Open Access 20.03.2024 | Journal Club
Präemptiver TIPS vor extrahepatischen Operationen bei Leberzirrhose: Wer profitiert?
Erschienen in: Schweizer Gastroenterologie | Ausgabe 1/2024
Originalpublikation
Piecha F, Vonderlin J et al (2023) Preoperative TIPS and in-hospital mortality in patients with cirrhosis undergoing surgery. JHEP Rep. 6(1):100914.
Hintergrund.
Bedürfen Patient:innen mit Leberzirrhose einer Operation jeglicher Art, so ist diese mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität assoziiert, v. a. wenn bereits Zeichen der Dekompensation bestehen [1, 2]. Dies gilt nicht nur für die Leberchirurgie, sondern auch für extrahepatische Operationen [3, 4].
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Um das perioperative Risiko einschätzen zu können, wurden in der Vergangenheit verschiedene Scores evaluiert. Sowohl der MELD (Model for End-Stage Liver Disease) als auch der Child-Pugh-Turcotte-Score scheinen zwar eine grobe Risikoeinschätzung zu erlauben [5], sie berücksichtigen jedoch nicht die grosse Spannbreite abhängig von der Art und Komplexität der Operation. Hierfür wurden die Scores weiterentwickelt, und so beinhaltet der Score der Mayo Klinik auch die ASA-Klassifikation (American Society of Anesthesiologists) und das Alter, der VOCAL-Penn-Score (Veterans Outcomes and Costs Associated with Liver Disease) zusätzlich auch die Art der Chirurgie, BMI und Thrombozytenzahl [6‐8]. Letzterer wurde nach Implementierung auch extern validiert [7, 9]. Das Vorliegen einer klinisch signifikanten portalen Hypertonie, definiert als HVPG ≥ 10 mm Hg („hepatic venous-portal pressure gradient“) oder Vorliegen entsprechender klinischer Manifestationen, ist für das erhöhte Risiko von zentraler Bedeutung. Dieses wird in diesen Scores jedoch nur indirekt abgebildet.
Insbesondere ab einem Gradienten von > 15 mm Hg ist mit einer deutlich erhöhten postoperativen Sterblichkeit zu rechnen. Die Analyse von Reverter et al. 2019 vermochte für extrahepatische Operationen aufzuzeigen, dass die Höhe des HVPG einen unabhängigen prädiktiven Marker für die postoperative Mortalität darstellt [3]. Zudem zeigten die Autoren, dass die ASA-Klassifikation und die Art der Chirurgie (Notfall vs. elektiv, abdominale Chirurgie vs. periphere Eingriffe) weitere prognostische Faktoren sind.
Unklar bleibt jedoch, ob und ab wann eine präoperative Senkung des HVPG mittels TIPS (transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt) sich positiv auf das postoperative Outcome auswirkt. Die EASL (European Association for the Study of the Liver) weist auf das erhöhte postoperative Risiko ab einem HVPG > 15 mm Hg hin [10], jedoch wird weder im BAVENO-VII-Konsensus noch in den Guidelines der AASLD (American Association for the Study of Liver Diseases) eine konkrete Empfehlung zur präemptiven TIPS-Einlage vor extrahepatischer Chirurgie abgegeben [10, 11]. Auch das ALTA-Konsortium (Advancing Liver Therapeutic Approaches) verweist nur auf die ungenügende Evidenzgrundlage ausserhalb des Transplant-Settings [12]. Die bisherige Evidenz bzgl. des Effektes einer präemptiven TIPS-Einlage beschränkt sich auf Fallserien oder Übersichtsartikel und ist limitiert durch ihren Fokus auf spezifische Operationen (z. B. nur onkologische Operationen), keine oder „zu gesunde“ Kontrollgruppen und natürlich einen „reporting bias“.
Ziel der Studie.
Die hier diskutierte Studie von Piecha et al. untersuchte nun, ob eine präoperative TIPS-Einlage bei Patient:innen mit Zirrhose die Mortalität bzw. den unmittelbaren Bedarf einer Transplantation während der Hospitalisation senkt.
