Ein testosteronproduzierender Tumor der Nebennierenrinde kann eine seltene Ursache für eine Virilisierung bei präpubertären Mädchen sein.
Typischerweise sind Nebennierenkarzinome im Kindesalter hormonaktiv und unterscheiden sich dadurch von den Tumoren im Erwachsenalter. Der Androgenexzess führt darüber hinaus zu rasch progredienten Symptomen einer Pseudopubertas praecox mit beschleunigtem Längenwachstum und deutlich akzeleriertem Knochenalter. In der Mehrheit der Fälle kann ein meist fortgeschrittenes Stadium eines adrenokortikalen Karzinoms nachgewiesen werden. Eine frühe Diagnose durch den pädiatrischen Endokrinologen kann zu einer Verbesserung der Prognose führen.
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Einleitung
Das adrenokortikale Karzinom (ACC) ist ein sehr seltener maligner endokriner Tumor mit einer geschätzten Inzidenz von 0,2–0,3 Patient:innen pro 1 Mio. bei Betroffenen unter 20 Jahren. Die Manifestation erfolgt im Kindesalter in zwei Häufigkeitsgipfeln unter 4 Jahren und in der Adoleszenz über 10 Jahren (Abb. 1). Mädchen sind häufiger betroffen als Knaben mit einer Ratio von 2:1 [2, 3]. Die Differenzierung der adrenokortikalen Tumoren als adrenokortikales Adenom oder Karzinom erfolgt histologischen nach den Wieneke-Kriterien (Tab. 1). Pädiatrische Adenokarzinome sind in über 90 % hormonproduzierend im Vergleich zu adrenokortikalen Karzinomen im Erwachsenenalter. Die überwiegende Anzahl der Patient:innen präsentiert sich mit einer Virilisierung, ein kleiner Anteil (ca. 5 %) wird mit einem Cushing-Syndrom ohne Virilisierung auffällig. Laut Angaben in der Literatur sind 44 % der Patienten einem TNM-Stadium I, 25 % einem Stadium II, 13 % einem Stadium III und 17 % einem Stadium IV zuzuordnen [4]. Ein fortgeschrittenes Tumorstadium bei Diagnose mit regionaler Ausbreitung oder ein metastasierender Befall, vorwiegend in Leber und Lunge, verschlechtert die Prognose deutlich [4].
Adrenokortikale Karzinome sind in der Regel monoklonal und können sporadisch auftreten oder im Rahmen von Tumorprädispositionssyndromen, von denen das P53-assoziierte Li-Fraumeni-Syndrom die häufigste Ursache darstellt [5, 6].
Wieneke-Kriterien für Malignität eines adrenokortikalen Tumors im Kindesalter
Tumorgewicht > 400 g
Nein
Tumorgröße > 10,5 cm
Nein
Ausbreitung über die Organgrenzen/Metastasen
Nein
Invasion in die Vena cava
Nein
Venöse Invasion
Ja
Invasion in die Kapsel
Ja
Nachweis von Tumornekrose
Nein
> 15 Mitosen pro 20 high power field
Ja
Nachweis von atypischen Mitosefiguren
Ja
Tumoren mit ≤ 2 Kriterien werden als benigne klassifiziert, ≥ 4 Kriterien maligne, 3 Kriterien intermediate
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Grundlagen
Die Nebenniere besteht aus zwei embryonal unterschiedlichen Anteilen, die unterschiedliche Tumoren produzieren. Die Nebennierenrinde entwickelt sich aus dem Mesoderm, während das Nebennierenmark aus dem Neuroektoderm der Neuralleiste entsteht [7]. Nebennierenadenome und -karzinome sind den fetalen kortikalen Strukturen zugeordnet, Neuroblastome und Phäochromozytome dem Nebennierenmark. Bei Kindern kann ein Tumor sporadisch entstehen, allerdings ist nicht selten ein genetischer Hintergrund nachweisbar. Pädiatrische adrenkortikale Karzinome sind am häufigsten mit einem Li-Fraumeni-Syndrom assoziiert. Das Li-Fraumeni-Syndrom wird durch eine Keimbahnmutation im TP53-Tumorsuppressorgen verursacht, welches für p53 einen Transkriptionsfaktor codiert. Keimbahnmutationen kommen in ungefähr 50 % der Kinder mit ACC vor, im Erwachsenenalter sind diese Mutationen viel seltener. Bekannt ist eine 10- bis 15fach erhöhte Inzidenz im Süden von Brasilien vermutlich aufgrund der Keimbahnmutationen (p.R337H) im TP53-Gen [8‐10]. Die Mutation ist in dieser Population häufig, zeichnet sich jedoch durch eine geringe Penetranz aus. Es existiert ein erfolgreiches Neugeborenenscreening, was zu einer frühen Diagnose von adrenokortikalen Karzinomen in dieser Population geführt hat [11]. Pädiatrische ACCs sind auch mit einem Beckwith-Wiedemann-Syndrom assoziiert, einem Makrosomiesyndrom mit Makroglossie, Organomegalie und Omphalozele. Dieses Syndrom wird durch eine Imprintingstörung am Chromosom 11p15 verursacht. Neben einem erhöhten Risiko für Wilms-Tumor und Hepatoblastom verursacht eine IGF2-Überproduktion ein erhöhtes Risiko für ACCs. Andere hereditäre Tumorsyndrome wie multiple endokrine Neoplasie Typ 1 (MEN1), Lynch-Syndrom, Neurofibromatose Typ 1 (NF1) und Carney Complex spielen eine untergeordnete Rolle. MEN1 ist meist mit Nebennierenadenomen vergesellschaftet.
