Open Access 21.10.2022 | Freies Thema
Geburtshilfliche Anästhesie: Ein Überblick und Neuerungen
Erschienen in: Anästhesie Nachrichten | Ausgabe 1/2023
Die anästhesiologische Betreuung in der peripartalen Phase nimmt eine anspruchsvolle Rolle innerhalb der Fachdisziplin „Anästhesiologie und Intensivmedizin“ ein. Neben dem Fachwissen zu (patho)physiologischen Veränderungen in der Schwangerschaft und möglichen Auswirkungen auf den fetalen Kreislauf sind Kenntnisse über die multimodalen Betreuungskonzepte sowie mögliche Komplikationen für jede Anästhesistin/jeden Anästhesisten zur Behandlung im Kreißsaal oder während einer Sectio caesarea unumgänglich.
Erste Berichte über analgetische Verfahren in der Geburtshilfe lassen sich bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Während anfänglich auf Inhalationsnarkotika wie Äther und Chloroform zurückgegriffen wurde, setzen sich später die Pudendus- und Parazervikalblöcke zur Reduktion des Geburtsschmerzes durch. Die Spinalanästhesie (SA) wurde zum ersten Mal vom Geburtshelfer Oskar Kreis im Jahr 1900 beschrieben, die Periduralanästhesie erreichte durch Karl Julius Anselmino ihren Werdegang in Deutschland [1].
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Geburtsschmerzen werden je nach Geburtsstadium durch Uteruskontraktionen (Wehen), Dehnung der unteren Uterussegmente, der Zervix und Vagina sowie Druck auf die Beckenorgane verursacht. Während in der Eröffnungsphase die viszerale Komponente führend ist, dominiert in der Austreibungsphase der somatische Schmerz.
Ziel einer adäquaten analgetischen Therapie ist die Reduktion der mütterlichen Stressreaktion und dadurch die Verbesserung der fetalen Sauerstoffversorgung.
Grundsätzlich ist ein multimodales Betreuungskonzept anzustreben: Neben nichtpharmakologischen Methoden wie Hypnose, Akupunktur und transkutaner elektrischer Nervenstimulation (TENS) werden Spasmolytika wie Butylscopolamin, Opioide (Remifentanil, Pethidin) und die Lachgas-Sauerstoffgemisch-Inhalation verwendet [2, 3].
Die Periduralanalgesie (PDA) gilt als Goldstandard in der geburtshilflichen Schmerztherapie. Die Muttermundweite gilt, trotz kontroverser Diskussion, nicht als indikationsweisend für die Anlage einer PDA. Zahlreiche Studien konnten zudem eine erhöhte Rate an sekundären chirurgischen Entbindungen, einen verlängerten Geburtsverlauf und eine Verschleierung der Symptome einer Uterusruptur im Zusammenhang mit einer PDA widerlegen [2‐5].
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Um die Motorik der Gebärenden zur Mitwirkung am Geburtsvorgang zu erhalten, werden die Verwendung eines niedrig konzentrierten Lokalanästhetikums (LA) sowie das Konzept der intermittierenden epiduralen Bolusgabe (engl. „programmed intermittent epidural bolus“, PIEB) empfohlen. Dabei erfolgt eine repetitive Applikation eines LA-Bolus (ggf. mit Opioiden) in den Epiduralraum [6].
Neben vereinzelt vorkommenden Verfahren mit Low-Dose-Spinalanästhesie bei starken Schmerzen oder als kombinierte Spinal- und Epiduralanästhesie („combined spinal and epidural anaesthesia“, CSE) bei Schwangeren mit (kardialen) Risikofaktoren findet die Spinalanästhesie hauptsächlich im Rahmen einer Sectio caesarea Verwendung. Die Zurückhaltung zur Allgemeinanästhesie beruht auf den erhöhten mütterlichen Narkoserisiken, der Relevanz des Geburtserlebnisses und Bondings sowie dem Vermeiden der Anästhetikaexposition auf den fetalen Organismus. Zur längeren Analgesie ist additiv zum LA die intrathekale Applikation von Opioiden ratsam [7].
Eine dringliche Sectio caesarea erfordert ein zügiges anästhesiologisches Management. Sofern aus Zeitgründen die Möglichkeit eines rückenmarksnahen Verfahrens ausgeschlossen ist, gilt es, eine Allgemeinanästhesie mit „rapid sequence induction“ mit Bedacht auf das erhöhte Aspirationsrisiko anzustreben. Mit einem Atemwegsalgorithmus zum Management des schwierigen Atemweges sollte jeder/jede Anästhesist*in vertraut sein [2].
Neben generellen Risiken neuroaxialer Verfahren wie einer Infektion, allergischen Reaktion, Intoxikation durch LA und Nervenschäden ist durch die in der Schwangerschaft physiologisch aufgelockerten Bänder die Identifizierung des Periduralraums erschwert. Das Risiko einer versehentlichen Duraperforation mit potenziellem postpunktionellem Kopfschmerz ist dadurch erhöht. „Blutige Punktionen“ werden aufgrund der vermehrt gefüllten Periduralvenen infolge des erhöhten intraabdominalen Drucks häufiger beschrieben. Neben der insbesondere bei Morphin zu beachtenden biphasischen Atemdepression sind Übelkeit und Erbrechen sowie Pruritus mögliche belastende Nebenwirkungen intrathekaler Opioidgaben [7]. Ein weiteres zu berücksichtigendes Risiko stellt die durch eine Spinalanästhesie induzierte Sympathikolyse mit Blutdruckabfall dar. Aufgrund der fehlenden Autoregulation der Uterusdurchblutung und konsekutiver Auswirkung auf den Fetus gilt es dies möglichst mithilfe einer kontinuierlichen prophylaktischen Vasopressorzufuhr zu vermeiden (z. B. mittels Phenylephrin 0,2 mg/ml) [8].
Peripartale Hämorrhagien gelten als häufigste schwangerschaftsbedingte Todesursache. Zu den Hauptursachen zählen die postpartale Uterusatonie, eine Verletzung der Geburtswege, verbliebene Plazentareste und Gerinnungspathologien. Weitere anästhesierelevante Krankheitsbilder umfassen unter anderem die (Prä‑)Eklampsie, das HELLP-Syndrom, die peripartale Kardiomyopathie sowie die Fruchtwasserembolie [9].
All diesen Pathologien ist gemein, dass für eine adäquate Diagnostik und eine zielführende Therapie die interdisziplinäre Zusammenarbeit der betreuenden Fachdisziplinen von grundlegender Bedeutung ist.
S. Jochberger und R. Fantin geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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