Im Zuge einer klinikinternen Arbeitsgruppe der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Medizinische Universität Wien, zur Erstellung umfassender Aufklärungsmaterialien für die psychopharmakologische Behandlung minderjähriger Patient*innen wurde der aktuelle Zulassungsstand in Österreich in dieser Altersgruppe überprüft. Geschuldet ist diese Aufarbeitung letztlich der Tatsache, dass Inhalt und Umfang der Aufklärung die Gültigkeit der Einwilligung der Patient*innen und der Erziehungsberechtigten bestimmen [
1]. Dabei ist zu beachten, dass, begrenzter Datenlage folgend, selbst erheblich beeinträchtigte Minderjährige durchaus angemessen in der Lage sein können, mitbestimmend am therapeutischen Entscheidungsprozess teilzunehmen [
2]. Demnach muss das konkrete Vorgehen immer auf das jeweilige Gegenüber abgestimmt werden.
Um einen wesentlichen Baustein für informierte Aufklärungen in der oben angeführten Patient*innengruppe bereitzustellen, wurde das Arzneispezialitätenregister [
3] des österreichischen Bundesamts für Sicherheit im Gesundheitswesen systematisch nach den relevanten ATC Codes (Anatomisch-Chemisch-Therapeutisches Klassifikationssystem) abgefragt und die Fachinformationen aller resultierenden Arzneimittel jeweils pro Hersteller und Darreichungsform sondiert. Das ist insofern relevant, da die Zulassung für bestimmte Indikationsgebiete, Darreichungsformen, Dosierungen, sowie ggf. Patientengruppen erfolgt und eine Zulassungsüberschreitung bereits bei Verletzung einer dieser Schranken gegeben ist [
4].
Tab.
1,
2,
3 und
4 erheben, bei aller Sorgfalt, keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Weiter wird hiermit keinerlei Behandlungsempfehlung ausgesprochen, sondern lediglich der aktuelle Zulassungsstand abgebildet. Letzterer hat im Besonderen im Rahmen der erhöhten Aufklärungspflicht bei einem Off-Label-Use Relevanz, weil in diesem Zusammenhang unter Anderem zugelassene Medikamente besprochen werden müssen (siehe dazu
Leitlinie zum „Off-Label-Use“ von Psychopharmaka im Kindes- und Jugendalter [
5]).
Tab. 1Antidepressiva (ATC N06A)
Amitriptylin | Ab 6 Jahren | Enuresis nocturna | Organische Ursache, inkl. Spina bifida und verwandte Störungen, muss ausgeschlossen sein Wenn kein Ansprechen mit allen anderen medikamentösen und nicht-medikamentösen Behandlungsmaßnahmen, inkl. Antispastika und Vasopressin-verwandten Arzneimittel | Sollte nur von Ärzt*innen mit Erfahrung in der Behandlung von persistierender Enuresis verordnet werden |
Clomipramin | Ab 5 Jahren | Zwangsstörung | Zulassung gilt für Dragees, nicht für Retardtabletten! | – |
Fluoxetin | Ab 8 Jahren | Mittelgradige bis schwere Depression | Wenn nach 4–6 Sitzungen kein Ansprechen auf psychologische Behandlung | Sollte nur in Kombination mit einer psychologischen Behandlung verabreicht werden |
Fluvoxamin | Ab 8 Jahren | Zwangsstörung | Über max. 10 Wochen | – |
Sertralin | Ab 6 Jahren | Zwangsstörung | – | – |
Tab. 2Antipsychotika (ATC N05A)a
Aripiprazol | Ab 13 Jahren | Mäßige bis schwere manische Episoden bei Bipolar-I-Störung | Über max. 12 Wochen | – |
Ab 15 Jahren | Schizophrenie | – | – |
Clozapin | Ab 16 Jahren | Therapieresistente Schizophrenie | Therapieresistenz = klinisch unzureichendes Ergebnis nach Behandlung mit 2 Antipsychotika (zumindest eines davon atypisch) in angemessener Dosis für ausreichende Zeit | Es sind besondere Vorsichtmaßnahmen bzgl. Agranulozytose und Myokarditis vorgeschrieben |
Haloperidol | Ab 6 Jahren | Anhaltende Aggression bei Autismus-Spektrum-Störung und anderen tiefgreifenden Entwicklungsstörungen | Aggression muss schwerwiegend sein | Für alle Indikationen gilt: Haloperidol darf nur angewandt werden, wenn alle anderen medikamentösen und weiteren Therapien versagt haben, oder unverträglich sind! |
