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Open Access 06.03.2025 | Originalien

Psychische Gesundheit, Wohlbefinden und Körperbild bei Transgender- und geschlechtsdiversen Jugendlichen in Österreich

Eine prospektive Querschnittsstudie

verfasst von: Jojo Steininger, MD, Sarah Knaus, MD, MPhil

Erschienen in: Journal für Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel

Zusammenfassung

Transgender- und geschlechtsdiverse (TGD) Jugendliche stellen ein vulnerables Patient*innenkollektiv dar, das oft Zeichen erhöhter psychischer Belastung aufweist. Diese Studie untersuchte in Kooperation mit der Studie Health Behaviour in School-aged Children (HBSC) die psychische Gesundheit von TGD Jugendlichen in Österreich. Die Antworten von 87 TGD Jugendlichen wurden mit denen der nationalen Kohorte (n = 10.110) verglichen. Es zeigten sich Hinweise auf eine signifikant höhere psychische Belastung bei TGD Jugendlichen im Vergleich zu Gleichaltrigen. TGD Jugendliche wiesen niedrigere Werte im WHO‑5 Well-Being Index und der Lebenszufriedenheit auf, während Symptome von Depressionen und Angststörungen häufiger auftraten. Besonders auffällig waren die erhöhte Unzufriedenheit mit dem eigenen Körperbild sowie deutlich höhere Angaben von Gefühlen der Einsamkeit. Faktoren wie soziale Ausgrenzung und ein negatives politisches Klima tragen zur verschlechterten psychischen Gesundheit von TGD Jugendlichen bei. Die Ergebnisse dieser Studie deuten auf die Notwendigkeit hin, Belastungen bei TGD Jugendlichen im gesamtgesellschaftlichen Kontext zu betrachten, einschließlich struktureller Barrieren und Alltagsdiskriminierung. Weiters besteht Bedarf an Maßnahmen zur Reduktion der Stigmatisierung von TGD Jugendlichen in Österreich, wie etwa einem offenen und wertschätzenden Umgang im medizinischen Kontext.
Hinweise
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

Hintergrund und Ziele

Transgender und geschlechtsdiverse (TGD) Jugendliche stellen in der Pädiatrie ein marginalisiertes und damit hochvulnerables Patient*innenkollektiv dar. Das sogenannte „Minority Stress Model“ hilft dabei, den kumulativen Leidensdruck, der bei Mitgliedern verschiedener marginalisierter Gruppen durch die chronische Erfahrung von Diskriminierung und Ausgrenzung entstehen kann, zu beschreiben [1]. Am augenscheinlichsten schlägt sich diese Form der Belastung im Bereich der psychischen Gesundheit nieder: TGD Personen leiden überproportional oft an Depression, Angststörungen und anderen psychiatrischen Erkrankungen [2]. Dieses Phänomen ist bereits im Kindes- und Jugendalter erkennbar [3, 4]. Weiters zeigen sich bei dieser Gruppe auch vermehrt nichtsuizidales selbstverletzendes Verhalten, Suizidalität und Suizidversuche [3]. Zusätzlich gibt es Hinweise auf häufig gestörtes Essverhalten sowie einen vermehrten Substanzabusus bei TGD Jugendlichen, welcher tendenziell bereits in einem jüngeren Alter beginnt [3].
Minority Stress manifestiert sich aber durchaus auch auf körperlicher Ebene und hat dabei weitreichende Konsequenzen. Geschlechtsdiverse Menschen erfahren nachweislich schlechtere Gesundheitsoutcomes in vielen verschiedenen Bereichen. Ätiologisch sind diese im Kontext sowohl erhöhter Barrieren zur Gesundheitsversorgung als auch eines niedrigeren sozioökonomischen Status über die Lebensspanne zu sehen [57]. Beispielhaft soll hier das erhöhte Risiko für Adipositas genannt werden, welches sowohl bei TGD Erwachsenen als auch bei Jugendlichen in den USA und Europa beschrieben wurde [811]. Zu den als ursächlich vermuteten Faktoren gehören unter anderem eingeschränkter Zugang zu sportlicher Betätigung und ein erhöhtes Risiko für pathologisches Essverhalten aufgrund von Unzufriedenheit mit dem eigenen Körperbild [1215]. Übergewicht wiederum kann den Zugang zu geschlechtsaffirmativen medizinischen Maßnahmen erschweren [16] und ist ein weiterer Faktor, der mit vermehrter Diskriminierung im Gesundheitssystem assoziiert ist [17, 18]. Hier wird die komplexe biopsychosoziale Schnittstelle zwischen Geschlechtsidentität und Gesundheit deutlich.
TGD Personen erleben auch in Österreich Stigmatisierung und Diskriminierung und haben einen erschwerten Zugang zu adäquater medizinischer Versorgung [19, 20]. Die psychischen und körperlichen Folgen für TGD Jugendliche decken sich mit den oben beschriebenen internationalen Beobachtungen: In einer retrospektiven Analyse aller Kinder und Jugendlichen, die sich zwischen 2008 und 2022 aufgrund einer Geschlechtsdysphorie an der Ambulanz für Varianten der Geschlechtsentwicklung der Medizinischen Universität Wien vorstellten, zeigte sich eine Prävalenz von knapp 50 % für depressive Symptome, und fast ein Drittel der Jugendliche nahm Antidepressiva ein [21]. In einer 2024 publizierten Analyse des pädiatrischen TGD Patient*innenkollektivs an der Medizinischen Universität Wien wurden weiters deutlich erhöhte Raten von Übergewicht und Adipositas dokumentiert [22].
Neben diesen retrospektiven Untersuchungen fehlen im zentraleuropäischen Raum jedoch prospektive Daten, um den mentalen Gesundheitszustand von TGD Jugendlichen besser abschätzen zu können. Ziel dieser Arbeit war es daher, die psychische Gesundheit von österreichischen TGD Jugendlichen im Rahmen einer internationalen Fragebogenstudie gezielt zu erheben, um ihre vielfältigen Bedürfnisse besser verstehen und abdecken zu können. Unsere Hypothesen dabei waren, dass TGD Jugendliche, passend zu den internationalen Daten, erhöhte Raten an psychiatrischen Symptomen sowie eine niedrigere Lebenszufriedenheit als das nationale Kollektiv angeben würden.

