Ärztekammer und Opposition fordern von der Regierung, die Impfquote zu erhöhen. Sonst drohe der nächste Lockdown. Was es dafür braucht, sagt Barbara Juen vom Roten Kreuz.
Peter Filzmaier hat vor Kurzem gemeint, die Impfkampagne müsste sich nun an die FPÖ-Wähler richten, hat er recht?
Juen: : Das ist eine Möglichkeit. Man muss aber ein wenig aufpassen, weil der FP-affine Teile der Bevölkerung nicht die einzige Gruppe ist, die sich nicht impfen lässt. Wir haben auch noch die Impf-Zögerer.
Wie erreicht man diese Menschen? Mit Information allein offenbar nicht.
Juen: Es gibt eine interessante Kommunikationskampagne in Kanada, welche sich an die Amish Community richtet. Die Behörden haben Personen aus dieser Gemeinschaft als Testimonials gewonnen. Diese treten auf und sagen Sätze wie „Hi, ich bin John, ich lebe nah an der Natur und ich bin immunisiert.“ Analog könnte man in der von Ihnen angesprochene Wähler-Gruppe den Widerspruch folgendermaßen auflösen: „Ich heiße Hans. Ich bin für persönliche Freiheit und trotzdem lasse ich mich immunisieren.“
Warum dieser Eiertanz um eine Corona-Impfpflicht, wovor hat die Regierung Angst?
Juen: Als es damals um die Pockenimpfung ging, gab es andere gesellschaftliche Voraussetzungen, die Gesellschaft war wesentlich homogener. Im Moment erleben wir ohnehin einen Pandemie-Diskurs, der sich um Freiheitsberaubung dreht.
Barbara Juen vom Roten Kreuz
ÖRK/Markus Hechenberger
Wie begegnet man dieser Behauptung?
Juen: Man muss diesen Diskurs aufgreifen. Die persönlichen Freiheiten einer Person in unserer Gesellschaft dürfen nur für eine bestimmte Zeit eingegrenzt werden, in einem bestimmten Bereich und nur, wenn es einen guten Grund dafür gibt. Tut man das nicht und stößt die Leute vor den Kopf, erzeugt das großen Widerstand, selbst in Gruppen, die für die Regierungsmaßnahmen sind. Längerfristig ist es besser, möglichst viele Leute ins Boot zu holen. Auch wenn man Berufsgruppen herausgreift, für die eine Impfverpflichtung sinnvoll ist – Pädagogen und Gesundheitsberufe –, ist es notwendig, das Ansinnen in eine gescheite Kommunikationskampagne einzubinden. Man muss aufpassen, dass man nicht genau jene Personen verliert, die man braucht und die ohnehin schon unter der Pandemie leiden. Das heißt, ich muss aufpassen, dass ich nicht Pflegekräfte verliere, die sowieso schon dazu tendieren den Job zu verlassen. Ich muss an das Thema mit Fingerspitzengefühl herangehen. Die, die am meisten zögern sich impfen zu lassen, sind soziodemografisch schwach und stammen aus niederen Bildungsschichten, die von der Pandemie besonders stark betroffen sind.
Wie schätzen Sie die Lage an den Schulen ein?
Juen: Eine der größten Sorgen, die wir haben, sind die Kinder und Jugendlichen. Wir müssen sie vor einem weiteren Schullockdown bewahren. Das schaffen wir nur, wenn es Sicherheitskonzepte gibt, die auch durchgezogen werden. Das ist nicht allen klar. Wir müssen alles tun, was möglich ist: lüften, testen, impfen.
Warum ist das wichtig?
Juen: Wir wissen, dass die psychischen Probleme zum Ende einer Pandemie steigen, zwar in allen Altersgruppen, bei den Jüngsten erwarten wir aber die meisten Probleme. Die Jüngeren fühlen sich ganz schnell einsam, sie wünschen sich mehr Kontakt, während die älteren Menschen zwar auch oft allein sind, sich aber nicht einsam fühlen. Was aber nicht heißt, dass ihnen der Rückzug aus dem sozialen Leben langfristig guttut.
Der Verkehr in der Impfstraße war schon mal dichter.
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