Die Entstehung der juvenilen idiopathischen Arthritis (JIA), der häufigsten rheumatischen Erkrankung im Kindesalter, wird durch genetische Prädisposition, umweltbezogene Faktoren und immunologische Mechanismen beeinflusst. Eine entscheidende Rolle wird der humanen Mikrobiota zugeschrieben, die sich in den Epithelzellen des Darms, der Haut und des Respirationstrakts befindet. Für die Entwicklung und Funktion einer gesunden Immunabwehr ist ein komplexes Zusammenspiel zwischen Immunsystem und Mikrobiota essenziell. Durch eine Störung des Gleichgewichts kommt es zur sogenannten Dysbiose, also einer pathologisch veränderten Zusammensetzung des Mikrobioms, die durch überschießende Immunreaktionen zu Entzündungsprozessen führt und damit die Entstehung immunmediierter Erkrankungen begünstigt. Ein pathologisch verändertes Mikrobiom rechtzeitig zu erkennen und das physiologische Gleichgewicht wiederherzustellen, könnte in der Prävention und in der Therapie mikrobiomassoziierter Erkrankungen neue Möglichkeiten eröffnen.
Hinweise
Teil 2 folgt in Pädiatrie & Pädologie, Heft 2/22.
Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Die juvenile idiopathische Arthritis (JIA) ist mit einer Prävalenz von 16 bis 150 Fällen pro 100.000 Kindern die häufigste rheumatische Erkrankung im Kindesalter [1]. Sie äußert sich durch eine Entzündung der Gelenke, die sich je nach Subtyp in unterschiedlicher Schwere und mit verschiedenen Begleitphänomenen präsentiert [2]. Die JIA beginnt vor dem 16. Lebensjahr und ist gekennzeichnet durch Arthritis unklarer Genese, die für mindestens 6 Wochen persistiert [1]. Es existieren 7 verschiedene Formen der JIA, die sich durch die Anzahl der betroffenen Gelenke in einen oligoartikulären und einen polyartikulären Erkrankungstyp unterteilen lassen [1]. Die Pathogenese der JIA ist bislang nicht vollständig geklärt, wobei immunologischen Mechanismen eine bedeutende Rolle zugeschrieben wird [2]. Sowohl genetische Prädisposition als auch umweltbezogene Faktoren scheinen einen Einfluss auf die immunologische Reaktion zu haben [1], was sich in der Heterogenität der Erkrankung widerspiegelt [8]. Des Weiteren scheint eine Veränderung der menschlichen Mikrobiota prädisponierend auf die Entstehung dieser rheumatischen Erkrankung zu wirken [3].
Die Therapie der JIA umfasst medikamentöse, physikalische und physiotherapeutische Behandlungsansätze sowie die sozialpädiatrische Betreuung der betroffenen Kinder und ihrer Familien. Durch eine optimale Behandlung sollen Entzündungsprozesse gebessert und Gelenkfunktionen erhalten werden [9]. Im Rahmen der medikamentösen Therapie werden nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), Glukokortikoide, Basistherapeutika („disease modifying anti-rheumatic drugs“ [DMARD]) und Biologika eingesetzt. Die Prognose variiert, je nach Subtyp und klinischem Verlauf [2, 8]. Ein bedeutender Einfluss auf Entstehung und Prognose immunmediierter Erkrankungen wie der JIA wird dem menschlichen Mikrobiom zugeschrieben, dessen Zusammensetzung bei diesen Erkrankungen verändert ist [5].
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Unter dem menschlichen Mikrobiom versteht man Trillionen verschiedener Mikroorganismen, die sich in den Epithelzellen des Darms, der Haut und des Respirationstrakts befinden. Die Zusammensetzung des Mikrobioms unterliegt im Lauf des Lebens zahlreichen Veränderungen, die vermutlich sowohl genetisch vorbestimmt sind, als auch durch Umweltfaktoren beeinflusst werden [4]. Ein gesundes menschliches Mikrobiom setzt sich aus Bakterien, Viren, Archeae und Eukaryonten zusammen [7]. Für die Entwicklung einer gesunden Immunabwehr ist ein komplexes Zusammenspiel zwischen Immunsystem und Mikrobiota essenziell. Auf diese Weise wird der Organismus gegen Invasion und Kolonisierung von Pathogenen geschützt [10].