Methoden

Umfragetool

Diese Studie erfolgte in Kollaboration mit der Studie Health Behaviour in School-aged Children (HBSC). Diese internationale Umfrage der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird in aktuell 51 Ländern alle vier Jahre durchgeführt und erhebt verschiedene Aspekte zum Thema Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen (u. a. werden Gesundheitsverhalten, Lebenszufriedenheit, Körperbild, körperliches und psychisches Wohlbefinden erfragt). Sie ist die europaweit größte Studie zur Kinder- und Jugendgesundheit. Die HBSC-Studie wird in Österreich seit den 1980er-Jahren unter der Leitung des Gesundheitsministeriums an Schulen und Ausbildungsstätten im ganzen Land durchgeführt.
Für die unterschiedlichen Schulstufen sowie für Jugendliche in Lehrberufen gibt es jeweils altersadaptierte Fragebögen. Die Schüler*innenfragebögen sind eingeteilt in Mittelschüler*innen (Schulstufen 5 und 7) und Oberstufenschüler*innen (Schulstufen 9 und 11). Zusätzlich gibt es einen eigenen Fragebogen für Lehrlinge [23]. In unserer Kohorte von TGD Jugendlichen haben wir für die Altersgruppe 13–14 den Fragebogen der Schulstufe 7, für die Altersgruppe 15–17 den Fragebogen der Schulstufe 9 und für die Altersgruppe 17–18 den Fragebogen der Schulstufe 11 verwendet. Berufstätige Jugendliche erhielten den Fragebogen für Lehrlinge, unabhängig von ihrem Alter.
Die HBSC-Fragebögen fragen Teilnehmer*innen nach ihrem Geschlecht, wie genau diese Frage aussieht, variiert jedoch von Land zu Land. In der österreichischen Erhebung wurde 2021/22 mit einer einzigen Frage nach Geschlecht gefragt, welche die Antwortmöglichkeiten „männlich“, „weiblich“ und „anders und zwar:“ mit folgendem Freitextfeld hatte.

