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Ärzte Woche

08.01.2024 | Onkologie und Hämatologie

Meilensteine der Krebsforschung

verfasst von: Christoph Zielinski

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Vor der Gesellschaft der Ärzte in Wien fasste Prof. Dr. Christoph Zielinski in einem Vortrag zusammen, wie bahnbrechende Erkenntnisse in der Onkologie die Wissenschaft und Therapielandschaft über die Zeit verändert haben.

Die Onkologie hat sich in den letzten Jahrzehnten und Jahren stürmisch entwickelt – ein Beispiel für den allgemeinen medizinischen Fortschritt in jüngster Zeit. Wir haben in der Onkologie eine Vielzahl an neuen Aspekten erlebt.

Im Jahr 1975 hat César Milstein erstmals monoklonale Antikörper entwickelt – ein wichtiger Fortschritt in der Therapie, aber auch in der Diagnostik von Krebserkrankungen. Ein weiterer Meilenstein war die Entdeckung molekularer und genetischer Veränderungen im Krebsgewebe, wie zum Beispiel das Retinoblastom-Gen oder Tyrosinkinase Src. In den 1980er-Jahren haben wir verstanden, dass auch Viren ursächlich sein können für die Entwicklung von Krebs, was mit der Verleihung des Nobelpreises an Harald zur Hausen anerkannt wurde. Besonders wichtig waren ab den 1940er-Jahren die Chemotherapeutika, aber seit den 2000er-Jahren nimmt ihre Bedeutung ständig ab. Der „Cancer Genome Atlas“, begonnen im Jahr 2006, der über 20.000 Karzinome analysiert hat, hat zu einem kompletten Umdenken geführt. Man hat entdeckt, dass gewisse molekulare Prädispositionen mit bestimmten Krebserkrankungen assoziiert sind, und hat damit die Voraussetzung geschaffen, dass genau auf diese molekularen Veränderungen zielende Medikamente entwickelt werden können.

Aus „Krebs“ wurden viele verschiedene Erkrankungen

Bei Lungenkrebs haben diese neuen Erkenntnisse die alten Einteilungen über den Haufen geworfen: Lange Zeit war es üblich, de facto drei Arten von Lungenkrebs zu unterscheiden: das kleinzellige und das nicht-kleinzellige Lungenkarzinom, das meist entweder ein Adenokarzinom und ein Plattenepithelkarzinom war. Die seither gefundenen molekularen Veränderungen charakterisieren den Lungenkrebs völlig neu – und stellen ihn auch völlig neu dar: Wir können heute Lungenkrebs nicht mehr als eine einzige Entität auffassen. Es sind auf molekularer Basis viele verschiedene Erkrankungen, die einer unterschiedlichen Therapie bedürfen. Ein Ausklammern der molekularen Diagnostik bei Lungenkrebs wäre heute eine schwere Unterlassung, weil sie Patienten effektive Therapie vorenthalten könnte.

Wir wissen heute genauso, dass es bei Patientinnen mit Mammakarzinom viele verschiedene Erkrankungen gibt. Sie sind zwar in der meist weiblichen Brust lokalisiert, dürfen aber keineswegs in der gleichen Art und Weise behandelt werden, weil sie spezifische molekulare Eigenschaften haben oder eben nicht, was die Therapie im Früh- wie Spätstadium der Erkrankung prädeterminiert.

Beim Kolonkarzinom kennen wir das linksseitige und das rechtsseitige Karzinom, die sich aufgrund ihrer Embryogenese unterscheiden. Somit benötigt das rechtsseitige Kolonkarzinom aufgrund seiner molekularen Eigenschaften meist eine ganz anderen Therapie als das linksseitige Kolonkarzinom. Ähnlich beim Melanom: Etwa 50 Prozent der malignen Melanome weisen eine BRAF -Mutation auf, und diese Mutation ist für uns ein ganz wichtiger Maßstab für therapeutische Möglichkeiten.

Im Jahr 2010 hat Prof. Douglas Blayney – damals Präsident der American Society of Clinical Oncology – das so zusammengefasst: „Wir bewegen uns weg von der Klassifizierung von Tumoren auf der Grundlage ihres Aussehens unter dem Mikroskop und hin zu einer dynamischen Klassifizierung auf Grundlage der Signalwege, die an bestimmten Punkten des Krebskontinuums aktiv sind und die Malignität vorantreiben.“

Ich selbst war Ko-Autor einer Studie zu BRAF -mutierten Karzinomen der Schilddrüse, malignen Melanomen, Gliomen des Gehirns, Gallenblasenkarzinomen und Hodentumoren. Dabei konnten wir zeigen, dass wir bei all diesen Tumoren einen Vorteil bei der Behandlung haben, wenn man sie mit einer auf die BRAF -Mutation gezielten Therapie behandelt. Auf dieser Basis haben wir einen neuen Therapieweg eingeleitet und neue Behandlungsformen etabliert. Bis dahin war zum Beispiel nicht bekannt, dass beim Gallenblasenkarzinom BRAF -Mutationen vorkommen und therapeutisch ausgenützt werden können. Auch das medulläre Schilddrüsenkarzinom ist ein häufig BRAF mutierter Tumor: Hier ist es gelungen, einen völlig neuen Behandlungsweg aufzuzeigen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass wir heute sehr häufig entlang der molekularen Veränderungen behandeln, die bei verschiedenen Tumoren auftreten, und nicht so sehr oder unbedingt nach dem Ursprung des Tumors.