Die Zusammensetzung des gastrointestinalen Mikrobioms, dessen Einfluss auf die Prävention verschiedener Autoimmunerkrankungen nachgewiesen wurde, verändert sich mit zunehmendem Alter [7]. Dieser dynamische Prozess beginnt bereits intrauterin und dauert bis ins hohe Lebensalter an. Im Lauf des Lebens erfolgen zahlreiche Reifungsprozesse, die möglicherweise gesundheitliche Auswirkungen bis ins hohe Erwachsenenalter haben. Ernährungsgewohnheiten, hormonelle Veränderungen, Geschlecht und Genetik beeinflussen die Entwicklung des Mikrobioms ebenso wie Infektionen oder antibiotische Therapien, die geographische Lage und der soziale Status [11]. Durch eine Störung dieses Gleichgewichts kommt es zur sogenannten Dysbiose, also einer pathologisch veränderten Zusammensetzung der Mikrobiota. Diese begünstigt die Entstehung immunmediierter Erkrankungen, wie chronisch-entzündlicher Darmkrankheiten, Diabetes mellitus (DM) Typ 1 und rheumatoider Arthritis [6]. Ein gesundes Mikrobiom von einem pathologisch veränderten zu unterscheiden, könnte wesentlich dazu beitragen, Prävention und Therapie mikrobiomassoziierter Erkrankungen zu verbessern [7]. Das intestinale Mikrobiom beeinflusst die Entwicklung der Darmschleimhaut, die eine wichtige Barriere gegen eindringende Pathogene darstellt, sowie die Reifung des darmassoziierten lymphatischen Gewebes (GALT). Des Weiteren scheint es wichtige Auswirkungen auf die Differenzierung der T‑Zellen und damit auf die Autoimmunität des Körpers zu haben [5].
Bei pathologischen Veränderungen der intestinalen Mikrobiota kommt es durch überschießende Immunreaktionen zu Entzündungsprozessen [5]. Eine sogenannte Dysbiose kann zum Beispiel durch regelmäßige Antibiotikaeinnahme hervorgerufen werden, die sowohl die Zusammensetzung des Mikrobioms verändert, als auch dessen immunologische Funktion beeinträchtigt [3]. Das Zusammenspiel zwischen Mikrobiom und Immunsystem scheint einen erheblichen Einfluss auf die Entstehung des kindlichen Rheumas zu haben. Die Rolle der Mikrobiota in der Entwicklung der JIA wurde eindeutig nachgewiesen und könnte in Zukunft neue Behandlungsansätze eröffnen [5].
Humanes Mikrobiom
Das menschliche Mikrobiom besteht aus Trillionen verschiedener Mikroorganismen, die sich in den Epithelzellen bestimmter Organe befinden [4]. Das Mikrobiom des Darms unterliegt einem ständigen Fluss, da einige Mikroorganismen im Lauf des Lebens dazugewonnen werden, während andere verloren gehen und wieder andere über mehrere Jahre im Darm verbleiben [12].
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Bei gesunden Menschen weist die Zusammensetzung des Mikrobioms sowohl große Vielfalt als auch Unterschiede zwischen einzelnen Individuen und je nach anatomischer Lokalisation auf [13]. Eine Übersicht über die Zusammensetzung eines gesunden menschlichen Mikrobioms zeigen die Abb. 1 und 2. Das Mikrobiom unterliegt zahlreichen Veränderungen, wobei bislang unklar ist, ob diese Veränderungen genetisch vorbestimmt sind oder hauptsächlich Umweltfaktoren unterliegen [4]. Ein gesundes Mikrobiom ist wichtig für zahlreiche immunologische Prozesse und damit essenziell für die Gesundheit des Organismus [13].
