Die bipolare affektive Störung (BAS) zählt in der klinischen Versorgung zu den wichtigsten psychiatrischen Erkrankungen. Sie ist mit zahlreichen psychosozialen Belastungen für die betroffenen Personen sowie deren Angehörige verbunden. Kennzeichnend für die Erkrankung sind das Auftreten manischer und depressiver Episoden im Verlauf der Krankheit. Die Prävalenz der bipolaren affektiven Störung liegt bei etwa 1 bis 5 % der Bevölkerung. Aufgrund der Schwere der Erkrankung, der weitreichenden psychosozialen Konsequenzen sowie der begleitenden mentalen und somatischen Komorbiditäten stellt sie ein bedeutendes Forschungs- und Versorgungsthema in der Psychiatrie dar und erfordert weitere Untersuchungen.
Die bipolare affektive Störung betrifft um die 1 % der Bevölkerung
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Die pathophysiologischen Grundlagen der BAS sind bislang nicht vollständig geklärt. Es gibt jedoch zahlreiche Studien, die verschiedene biologische Marker untersuchen, von denen angenommen wird, dass sie an der Entstehung der Erkrankung beteiligt sind oder deren Verlauf beeinflussen können. Ein zentraler Forschungsschwerpunkt liegt daher auf der Identifikation von Zusammenhängen zwischen verschiedenen biologischen Markern, um Rückschlüsse auf die pathophysiologischen Mechanismen und Krankheitsfaktoren ziehen zu können.
Die Pathogenese der BAS scheint multifaktoriell zu sein, und es wurden zahlreiche biologische Marker im Blut identifiziert, die in unterschiedlichen Kontexten mit der Erkrankung in Verbindung stehen. So haben Marker, die auf eine allgemeine und unspezifische Entzündungsreaktion im System hinweisen, wie z. B. Interleukine, TNF und CRP, einen Zusammenhang mit verschiedenen Aspekten des Krankheitsverlaufs gezeigt – beispielsweise mit der Anzahl der Krankheitsphasen, der Gesamtdauer der Erkrankung sowie geschlechtsspezifischen Unterschieden. Diese Marker korrelieren auch negativ mit der Dauer einer phasenprophylaktischen Behandlung mit Lithium. Darüber hinaus wurden signifikante Veränderungen in der Gehirnstruktur festgestellt, darunter eine erhöhte Häufigkeit von Läsionen in der weißen Hirnsubstanz. Obwohl die Intensität und spezifische Lokalisation dieser Defizite in der weißen Substanz in der BAS heterogen zu sein scheinen, könnte deren Persistenz einen wichtigen biologischen Faktor für die Entstehung der Krankheit darstellen und steht in Zusammenhang mit klinischen Faktoren wie der kognitiven Funktion. Diese Veränderungen könnten beispielsweise durch erhöhte Entzündungsmarker im Blut von Patient:innen mit BAS beeinflusst werden. Auch unsere Studiengruppe konnte eine Assoziation zwischen systemischen Entzündungsmarkern und dem Krankheitsverlauf sowie der Krankheitsdauer zeigen, wobei eine negative Korrelation mit der Dauer der Lithiumbehandlung festgestellt wurde.
Neurofilamente (sNfL) könnten Biomarker für BAS sein
Veränderungen in der axonalen Integrität sowie Entzündungsmarker werden zunehmend als Prädiktoren für axonale Biomarker betrachtet, die im Kontext psychischer Erkrankungen, einschließlich der bipolaren affektiven Störung, von Interesse sind. Neurofilamente (NFL) zeigten signifikante Veränderungen im Kontext affektiver Störungen und anderer psychischer Erkrankungen. Neurofilamente sind zytoskelettale Komponenten von Neuronen, die eine Schlüsselrolle bei der Aufrechterhaltung der Größe und Form des Neurons spielen. Sie gehören zu den intermediären Filamenten, wobei „light“ sich auf das Molekulargewicht bezieht. Erkrankungen oder Prozesse, die neuronale und axonale Schäden verursachen, können die Konzentrationen von Neurofilament-Light (sNfL) in der cerebrospinalen Flüssigkeit (CSF) sowie im Blut erhöhen [1].
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Ein Anstieg der sNfL-Werte im CSF und Blut deutet auf neuroaxonale Verletzungen und Degeneration hin. Früher gab es Einschränkungen bei der Verwendung von sNfL aufgrund fehlender repräsentativer Referenzwerte. Eine Studiengruppe hat jedoch eine Referenzdatenbank erstellt, die alters- und body-mass-index-korrigierte Referenzwerte für sNfL unter Verwendung der Schweizer Kohorte zur multiplen Sklerose ableitet [2]. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass die sNfL-Perzentilen und Z‑Scores einen prädiktiven Wert für die Therapieansprache bei multipler Sklerose aufweisen. Derzeit wird sNfL allgemein als Marker bei der Behandlung und Diagnose von amyotropher Lateralsklerose, Alzheimer-Krankheit und multipler Sklerose verwendet.
Erhöhte sNfL-Werte korrelieren mit längerer Krankheitsdauer und manischen Episoden
Es gibt jedoch bislang nur wenig Wissen über die Rolle neuronenspezifischer Biomarker bei der bipolaren affektiven Störung [3]. Generell hat die Implementierung von Biomarkern in die klinische Praxis psychischer Erkrankungen noch keinen breiten Einzug gefunden. sNfL als spezifischer Marker für neuroaxonale Schäden wurde in der bipolaren affektiven Störung bisher kaum untersucht. Es existieren jedoch einige Berichte, die erhöhte sNfL-Werte (in cerebrospinaler Flüssigkeit und Blut) in heterogenen Gruppen von Personen mit BAS zeigen [4]. Dies könnte darauf hindeuten, dass der Anstieg von sNfL ein Marker für mikrostrukturelle neuronale Schäden sein könnte, die durch pathophysiologische Prozesse im Verlauf der Krankheit induziert werden und möglicherweise durch entzündliche Prozesse begünstigt werden.