Teilnehmende

Diese Studie wurde als Addendum zur größeren, österreichweiten HBSC-Datenerhebung konzipiert. Um ein solides Sample an TGD Jugendlichen zu erfassen, wurden zusätzlich Patient*innen über die Ambulanz für Varianten der Geschlechtsentwicklung rekrutiert. Diese TGD Kohorte wurde mit einer eigenen Identifikationsnummer registriert, um eine Überrepräsentation geschlechtsdiverser Jugendlicher im nationalen Sample zu vermeiden. Für die Rekrutierung wurden alle TGD Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahren, welche sich zwischen 01/2022 und 07/2022 an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der Medizinischen Universität Wien vorgestellt haben, gefragt, ob sie an der Umfrage teilnehmen wollen.
Einschlusskriterien waren somit a) Vorstellung an der Klinik aufgrund von Geschlechtsinkongruenz oder Geschlechtsdysphorie und b) Alter 13–18 Jahre. Ausschlusskriterien waren a) chromosomale oder andere genetische Varianten, b) adrenogenitales Syndrom (AGS) oder c) andere Varianten der Geschlechtsentwicklung. Die Teilnahme erfolgte freiwillig, und sowohl die Teilnehmenden als auch ein*e Erziehungsberechtigter* gaben eine schriftliche Einwilligung ab. In Übereinstimmung mit der Declaration of Helsinki wurde diese Studie durch die Ethikkommission der Medizinischen Universität Wien geprüft und befürwortet (ECS 2231/2021). Andere Teilergebnisse der Studie, mit einem Fokus auf körperliche Betätigung und Essverhalten wurden im Februar 2025 publiziert [24].

Datenanalyse

Die Datenanalyse erfolgte mittels Excel, SPSS und Jamovi. Chi-Quadrat- und T‑Tests wurden durchgeführt, um das TGD Kollektiv mit der nationalen Stichprobe zu vergleichen. Sämtliche Berechnungen wurden einer Bonferroni-Korrektur unterzogen, um multiples Testen zu berücksichtigen. P-Werte von < 0,003 wurden somit als statistisch signifikant definiert.

Datenschutz

Die Daten der HBSC-Studie werden anonym über ein Online-Formular erfasst. Die Datenbank wird von einem Database-Manager betreut. Über die an der Kinderklinik rekrutierten TGD Jugendlichen wurde eine lokale Datenbank mit numerischen Pseudonymen geführt.

Ergebnisse

Charakteristika der Kohorte

Im Jahr 2021/22 erfasste die österreichweite HBSC-Umfrage insgesamt 10.110 Teilnehmende. Die TGD-Subgruppe bestand aus 87 Jugendlichen, von denen 32 über die Ambulanz der Medizinischen Universität Wien rekrutiert und weitere 55 aus der Gesamtstichprobe durch ihre Antwort auf die Frage nach ihrem Geschlecht identifiziert wurden. Das Durchschnittsalter der Gesamtstichprobe betrug 15,6 Jahre (Standardabweichung 2,73 Jahre) und das der TGD Kohorte 16,1 Jahre (Standardabweichung 1,93 Jahre). Es gab zwar keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf sozioökonomischen Status, es ließ sich jedoch ein Trend zu einem etwas niedrigeren selbst berichteten familiären Wohlstand in der TGD Kohorte feststellen (Pearson’s Chi-Quadrat-Wert 7,63, p = 0,022).

Lebenszufriedenheit und psychische Gesundheit

Ein großer Teil der HBSC-Studie ist der Erhebung von „mental health“ gewidmet. Der Fragebogen enthält hierzu Screening-Fragen zu Depression und Ängstlichkeit sowie eine Frage zur generellen Lebenszufriedenheit auf einer Skala von 0–10. Weiters ist der sogenannte „WHO‑5 Well-Being Index“ [25] im Fragebogen inkludiert, welcher anhand von fünf positiv formulierten Fragen das emotionale Wohlbefinden abfragt; hier werden Teilnehmende etwa gefragt, wie oft sie sich in den vergangen zwei Wochen „froh und guter Laune“ oder „energiegeladen und aktiv“ gefühlt haben.
TGD-Jugendliche wiesen signifikant niedrigere Werte in allen Bereichen der psychischen Gesundheit auf. Dies umfasste sowohl die allgemeine Lebenszufriedenheit (p < 0,001) als auch jede einzelne Screeningfrage nach Symptomen von Depression: Niedergeschlagenheit (Pearson’s Chi-Quadrat-Wert 103,95, p < 0,001), Gereiztheit (33,57, p < 0,001), Einschlafschwierigkeiten (37,37, p < 0,001), Nervosität (32,43, p < 0,001), Anhand der Antworten ergab sich eine Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Depression bei 44,2 % der TGD Jugendlichen. Dieser Prozentsatz liegt damit deutlich über dem der nationalen Vergleichsgruppe von nur 18,1 % (38,7, p < 0,001). Anhand der Angaben des WHO‑5 Well-Being Index war es weiters möglich, Jugendliche in einen binären Score für „hohe“ und „niedrige“ psychische Gesundheit zu stratifizieren. Hier schnitten 65,9 % der TGD-Jugendlichen mit „niedrig“ ab, im Gegensatz zu 23,2 % in der nationalen Stichprobe (38,7, p < 0,001). In unserem Regressionsmodell war ein niedriger „mental health“-Index ein starker Prädiktor für reduzierte Levels an Alltagsaktivität.