Abb. 1
Zusammensetzung des gesunden Mikrobioms
Abb. 2
Aufteilung der obligat anaeroben Bakterien
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Der Intestinaltrakt des Menschen beinhaltet hauptsächlich obligat anaerobe Bakterien. Früheren Studien zufolge können zwei Drittel der intestinalen Bakterien einer von sechs Gruppen zugeordnet werden. Zu den 6 Spezies zählen neben 2 Arten der Gattung Bacteroides weitere 2 Arten Clostridien sowie Streptococcus/Lactococcus und Eubacterium rectale [14]. Der Dickdarm stellt den am gründlichsten erforschten Lebensraum dar, da die Vielfalt an Mikroorganismen dort besonders groß ist [7]. Bislang konnten über 1000 bakterielle Spezies im Darm charakterisiert werden. Arten, die zu den anaeroben, gramnegativen Stäbchen Bacteroides gehören, wurden bisher als vorherrschende Mikroorganismen des Darms erachtet. Diese wurden neu klassifiziert und den Gattungen Alistipes, Prevotella, Paraprevotella, Parabacteroides und Odoribacter zugeordnet [15]. In einem gesunden Mikrobiom dominieren Bakterien der Gattungen Bacteroides und Firmicutes [7], wobei sich das Verhältnis mit dem Alter ändert [4]. Während Bacteroides die Fähigkeit besitzen, Zucker und Proteine in kurzkettige Fettsäuren zu spalten, sind Firmicutes hauptsächlich für die Energiegewinnung zuständig [11]. Die Zusammensetzung der Mikroorganismen weist innerhalb des Lebensraums Darm bei verschiedenen Individuen mehr Ähnlichkeit auf als die unterschiedlichen Lebensräume Darm, Haut und Mund innerhalb eines einzelnen Individuums. Das bedeutet, dass die intestinale Flora zahlreicher Menschen von ähnlichen Mikroorganismen bewohnt wird [7].
Neben Bakterien beinhaltet das menschliche Mikrobiom auch Viren, Archeae und Eukaryonten. Der virale Anteil des Mikrobioms ist umfangreich und wird als integraler Bestandteil eines gesunden Ökosystems angesehen. Jedes Individuum weist eine spezielle Zusammensetzung verschiedener Viren auf, die überwiegend aus Bakteriophagen besteht. Archeae sind in geringer Anzahl und hauptsächlich im Darm vorhanden. Die am häufigsten vorkommende Spezies ist Methanobrevibacter. Obwohl Eukaryonten, die den menschlichen Körper besiedeln, typischerweise Krankheitserreger sind, finden sich insbesondere Candida, Malassezia und Saccharomyces auch in gesunden Populationen. Auch einige Protozoen wie Blastocystis bewohnen das menschliche Mikrobiom und wurden sogar mit einem reduzierten Risiko für gastrointestinale Erkrankungen in Verbindung gebracht [7].
Faktoren, die das Mikrobiom in frühester Kindheit positiv beeinflussen, sind wichtig für die Schaffung eines gesunden Mikrobioms. Die Besiedlung des kindlichen Darms mit zahlreichen Symbionten wie Bacteroides, Parabacteroides, Clostridium, Lactobacillus, Bifidobacterium und Faecalibacterium prausnitzii begünstigt die Entwicklung eines gesunden Mikrobioms. Ein gesundes intestinales Mikrobiom ist Voraussetzung für die Ausbildung des Immunsystems. Des Weiteren fördert die Besiedlung des Darms durch wohltuende Gattungen die Immuntoleranz und verringert das Auftreten von Autoimmunerkrankungen [7].
Im Rahmen der Geburt erfolgt eine Transmission intestinaler Mikroorganismen von der Mutter auf das Kind [16]. Die Zusammensetzung des Mikrobioms im ersten Lebensjahr kann durch den Geburtsmodus beeinflusst werden und zur Infektanfälligkeit eines Kindes beitragen. Nach einem Kaiserschnitt weist das Mikrobiom vermehrt Opportunisten wie Haemophilus spp., Enterobacter cancerogenus/hormachei, Veillonella dispar/parvula und Staphylococcus auf. Außerdem wurde aufgezeigt, dass auch Stillen einen Einfluss auf die Entwicklung des Mikrobioms hat. Dies führt zur Schlussfolgerung, dass die positiven Auswirkungen des Stillens zumindest teilweise in Zusammenhang mit dem Mikrobiom stehen. Die Zusammensetzung des Mikrobioms verändert sich im Lauf der ersten Lebensjahre drastisch [7].
Ein weiteres Merkmal eines gesunden Mikrobioms ist die Fähigkeit, sich gegen eindringende Pathogene zu wehren und nach einer Störung des Gleichgewichts wieder in den physiologischen Ausgangszustand zurückzukehren. Diese Eigenschaften werden als Widerstandsfähigkeit beziehungsweise Belastbarkeit bezeichnet [17].