In einer von unserer Studiengruppe durchgeführten Untersuchung wollten wir klären, ob sNfL, quantifiziert durch die ultrahoch empfindliche Single-Molecule-Array-Technologie (Simoa), mit der bipolaren affektiven Störung und deren Schweregrad in Zusammenhang steht. Interessanterweise fanden wir keine allgemeinen Unterschiede in den sNfL-Werten zwischen Personen mit bipolarer affektiver Störung und gesunden Kontrollpersonen. Betrachtet man jedoch die erkrankte Kohorte genauer, so stellten wir fest, dass Personen mit einer längeren Krankheitsdauer (> 3 Jahre) höhere sNfL-Werte aufwiesen als diejenigen mit einer Krankheitsdauer von weniger als 3 Jahren. Innerhalb der Patientengruppe gab es keine signifikante Veränderung der sNfL-Werte in den ersten drei Jahren der Krankheitsdauer. Weiterhin zeigten wir innerhalb der (BAS)-Untergruppe eine positive Korrelation zwischen der Anzahl manischer Episoden und den sNfL-Werten.
Diese Ergebnisse stimmen mit früheren Befunden überein, die zeigen, dass sNfL mit krankheitsspezifischen Variablen in psychiatrischen Erkrankungen assoziiert ist. Dies unterstreicht die Rolle von neuroaxonalen Markern bei der BAS. Die Querschnittsergebnisse, die eine Beziehung zwischen der Anzahl manischer Episoden und den sNfL-Werten zeigen, stimmen mit mehreren früheren Studien überein, die den Einfluss manischer Episoden auf neurodegenerative Marker in der CSF betonen [5]. In diesen Studien korrelierte Interleukin‑8 signifikant mit manischen/hypomanischen Symptomen und Episoden. Frühere Arbeiten unserer Gruppe zeigten ebenfalls eine spezifische Beziehung zwischen manischen Phasen und entzündlichen Parametern, die mit hs-CRP gemessen wurden [7, 6]. Diese Ergebnisse könnten auf eine wahrscheinliche Verbindung zwischen manischen Episoden und verschiedenen entzündlichen sowie neurodegenerativen Prozessen in der BAS hinweisen und sie möglicherweise als Zustands- oder Trait-Marker für die Erkrankung markieren.
Obwohl es keinen allgemeinen Unterschied in den sNfL-Werten zwischen den Kontrollgruppen und der gesamten Patientengruppe gab, fanden wir, dass die Krankheitsdauer möglicherweise durch die sNfL-Werte reflektiert wird. Die angenommenen neurodegenerativen Effekte der bipolaren affektiven Störung, insbesondere in Bezug auf die Mikrostruktur der Axone, werden als akkumulativer Effekt über Jahre hinweg betrachtet. In unseren Ergebnissen fanden wir eine signifikante Veränderung von sNfL nach einer Krankheitsdauer von drei Jahren. Zwar gibt es keine spezifischen Ergebnisse zu dieser Frage in der Literatur, jedoch zeigen Daten zur multiplen Sklerose, dass die Korrelation von sNfL mit MS-Schweregraden nach einem Zeitraum von 27 Monaten statistische Signifikanz erreicht – ein Zeitraum, der nahezu dem entspricht, den wir in unserer Studie beobachten konnten.
Der klinische Wert von sNfL, der bereits als prädiktiver Marker bei Erkrankungen wie multipler Sklerose, amyotropher Lateralsklerose und Creutzfeldt-Jakob-Krankheit etabliert ist, könnte auch bei der bipolaren affektiven Störung von Bedeutung sein. Angesichts der phänomenologischen Schnittmengen entzündlicher Erkrankungen wie MS und der bipolaren affektiven Störung, die beide einen zyklischen Verlauf und eine chronische Progression der Symptome aufweisen, gelten entzündungs- und neurobiologische Biomarker als vielversprechende Zukunftsperspektiven für die Therapie und Diagnose psychischer Erkrankungen.
Fazit für die Praxis
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Die bipolare affektive Störung stellt eine komplexe Herausforderung in der psychiatrischen Versorgung dar, sowohl aufgrund ihrer psychischen als auch psychosozialen Auswirkungen.
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Die Identifizierung biologischer Marker wie Neurofilamente (sNfL) bietet vielversprechende Ansätze für die Früherkennung und eine differenziertere Einschätzung des Krankheitsverlaufs.
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Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass erhöhte sNfL-Werte mit einer längeren Krankheitsdauer und einer höheren Zahl manischer Episoden korrelieren.
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Diese Marker könnten künftig als diagnostische Werkzeuge und Prognoseindikatoren in der klinischen Praxis eingesetzt werden, um die Behandlung individuell zu steuern und eine frühzeitige Intervention zu ermöglichen.
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Zudem unterstreichen die Ergebnisse die Bedeutung entzündungs- und neurobiologischer Prozesse bei der BAS, was neue Perspektiven für therapeutische Ansätze eröffnet.
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Ein verstärkter Einsatz solcher Biomarker könnte langfristig zu einer präziseren und effektiveren Behandlung der Erkrankung führen.
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Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
R.D.F. Queissner gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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