboot.“ Er beugt sich wieder raus und holt unter Anstrengung ein weiteres Polster in die Hängematte.
T: „Rettungsboot kommt jetzt.“ | – | „Ah, ein Koffer, der könnte helfen.“ |
Kind hat Vorstellung vom Spielablauf | … dies könnte man im Sinne der geordneten (Problemlöse) Strategie ansprechen | |
T. unterstützt im Problemlöseprozess | ||
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Emil schnauft hörbar
T: „Boa du schnaufst, bist ganz außer Atem von dem schweren Rettungsboot. Und wir zwei können uns gar nicht mehr sehen …Hallo, hallo! … Hallo!“ (Zwei Polster sind jetzt in der Mitte der Hängematte und beide können kaum drüber hinweg schauen) E: „Wir können uns trotzdem noch sehen, im Spiegel.“ | T. spricht an, was sie bei Emil wahrnimmt (Selbstwahrnehmung) | „Du hast eine Lösung gefunden! Wir können uns so nicht sehen, aber im Spiegel doch.“ „Du hast an alles gedacht, um uns zu schützen/vorzubereiten.“ |
T: „Im Spiegel können wir uns noch sehen, genau. Jetzt ist besser. Wir können uns im Spiegel sehen, haben den Koffer dabei und unser Rettungsboot. Dann können wir uns ja jetzt auf die Reise machen. …. Wo soll die Reise denn hingehen? Oder bleiben wir einfach hier?“ E: „Sturm!“ T: „Sturm soll es geben!“ E: „Und das Rettungsboot fällt raus.“ T: „Das Rettungsboot fällt raus, ok!“ | T. verdeutlicht Emil, was sie alles getan haben, um Stresssituation zu bewältigen | – |
„Du machst es immer spannender. Das wird jetzt richtig gefährlich.“ | ||
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Emil fängt wild an zu schaukeln
T: „Oh, Sturm, Sturm! Mist Sturm!“ Emil wirft das Rettungsboot mit Schwung aus der Hängematte.
T: „Unser Rettungsboot! Oh, wir haben unser Rettungsboot verloren! Oh, oh! Und unser Koffer ist noch ganz sicher! Sollen wir den auch verlieren?“ E: „Ja, aber jetzt noch net.“ T: „Unser Rettungsboot ist weg, aber unseren Koffer haben wir noch. Oh!“
Emil schaukelt wild hin und her. Steht dabei teilweise auf. Die Therapeutin wackelt ebenfalls mit, diesmal immer in dieselbe Richtung wie er
| T. unterstreicht durch ihre Gestik und Ausdruck der Stimme die Herausforderung der Situation und verdeutlicht durch die Erwähnung des Koffers, dass sie noch Sicherheiten haben | „Du hast die Situation unter Kontrolle, du bestimmst, wann es soweit ist“ [Betonung der eigenen Handlungsfähigkeit, Selbstwirksamkeit] |
Schon hier hätten mögliche Gefühlsäußerungen durch Gestik und Mimik deutlicher aufgegriffen werden können (Spiegelung) | ||
T (laut): „Oh ist das wackelig, boa! Und hin und her! Das ist ein Unwetter, ein ganz schlimmes Unwetter!“ Emil wirft den Koffer aus der Hängematte.
T laut: „Unser Koffer ist weg!!!“ E: „Oh nein. Ich versuch mal irgendwo drauf zu kommen.“
Er klettert aus der Hängematte und auf die Polster daneben
| T. betont den Ernst der Lage | „Das ist mir ganz schön unheimlich. Ob wir hier heil wieder rauskommen? Du scheinst ganz unbeeindruckt zu sein“ [Gefühlslage ansprechen, Selbst/Fremdwahrnehmung] oder auch: „Das ist zwar jetzt sehr aufregend, aber du meisterst das“ [Ermutigung, Probleme als Herausforderung sehen] |
T: „Ok, du bist auf einem Felsen gelandet? …Oh du hast dich gerettet!“ | T. verbalisiert, dass Emil selbst zu seiner Rettung beigetragen hat (Selbstwirksamkeit) | „Du hast eine richtig gute Idee, um dich zu retten und aus dieser verzwickten Lage zu befreien. Wie bist du auf diese Idee gekommen?“ [Selbstwirksames Handeln verbalisieren und Problemlösestrategie bewusst machen] |