Wer bestimmt, was „normal“ ist? Dies lässt sich weder in der Gesellschaft noch in der Kunst oder der Psychiatrie fundiert und letztgültig beantworten. Den neuerdings populären Begriff des „New Normal“ hinterfragt die aktuelle Ausstellung im Kunstraum Dr. David in Wien aus unterschiedlichen Blickwinkeln.
„Frühlingsfluten“
Berenice Darrer
Zwischen Pop-Art und Impressionismus in leuchtender Farben- und Formenvielfalt, mit zügigen Pinselstrichen und oft pastosem Materialauftrag widmet sich Berenice Darrer unterschiedlichen Facetten gesellschaftlicher Normen und Lebensrealitäten. Die Symbolkraft ihrer Bildobjekte vereint sie, wie sie selbst sagt, wie in einem Kaleidoskop zu verschiedenen Erzählsträngen im Gesamtbild. Wie im Kaleidoskop kann sich die Bedeutung freilich durch kleine Wendungen und neue Blickwinkel immer wieder verändern.
Einflüsse aus Japan
Zunächst in Windhoek in Namibia aufgewachsen und 1982 mit sechs Jahren nach Österreich übersiedelt, studierte Berenice Darrer von 1995 bis 2000 an der Universität für angewandte Kunst Malerei. Beeinflusst in ihrer Bildsprache wurde sie nicht zuletzt durch japanische Holzschnitte aber auch Mangas, die sie während eines sechsmonatigen Studienaufenthalts in Tokyo kennen und schätzen lernte.
„Icon“
Berenice Darrer
Symbole und Deutungsoptionen
Was auf den ersten Blick in üppiger Farben- und Formenpracht mit Ölfarbe auf Leinwand oder Karton fröhlich-unbeschwert erscheint, regt bei näherer Betrachtung zum Nachdenken und Deuten an: In der Flusslandschaft ist das weibliche Wesen mit Blumen im Haar nicht unbedingt beim erfrischend-entspannenden Bad zu sehen, vielmehr scheint sie im über die Ufer getretenen Gewässer, so wie auch einige der Bäume, in den „Frühlingsfluten“ versunken zu sein sein. Darrer gibt mit den Bildtiteln Andeutungen und Hinweise auf das Geschehen, spielt die nähere Interpretation dann aber gerne dem Betrachter zu. Da klärt sich das rot dominierte, vermeintlich idyllische Stillleben mit Äpfeln und Zitronen durch die Bezeichnung „Mademoiselle“ als offenkundig romantisch-erotische Darstellung auf. Ablaufdatum inbegriffen. Ist die Vergänglichkeit doch dem Stillleben eingeschrieben und auch die prallste Frucht wird irgendwann an Frische verlieren.
„Mademoiselle“
Berenice Darrer
Mit seinen streng abgegrenzten Linien im Hintergrund und am Gewand der Protagonistin weckt „Black and White“ Assoziationen zu den gesellschaftlichen und kulturellen Normen, mit denen sich die rothaarige junge Frau exemplarisch in Form eines sich entleerenden Abfallkorbs abmüht. Das Prinzip der vorgegebenen Normen kehrt ganz typisch auch im schachbrettartigen Bodenmuster in „Let’s not do this again“ wieder. Hier findet sich die diesmal schwarzhaarige Protagonistin allerdings inmitten von um sie herumtreibenden bunten Objekten und blickt neugierig in den Korbbehälter, was dieser noch bereithalten mag.
„Let’s not do this again“
Berenice Darrer
Aufforderung zur Reflexion
Den seit einigen Jahren häufig gebrauchten Begriff des „New Normal“, der sich im Zuge der Pandemie sehr stark auf die Arbeitswelt bezieht, aber auch für die politische und andere gesellschaftliche Dimensionen verwendet wurde, greift die Ausstellung mit Berenice Darrers Bildern im Kunstraum Dr. David aus verschiedenen Blickwinkeln kritisch auf. Wie in der Psychiatrie, dem Arbeitsfeld des Gastgebers, Dr. Harald David, gehe es in der Kunst zunächst nicht um ein vorgegebenes System, in das Phänomene eingepasst werden, sondern um die Wahrnehmung ebendieser Phänomene, die man dann versuchen könne, zuzuordnen oder noch besser, einfach zu beschreiben. Eine Definition von „normal“ orientiert sich an Werten einer Mehrheit, Minderheiten kommen hier meist zu kurz. Was „normal“ sei, entspreche immer einem Durchschnitt, der bestenfalls als grobe Orientierung, aber nicht als anzustrebendes Ziel gelten sollte: „Der Titel ‚New Normal‘ ist eine Aufforderung zur Reflexion über das, was für uns im Rahmen des Verständlichen ist.“
„Black and White“
Berenice Darrer