Sie gehen in die Tiefe: Dr. Marc Züst, Dr. Simon Ruch und Prof. Dr. Katharina Henke
Tom Willems / Universität Bern
Schweizer Forscher haben nachgewiesen, dass man tatsächlich im Tiefschlaf lernen kann. Das könnte Menschen mit Lernschwierigkeiten helfen.
Der Mensch kann selbst im Tiefschlaf lernen. Schweizer Forscher haben demonstriert, dass Menschen komplexe Informationen wie Worte und Bedeutungen im Schlaf unbewusst aufnehmen und im Wachzustand wieder abrufen können. Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin, Prof. Dr. Peter Young, spricht von einer bahnbrechenden Studie. „Dies ist eine neue Dimension des Verständnisses von Schlaf.“ Die Forscher hätten demonstriert, dass das Gehirn im Schlaf ohne Bewusstsein assoziativ Dinge lernen könne.
Die Psychologieprofessorin Prof. Dr. Katharina Henke und ihre Kollegen Dr. Marc Züst und Dr. Simon Ruch von der Universität Bern haben 41 Schlafende über Kopfhörer mehrfach mit Fantasiewörtern beschallt, denen sie jeweils unterschiedliche Bedeutungen zuordneten. Eine Versuchsperson hörte etwa „Guga – Vogel“, eine andere „Guga – Elefant“. Nach dem Aufwachen wurden sie befragt: Ist Guga ein großer oder kleiner Gegenstand, passt es in eine Schuhschachtel oder nicht?
Die Teilnehmer identifizierten nach dem Aufwachen 60 Prozent der Fantasiewörter korrekt als etwas Großes oder Kleines – so, wie sie es im Schlaf gehört hatten. Wichtig war es, die „Up-State“ genannte Schlafphase zu treffen. Dabei handelt es sich um Phasen, in denen alle Gehirnzellen gemeinsam aktiv sind.
Sie dauern nur eine halbe Sekunde und wechseln sich ab mit passiven Phasen („Down-State“) ohne Aktivität. In welcher Phase sich das Gehirn gerade befindet, lässt sich mit einem EEG-Gerät bestimmen, das die elektrische Aktivität des Gehirns misst.
Gedächtnisbildung sei also sowohl im bewussten als auch unbewussten Zustand möglich, sagte Mitautor Züst. „Wir wollten zeigen, dass man auch in unbewusstem Zustand lernen kann.“ Daraus lasse sich aber nicht die Empfehlung ableiten, sich generell nachts mit Informationen berieseln zu lassen in der Hoffnung, dass etwas hängen bleibe. Schließlich wisse man noch nicht, ob das nicht auch ungewollte Folgen haben könne.
Henke sieht eine mögliche Anwendung bei Menschen mit Lernschwierigkeiten. So könnten die Erkenntnisse zu einem zweistufigen Lernverfahren führen: Einmal die unbewusste Aufnahme im Schlaf durch Beschallung mit bestimmten Lerninhalten, verstärkt durch das Lernen der gleichen Inhalte im wachen Zustand. Der Schlafforscher Young sieht mögliche Anwendungsgebiete auch in der Rehabilitation nach einer Krankheit oder einem Unfällen.
„Die Studie zeigt noch einmal die Wichtigkeit von Schlaf für Lernvorgänge“, sagte Young. Bekannt war, dass Schlaf zur Lernkonsolidierung beitrage, also zur Verfestigung des zuvor Gelernten. „Wer abends Flöte spielt, kann das Stück oft morgens besser, weil der Lerneffekt bei gutem Schlaf konsolidiert wird“, sagte er. Dass auch ohne Bewusstsein im Tiefschlaf Assoziationen stattfinden, sei neu.
Originalpublikation:
Züst MA et al., Implicit Vocabulary Learning during Sleep Is Bound to Slow-Wave Peaks. Curr Biol 1/2019,DOI 10.1016/j.cub.2018.12.038