Mobbingerfahrungen und soziale Ausgrenzung

Ein Teil des HBSC-Fragebogens beschäftigt sich mit Mobbingerfahrungen und sozialer Ausgrenzung. Teilnehmer*innen werden dabei gefragt, ob sie in den letzten Monaten Mobbing erfahren oder selbst am Mobbing einer anderen Person teilgenommen haben. Die Antworten wurden in „Ja“ für 2–3 ×/Monat oder häufiger und „Selten/Nein“ bei 1–2 ×/Monate oder weniger unterteilt. Es wurde sowohl nach Mobbingerfahrungen in der Schule als auch nach sogenanntem „Cyber-Bullying“ gefragt. Hinsichtlich Mobbingerfahrungen in den Schulen selbst zeigte sich kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen TGD Jugendlichen und der nationalen Vergleichsgruppe – weder dass sie vermehrt Mobbing erfahren würden, noch dass sie selbst am Mobbing anderer Personen beteiligt wären (Pearson’s Chi-Quadrat-Wert je 1,22, p = 0,270 und 278, p = 0,096). TGD Jugendliche gaben jedoch an, deutlich häufiger von Cyber-Bullying betroffen zu sein (16,06, p < 0,001), ohne selbst vermehrt Cyber-Bullying zu betreiben (0,005, p = 0,944).
Zugehörigkeitsgefühl und Einsamkeit wurden ebenfalls erhoben. Auch hier zeigten sich hochsignifikante Unterschiede zwischen dem TGD-Kollektiv und der nationalen Vergleichsgruppe: TGD Jugendliche gaben an, sich weit öfter einsam zu fühlen (Pearson’s Chi-Quadrat-Wert 47,28, p < 0,001, siehe auch Abb. 1).

Körperbild

Im HBSC-Fragebogen gibt es ein Item, das gezielt nach Körperbild fragt. Teilnehmer*innen sollen dabei angeben, ob sie ihren eigenen Körper als „sehr/etwas zu dünn“, „genau richtig“ oder „sehr/etwas zu dick“ wahrnehmen. TGD Jugendliche gaben hier zu 57,6 % an sich „zu dick“ zu fühlen, 27,1 % fühlten sich „genau richtig“ und 15,3 % „zu dünn“, womit sich ein deutlicher Unterschied zur nationalen Vergleichsgruppe zeigte, in der sich signifikant weniger Personen „zu dick“ fühlten (Pearson’s Chi-Quadrat-Wert 15,05, p = 0,001). In unserem linearen Regressionsmodell war bei niedriger Zufriedenheit mit dem eigenen Körper ein Einfluss der Zufriedenheit auf das Level an Alltagsaktivität nachweisbar, jedoch nicht auf die angegebene Frequenz von erheblicher körperlicher Anstrengung.

