Erster stationärer Aufenthalt
Wir berichten über einen 62-jährigen Patienten, der im Rahmen des psychiatrischen Konsiliardienstes auf der Unfallchirurgie mehrfach begutachtet wurde. Bekannt waren ein linksbetontes primäres Parkinson-Syndrom (Amantadinsulfat 100 mg 1‑0-0-0), Osteoporose, paroxysmales Vorhofflimmern, Nikotinabhängigkeit (60/die) sowie eine bipolar affektive Störung (Lamotrigin TD 200 mg). Anamnestisch bestand eine Alkoholabhängigkeit, jedoch war der Patient zum Aufnahmezeitpunkt schon seit mehreren Jahren nachweislich abstinent. Im April 2016 stürzte er aufgrund von Parkinson-bedingten Gleichgewichtsstörungen zu Hause und zog sich Wirbelkompressionsfrakturen im Bereich Th12 und L4 zu. Klinisch zeigten sich keine neurologischen Ausfälle im Zusammenhang mit dem Trauma. Nach bildgebenden Abklärungen (Röntgen‑, CT- und MRT-Aufnahmen) wurde eine operative Versorgung beschlossen. Zum Aufnahmezeitpunkt nahm der Patient kein Antipsychotikum, keine Schlafmedikation und lehnte die Applikation eines Nikotinpflasters ab. Von organischer Seite fanden sich im CCT zum Aufnahmezeitpunkt keine Auffälligkeit und keine Befunddynamik im Vergleich zu einem Vor-CCT, welches leider für diesen Fallbericht nicht zugänglich war.
Im Aufnahmelabor fanden sich eine leichte CRP-Erhöhung und eine Leukozytose. Nachträglich lässt sich spekulieren, dass die Entwicklung des Delirs ursächlich mit dem inzipienten Infekt, dem Nikotinentzug sowie dem Ortswechsel (Spitalsaufenthalt) in Zusammenhang stehen könnte. Der Patient wurde vor der geplanten OP zunehmend desorientiert, logorrhoisch, aggressiv und optisch halluzinierend (Gestalten vor dem Fenster) bei schwankender Vigilanz und Aufmerksamkeit. In der Nacht war er stationsflüchtig, delirant, in der Früh zeigte sich nach Monitoring ein paroxysmales tachykardes Vorhofflimmern ohne kardiorespiratorische Symptomatik. Mit der Gabe von 300 mg Amiodaronhydrochlorid i. v. konnte eine prompte Kardioversion in einen normofrequenten Sinusrhythmus erzielt werden. Der Patient berichtete, in der Nacht seine Schwester gesehen zu haben mit welcher er geredet habe, fragte nach bezüglich eines Skigebietes, dieses könne er von seinem Bett aus sehen. Des Weiteren bestand eine paranoide Reaktionsbereitschaft, Pat. hatte Sorge, an der Station eingesperrt zu werden oder von einer Kirche angeworben zu werden. Pat. erhielt Quetiapin 25 mg 0‑0-0-1. Aufgrund der erhöhten Entzündungsparameter wurde eine Infektabklärung durchgeführt.
Vom Konsiliararzt der Neurologie wurde das Einsetzen einer Levodopa- und Benserazid-Therapie in Kombination mit Amantadinsulfat in halbierter Dosis empfohlen. Mit Flüssigkeitsgabe, Kaliumsubstitution, Antibiose sowie Neueinstellung der Antiparkinsontherapie konnte eine deutliche Besserung des Allgemeinzustands und kognitiven Status erreicht werden. Nach Rücksprache mit dem Internisten der Klinik wurde eine Dauertherapie mit einem Betablocker in niedriger Dosis begonnen, das Präparat wegen Entwicklung einer asymptomatischen Bradykardie später langsam abgesetzt; bei einem Chad-Vasc-Score von 0 wurde von einer Antikoagulation Abstand genommen. Der Allgemeinzustand des Patienten besserte sich so weit, dass er operativ versorgt werden konnte: Kyphoplastie, dorsale Stabilisierung mit Horizon-Longitude; die Operation verlief komplikationslos. Postoperativ konnte der Patient relativ schnell mobilisiert werden, zum Zeitpunkt der Entlassung war er selbstständig mit zwei Krücken und gelegentlich mit Begleitperson mobil. Ein pseudoradikulärer Schmerz, am ehesten Clunealnerven entsprechend, wurde vom Konsiliarneurologen mit Neurontin in steigender Dosis behandelt. Die Operationswunde war vollkommen bland, die Nähte bereits entfernt, die Röntgenkontrollen postoperativ und nach Mobilisierung zeigten einen regelrechten Sitz der osteosynthetischen Implantate. Die Antibiose konnte nach 11 Tagen Gabe beendet werden, als analgetische Therapie erhielt der Patient zuletzt Diclobene in Kombination mit Metamizol. Der Patient konnte aus der stationären Behandlung entlassen werden.