Pädiatrisches adrenokortikales Karzinom (ACC)
Das adrenokortikale Karzinom im Kindesalter verhält sich grundsätzlich anders als im Erwachsenalter [3, 4, 12]. Neben der unterschiedlichen klinischen Manifestation, den molekularen und histopathologischen Veränderungen wird angenommen, dass sich das ACC im frühen Kindesalter möglicherweise aus anderen embryonalen Gewebsstrukturen entwickelt [1]. Daher wurde von Michalkiewicz et al. ein „International Pediatric Adrenocortical Tumor Registry“ erstellt, in dem Patientinnen bis zum 20. Lebensjahr registriert sind [2]. Der entscheidende Unterschied ist, dass pädiatrische ACCs fast immer hormonaktiv sind zum Unterschied von Erwachsenen mit weniger als 50 %. Eine Virilisierung stellt das häufigste klinische Symptom dar, ein Cushing-Syndrom wird selten diagnostiziert. Abhängig von der Tumorgröße wird eine komplette Resektion in > 80 % erzielt. Ab den Tumorstadium II wird eine erweiterte Resektion mit Lymphknotendissektion durchgeführt, Patienten mit Stadium III–IV mit primär disseminiertem Befall oder Patienten mit einem Resttumor werden mit Mitotan, Cisplatin, Etoposid und/oder Doxorubicin behandelt [1, 13]. Die komplette Resektion ist eine wichtige Voraussetzung für eine Remission. Eine Tumorbiopsie sollte vermieden werden, um die Kapsel nicht zu verletzten. Pädiatrische Patienten unter 4 Jahren haben grundsätzlich eine gute Prognose, während eine Metastasierung bei Diagnose die Prognose stark verschlechtert.
Die 5‑Jahres-Überlebensrate ist abhängig vom Tumorstadium bei Diagnose und beträgt 30–70 % [2, 14, 15]. Die Prognose für Patienten mit Metastasierung ist ungünstig und wird mit < 20 % angegeben.
Die Symptomatik einer Virilisierung sollte als dringender Hinweis erachtet werden, eine umfassende endokrinologische Abklärung zu starten. Die Symptomatik ist geschlechtsabhängig. Bei Mädchen fallen eine Klitorisvergrößerung, Adrenarche, Hirsutismus, Wachstumsbeschleunigung und Stimmbruch auf, bei Knaben zusätzlich ein vorzeitiges Peniswachstum mit präpubertärem Hodenvolumen. Aufgrund des hohen Anteils von endokrin aktiven Tumoren kann eine frühzeitige Vorstellung und Abklärung durch eine:n Endokrinolog:in die Prognose der pädiatrischen Patienten wesentlich verbessern.
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Fallbericht
Unauffällige Familien Anamnese, Termingeborenes, Geburtsgewicht 3688 g, Länge 51 cm mit unauffälliger postnataler Entwicklung. Im Alter von. 3,5 Jahren wurde erstmals ein Klitoriswachstum beobachtet, welches im Verlauf fortschreitend war. Im Alter von 4,5 Jahren traten Zeichen einer rasch progredienten prämaturen Adrenarche, Behaarung im Pubesbereich und der großen Labien auf. Aufgrund der zunehmenden Virilisierung und der Pubesbehaarung erfolgte eine endokrinologische Vorstellung. Anamnestisch konnten zeitgleich ein Wachstumsschub sowie Entwicklung einer Akne und Stimmbruch erhoben werden. Klinisch zeigte sich ein virilisiertes weibliches Genitale mit Klitoromegalie und einer prämaturen Pubesbehaarung (PH2) ohne Achselbehaarung und Thelarche (Abb. 2).