Diskussion

Diese Studie ist ein Beitrag zu einer wachsenden Anzahl an Publikationen, die ihr Augenmerk auf die psychische und körperliche Gesundheit von TGD Jugendlichen und deren komplexes Zusammenspiel mit der Gesellschaft legen. Die Daten unserer Erhebung machen deutlich, dass eine erhöhte psychische Belastung auch bei österreichischen TGD Jugendlichen vorhanden ist. Diese äußert sich signifikant über alle erhobenen Bereiche: Die WHO‑5 Well-Being Index-Scores und angegebene Lebenszufriedenheit sind niedriger, während Symptome von Depressionen und Angststörungen deutlich häufiger angegeben werden. Eine besondere Aufmerksamkeit ist auch auf den eindeutigen Unterschied in der Wahrnehmung des eigenen Körperbildes von TGD Jugendlichen zu legen. Im Vergleich zum nationalen Kollektiv äußerten TGD Jugendliche deutlich mehr Unzufriedenheit, welche im komplexen Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Geschlechtsdysphorie interpretiert werden könnte.
Psychische Belastung bei TGD Individuen soll jedoch nicht nur als Begleiterscheinung der eigenen Geschlechtsdysphorie gehandhabt werden, sondern muss im gesamtgesellschaftlichen Kontext betrachtet werden. Dieser umfasst sowohl größere, sozialpolitische Aspekte als auch Begegnungen im täglichen Leben. Geschlechtsdiverse Menschen sind hier auf mehreren Ebenen Belastungen ausgesetzt: einerseits strukturell, wo etwa der Zugang zu geschlechtsaffirmativer medizinischer Versorgung und Rechte zur geschlechtlichen Selbstbestimmung stark politisiert und damit nicht immer gegeben sind, [26, 27] und andererseits in Alltagssituationen wie z. B. im Schulkontext, wo TGD Jugendliche sich oft ausgegrenzt und schlecht behandelt fühlen [2830].
Die HBSC-Erhebung, als eine in Schulen durchgeführte Studie, versucht unter anderem Zugehörigkeitsgefühl in diesem wichtigen sozialen Setting zu erheben, indem nach Mobbingerfahrungen und Gefühlen der Einsamkeit und Ausgrenzung gefragt wird. Damit liefert die Studie wichtige Informationen, aus denen sich Rückschlüsse über mögliche Stigmatisierung in Alltagskontexten ziehen lassen. Während die TGD Jugendlichen in unserer Kohorte zwar lediglich im Bereich Erfahrung von Cyber-Bullying signifikant über dem nationalen Referenzkollektiv abschnitten, kann man die Schnittstelle zwischen „mental health“ und sozialer Ausgrenzung an der Frage nach erlebter Einsamkeit erahnen. Einsamkeit und Ausgrenzungserfahrungen werden auch in qualitativen Studien, die sich mit den Erfahrungen von TGD-Jugendlichen im Schulalltag beschäftigen, beschrieben [29, 30]. Als ursächlich werden hier unter anderem die institutionelle Cisnormativität an Schulen, unzureichender Schutz vor Mobbing und fehlende Unterstützung durch das Schulpersonal betrachtet [29, 30].
Diese Problematik verschärften sich im Kontext von (Schul‑)Sport weiter, mit einem erschwerten Zugang zu Bewegungsangeboten, an denen TGD Jugendliche teilnehmen können, ohne sich verstärkter Diskriminierung auszusetzen [14, 31, 32]. In Anbetracht der Tatsache, dass regelmäßige körperliche Betätigung auch in TGD Personen mit einer deutlich besseren mentalen und körperlichen Gesundheit assoziiert ist, sollte die Inklusion von TGD Jugendlichen in Sportangebote vermehrt gefördert werden [32]. Dies gestaltet sich jedoch, auch in Anbetracht aktueller politischer Debatten im angloamerikanischen Raum, als schwierig.
Um unsere Studienergebnisse adäquat in Kontext setzen zu können, benötigt es auch eine Betrachtung des aktuellen sozialpolitischen Klimas. Studien zeigen, dass die zunehmende Medienpräsenz von Debatten über die Rechte von TGD Personen und deren Einschränkungen das mentale Wohlbefinden von TGD Jugendlichen beeinflusst [33, 34]. Ein Gutteil dieses öffentlichen Diskurses über TGD Rechte ist kontrovers; viele der Argumentationen, die politische Entscheidungen wie z. B. in den USA beeinflussen, basieren dabei auf Misinformation [35]. Die Folgen dieser politischen Entscheidungen auf die Lebensumstände von TGD Personen sind jedoch nicht zu negieren: In den USA ist ein signifikanter Anstieg an Suizidversuchen von 13- bis 17-jährigen TGD Personen in Bundesstaaten, die Anti-Transgender-Gesetze erlassen haben, festzustellen [36]. Im europäischen Kontext sind die Auswirkungen des soziopolitischen Klimas auf die Gesundheit von TGD Personen bisher kaum untersucht worden.
Unsere Studie zeigt mehrere Aspekte auf, in denen sich Gesundheit und Wohlbefinden von TGD Jugendlichen in Österreich von ihren cisgender Altersgenoss*innen unterscheidet: eine geringere Lebenszufriedenheit und mentale Gesundheit, an der möglicherweise vermehrte Einsamkeit bzw. soziale Ausgrenzung sowie eine negative Wahrnehmung des eigenen Körperbilds beteiligt sind. Ein Abbau der Stigmatisierung von TGD Identitäten im Allgemeinen sowie eine bessere Inklusion im Schulalltag könnten hilfreich sein, um die Situation für TGD Jugendliche in Österreich zu verbessern. Eine positivere Bewertung des eigenen Körperbildes von TGD Jugendlichen ist ebenfalls wünschenswert; sowohl vermehrte körperliche Betätigung als auch der Zugang zu geschlechtsaffirmativen medizinischen und rechtlichen Maßnahmen könnten sich in diesem Belangen positiv auswirken.

