Österreichs Kassenärzte werden schon in einigen Monaten verpflichtend ihre Diagnosen in einem Code festhalten müssen. Im Gesetz steht: 1. Januar 2025. Aber dieser Termin wackelt. Das lange favorisierte Diagnosesystem ICD-10 bekommt Konkurrenz: SNOMED-CT läuft ihm den Rang ab. Lesen Sie, warum.
Dr. Helmut Dultinger: „SNOMED-CT bringt genauere Diagnosecodierung als ICD-10, spart ärztliche Arbeitszeit.“
Krisztián Juhász
Seit mehr als 30 Jahren (genauer: seit 1. Jänner 1989) werden in Österreichs Krankenanstalten die Entlassungsdiagnosen nach stationärer Behandlung in genau vorgeschriebenen Codes festgehalten. Dieses von der Weltgesundheitsorganisation entwickelte System ist derzeit als ICD-10 in Verwendung. Im englischen Original spricht man von „International Classification of Diseases, 10th Revision“. ICD-10 wird vor allem für drei Aufgaben verwendet:
- Erfassung von Diagnosen für statistische Zwecke
- Abrechnung von Spitalsleistungen
- Gewinnen von öffentlichen Gesundheitsdaten
ICD-10 kategorisiert Krankheiten und verwandte Gesundheitsprobleme in relativ breiten Kategorien. So werden zum Beispiel 14 verschiedene Allergien mit ein- und derselben Bezeichnung codiert: „Allergie gegenüber sonstigen Arzneimitteln, Drogen oder biologisch aktiven Substanzen in der Eigenanamnese.“
SNOMED-CT kann einfach mehr
Lange Zeit hat es so ausgesehen, als würde das im Spital bewährte ICD-10 auch den Kassen- und Wahlarzt-Ordinationen vorgeschrieben werden. Dagegen regte sich Widerstand in der Österreichischen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin, kurz ÖGAM. Dr. Helmut Dultinger und Dr. Christoph Powondra, Allgemeinmediziner in Niederösterreich, und Prof. Stefan Schulz von der Medizinischen Universität Graz arbeiten an einem großen Ziel: Es soll gleich das deutlich umfassendere und flexiblere System SNOMED-CT eingeführt werden. Also die „Systematized Nomenclature of Medicine - Clinical Terms“. Warum? Weil es in seinen Fähigkeiten und in der praktischen Handhabung überlegen ist. Helmut Dultinger nennt ein Beispiel: „In SNOMED-CT heißt der Zustand nach einer Blinddarmentfernung ‚history of appendectomy‘. Das passt. In ICD-10 dagegen würde das festgehalten als ‚Zustand nach Verlust anderer Teile des Verdauungstraktes‘. Und zwar welcher? Das musst Du vom Patienten erfragen. In ELGA steht die detailfreie Diagnose.“
SNOMED-CT sei eine große Datenbank, ein wörtlich „kleines Google für den medizinischen Bereich“. Es bildet ab:
- ärztliche Diagnosen
- Laborcodes
- Medikamente
- Implantate
- Leistungscodes.
Ein weiterer Vorteil von SNOMED CT ist das automatische Mapping auf ICD 10. Es ist daher eine Datenkontinuität für die Forschung gegeben.
Und noch eines spricht laut Dr. Dultinger für SNOMED-CT: „Die medizinische Sprache ist ein Gewurstel, letztlich aus Griechisch, Lateinisch, Deutsch, Englisch und in den unglaublichsten Kombinationen und Abkürzungen zusammengefasst. Mit der Suchdatenbank von Professor Schulz soll das Codieren und das Einlesen von Texten oder Diktaten automatisiert werden.
Dultinger: „Letztlich sollen alle medizinischen Daten maschinenlesbar in der ELGA abgelegt werden. Unser Ziel ist: NICHT MEHR ABSCHREIBEN. Daten, die einmal digital im Gesundheitssystem erfasst wurden, müssen automatisch ausgetauscht werden können.“
Ministerium denkt nach
Fragt man im Gesundheitsministerium nach, erhält man kryptische Auskünfte. Noch im September 2024 gab das Ministerium eine Broschüre heraus, in der es kurz und knapp hieß: „Die vorliegende ICD-10 BMSGPK 2025 ist ab dem Berichtsjahr 2025 für die Diagnosendokumentation in österreichischen Krankenanstalten und dem extramuralen Bereich heranzuziehen.“ Ende Oktober 2024 war man dann schon vorsichtiger: „Keiner der relevanten Stakeholder hat sich bis dato explizit gegen SNOMED-CT ausgesprochen. Daher kommt SNOMED-CT als mögliche Diagnosedokumentation in Frage, die Entscheidung wurde allerdings noch nicht final getroffen.“ Ganz offenbar wackelt aber der 1. Januar 2025 als Starttermin. Zitat: „Der genaue Zeitpunkt des Inkrafttretens der Diagnosecodierungsverordnung … ist noch offen. Der Fokus aller beteiligten Akteur:innen liegt dabei darauf, den Ärzt:innen eine möglichst unbürokratische und zugleich qualitätsvolle Codierung zu ermöglichen.“
Es sieht gut aus für eine Diagnosecodierung, wie sie niedergelassene Ärzte brauchen.