Der Mensch hat sich mit den Trillionen Mikroorganismen, die unseren Körper bewohnen, gut arrangiert. Die Mikroorganismen erschaffen komplexe, individuelle Ökosysteme, die an die sich unaufhaltsam verändernde Physiologie des Wirts angepasst sind. Sie benötigen im Lauf des Lebens Stabilität gegenüber externen und internen Veränderungen. Die Widerstandsfähigkeit gegenüber Stress und Störfaktoren bzw. das Vermögen sich davon wieder vollständig zu erholen, charakterisieren ein gesundes Mikrobiom [7].
Funktionen des Mikrobioms
Ein gesundes Mikrobiom interagiert mit seinem Wirt im Rahmen zahlreicher physiologischer Prozesse. Die enterale Mikrobiota ist am Metabolismus aufgenommener Nährstoffe beteiligt und bereitet das Immunsystem des Organismus vor, sodass eine Kolonisierung von Pathogenen verhindert werden kann [13].
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Die Fülle an Stoffwechselvorgängen, die von den verschiedenen Mikroorganismen bewältigt werden, ist bei jedem Individuum annähernd gleich. Das funktionelle Profil wird bereits früh festgelegt und bleibt, zumindest im Darm, relativ stabil. Zu den Funktionen zählen neben Transkription, Translation und Energiegewinnung auch komplexere Prozesse, die je nach Lebensraum spezifisch sind. Dazu gehört unter anderem die Bereitstellung essenzieller Vitamine, wie Vitamin K, und immunstimulierender Komponenten. Speziell im Darm werden neben Vitaminen auch kurzkettige Fettsäuren und essenzielle Aminosäuren produziert [7]. Zu den weiteren Aufgaben zählen die Fermentation unverdaulicher Nahrungsbestandteile, die Beseitigung toxischer Metaboliten und die Stärkung der intestinalen Barriere. Der Großteil dieser Funktionen ist eng miteinander verbunden und steht in direktem Zusammenhang mit anderen physiologischen Prozessen des Organismus [18]. Voraussetzung für ein gesundes Mikrobiom ist dementsprechend eine Ansammlung verschiedener Mikroorganismen, die spezifische biomolekulare Funktionen in den unterschiedlichen Lebensräumen des Körpers erfüllen können [7].
Der menschliche Organismus entwickelte ein breites Spektrum angeborener Immunantworten, um sich gegen Infektionen zu schützen. Während eindringende Pathogene bekämpft werden, bleibt die körpereigene bakterielle Besiedlung erhalten. Das intestinale Mikrobiom interagiert mit dem Immunsystem des Wirts und beeinflusst sowohl das angeborene als auch das erworbene Immunsystem [16]. Die Abwehr von Pathogenen und die Stimulation und Regulation des Immunsystems bezeugen die Wichtigkeit der Aufgaben des intestinalen Mikrobioms [18].
Entwicklung des gastrointestinalen Mikrobioms
Um den Einfluss des gastrointestinalen Mikrobioms auf die menschliche Gesundheit und die Entstehung von Krankheiten erklären zu können, muss dessen Entwicklung im Lauf des Lebens verstanden werden. Das gastrointestinale Mikrobiom unterliegt einem dynamischen Prozess, der bereits intrauterin beginnt und bis ins hohe Lebensalter reicht. Die Abb. 3, 4, 5, 6, 7, 8 und 9 geben eine Übersicht über die Entwicklung des Mikrobioms. Die altersspezifischen Unterschiede sind möglicherweise der Schlüssel zum Erfolg, um mikrobiomassoziierte Einflüsse auf die menschliche Gesundheit verstehen zu können [11].
Abb. 3
Intrauterine Zusammensetzung des Mikrobioms
Abb. 4
Zusammensetzung des Mikrobioms bei der Geburt
Abb. 5
Zusammensetzung des Mikrobioms im 1. Lebensjahr
Abb. 6
Zusammensetzung des Mikrobioms in der Kindheit
Abb. 7
Zusammensetzung des Mikrobioms in der Jugend
Abb. 8
Zusammensetzung des Mikrobioms im Erwachsenenalter
Abb. 9
Zusammensetzung des Mikrobioms im höheren Alter
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Bis vor Kurzem ging man davon aus, dass die intrauterine Umgebung steril sei und die mikrobielle Besiedlung des Organismus erst mit der Geburt beginne. Der Nachweis von Mikroorganismen in der Plazenta, im Fruchtwasser und im Nabelschnurblut gesunder termingeborener Kinder stellt diese Hypothese infrage. Des Weiteren wurden im Mekonium bakterielle Stämme nachgewiesen. Dies deutet darauf hin, dass die Besiedlung des Darms bereits vor der Geburt beginnt. Das Spektrum ist vielfältig und setzt sich vor allem aus oralen und gastrointestinalen Mikroorganismen wie Fusobacterium spp. und Bacteroides spp. zusammen. Neueste Studien zeigen, dass sich in der Plazenta gesunder termingeborener Kinder ein vielseitiges Mikrobiom findet, das vor allem Ähnlichkeiten zum mütterlichen oralen Mikrobiom aufweist. Das deutet darauf hin, dass Bakterien der mütterlichen Mundhöhle in die Plazenta gelangen und eine erste fetale Besiedlung bewirken. Die Pränatalzeit scheint also eine signifikante Rolle bei der Entwicklung des Mikrobioms des Neugeborenen zu spielen [11].
