1.1. Metabolische und therapeutische Faktoren |
Veränderte Medikation, gewichtsfördernde Medikamente: – Antidepressiva: Mirtazapin, Paroxetin, Amitriptylin, Nortriptylin – Antipsychotika: Lithium – Neuroleptika: Clozapin, Olanzapin – Antidiabetika: Insulin, Sulfonylharnstoffe, Glitazone – Antihypertensiva: Betablocker – Kontrazeptiva: Gestagene – Kortikosteroide |
Vorliegen einer Endokrinopathie: – Hypercortisolismus – Schilddrüsenfunktionsstörung – Androgene Tumoren – Polyzystisches Ovarsyndrom |
Genetische Syndrome (z. B. Prader-Willi-Syndrom) bei Auftreten von Adipositas bereits im Kindesalter |
Niedriger Anteil an aktiver Körperzellmasse (BCM) |
Vermehrter Hunger, verminderte Sättigung |
1.2. Verhaltens- und Umgebungsfaktoren |
Zu geringes Bewegungspensum, -angebot |
Sozioökonomische Grundlagen |
Psychische Erkrankungen: – Essstörungen – Depressionen – Persönlichkeitsstörungen (z. B. Borderline-Syndrom) – Angststörungen – Suchterkrankungen – Schizophrenie – Traumatische Erlebnisse |
Substanzgebundene (Nahrungsmittel) und -ungebundene (Essverhalten) Suchtsymptomatik, u. a. chemisches und emotionales Craving, Kontrollverlust, Rückfallmanagement |
Krankhafte Essmuster (s. unten) |
Soziokulturelle Grundlagen (z. B. Biografie, Lerngeschichte, Kultur, Wirtschaft) |
Über die Energiezufuhr hinausgehende Funktionen des Essens (u. a. Belohnungs- und Verstärkersystem, Entspannung, Langeweile, Stressabbau, unbewusstes Essen, mangelnde Impulskontrolle) |
Selbstbild, Selbstwert |
1.4. Diätetische Faktoren |
Zu hohe Energiezufuhr |
Krankhafte Essmuster: – Essattacken (Binge Eating) – Permanentes „Dahinessen“ (Grazing) – Essen in der Nacht (Night-Eating-Syndrom) – Primäre Aufnahme von weichen Speisen (Soft-Food-Syndrom) – Vermeidendes Essverhalten nach bariatrischer Chirurgie („Postsurgical Eating Avoidance Disorder“) – Andere Essstörungen |
1.5. Anatomische und chirurgische Faktoren nach bariatrischer Operation |
Dilatation der gastrojejunalen Anastomose: Durch Erweiterung der Anastomose zwischen Magenpouch und Jejunum kann es zu einer schnelleren Pouchentleerung und somit verminderten Restriktion kommen. Neben einer Gewichtszunahme kann dies auch zu Dumpingsymptomatik, besonders bei Nahrungsaufnahme nichtkomplexer Kohlenhydrate, führen [31] |
Vorhandensein einer gastrogastralen Fistel: Besonders bei PatientInnen mit chronischen Ulzera kann eine Verbindung zwischen Pouch und Restmagen entstehen. Dadurch kommen sowohl der Restmagen als auch der ausgeschaltete biliopankreatische Schenkel wieder in die Nahrungspassage [34] |
2.1. Medizinische, diätologische, sportmedizinische und psychologische Kontrolltermine |
Kontrolle der Umsetzung von diätetischen Empfehlungen |
Überprüfung des aktuellen Ausmaßes und der Arten der Bewegung (s. Tab. 2, Maßnahmen 2.4) |
Evaluierung psychosozialer Veränderung (privates und berufliches soziales Umfeld, subjektive Erwartungen und Bedürfnisse etc.) |
Evaluierung hinsichtlich des Auftretens von Depressionen, Suchtverschiebung und anderer psychischer Erkrankungen |
Entwicklung von krankhaftem Essverhalten (s. Tab. 1, Faktoren 1.4) |
2.2. Eigenbeobachtung |
Führung eines Ernährungs‑, Bewegungstagebuches [2] |
Regelmäßige Gewichtskontrollen (1- bis 2‑mal/Woche) [2] |
Bewusstmachung/Stärkung der Wahrnehmung von Essverhalten und Umgang damit (s. Tab. 2, Maßnahmen 2.5) |
2.3. Diätetische Maßnahmen |
Individuell angepasste Empfehlungen, die den Energie- und Eiweißbedarf, die Vorlieben, Unverträglichkeiten, Vortherapien (konservativ, bariatrisch) und Begleiterkrankungen der PatientInnen berücksichtigen [21] |
Exploration von möglichen Ernährungsdefiziten |
Exploration folgender Faktoren: – Aktuelle Ernährungs- und Trinkgewohnheiten (cave: Softdrinks, Alkohol) – Aufklärung/Erlernen der Unterscheidung zwischen Durstgefühl und Hunger – Umgang mit Heißhunger/Gusto/Snacking – Planung von regelmäßigen Mahlzeiten, Mahlzeitenabständen – Bewusstes Essen mit Wahrnehmen von Essgeschwindigkeit und Kaufrequenz |