Ab 10 Jahren | Tics inkl. Tourette | Patient*in muss stark beeinträchtigt sein |
Ab 13 Jahren | Schizophrenie | – |
Paliperidon | Ab 15 Jahren | Schizophrenie | – | – |
Risperidon | Ab 5 Jahren | Anhaltende Aggression bei unterdurchschnittlicher intellektueller Funktion oder mentaler Retardierung | Über max. 6 Wochen | Überprüfung der intellektuellen Funktion nach DSM-IV Schweregrad der Aggression muss medikamentöse Behandlung erfordern Medikation nur als Teil eines umfassenden Behandlungprogramms Sollte von einem Spezialisten verordnet werden |
Sulpirid | Ab 6 Jahren | Akute und chronische Schizophrenien | – | – |
Tiaprid | Ab 12 Jahren | Früh‑/Spätdyskinesien und Bewegungsanomalien (psychomotorische Störungen bei chronischem Alkoholismus) | – | – |
Ziprasidon | Ab 10 Jahren | Manische und gemischte Episoden mittleren Schweregrads im Rahmen bipolarer Störungen | – | – |
Tab. 3Anxiolytika, Hypnotika und Sedativa (ATC N05B und N05C)
Bromazepam | Ab 6 Jahren | Angst- und Spannungszustände Ängstliche Verstimmung bei Depressionen Nervosität Erregung Unruhe Adjuvans in der Therapie von Psychoneurosen Durch Angst und Spannung verursachte funktionelle Störungen verschiedener Organsysteme | – | Nur, wenn: Die Erkrankung schwer ist Den Patienten stark behindert Extremen Leidensdruck verursacht |
Diazepam | Ab 1 Jahr (10 kg KG) | Initiale Behandlung von akuten schweren Angst‑, Spannungs- und Erregungszuständen | Diese Zulassung gilt nur für Applikation in Form eines Rektaltubus! | – |
Ab 6 Jahren | Angst und Spannungszustände Kurzfristig bei Schlafstörungen Alkoholentzugstherapie | Nur bei zwingender Indikation! |
Diphenhydramin | Ab 12 Jahren | Kurzzeitbehandlung von Ein- und Durchschlafstörungen | Nach zweiwöchiger Einnahme reevaluieren! | – |
Melatonin | Ab 2 Jahren | Insomnie im Rahmen einer Autismus-Spektrum-Störung (od. bei Smith-Magenis-Syndrom) | – | Zulassung gilt nur für das Präparat Slenyto®! |
Tab. 4Substanzen zur Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit‑/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) (ATC N06B & C02AC)
Atomoxetin | Ab 6 Jahren | ADHS | – | Für alle Präparate gilt: Nur als Teil eines umfassenden Behandlungsprogramms Verordnung von einem Spezialisten |
Guanfacin | Ab 6 Jahren | ADHS | Wenn Behandlung mit Stimulanzien: Nicht in Frage kommt Unverträglich ist Sich als unwirksam erwiesen hat |
Lisdexamfetamin | Ab 6 Jahren | ADHS | Wenn Ansprechen auf zuvor erhaltene Behandlung mit Methylphenidat klinisch unzureichend |
Methylphenidat | Ab 6 Jahren | ADHS | Wenn andere therapeutische Maßnahmen unzureichend |
Es sind alle rezeptpflichtigen, zugelassenen Arzneimittel unabhängig von ihrer Erstattungsfähigkeit gelistet (Anm.: Zulassung impliziert nicht zwangsläufig Erstattungsfähigkeit), wobei nur jene Arzneimittel enthalten sind, die eine Zulassung für eine psychiatrische Anwendung haben. Selbst wenn der Zulassungsumfang teilweise größer ist, sind hier jeweils nur die psychiatrischen Zulassungen angeführt.
Bezüglich des Alters wurde die Formulierung „ab“ einem gewissen Alter gewählt, wobei die nachfolgenden Angaben nur bis zum vollendeten 18. Lebensjahr zu verstehen sind. Wiewohl die meisten der angegebenen Substanzen auch im Erwachsenenalter zugelassen sind, gilt dies nicht für alle der hier gelisteten Arzneimittel.
Abschließend darf angemerkt werden, dass aus der Gruppe der stimmungsstabilisierenden Medikamente in Österreich keines der verfügbaren Präparate eine Zulassung für die Anwendung im Kindes- und Jugendalter hat.
Alle Angaben sind nach bestem Wissen und sorgfältig erstellt worden, erfolgen aber ohne Gewähr und müssen vor der Verwendung auf ihre Aktualität überprüft werden.
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