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Zum Zeitpunkt der Geburt weist das gastrointestinale Mikrobiom im Vergleich zu jenem eines Erwachsenen eine geringere Vielfalt bei gleichzeitig größerer Variabilität auf. Im Gastrointestinaltrakt des Neugeborenen finden sich Firmicutes, Proteobacteria und vor allem Actinobacteria, während Bacteroides in geringerer Anzahl vorhanden sind. Das neonatale Mikrobiom wird einerseits durch das Gestationsalter zum Zeitpunkt der Geburt und andererseits durch den Geburtsmodus beeinflusst. Frühgeborene weisen im Vergleich zu Termingeborenen eine weitaus geringere Vielfalt auf, die bis zu 90 Tage nach der Geburt bestehen bleibt. Das Gestationsalter scheint vor allem auf die Geschwindigkeit, jedoch nicht zwingend auf das Fortschreiten der bakteriellen Kolonisierung einzuwirken. Außerdem beeinflusst es die Entwicklung des Mikrobioms stärker als exogene Faktoren wie Geburtsmodus, Antibiotika und Diät. Das gastrointestinale Mikrobiom Frühgeborener scheint außerdem durch Umgebungsfaktoren wie Intubation, Inkubator und Personenkontakt geformt zu werden. Störungen, die mit Frühgeburtlichkeit assoziiert sind, stellen eine große Problematik für das Neugeborene dar. So wird zum Beispiel die Entstehung einer nekrotisierenden Enterokolitis durch das Zusammenspiel aus Frühgeburtlichkeit und mikrobieller Dysbiose begünstigt [11].
Das erste Lebensjahr unterliegt starken Schwankungen und Reifungsprozessen. Die geringe taxonomische Vielfalt zum Zeitpunkt der Geburt vergrößert sich durch die bakterielle Kolonisierung beim Stillen und durch Umwelteinflüsse. Während der Stillzeit nimmt vor allem die Anzahl an Actinobacteria zu, während Firmicutes und Proteobacteria zurückgehen. Säuglinge, die nicht gestillt werden, weisen vor allem vermeintlich pathogene Mikroorganismen wie Escherichia coli und Clostridium difficile auf. Insgesamt weist das gastrointestinale Mikrobiom von Kleinkindern im Vergleich zu jenem von Erwachsenen eine weitaus größere Vielfalt auf [11].
Auch in der späteren Kindheit bestehen, verglichen mit Erwachsenen, weiterhin große Unterschiede in der Zusammensetzung des gastrointestinalen Mikrobioms. Vorherrschende Gattungen sind Firmicutes, Proteobacteria und Actinobacteria während Bacteroides in geringerer Menge vorkommen. Mit zunehmendem Alter finden sich vermehrt Merkmale, die mit Entzündungsprozessen und metabolischen Dysfunktionen assoziiert werden. Das Mikrobiom ist im Kindesalter bereits gefestigter als bei Neugeborenen. Dennoch ist es zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig gereift und unterliegt weiterhin einem dynamischen Prozess, der möglicherweise bis ins hohe Erwachsenenalter gesundheitliche Auswirkungen hat [11].
Das Mikrobiom bei Jugendlichen umfasst eine größere Anzahl an Clostridien spp. und Bifidobacteria spp. Bedingt durch Hormonschwankungen verändert sich die Zusammensetzung des Mikrobioms auch während dieser Lebensphase [11].
