Einleitung
X-chromosomale Ursachen
Genetik, OMIM-Code | POI-Kandidatengene | POF- und Genlocus | Genfunktion, Inzidenz der Veränderung, assoziierte Pathologie (soweit bekannt) |
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X‑chromosomale Vererbung | |||
# 309550 | FMR1 | POF1 Xq27.3 | Das Gen enthält ein CGG-Basentriplett, dessen Expansion zum Fragiles-X-Syndrom führen kann; Assoziation der FMR1-Prämutation bei Frauen mit POI (bis zu 20 % POI bei PM-Trägerinnen). Siehe Artikel |
# 309548 | FMR2 (AFF2) (28) | POF1 Xq28 | Das Gen enthält ein GCC-Basentriplett, dessen Expansion auch zum Fragiles-X-Syndrom führen kann; erhöhte Inzidenz von Trinukleotidmikrodeletion bei Frauen mit POI (1,5 % bei POI vs. 0,04 % in der Kontrollgruppe) |
# 300108 | DIAPH2 | POF2 Xq21.33 | Eine 17-Jährige mit einer balancierten X;12-Translokation und einem Bruchpunkt in diesem Gen wies eine sekundäre, hypergonadotrope Amenorrhö auf; ihre Mutter bekam POI mit 32 Jahren |
# 300603 | POF1B (28) | POF2 Xq22.1 | Bindet nichtmuskuläre Aktinfilamente und hat dabei einen möglichen Einfluss bei der Keimzellteilung. Mutationen und Translokationen in diesem Bereich des X‑Chromosoms konnten in Einzelfällen bzw. in einer Familie mit familiärer POI nachgewiesen werden |
# 300510 | BMP15 | POF4 Xp11.22 | Oozytenspezifischer Wachstumsfaktor aus der Familie der BMP; Assoziation von Mutationen im BMP15-Gen bei Frauen mit POI/POF in bis zu 4,2 %. Siehe Artikel |
– | ZFX (29) | POF4 Xp p21.3-22.2 | Zfx-Knock-out-Mäuse sind infertil und zeigen eine reduzierte Anzahl primordialer Keimzellen und heranreifender Follikel sowie eine erhöhte Rate an Follikelverlust |
Autosomale Vererbung | |||
# 605597 | FOXL2 | POF3 3q22.3 | Transkriptionsfaktor aus der Familie der Winged-helix/forkhead-Transkriptionsfaktoren; Genmutationen mit BPES Typ 1 assoziiert, autosomal-dominanter Erbgang. Siehe Artikel |
# 610934 | NOBOX (30) | POF5 7q35 | Oozytenspezifisches Homöoboxgen Reguliert ovarielle Gene wie GDF9 und BMP15; Nobox−/−-Mäuse zeigen POI-Phänotyp. Mutationen waren assoziiert mit POI bei 7 von 96 untersuchten Frauen |
# 612310 | FIGLA (30) | POF6 2p13.3 | Oozytenspezifisch exprimiertes Gen für einen follikulogenesespezifischen Transkriptionsfaktor, der oozytenspezifische Gene reguliert, die u. a. bei der Bildung der Zona pellucida essenziell sind 3 Genvarianten in 4 von 100 untersuchten Chinesinnen mit POI gefunden |
# 612964 | NR5A1 (30) | POF7 9q33.3 | Transkriptionsfaktor, der an der Geschlechtsbestimmung beteiligt ist; Mutationen führen zu einer XY-Gonadendysgenesie |
# 615723 | STAG3 | POF8 7q22.1 | Codiert für eine Cohesinuntereinheit; wird bei der Meiose für die korrekte Paarung und Trennung der Chromosomen benötigt; homozygote Deletion bei einer konsanguinen palästinensischen Familie mit familiärer POI detektiert. Genduplikation bei 2 Schwestern mit POF aus einer konsanguinen libanesischen Familie |
# 615724 | HFM1 (30) | POF9 1p22.2 | ATP-abhängige DNA-Helikase, die bei der homologen Rekombination von Chromosomen in der Meiose vor allem in Keimzellen aktiv ist. Eine compound-heterozygote Mutation des Gens ist bei 2 Schwestern mit POI beschrieben. Eine weitere compound-heterozygote Mutation wurde beim Screening von 69 Chinesinnen mit sporadischer POI im Vgl. zu 316 Kontrollen identifiziert |
# 612885 | MCM8 und MCM9 (30) | POF10 20p12.3/6q22.31 | Minichromosome-maintenance-Proteine (MCM), die bei der Initiierung der eukaryotischen Genomreplikation essenziell sind. Mutation von MCM8 wurde bei 3 Schwestern mit prim. Amenorrhö, Hypothyreoidismus und hypogonadotropem Hypogonadismus identifiziert; 3/155 POI-Patientinnen mit sporadischer POI wiesen heterozygote MCM8-Mutationen, 7/151 POI-Patientinnen heterozygote MCM9-Mutationen auf |
# 616946 | ERCC6 | POF11 10q11 | Teil des Nukleotidexzisions-Reparaturmechanismus. Heterozygote Missense-Mutation wurde bei 4 Frauen mit POI aus 2 Generationen einer Han-chinesischen Familie detektiert In 2 von 432 Chinesinnen mit sporadischer POI wurde eine heterozygote Mutation gefunden |
# 616947 | SYCE1 (30) | POF12 10q26.3 | Beteiligt an der homologen Chromosomenpaarung während der Prophase 1 der Meiose; Syce−/−-Mäuse (männlich und weiblich) sind infertil und weisen kleinere Gonaden auf |
# 617442 | MSH5 | POF13 6q21.33 | Das zugehörige Protein ist am DNA-Mismatch-Reparaturmechanismus und der meiotischen Rekombination beteiligt. 2 Schwestern aus einer Han-chinesischen Familie wiesen eine Mutation auf und zeigten eine Oligomenorrhö direkt nach Menarche und 10 Jahre später eine folgende sekundäre Amenorrhö mit erhöhten FSH-Werten und Atrophie der Ovarien |
# 618014 | GDF9 | POF14 5q31 | Oozytenspezifischer Wachstumsfaktor, der mit BMP15 ein Heterodimer bildet. Siehe Artikel |
„Bone morphogenetic proteins“ (BMP)
BMP15 (Lokalisation Xp11.22, POF4-Locus)
FMR1 (Fragile-X-mental-retardation-1-Gen; Genlokalisation: Xq27.3, POF1-Locus)
Autosomale Ursachen
FOXL2 (Forkhead-box-L2-Gen; Genlokalisation: 3q22-23, POF3-Locus)
Gonadotropinrezeptorgene
FSHR (Follikelstimulierendes-Hormon-Rezeptor-Gen; Lokalisation: 2p16.3-p21)
AIRE (Autoimmunregulatorgen; Lokalisation 21q22.3)
POI durch Chromosomenfehlverteilungen
Fazit für die Praxis
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Die Ursachen für das Auftreten von Follikulogenesestörungen und einer „premature ovarian insufficiency“ sind multifaktoriell. Da zu einem relevanten Anteil auch genetische Ursachen vorliegen können, die einen möglichen Einfluss für die Betroffenen, aber zum Teil auch für deren Verwandte haben können, empfiehlt sich eine molekulargenetische Untersuchung, die folgende Punkte umfassen sollte:
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Die Erstellung eines Karyogramms ist angeraten, um das Turner-Syndrom (45,X0) wie auch DSD mit einem Y‑Chromosom (46,XY) klar zu identifizieren. Daraus ergeben sich gegebenenfalls weitere Risikostratifizierungen für die weitere Behandlung, je nach Ergebnis.
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Darüber hinaus empfiehlt es sich, auf Genebene eine FMR1-Prämutationsdiagnostik anzubieten: Bei einem positiven Befund können sich daraus für die Patientin selbst, aber auch für ihre weiblichen Verwandten klinisch relevante Konsequenzen in der weiteren Vererbung und auch für sie selbst ergeben.
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Bei entsprechendem Phänotyp ist aufgrund der autosomal-dominanten Vererbung von BPES Typ 1 ebenfalls eine FOXL2-Mutationsanalyse empfohlen.
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In bestimmten ethischen Gruppen ist auch eine FSHR-Mutationsanalyse ratsam.
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BMP15- und AIRE-Sequenzanalysen können diskutiert werden.