Nach mehr als zehn Jahren Bürgerkrieg ist das Gesundheitssystem schwer beeinträchtigt. Nun gibt es Hoffnung, mit dem Wiederaufbau zu beginnen. Eine österreichische Spendeninitiative unterstützt die Errichtung einer zentralsyrischen medizinischen Versorgungsstation.
Ausgebombt. 35 Prozent der Spitäler und viele Gesundheitsdienste sind zerstört oder nicht mehr einsatzbereit.
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Der weitgehend friedlich verlaufene Machtwechsel in Syrien im vergangenen Dezember nach Jahrzehnten der Diktatur und mehr als zehn Jahren Bürgerkrieg hat international und auch im Land selbst für Überraschung gesorgt. Vor allem im Süden und Norden des Landes ist die Sicherheitslage allerdings derzeit nicht stabil, aber in der Hauptstadt Damaskus sowie in Zentralsyrien um die Städte Homs und Hama erleben die Menschen Freiheiten, die sie so teilweise nie oder schon lange nicht mehr gekannt haben.
„Die Stimmung in der Bevölkerung ist wirklich gut“, berichtet Dr. Tammam Kelani, Präsident der Österreichisch-Arabischen Ärzte- und Apothekervereinigung im Gespräch mit der Ärzte Woche . Er lebt und arbeitet seit den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Österreich und war Mitte Februar seit 2011 zum ersten Mal wieder in seiner ursprünglichen Heimat.
Nun ist es Zeit, mit dem Wiederaufbau zu beginnen. Unterstützung für ein ganz konkretes Projekt soll dabei auch aus Österreich kommen: Das vollkommen zerstörte medizinische Versorgungszentrum im zentralsyrischen Dorf Al-Lataminah wird in Kooperation mit den österreichischen Hilfsorganisationen Human Relief und Takaful und einem lokalen Partner in zeitgemäßer Form neu errichtet.
„Dafür laufen derzeit die Planungen“, sagt Kelani, „gestaffelt nach Dringlichkeit des Angebots.“ Zuerst soll das Ambulatorium daher für Geburtshilfe, Akutfälle, Traumatologie und Ähnliches vorbereitet werden. In einer nächsten Ausbaustufe sollen weitere Fächer folgen. Dringend benötigt wird dafür Geld –, das zwar international zugesagt wurde, allerdings noch nicht eingetroffen ist. Entsprechend wichtig sind Spenden.
Großflächige Zerstörung
Der Behandlungsbedarf der Bevölkerung ist im gesamten Land durch den langjährigen bewaffneten Konflikt deutlich gestiegen: Unter- und Mangelernährung haben sich ebenso ausgebreitet wie Infektionskrankheiten und Atemwegserkrankungen. Die unzureichenden Behandlungsmöglichkeiten für chronisch Kranke haben zu einer drastischen Verschlechterung des Gesundheitszustands der Betroffenen geführt. Immerhin können die dringend benötigten Medikamente, Geräte und medizinischen Produkte jetzt wieder eingeführt werden – auf dem Landweg über Jordanien und auch Turkish Airlines und Emirates fliegen wieder nach Damaskus.
Nach Angaben des Deutschen Roten Kreuz (DRK), das in Syrien ein Hilfsprojekt betreibt, sind 35 Prozent der etwa 200 bestehenden Krankenhäuser und 44 Prozent der knapp 1.800 öffentlichen Gesundheitsdienste des Landes nicht oder nur teilweise funktionsfähig. Hinzu kommen die katastrophale Wirtschaftslage und die schwer beeinträchtigte Infrastruktur. So kommt es durch Wasser- und Stromknappheit immer wieder zur Unterbrechung der Versorgungskette, wie das DRK erklärt.
Die Gesundheitsversorgung in Syrien ist sehr schlecht, stellt auch Kelani fest: „Viele Krankenhäuser und Ambulatorien sind zum Teil absichtlich zerstört worden.“ Es fehlen Medikamente, Geräte, medizinische Produkte – und nicht zuletzt medizinisches Personal.
Krankenhäuser sollen neu entstehen.
