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Ärzte Woche

21.06.2024

Der gezielte Griff zu Heilpflanzen

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Infektionen, Wunden oder Magen-Darm-Probleme: Was wäre, wenn wir Menschen von den Schimpansen lernen könnten? Unsere tierischen Verwandten scheinen instinktiv Pflanzen mit medizinischen Eigenschaften zu verzehren, um ihre Beschwerden zu behandeln.

Wildlebende Schimpansen fressen viele verschiedene Pflanzen, darunter auch solche, die zwar nährstoffarm sind, aber die Symptome von Krankheiten behandeln oder lindern können. Bisher war es schwierig, festzustellen, ob Schimpansen sich selbst behandeln, indem sie absichtlich nach Pflanzen mit Eigenschaften suchen, die ihnen bei ihren spezifischen Beschwerden helfen, oder ob sie Pflanzen, die zufällig medizinisch wirken, passiv konsumieren.

Um dies zu untersuchen, kombinierte das Forscherteam um Dr. Fabien Schultz, Hochschule Neubrandenburg, und Dr. Elodie Freymann, School of Anthropology & Museum Ethnography der Universität Oxford, Verhaltensbeobachtungen an wildlebenden Schimpansen ( Pan troglodytes ) mit pharmakologischen Tests der potenziell medizinischen Pflanzen, die sie in ungewöhnlichen Situationen konsumieren.

Sie beobachteten 51 Schimpansen aus zwei Gemeinschaften im tropischen Budongo Regenwald in Uganda (PLOS One DOI: 10.1371/ journal.pone.0305219) . Danach sammelten sie 17 Proben von 13 Baum- und Kräuterarten aus dem Regenwald, von denen sie annahmen, dass die Schimpansen sie zur Selbstmedikation verwenden könnten. Dazu gehörten Pflanzen, die zuvor von kranken oder verletzten Schimpansen eingenommen oder aufgetragen wurden, die aber nicht zu ihrer normalen Ernährung gehörten. Die Pflanzenproben wurden dann an der Hochschule Neubrandenburg auf ihre entzündungshemmenden und antibiotischen Eigenschaften getestet, u. a. gegen klinische Isolate antibiotikaresistenter Bakterienstämme. Insgesamt wurden 53 Extrakte hergestellt und in vitro auf eine pharmakologische Wirkung untersucht.

Heilende Eigenschaften

Das Team fand heraus, dass 88 Prozent der Pflanzenextrakte das Bakterienwachstum hemmten, während 33 Prozent entzündungshemmende Eigenschaften aufwiesen. Das tote Holz eines Baumes aus der Familie der Hundsgiftgewächse ( Alstonia boonei) zeigte die stärkste antibakterielle Wirkung und hatte auch entzündungshemmende Eigenschaften, was darauf hindeutet, dass die Schimpansen es zur Behandlung von Wunden nutzen könnten. Alstonia boonei wird auch in einigen ostafrikanischen Dörfern als Heilpflanze zur Behandlung einer Vielzahl von krankhaften Zuständen verwendet, darunter bakterielle Infektionen, Magen-Darm-Probleme, Schlangenbisse und Asthma.

Die Rinde und das Harz des ostafrikanischen Mahagonibaums ( Khaya anthotheca ) und Blätter eines Farns ( Christella parasitica ) zeigten starke entzündungshemmende Effekte. Die Forschenden beobachteten, wie ein männlicher Schimpanse mit einer verletzten Hand die Blätter des Farns suchte und aß, was möglicherweise zur Linderung von Schmerzen und Schwellungen beitrug. Sie beobachteten auch, dass ein Individuum mit einer parasitären Infektion die Rinde des Katzendornbaums ( Scutia myrtina ) fraß, was bei den Schimpansen dieser Gruppe noch nie beobachtet worden war. Die Untersuchungen ergaben, dass diese Rinde sowohl entzündungshemmende als auch antimikrobielle Eigenschaften hat.

Die Ergebnisse beweisen, dass Schimpansen bestimmte Pflanzen aufgrund ihrer medizinischen Wirkung aufsuchen. Die Studie ist die bisher gründlichste Analyse, die verhaltensbiologische wie auch pharmakologische Belege für den medizinischen Nutzen des Verzehrs von Rinde und Totholz für wild lebende Schimpansen kombiniert.

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Metadaten
Titel
Der gezielte Griff zu Heilpflanzen
Publikationsdatum
21.06.2024
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 27/2024