Intermittierender Einsatz von Formuladiäten zur Gewichtsstabilisierung [23] |
Bewegung mit mittlerer Intensität im Ausmaß von mindestens 150 min, besser 250–300 min pro Woche; dies entspricht etwa einem zusätzlichen Energieverbrauch von 2000 kcal pro Woche. Zusätzlich mindestens 2 Einheiten mit muskelkräftigender Bewegung (je mindesten 10 min) |
Reduktion der sitzenden Tätigkeiten |
Erhöhung der Alltagsaktivität |
2.5. Psychologische Maßnahmen [40] |
Reflexion von individuellem Emotions- und Stressmanagement [42] sowie Evaluierung der Copingstrategien (u. a. Entspannungstraining, Achtsamkeitsübungen) und der Rückfallprophylaxe |
Intrinsische Motivation [24], Selbstführsorge und Selbstwirksamkeit fördern und stärken |
Spezielle Aspekte, die bei PatientInnen nach bariatrischer Operation besonders berücksichtigt werden sollten: – Förderung des positiven Einflusses von psychosozialen Interventionen [48] – Abklärung traumatischer Erlebnisse [25] – Längerfristige postoperative Begleitung begünstigt den Erhalt der Gewichtsreduktion [51] |
Bei Vorhandensein von psychischen Erkrankungen und/oder psychopharmakologischer Medikation empfiehlt sich bereits präinterventionell und insbesondere bei Auftreten einer postinterventionellen Gewichtszunahme und/oder Verschlechterung des psychischen Befindens eine rasche Kontaktaufnahme mit der/dem behandelnden PsychologIn und FachärztIn |
Exploration psychischer Befindlichkeiten und klinischer Symptome (Entwicklung von psychischen Störungen, Suchtverlagerung hin zu substanzgebundenen und -ungebundenen Süchten) [52] |
Auffälligkeiten im Ess- und Trinkverhalten, die eine Gewichtszunahme begünstigen, abklären und bearbeiten (u. a. Craving, Grazing, Nibbling, Loss of Control Eating, Overeating, Emotional Eating, Chewing and Spitting, Night-Eating-Syndrom) |
2.6. Medizinische Maßnahmen |
Anpassung der Medikation an den Therapieverlauf und Begleiterkrankungen |
Fortführung bzw. Start mit einer antiadipösen Pharmakotherapie (GLP-1 Rezeptoragonisten (zukünftig GIP/GLP-1 Rezeptoragonisten), Naltrexon/Bupropion, Lipasehemmer) insbesondere bei einer moderaten bzw. raschen klinisch relevanten Gewichtszunahme (s. Abschnitt „Beurteilung einer relevanten postinterventionellen Gewichtszunahme“) [21, 22] |
Exploration von möglichen Mikro- und Makronährstoffdefiziten |
Internistische Evaluierung bei atypischem Therapieverlauf bzw. unklarer Gewichtszunahme, ggf. erneute endokrinologische Diagnostik bei klinischen/laborchemischen Auffälligkeiten |
Evaluierung der Möglichkeit für einen Rehabilitationsaufenthalt mit Stoffwechselschwerpunkt |
2.7. Chirurgische Maßnahmen |
Die Art der Reversionsoperation sollte im Kontext mit den Ursachen der Gewichtszunahme stehen [1]: |
Pouchbanding [53] |
Pouchresizing + Pouchbanding, um Redilatation zu verhindern [32] |
Neuanlage der gastrojejunalen Anastomose; endoskopische Verengung der gastrojejunalen Anastomose [54] |
Versetzen der Fußpunktanastomose (Verlängerung des komplett aus der Essenspassage genommenen biliopankreatischen Schenkels) [36] |
Umwandlungsoperation: Bei PatientInnen mit „sleeve gastrectomy“ kann bei klinisch relevanter Gewichtszunahme eine Umwandlung auf Y‑Roux-Magenbypass oder „single anastomosis duodeno-ileal bypass + sleeve gastrectomy“ (SADI-S) erfolgen, um eine Malabsorption hinzuzufügen [55] |
Physiologische Grundlagen der Gewichtszunahme
Gastrointestinale Hormone
Metabolische Adaptierung
Neurobiologische Vulnerabilität
Beurteilung einer relevanten postinterventionellen Gewichtszunahme
-
minimal: < 0,2 %,
-
gering: 0,2 bis < 0,5 %,
-
moderat: 0,5–1 %,
-
rasch: > 1 %.
-
Beispiel: Ein Patient wiegt nach der Intervention 100 kg (= Nadir-Gewicht). Ein Warngewicht von 5 kg, das wäre eine Gewichtszunahme von < 0,5 % vom Nadir-Gewicht über 12 Monate, wird vereinbart.