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Von den knapp 50.000 Ärztinnen und Ärzten, die es 2011 in Syrien gab, sind etwa die Hälfte in den vergangenen Jahren ins Ausland geflüchtet. Sie haben sich hier nicht nur eine Existenz aufgebaut, sondern sind in Krankenhäusern und als niedergelassene Ärztinnen und Ärzte zu wichtigen Stützen der Gesundheitsversorgung in ihrer neuen Heimat geworden. In Österreich leben heute schätzungsweise 250 syrische Ärztinnen und Ärzte, die als Flüchtlinge vor dem Bürgerkrieg kamen, die meisten von ihnen haben ihre Ausbildung nostrifizieren lassen und arbeiten hier.
Rückkehr nur schwer möglich
Hatte bei den meisten ab 2015 Geflüchteten noch überwiegend der Wunsch bestanden, bald wieder in ihre alte Heimat zurückzukehren, hat sich die Perspektive in den zurückliegenden zehn Jahren deutlich verändert. Auch sind die Voraussetzungen für eine Rückkehr nach Syrien denkbar schlecht: keine Wohnung, keine Ordination, keine funktionierenden Schulen. Ein kompletter Neubeginn wäre erforderlich.
Wie prekär die Sicherheitslage in manchen Regionen ist, zeigte sich nach einem Aufstand Assad-treuer Kämpfer in der Provinz Latakia. Mehr als 1.000 Menschen sollen von den Kämpfern der syrischen Übergangsregierung getötet worden sein. Die Lage in der syrischen Provinz war zuvor eskaliert.
Jede Spende zählt! Überweisungen bitte auf das Konto: IBAN: AT30 1200 0100 2013 7948, BIC: BKAUTWW lautend auf: Österr.-Syrische Ärzte u. Apotheker
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„Das einzig Gute in Syrien derzeit, ist die Stimmung der Bevölkerung“
Dr. Tammam Kelani kam 1982 aus Syrien nach Österreich. Zunächst als Gastarzt an der Universitätsaugenklinik, absolvierte er die Facharztausbildung und ist seit 1989 niedergelassener Augenarzt in Gänserndorf. Er ist Präsident der Österreichisch-Arabischen Ärzte- und Apothekervereinigung.
OMR Dr. Tammam Kelani, Augenarzt, Gänserndorf (T.: 0664 35 70 912; E-Mail: dr.kelani@hotmail.com)
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Ärzte Woche: Welche Eindrücke haben Sie bei Ihrem Besuch in Syrien vor Kurzem gehabt?
Tammam Kelani: Die medizinische Versorgung in Syrien ist leider sehr schlecht. Es besteht ein wirklich großer Mangel an allem – an Geräten, an Medikamenten, an medizinischen Produkten und ganz besonders auch an Ärztinnen und Ärzten.
Viele Krankenhäuser und auch Ambulatorien sind zerstört. Nicht nur zerstört – sie sind absichtlich zerstört worden. Die Situation ist wie in einem Land vor etwa 100 oder vor 50 Jahren.
Ärzte Woche: Wie haben Sie die Stimmung in Syrien wahrgenommen?
Kelani: Das Einzige, was derzeit gut ist in Syrien, ist die Stimmung in der Bevölkerung nach dieser Revolution: Die Leute sind zufrieden, sie können jetzt frei über alles reden, sich versammeln. Und es gibt keine Kontrolle durch die Geheimpolizei mehr.
Ärzte Woche: Syrische Ärzte, die aus Syrien geflüchtet sind, haben sich in ihren neuen Heimatländern sehr gut eingelebt und sind wichtig für unser Gesundheitssystem geworden. Glauben Sie, dass einige von Ihnen bei der Aufbauarbeit unterstützen werden?
Kelani: Die meisten sind jetzt zehn oder zwölf Jahre in Österreich, sie haben eine Ordination oder arbeiten im Krankenhaus, die Kinder gehen hier in die Schule. Sie werden vielleicht eine Woche oder einen Monat nach Syrien gehen, um den Aufbau zu unterstützen. Aber wir machen mit unseren Kollegen in Deutschland eine medizinische Konferenz im April in Damaskus und im Oktober in Aleppo, um hier die Zusammenarbeit und die Unterstützung zu fördern. Ähnliche Konferenzen gibt es auch von syrischen Ärztinnen und Ärzten in anderen Ländern.