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Als sekundäre Endpunkte wurden neben Auftreten einer hepatischen Enzephalopathie zahlreiche weitere Daten analysiert, wie Bedarf an Blut- und Gerinnungsprodukten, intensivmedizinischer Betreuung mit Katecholaminen und mechanischer Ventilation sowie weitere Komplikationen wie Nierenversagen, Blutungen, Infektionen und Revisionsoperationen.
Methodik.
In einer retrospektiven Datenanalyse untersuchten die Autor:innen aus Hamburg ihr hausinternes TIPS-Register von 2010–2020 hinsichtlich oben genannter Endpunkte. Eingeschlossen wurden Patient:innen mit Zirrhose, welche entweder einen präemptiven TIPS für eine geplante Operation erhielten oder bei welchen innert 90 Tagen nach einer TIPS-Einlage in etablierter Indikation (refraktärer Aszites oder Varizenblutung) eine ungeplante Operation notwendig wurde. Als Kontrollgruppe dienten Zirrhose-Patient:innen, die ohne TIPS elektiv oder notfallmässig operiert wurden. Ausgeschlossen wurden kleinchirurgische Eingriffe (z. B. Katheter-Einlage), bereits transplantierte Patient:innen, oder wenn die Operation wegen TIPS-Komplikationen erfolgte. Das operative Risiko wurde in high- und low-risk stratifiziert. High-risk beinhaltet viel Gewebeschaden oder Notfalleingriffe, wie z. B. Traumatologie, offene thorakale oder abdominale Operationen. Low-risk bedeutet elektive Eingriffe mit wenig Gewebeschaden, z. B. laparoskopische Eingriffe, Hernien oder elektive periphere Orthopädie.
Resultate.
Es konnten von 233 gescreenten Patient:innen 64 in die TIPS-Kohorte und 131 in die Kontrollgruppe eingeschlossen werden. Child-Pugh-Stadium und CLIF-C-AD-Score (Chronic Liver Failure Consortium Acute Decompensation) waren in beiden Gruppen vergleichbar, der MELD in der TIPS-Kohorte etwas höher (14 vs. 11 Pt.). Die Child-Pugh-B-Gruppe war am stärksten vertreten (58 bzw. 53 %). Die häufigste Indikation zur TIPS-Einlage war eine geplante Operation (41 %), gefolgt von Aszites (38 %), Varizenblutung (9 %) und anderen Indikationen (hepatischer Hydrothorax, kombinierte Indikationen wie z. B. Aszites plus geplante Operation). Der Anteil an Low- und High-risk-Eingriffen war in beiden Gruppen vergleichbar (low-risk in beiden Gruppen 47 %, high-risk 53 %). Daten zum HVPG sind nur für die TIPS-Patient:innen und nicht für die Kontrollgruppe vorhanden. Vor TIPS lag dieser durchschnittlich bei 23 mm Hg (20,0–26,0 mm Hg) und wurde auf 8,0 mm Hg (7,0–12,0 mm Hg) gesenkt.
Die TIPS-Kohorte wies während des Krankenhausaufenthaltes eine tiefere Mortalität/Transplantationsbedarf auf als die Kontrollgruppe (19 vs. 40 %). Die TIPS-Einlage war mit einer tieferen postoperativen Mortalität assoziiert (HR 0,46; 95 % KI 0,2–1,04; p < 0,062), umgekehrt waren High-risk-Operationen und hoher MELD mit einer höheren Mortalität verbunden (HR 7,06; 95 % KI 2,75–18,13; p < 0,001 bzw. HR 1,13; 95 % KI 1,05–1,21; p = 0,001).