Einschränkungen dieser Studie

Auch wenn die Daten dieser Studie durch das Framework von Minority Stress interpretiert werden können, bietet die HBSC-Umfrage in ihrer jetzigen Form keine Möglichkeit, um Minority Stress selbst hinreichend abzubilden bzw. gezielt zu erheben. Es gibt keine Frage zu Ethnizität, keine spezifischen Fragen zu Marginalisierung, Ausgrenzung oder Diskriminierung, und auch die Frage nach Geschlecht stellt mit den Optionen „männlich“, „weiblich“ oder „andere: bitte anführen“ keine adäquate Methode dar, um geschlechtsdiverse Menschen zu erfassen. Man kann Minority Stress, wie wir es hier in Bezug auf TGD Jugendliche getan haben, daher nur anhand seiner Folgen approximieren. Eine endgültige Schlussfolgerung, ob die angegebene psychische Belastung bei TGD Jugendlichen eher vom Körperbild/der Geschlechtsdysphorie oder von erlebter struktureller Diskriminierung herrührt, ist jedoch nicht zulässig. Es benötigt daher weitere prospektive Studien, die sich dezidiert mit Minority Stress und der Intersektionalität multipler Diskriminierungsformen in TGD Jugendlichen beschäftigen – aber auch protektive Faktoren und Resilienzen erfragen, um von einer rein defizitorientierten Forschung abzukommen und Handlungsschritte zur Verbesserung dieser bestehenden Disparitäten zu formulieren.

Fazit für die klinische Praxis: Was können wir verbessern?

Das Erfahren von Diskriminierung im Rahmen einer medizinischen Behandlung prägt bereits in jungen Jahren die weitere Beziehung zum Gesundheitssystem [37]. Die aktuelle Datenlage deutet darauf hin, dass TGD Menschen grundsätzlich ein erhöhtes Risiko haben, medizinische Behandlungen aufgrund antizipierter negativer Erfahrungen zu meiden [38, 39]. Unter anderem führt dies zu den oben bereits genannten schlechteren Gesundheitsoutcomes [4042] sowie nicht selten zu Selbstmedikation – auch im Kontext zunehmender Einschränkungen und Barrieren für geschlechtsangleichende Behandlungen [4346].
In der Praxis können wir genau dort ansetzen, wo TGD Personen ihre ersten Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem machen: in der Pädiatrie. Wir möchten daher einen möglichst offenen und unvoreingenommenen Umgang mit Geschlechtsvariabilität bei Kindern und Jugendlichen sowie eine Sensibilisierung für die Zeichen erhöhter psychischer Belastung in dieser Patient*innengruppe anregen. Ein Grundwissen zur aktuellen rechtlichen und politischen Lage kann hilfreich sein, um die Lebensrealität und Ängste von TGD Jugendlichen besser nachzuvollziehen und so eine bestmögliche medizinische Versorgung zu ermöglichen.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

J. Steininger und S. Knaus geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen. Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de.

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Metadaten
Titel
Psychische Gesundheit, Wohlbefinden und Körperbild bei Transgender- und geschlechtsdiversen Jugendlichen in Österreich
Eine prospektive Querschnittsstudie
verfasst von
Jojo Steininger, MD
Sarah Knaus, MD, MPhil
Publikationsdatum
06.03.2025
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
Journal für Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel
Print ISSN: 3004-8915
Elektronische ISSN: 3004-8923
DOI
https://doi.org/10.1007/s41969-025-00264-8