Seit den 90er Jahren werden im deutschsprachigen Raum Debatten um
gender teilweise von
diversity abgelöst.
Diversity thematisiert nicht nur die
gender-Differenz, sondern weitere Differenzlinien wie Herkunft, Ethnizität,
race, Hautfarbe, sozialer Status, Klasse, Besitz, Gesundheit, Sexualität etc. und kann als Erweiterung der
gender-Perspektive betrachtet werden. Differenzen entstehen nicht zufällig oder beliebig, „sondern in einer historisch aufklärbaren Weise regelmäßig […] entlang bestimmter Differenzverhältnisse“ (Mecheril und Plößer
2018, S. 287). Analog zum Ansatz des
doing gender (West und Zimmerman
1987) etablieren West und Fenstermaker (
1995) das Konzept des
doing difference „als einem Prozess, durch den Individuen sich durch Rückgriff auf unterschiedliche Kategorien wie ‚Kultur‘ oder ‚Geschlecht‘ darstellen bzw. entlang dieser Kategorien Zuschreibungen erfahren“ (Mecheril und Plößer
2018, S. 286). Die
doing-Ansätze entstammen ursprünglich der interaktionstheoretischen Soziologie und gehen von einem sozialkonstruktivistischen Verständnis aus, nach dem psychische, soziale und gesellschaftliche Phänomene nicht
natürlich bzw. essentialistisch festgeschrieben existieren, sondern durch Handeln performativ hergestellt werden, was ihre Prozesshaftigkeit, Veränderlichkeit und Kontextualität hervorhebt.
Diversity findet Anwendung in Gleichstellungs- und Antidiskriminierungspolitiken sowie in Debatten um Menschenrechte. Privatwirtschaftliche Unternehmen setzen Konzepte von
diversity management bzw.
managing diversity im Rahmen von Werbekonzepten oder der Produktentwicklung ein und versuchen, die Unterschiede zwischen Mitarbeiter_innen oder Kund_innen als Wettbewerbsvorteil zu nutzen. Hier liegt auch die Kritik an diesen
diversity-Ansätzen begründet, da Fragen der Chancengleichheit oder Gerechtigkeit in den Hintergrund rücken und Machtverhältnisse eher ausgeblendet werden (Walgenbach et al.
2012). „Diversity without changing the structure, without calling for structural formation, simply brings those who were previously excluded into a process that continues to be as racist, as misogynist as it was before“ (Davis 2018, zit. n. Gonzalez
2018, o. S.).
In der Psychotherapie wird
diversity meist hinsichtlich differenter Klient_innengruppen assoziiert. Wir arbeiten mit Gesundheits- und Krankheitsbegriffen, die sich schulenspezifisch unterscheiden. Psychiatrische Diagnosen beschreiben Konstrukte der Abweichungen von psychischer Normalität. Wir bewegen uns in einem permanenten Spannungsfeld zwischen „der Reproduktion von Normalitätsmustern und Andersheit“ (Mecheril und Plößer
2018, S. 284). Psychotherapie ist folglich einerseits ein
Normalisierungsinstrument (Butler
2009, S. 366), also ein Instrument, um Normalität herzustellen, kann aber in emanzipatorischem Sinne gleichzeitig dazu beitragen, Normalität in Frage zu stellen und zu dekonstruieren.
Im deutschsprachigen Raum forderte bereits die
feministische Psychotherapie der 70er und 80er Jahre die Reflexion der
gender-Differenz in der Psychotherapie. Scheffler (
2010) bietet einen historischen Überblick zu den Entwicklungen und differenten Positionierungen der feministischen Psychotherapie aus Weißer
1 Perspektive. Die Kongressdokumentation des 22. Feministischen Frauentherapiekongresses (Hahn et al.
1999) ist eines der wenigen historischen Zeitdokumente, das Schwarze
2 Positionierungen zur feministischen Psychotherapie und Beratung für den deutschsprachigen Raum liefert. Die Globalisierung und der damit einhergehende demographische Wandel, wirtschaftliche Not, Krieg, Flucht- und Migrationsbewegungen führen zu weiteren Differenzen hinsichtlich Herkunft, Nationalität, Sprachen, Religionen und kultureller Prägungen. Vor allem für die Arbeit mit Klient_innen aus sozialen Gruppen, die nicht der Mehrheitsgesellschaft bzw. Dominanzkultur (Rommelspacher
1995) angehören z. B. Menschen mit
lesbian-gay-bi-transgender-intersexual-*queer-Hintergrund (LGBTI*Q), mit Flucht- und/oder Migrationsbiographien, mit Handicaps, Kinder, alte Menschen, Frauen – erweist sich
diversity als hilfreiches Konzept, da es die Auseinandersetzung mit pluralistischen Lebensformen fördert und eine Sensibilisierung für die Bedürfnisse und Problemlagen unterschiedlicher sozialer Gruppen ermöglicht.