Brustkrebs: Langfristig mehr Schaden als Nutzen durch adjuvante Bestrahlung?

30-Jahres-Daten rücken den Nutzen der adjuvanten Bestrahlung bei Mammakarzinom in ein kritisches Licht. Gerade bei jüngeren Frauen mit einer noch hohen Lebenserwartung könnten die langfristigen Schäden durch die Bestrahlung den Nutzen deutlich überwiegen. Mark Kostich / stock.adobe.com (Symbolbild mit Fotomodell) × Frauen in frühen Brustkrebsstadien wird nach einer brusterhaltenden Operation in der Regel eine adjuvante Strahlentherapie empfohlen. Solche Empfehlungen basieren auf kontrollierten Studien, die in den ersten zehn Jahren nach der Radiatio eine deutlich geringere Rezidivrate ergeben haben als bei Frauen ohne Bestrahlung. Bislang ist aber wenig darüber bekannt, ob die adjuvante Radiatio nur kurz- und mittelfristig oder auch längerfristig vor Rezidiven schützt. 30-Jahres-Daten der „Scottish Breast Conservation Trial“ (SCT) legen nun nahe, dass Frauen mit und ohne adjuvante Radiotherapie nach einem Zeitraum von zehn Jahren ähnlich häufig Rezidive entwickeln. Die Bestrahlung verhindert danach primär sich früh manifestierende Rezidive und den Tod durch Brustkrebs, führt aber zu einer erhöhten Sterberate an anderen Tumoren. An SCT nahmen zwischen 1985 und 1991 insgesamt 589 Frauen unter 70 Jahren teil, die einen Brusttumor mit einem Durchmesser von maximal 4cm aufwiesen. Nach einer weiten lokalen Exzision mit einem makroskopischen Rand von 1cm und Axillarknotenausräumung oder Knotenentnahme erhielten Frauen mit Östrogenrezeptor (ER)-reichen Tumoren fünf Jahre lang täglich 20mg Tamoxifen, während Patientinnen mit ER-armen Tumoren eine Chemotherapie bekamen, und zwar mit Cyclophosphamid, Methotrexat und Fluorouracil. Nach der Operation erhielt rund die Hälfte der Patientinnen nach dem Zufallsprinzip eine lokale oder lokoregionale Strahlentherapie (50Gy in 20–25 Fraktionen plus Boost), die andere Hälfte nicht. Alle Patientinnen, bei denen die axillären Knoten nicht entfernt wurden, bekamen eine Strahlentherapie der axillären und supraklavikulären Bereiche (etwa 45 Gy auf 20 Fraktionen). Im Mittel waren die Frauen 57 Jahre alt, drei Viertel hatten die Menopause hinter sich, rund 73% in beiden Gruppen hatten die Tamoxifen-Behandlung erhalten, rund 80% zeigten negative Lymphknoten. Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von fünf bis sieben Jahren war die lokoregionale Rezidivrate in der Gruppe mit Radiatio im Vergleich zur Gruppe ohne Strahlentherapie um 80% geringer, die Strahlentherapie hatte in dieser Zeit jedoch keinen Einfluss auf das Gesamtüberleben (OS). Mehr Todesfälle auf lange Sicht Ein Team um Dr. Linda Williams vom Krebsforschungszentrum in Edinburgh hat sich nun die 30-Jahres-Bilanz der adjuvanten Therapie angeschaut. 30 Jahre nach der Therapie waren 222 Frauen in der Gruppe mit und 221 ohne Radiotherapie verstorben, jeweils 49 und 59 waren noch am Leben, bei den übrigen 38 blieb der Status unklar. Das mediane OS wird mit 19,2 Jahren in der Gruppe mit sowie 18,7 Jahren in der Gruppe ohne Radiotherapie beziffert, die Differenz zugunsten der Radiotherapie erwies sich jedoch als nicht signifikant. Über den gesamten Nachbeobachtungszeitraum zeigten sich keine größeren Differenzen bei der Sterberate, nach 30 Jahren waren jedoch noch etwas mehr in der Gruppe ohne Radiotherapie als in der mit am Leben (28% versus 24%). Umgekehrt verhielt es sich mit der Brustkrebsmortalität: An ihrem Tumor waren letztlich 46% in der Gruppe ohne und 37% in der mit Bestrahlung verstorben, dafür traten in der Gruppe ohne Bestrahlung seltener tödliche Sekundärtumoren auf (11% versus 20%). Die Bestrahlung konnte also das Risiko für tödliche Rezidive senken, was offenbar aber mit einem erhöhten Risiko erkauft wurde, an anderen Tumoren zu sterben. Beide Risiken hielten sich über rund 20 Jahre hinweg die Waage, anschließend gingen die Mortalitätskurven zugunsten der Gruppe ohne Bestrahlung etwas auseinander. Dies könnte darauf deuten, dass die Bestrahlung über lange Sicht die Mortalität eher erhöht. Rezidivrate in den ersten zehn Jahren deutlich reduziert Ein klarer Vorteil der Bestrahlung ergibt sich bezogen auf Lokalrezidive: 16% der Frauen mit und 36% ohne Bestrahlung entwickelten solche in der Nachbeobachtungszeit, was unter Berücksichtigung diverser Begleitfaktoren einer Risikoreduktion um signifikante 49% entspricht. Frauen mit Chemotherapie und Tamoxifen schienen in ähnlicher Weise von der Bestrahlung zu profitieren, bei solchen mit ER-armen Tumoren unterschieden sich die Rezidivraten mit und ohne Bestrahlung jedoch nicht wesentlich, allerdings traten hier nur bei jeweils sechs und acht Frauen Rezidive auf. Die Rezidivrate war lediglich in den ersten zehn Jahren nach der Bestrahlung reduziert – und zwar um 76%. Frauen, die in den ersten zehn Jahren keine Rezidive entwickelt hatten, entwickelten solche in den Folgejahren dann ähnlich häufig (etwa 1% pro Jahr), egal ob sie bestrahlt worden waren oder nicht. In diese Richtung deuten inzwischen auch Langzeitdaten anderer Studien: Auch hier waren die Raten neu auftretender Rezidive nach acht bis zehn Jahren mit und ohne Bestrahlung weitgehend identisch. Die Radiatio scheine danach primär frühe Rezidive zu verhindern, erläutern Williams und Mitarbeitende, es gebe aber keinen „Carry-over-Effekt“, also keine Schutzwirkung über zehn Jahre hinaus. Die Langzeitdaten der SCT rücken den Nutzen der adjuvanten Bestrahlung in ein kritisches Licht: Gerade bei jüngeren Frauen mit einer noch hohen Lebenserwartung könnten die langfristigen Schäden durch die Bestrahlung den Nutzen deutlich überwiegen. Auf der anderen Seite haben sich Brustkrebstherapien und Bestrahlungstechniken in den vergangenen 30 bis 40 Jahren weiterentwickelt, was das Risiko-Nutzen-Verhältnis möglicherweise verbessert hat. Dies ließe sich jedoch wiederum nur über extrem lange Nachbeobachtungszeiten nachweisen, was zu einem anderen Problem führt: 30-Jahres-Daten wie in SCT sind die absolute Ausnahme, in der Regel werden große Krebsstudien nur über maximal zehn Jahre hinweg finanziert. Originalstudie: Williams JL et al.: Postoperative radiotherapy in women with early operable breast cancer (Scottish Breast Conservation Trial): 30-year update of a randomised, controlled, phase 3 trial. Lancet Oncol 2024; https://doi.org/nc36 Quelle: springermedizin.de

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