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Im Erwachsenenalter enthält das Mikrobiom hauptsächlich Firmicutes, Bacteroides und Proteobacteria. Das Verhältnis von Firmicutes zu Bacteroides schwankt je nach Lebensalter, Ernährungszustand und geographischer Lage. Abgesehen von diesen Schwankungen verbleibt das Mikrobiom im Erwachsenenalter in einem relativ stabilen Zustand. Ausnahmen bilden Störungen, die durch Infektionen, antibiotische Behandlung oder drastische Diäten hervorgerufen werden. Obwohl ein gesundes gastrointestinales Mikrobiom in der Lage ist, sich von diesen Störeinflüssen zu erholen, verändert sich die Zusammensetzung der Mikroorganismen schleichend. Dies führt zu den bekannten interindividuellen Unterschieden, die im Erwachsenenalter gegeben sind [11].
Mit zunehmendem Alter verändert sich die Zusammensetzung des gastrointestinalen Mikrobioms, wodurch die Gesundheit älterer Menschen beeinflusst werden kann. Das Mikrobiom weist im Vergleich zu jenem von jüngeren Erwachsenen einen größeren Anteil an Firmicutes im Verhältnis zu Bacteroides auf. Begleitend kommt es zu einem Rückgang der protektiven kommensalen Flora. Die Abnahme von Bacteroides, Bifidobacteria, Prevotella und Faecalibacterium prausnitzii sowie eine gleichzeitige Zunahme von Enterobacteriaceae sind mit einer geringeren Lebensqualität im höheren Alter assoziiert. Vermehrte Medikamenteneinnahme, diätbedingte Mangelernährung und Veränderungen des Hormonhaushalts spielen eine zentrale Rolle. Durch zunehmenden Zahnverlust und mangelnde Mundhygiene verändert sich mit zunehmendem Alter das orale Mikrobiom, das sekundär auf das gastrointestinale Mikrobiom und den Gesundheitszustand Einfluss nimmt [11].
Dysbiose
Pathologische Veränderungen des Mikrobioms korrelieren mit der Entstehung infektiöser und nichtinfektiöser Erkrankungen. Störungen in der Zusammensetzung des Mikrobioms, die als Dysbiose bezeichnet werden, resultieren in Entzündungen, Infektionen und sogar chronischen Erkrankungen. Es scheint jedoch nicht immer einen kausalen Zusammenhang zu geben [13]. Aufgrund der großen individuellen Vielfalt ist die Identifizierung krankmachender Komponenten des Mikrobioms besonders schwierig [7].
Während sich eine große Diversität an Mikroorganismen positiv auf den Organismus auswirkt, findet sich bei zahlreichen Erkrankungen, wie zum Beispiel bei Adipositas, entzündlichen Darmerkrankungen und Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2, eine mangelnde Vielfalt [7].
Auch externe Faktoren wie Medikamente beeinflussen das menschliche Mikrobiom negativ. Antibiotika werden mit einem Rückgang der Fülle und Vielfalt in Verbindung gebracht, der Tage bis Monate andauern kann und von dem sich das Mikrobiom nach abgeschlossener Antibiotikatherapie womöglich nie vollständig erholen wird [13]. Dies schwächt möglicherweise sogar die Fähigkeit, Pathogene zu bekämpfen [7]. Antibiotikatherapien schädigen sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen das intestinale Mikrobiom. Die ersten 3 Lebensjahre sind besonders wichtig für die Reifung des Mikrobioms, weshalb ein unüberlegter Einsatz von Antibiotika hier besonders schädlich ist [16]. Altersunabhängig wird die Zusammensetzung des Mikrobioms durch Faktoren wie geographische Lage, sozialer Status, Geschlecht und Genetik beeinflusst [11].
Des Weiteren hat übertriebene Sauberkeit, die in der westlichen Welt herrscht, negative Auswirkungen auf das gastrointestinale Mikrobiom. Durch übermäßige Hygiene wird neben einer Schädigung der Darmflora auch die Entstehung zahlreicher Allergien begünstigt [11]. Der steigenden Anzahl an Kaiserschnittentbindungen und dem Rückgang an stillenden Müttern wird ein erheblicher Einfluss auf diese Veränderungen zugeschrieben [19].
Merkmale zu finden, die ein gesundes von einem kranken Mikrobiom unterscheiden, würde bei der Diagnosestellung mikrobiomassoziierter Erkrankungen helfen und neue Möglichkeiten aufzeigen, wie diesen Erkrankungen vorgebeugt oder deren Prognose verbessert werden kann [7].
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
T. Köll und J. Brunner geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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