Fortschritt durch Immuntherapie

Ein weiteres hochaktuelles Thema ist die Immuntherapie bei Patientinnen und Patienten mit Malignomen. Nils Jerne hat 1984 – gemeinsam mit Georges Köhler – den Nobelpreis für seine Hypothese des zugrunde liegenden Mechanismus in der Unterscheidung von Selbst und Nicht-Selbst durch das körpereigene Immunsystem bekommen. Dieses Konzept beschreibt, dass das Immunsystem sich im Regelfall nicht selbst abstößt. Abgestoßen wird nur, was als „fremdes Gewebe“ – z.B. Mikroorganismen oder Transplantate – erkannt wird. Und das hat zur Frage geführt, ob Tumoren als eigen oder fremd erkannt werden – und falls sie als fremd erkannt werden, warum sie dann nicht abgestoßen werden. Das Ergebnis war, dass Tumorzellen zwar als fremd erkannt werden, aber dass sie die sie zu eliminieren versuchenden T-Zellen in einer Vielzahl an Fällen physisch von sich „weghalten“. Jim Allison und Tasuku Honjo haben gezeigt, dass es Antikörper gibt, die diese Barriere inaktivieren können, wodurch T-Zellen Tumorzellen eliminieren können. Das war der zweite große Durchbruch der letzten Jahrzehnte. Allison und Honjo haben 2018 dafür den Medizin-Nobelpreis bekommen.

Immuntherapien werden heute in etwa zwanzig verschiedenen Indikationen in der Tumortherapie eingesetzt. Sie haben signifikante Verbesserungen gebracht, indem sie in vielen Fälle die Dauer des erkrankungsfreien Überlebens und die Dauer des Gesamt-Überlebens signifikant verlängern können. Wir sehen etwa, dass etwa 40 Prozent der Patienten mit nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom mit gewissen Charakteristika nach fünf Jahren noch am Leben sein können. Ein unglaublicher Fortschritt, wie wir ihn noch nie gesehen hatten. Ein Fortschritt, der sich übersetzt hat in Zahlen, die wir bis dahin noch nie hatten: Zum ersten Mal in der Geschichte der Onkologie ging die Todesrate über alle Tumoren hinweg von 2016 auf 2017 um 2,2 Prozent zurück. Und seitdem ist das jedes Jahr mehr oder weniger so.

Seit dem Jahr 2010 werden kaum noch neue Chemotherapeutika zugelassen. Zugelassen werden sehr, sehr viele gezielt wirksame molekulare Substanzen. Aber wir erleben auch die Zulassung bereits bekannter Medikamente für neue Indikationen. Dadurch ist das maligne Melanom in vielen Fällen zu einer behandelbaren Krankheit geworden, ähnlich das Nierenkarzinom, das nichtkleinzellige Bronchialkarzinom oder eine gewisse Untergruppe von Tumoren der Brust.

Immer bessere Medikamente für immer kleinere Patientengruppen

Weil wir aber heute immer genauer testen müssen, weil wir immer kleinteiliger auf Karzinome schauen, entsteht eine große Herausforderung: Wir haben hervorragende Medikamente, die allerdings nur bei einem geringen Prozentsatz von Patientinnen und Patienten mit einer gewissen Diagnose aufgrund ihrer molekularen Charakteristika wirken. Aber um herauszufinden, ob ein Medikament angewendet werden kann, das in zum Beispiel 0,7 Prozent der Fälle hilft, müssen wir 100 Prozent aller Patienten testen, um zu einem positiven Ergebnis bei gerade denjenigen zu gelangen, die einen Vorteil aus der dann gezielten Therapie ziehen. Daraus ergibt sich, dass nicht nur die neuen Medikamente teuer sind:

Es spielen auch die Kosten der Diagnostik eine wesentliche Rolle. Es wird daher immer wichtiger, dass wir Biomarker-definierte Populationen haben und dann in Abhängigkeit davon Medikamente einsetzen können. Abschließend ist zu sagen, dass wir heute erst am Anfang dieser Entwicklung stehen. Die Zukunft wird so aussehen, dass wir immer mehr an gezielt einsetzbaren Medikamenten haben, die immer mehr kleine Patientenpopulationen versorgen werden. Wenn die Erkrankungen in immer mehr Subgruppen „zerfallen“, werden wir ihnen immer mehr unterschiedliche Medikamente, die auf die jeweilig charakterisierte Subgruppe eingehen, geben müssen. Wir sind am Anfang eines erfolgreichen Weges, aber das Ende ist noch weit entfernt.

Redaktion: Josef Broukal

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Metadaten
Titel
Meilensteine der Krebsforschung
Publikationsdatum
08.01.2024
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 1-3/2024

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