Zweiter stationärer Aufenthalt
Ein halbes Jahr später stürzte der Patient erneut und zog sich eine geschlossene Fraktur des Os pubis ramus sup. et inf. zu. Zur Schmerztherapie und Mobilisierung wurde er erneut stationär aufgenommen. Aufgrund der Schmerzen erhielt der Patient Fentanyl-Depotpflaster 75 µg/72 h und konservative Physiotherapie zwecks Mobilisierung. Aufgrund des Umspringens von paroxysmalem Vorhofflimmern (VHF) in ein dauerhaftes VHF wurde Pat. vollheparinisiert mit 2 × 80 mg Enoxaparin-Natrium. Im Zuge des Aufenthalts kam es – möglicherweise durch Fentanyl – zu einer zunehmenden Verschlechterung des Allgemeinzustands mit Delir, optischen Halluzinationen, Unruhe und Nesteln. Von einem Antipsychotikum wurde aufgrund der kardialen Situation vorübergehend Abstand genommen, der Patient erhielt zwecks Sedierung Lorazepam bis zu 4 mg TD.
Auslöser eines Delirs kann jede Anti-Parkinson-Therapie sein
Des Weiteren erfolgte eine Umstellung des Schmerzpflasters von Fentanyl auf Buprenorphin. Der Patient entwickelte eine Akinesie, die orale Medikation mit Amantadinsulfat 200 mg TD wurde auf intravenös umgestellt und die Dosis trotz Bradykardiegefahr auf bis zu 400 mg TD gesteigert. Im Neurostatus fand sich ein links betontes Parkinson-Syndrom mit Hypodiadochokinese, Feinmotilitätsstörung, Rigor und Ruhe- sowie Intentionstremor. Es kam zu einer kontinuierlichen Verschlechterung des Allgemeinzustands mit respiratorischer Insuffizienz, sodass eine Transferierung von der Normalstation auf die Intensivstation erfolgte, wo der Patient tracheotomiert und beatmet wurde. Eine Antibiose wurde begonnen, nachdem in der Blutkultur
Streptococcus pneumoniae nachgewiesen wurde. Der Patient hatte nachher kurzfristig eine
Clostridium-difficile-positive Diarrhoe. Amantadinsulfat wurde pausiert, von neurologischer Seite wurde (da weniger Psychose-auslösendes Potenzial) Levodopa/Benserazid zunächst 3 × tgl. etabliert. Zusätzlich wurde mit Rotigotin-Transdermalpflaster 8 mg/24 h begonnen. Aufgrund der weiterhin bestehenden psychomotorischen Agitation mit Halluzinationen wurde von psychiatrischer Seite Seroquel 50 mg 0‑0-0-1 etabliert. Nach Beherrschung der septischen Situation, der respiratorischen Probleme sowie neuropsychiatrischer Besserung konnte der Patient dekanüliert werden. Ab diesem Zeitpunkt konnte eine progressive Besserung dokumentiert werden. Es erfolgte ein Rücktransfer an die Normalstation, und der Pat. konnte schrittweise mobilisiert werden. Letztlich wurde die Anti-Parkinson-Therapie auf Wunsch des Patienten nochmal optimiert. Somit ergab sich folgende Entlassungsmedikation: Levodopa/Carbidopa 200/50 mg 0‑0-0-1, Rotigotin transdermales Pflaster 8 mg/24 h 1 × tgl., Levodopa/Benserazid 100/25 mg 8 h, 12 h, 16 h, 20 h, Amiodaron 200 mg 1‑0-1-0, Lamotrigin 100 mg 1‑0-1-0, Quetiapin 50 mg 0‑0-0-1, Tri-Kalium-citrat/Kaliumhydrogencarbonat Btl. 1‑0-1-0, Magnesiumcarbonat/Magnesiumoxid Btl. 1‑0-1-0, Metamizol 20 gtt 3–4 tgl. bei Schmerzen, Fenoterolhydrobromid/Ipratropiumbromid-Hübe bei Bedarf. Im neurologischen Konsil ergab sich aufgrund der reduzierten Auffassungsleistung und der mnestischen Defizite der Verdacht auf ein beginnendes demenzielles Syndrom (womöglich auch Lewy-Körper-Demenz?), wobei aufgrund des im Vordergrund stehenden schlechten Allgemeinzustands während des Aufenthalts eine weitere Abklärung zum Entlassungszeitpunkt noch ausständig war. Eine neuropsychologische Testung wurde empfohlen, eventuell in weiterer Folge je nach Befund Etablierung eines Acetylcholinesterasehemmers.
Tab. 1
Risikofaktoren für Delir
– Kognitive Beeinträchtigung oder Demenz |
– Alter >65 Jahre |
– Multimorbidität |
– In der Anamnese Delir, Insult, neurologische Erkrankung, Stürze oder Bewegungsstörung |
– Verwendung von Psychopharmaka |
– Polypharmazie (>4 Medikamente) |
– Schlafstörungen |
– Spitalaufenthalt/Intensivstationsaufenthalt/ungewohnte Umgebung, Operation |
– Fehlendes Hörgerät/fehlende Brille |
Tab. 2
Medikamente welche potenziell delirogen wirken können (Auszug)
– Alle anticholinerg wirksamen Medikamente (Atropin, Biperiden, Oxybutinin) |
– Analgetika, auch NSAR, Opiate |
– Antibiotika (Chinolone, Gentamycin, Isoniazid) |
– Antidepressiva |
– Antihistaminika |
– Antihypertensiva (Clonidin, Hydralazin, Propranolol, Reserpin) |
– Anti-Parkinson-Medikamente |
– Benzodiazepine |
– Diuretika |
– Digitalis |
– Glukokortikoide: Cortison u. Ä. |
– Insulin, Sulfonylharnstoffe |
– Lithium |
– Neuroleptika (Clozapin, Olanzapin Levomepromazin, Promethazin, Perphenazin) |
– Urologika: Inkontinenzmedikamente |