Abb. 2
a Hypertrophe Klitoris, große Labien pigmentiert, gekräuselte Pubesbehaarung P2, b Ostium der Urethra regelrecht vor Vaginalöffnung
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In der auxiologischen Dokumentation im Alter von 5 Jahren ließ sich der anamnestisch beschriebene Wachstumsschub mit 12,5 cm/Jahr objektivieren, Länge 119 cm (P97), Gewicht 22,2 kg (P90–97) zusätzlich war das Knochenalter mit 9 Jahren deutlich akzeleriert. Bei initialem Verdacht auf das Vorliegen eines nichtklassischen adrenogenitalen Syndroms wurde ein ACTH-Stimulations-Test durchgeführt mit einem basalen Cortisol von 6,6 μg/dl und maximalem Anstieg nach 60 min von 11 μg/dl, was einem grenzwertig erniedrigten Anstieg entsprach, Der 17-Hydroxy-Progesteron-Wert war basal normal und nach Stimulation nicht angestiegen. Nachdem ein klassisches adrenogenitales Syndrom (AGS) auszuschließen war, wurde ein atypisches AGS in Erwägung gezogen. Unter dem Therapieversuch mit Hydrocortison kam es im Verlauf zu weiter ansteigenden Testosteronwerten und fortschreitender Virilisierung. Im Alter von 5 Jahren war laborchemisch Testosteron schließlich mit 2,54 g/l massiv erhöht, LH/FSH-Werte < 0,1 U/l waren supprimiert, Dehydroepiandrosteron (DHEAS) 0,8 mg/l lag etwas über dem oberen Normwert, die Cortisolwerte waren nicht erhöht, ansonsten fanden sich unauffällige Befunde. Das Harn-Steroidmetabolom bestätigte eine erhöhte Testosteronausscheidung, leicht erhöhte C‑19-Steroide (DHEAS-Metabolite) als Hinweis für einen androgenproduzierenden Tumor. Die vorliegenden Befunde wurden als Pseudopubertas praecox interpretiert. Eine sonographische Untersuchung des Abdomens zeigte keine Auffälligkeiten. Mittels MRT konnte ein ca. 2 × 3 cm großer Tumor der linken Nebenniere nachgewiesen werden (Abb. 3). Der Tumor konnte laparoskopisch in toto entfernt werden (TNM 1, R0-Resektion), wobei die Testosteronproduktion innerhalb von drei Tagen unter die Nachweisgrenze sank. Die histologische Aufarbeitung bestätigte ein adrenokortikales Karzinom mit 4 Punkten nach den Wieneke-Kriterien [16]. Diese Kriterien stellen ein valides Punktesystem dar für die Einschätzung der Malignität im Kindesalter. Es werden maximal 9 Punkte vergeben, wobei ab 4 Punkten die Malignitätskriterien erfüllt sind (Tab. 1). Ein Tumorprädispositionssyndrom oder eine Keimbahnmutation, insbesondere ein Li-Fraumeni-Syndrom, konnte genetisch ausgeschlossen werden. Aufgrund der frühen Diagnose wird nach kompletter chirurgischer Resektion eine engmaschige onkologische Kontrolle durchgeführt. Eine Chemotherapie musste nicht verabreicht werden.
Abb. 3
In der koronalen TIRM (a), der transversalen fBLADE fs (c) und der sagittalen HASTE (d) lässt sich eine umschriebene, inhomogene, kugelige Raumforderung mit multiplen kleinzystischen Anteilen und maximal 3,4 cm Durchmesser in der linken Nebennierenloge abgrenzen. Diese erweist eine generalisiert hypointese Signalgebung in der nativen koronalen T1 TSE (b). Tumor jeweils mit Pfeilen und Kreis markiert
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Befunde
Modus (MRT-Sequenzenprotokoll)
1,5 T Abdomen mit Becken-MRT mit Anfertigung folgender Sequenzen: TIRM koronal, T1 TSE koronal, T2-Haste sagittal, T2 BLADE fs transversal, DWI transversal, T1-VIBE Dexon transversal nativ und mit KM, T2-TSE transversal und sagittal (Becken), T2 SPS sagittal (Becken). Insgesamt problemlose i.v. Gabe von 2 ml Gadovist. Komplikationslose Untersuchung erfolgt in Vollnarkose.
Zusammenfassung/Ergebnis
1.
Unklare umschriebene T2-inhomogene, T1-nativ-hypointense, inhomogen KM-enhancende, nicht diffusionsgestörte, kugelige Raumforderung mit ca. 1,7 × 3,4 × 2,6 cm DM in der linken Nebennierenloge mit lediglich geringem (ca. 8 %igem) Signalabfall von in- zur opposed-phase; DD hormonaktives Nebennierenadenom, DD adrenokortikales Karzinom nicht sicher auszuschließen.
Bild eines Phallus mit Schwellkörper. Keine eindeutigen Hoden/Samenbläschen fassbar.
Histologie
Formationen eines adrenokortikalen Tumors nach den Wieneke-Kriterien, soweit beurteilbar (Kapselinvasion, Veneninvasion, mehr als 3 Mitosen/mm2, atypische Mitosen), somit einem adrenokortikalen Karzinom entsprechend.
Schlussfolgerung
Ein testosteronproduzierender Tumor der Nebennierenrinde kann eine seltene Ursache für eine Virilisierung bei präpubertären Kindern sein. Insbesondere, da die Mehrzahl dieser Tumoren maligne und die Prognose vom Stadium der Erkrankung abhängig ist, sollte der Kinderfacharzt bei Kindern bis zum 5. Lebensjahr frühzeitig eine endokrinologische Abklärung veranlassen.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
D. Griss, U. Weber, A. Tatzreiter, D. Morell-Hofert und E. Steichen-Gersdorf geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patient/-innen zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern/Vertreterinnen eine schriftliche Einwilligung vor.
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