Zudem traten bei Patient:innen ohne präoperative TIPS-Einlage prozentual häufiger Komplikationen wie Nachblutungen, Infektionen oder Leberversagen auf, und es bestand postoperativ ein höherer Bedarf an Katecholaminen, Gerinnungsprodukten, mechanischer Ventilation und Revisionsoperationen (v. a. wegen Nachblutungen), was letztlich zu längeren IPS-Aufenthalten führte (4 vs. 1,5 Tage). Eine hepatische Enzephalopathie trat in der TIPS-Gruppe nicht häufiger auf als in der Kontrollgruppe (22 % vs. 33 %).
Wenn möglich wurde für Patienten beider Gruppen der VOCAL-Penn-Score berechnet. Hiernach war die präinterventionell vorausgesagte Mortalität in der TIPS-Kohorte zwar höher als in der Kontrollgruppe (mediane 30-Tage-Mortalität 10 % vs. 4,9 %), fiel in der effektiven Beobachtung nach TIPS-Einlage und Operation jedoch über alle VOCAL-Penn-Risikogruppen hinweg tiefer aus als in der Kontrollgruppe.
Diskussion.
Die Resultate dieser Studie reihen sich ein in eine wachsende Evidenz, dass bei einem selektionierten Patientengut eine präemptive TIPS-Einlage die postoperative Morbidität und Mortalität reduzieren kann. Dies kann auch pathophysiologisch nachvollzogen werden und wird, wie diese retrospektiven Daten zeigen, auch bereits seit Längerem so praktiziert. Die Befunde unterstützen diese Praxis, auch wenn in nur 41 % der eingeschlossenen Patienten der TIPS in wirklich rein präemptiver Indikation eingelegt wurde.
Auch diese Studie liefert jedoch keine prospektiven, randomisierten Daten und bleibt eine Single-center-Erfahrung, sie hat jedoch gegenüber den bisherigen Publikationen zwei grosse Vorteile: erstens eine vergleichbar kranke Kontrollgruppe und zweitens eine gleichmässige Verteilung von High- und Low-risk-Operationen in beiden Gruppen. Bemerkenswert an den Resultaten ist nicht nur die Risikoreduktion bei der High-risk-Gruppe, sondern auch die Beobachtung, dass es bei Operationen mit tiefem Risiko ohne TIPS zu 10 Todesfällen auf 61 Patienten kam, von den Patienten mit TIPS jedoch alle überlebten. Eine Messung des HVPG mit allfälliger Senkung könnte also auch vor kleineren, elektiven Operationen erwogen werden.
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Postoperative Komplikationen jeglicher Art und der Bedarf an intensivmedizinischen Massnahmen sowie Revisionsoperationen waren in der TIPS-Gruppe seltener. Neben dem vordergründigen Benefit für den Patienten ist dies in Zeiten der Fallpauschalen auch von gesundheitsökonomischem Interesse und könnte die durch die TIPS-Einlage bedingten Mehrkosten ausgleichen.
Leider erfolgte bei der Kontrollgruppe keine HVPG-Messung. Auch wenn dies eine invasive Diagnostik bedeutet, wären diese Daten von zentraler Bedeutung, um zukünftig konkrete Empfehlungen aussprechen zu können. Eine Randomisierung wäre zwar ethisch wohl schwierig zu vertreten, jedoch könnte ggf. gemäss guter Evidenzgrundlage aus der Studie von Reverter et al. im Vornherein eine bestimmte Interventionsschwelle definiert und somit validiert werden (z. B. HVPG > 20 mm Hg; [3]).
Zusammenfassend unterstreicht die Studie, dass Patienten mit Leberzirrhose von einer präoperativen Risikostratifizierung profitieren. Bei Zeichen der portalen Hypertonie, hohem MELD oder VOCAL-Penn-Score und Operationen mit grossem Gewebetrauma bzw. Notfallindikation kann eine präoperative TIPS-Einlage die Mortalität und Morbidität senken. Die Studie liefert jedoch keine neuen Hilfsmittel zur Risikostratifizierung, welche weiterhin auf Basis der bekannten Scores (MELD, VOCAL Penn etc.) erfolgen sollte.
M. Vögelin und M. Scharl geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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