I am suggesting that the unconscious imperatives of gender are in operation in all of us, even as some of us may challenge or resist the imperatives.
Natascha Distiller (
2011, S. 16)
Besonders durch den Einfluss sozialer Bewegungen (Frauen*-, Lesben- und Schwulen‑, Transgender‑, Inter*Bewegung) wurden neue Diskurse etabliert, die widerständige, nonkonforme Verkörperungen von Geschlecht artikulierbar machen (Siročić
2015). So werden etwa Inter* und Trans* Anliegen gegenwärtig auch in der Mehrheitsgesellschaft präsenter. Gleichzeitig durchziehen weiterhin problematische Narrative die Geschlechterdiskurse, deren Durchdringung des psychotherapeutischen Raums wir reflektieren wollen. Wie lässt sich ein sensibler und gesellschaftspolitisch reflektierter Kontakt mit inter*- und trans*-spezifischem Erleben Therapie in Anspruch nehmender Personen
1 entwickeln? Wir argumentieren, dass es dafür permanenter Reflexion diskursiver Geflechte und deren Verwobensein mit eigenen Wahrnehmungs- und Handlungsweisen aufseiten der Psychotherapeut*innen bedarf.
Daher werden zunächst eine diskursanalytische Arbeit zum hegemonialen Inter* Diskurs von Lisa Wanner (
2015) und blitzlichtartige Überlegungen zum Trans* Diskurs vorgestellt. Von dort wird mithilfe von Studienergebnissen
2, bei denen die Erfahrungen von Trans* und Gender Non Conforming
3 Personen im Zentrum stehen, eine Brücke zum therapeutischen Alltag gebaut. Besonders fragen wir danach, inwiefern Inter* und Trans* im Kontext von „mental health“ in Gestalt von Pathologisierung „behandelt“ werden und heben Reflexionsebenen hervor, mit denen Therapeut*innen praktisch und theoretisch konfrontiert sind. Im Brennpunkt unserer Auseinandersetzung steht eine schulenübergreifende, gesellschafts- und disziplinenkritische Perspektive auf Diskurse, welche die psychotherapeutische Arbeit insgesamt (be)trifft. Gewiss ist es dabei von Bedeutung, die der psychotherapeutischen Ausrichtung entsprechenden Konzepte und Anwendungsbereiche einzubeziehen. Eine vertiefende und differenzierte Darstellung spezifischer Implikationen würde jedoch den Rahmen des Beitrags übersteigen. Ausführliche Darstellungen geben Austin et al. (
2016) für kognitive und verhaltenstherapeutische Ansätze, Lin Fraser (
2009) für tiefenpsychologische Ansätze, Knutson und Koch (
2018) für humanistische sowie Mallory et al. (
2017) für systemische Ansätze.
Anhaltende Pathologisierungen machen es jenseits der therapeutischen Grundorientierung weiterhin notwendig, die Selbstverständlichkeit zu betonen, dass Inter* und Trans* keine automatische Indikation für eine Therapie darstellen: „[g]enders [..] open out into lives that are led through many ways of being and feeling well“ (Corbett
2009, S. 126). Um Personen dahingehend zu stärken, ist es wichtig, Gefahrenpotentiale für Verletzungen, Stigmatisierungen und (Re‑)Traumatisierungen zu untersuchen und für psychotherapeutische Räume zu benennen (Puckett und Levitt
2015).
What is said is said, what is said is taught, what is said is done (to people): Diskurse zu Inter* und Trans*
Cut me in quadrants, leave me in the corner.
Inter*
Der Diskurs zu Inter* ist besonders von der brutalen Praxis geprägt, an Menschen, vor allem Säuglingen und Kindern, deren Geschlechtlichkeit von der medizinischen Schablone nicht als weiblich oder männlich erfasst werden kann, nichtkonsensuelle geschlechtsnormierende Operationen durchzuführen (vgl. Voß
2012). Diese werden häufig als gewaltvoll, traumatisierend und verstümmelnd beschrieben (Völling
2010). Inter* Aktivist*innen fordern seit vielen Jahren ein Verbot und machen auf weitreichende Diskriminierung aufmerksam. Der Deutsche Ethikrat war 2011 von der Deutschen Bundesregierung beauftragt worden, eine Stellungnahme zu „Intersexualität“ zu verfassen
4, mit der sich Lisa Wanner (
2015) unter Einbezug der dadurch initiierten Debatte in Form einer Kritischen Diskursanalyse (nach Jäger
2009) beschäftigt hat. Die Analyse ist u. a. von der Irritation ausgegangen, dass der Deutsche Ethikrat
5 (
2012) im Gegensatz zu einer aktuellen EU-Resolution
6 zu keiner klaren Ablehnung geschlechtsnormierender Ein- bzw. Übergriffe gelangt und insgesamt ambivalent bleibt. Grundsätzlich hat die Frage interessiert, wie Geschlecht- bzw. Geschlechtskörper von wem auf welche Weise verhandelt werden. Im Zentrum stand die Feinanalyse eines Kapitels aus der Stellungnahme „Intersexualität“ („Geschlechtszuordnung und Geschlechtsidentität“, Stn., S. 27–34). Um diese zu kontextualisieren, wurde die gesamte Debatte
7 sowie einige Online-Artikel aus bekannten deutschsprachigen Medien
8 gesichtet und ausschnittsweise analytischen Betrachtungen unterzogen. Zentrale Ergebnisse werden vorgestellt.
Situationsaustrocknung qua Abstraktion
Besonders über die Feinanalyse lässt sich zeigen, wie verschiedene Mittel eingesetzt werden, um zunehmend vom realen Geschehen zu abstrahieren. Dies passiert aber in einem Diskurs, der gerade aus der Artikulation von erfahrener Gewalt und Traumatisierung hervorgegangen ist (Wanner
2015, S. 69 f).
Ordnung
Geschlecht ist als zentrale Ordnungskategorie hergestellt: in der vom Deutschen Ethikrat durchgeführten Befragung „Zur Situation intersexueller Menschen“ (Bora
2012) wird auffallend oft nach Geschlecht und dessen Zuordnung gefragt; der Feinanalysetext weist schon im Titel aus, was Programm ist: „Geschlechtszuordnung und Geschlechtsidentität“ (Stn., S. 27). Durch die proklamierte Zuordnung wird ganz im Sinne der Festschreibung Identität geschaffen; Geschlecht wird häufig als „Merkmal“ (ebd.) oder „Kennzeichnung“ (ebd.) benannt – beides Begriffe mit offensichtlichem Ordnungskonnex (Wanner
2015, S. 83).
Trans*
Trans* Personen wurden und werden wissenschaftlich konzeptioniert, was mit der Einführung einer psychiatrischen Diagnose einhergeht, deren Statthalter*innen (Psychotherapeut*innen, Mediziner*innen) die Möglichkeiten und die Finanzierung chirurgischer und hormoneller Eingriffe ganz im Sinne der Definitionsmacht verwalten. In der neuesten Auflage des durch die American Psychiatric Association herausgegebene Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM) wird Trans* durch die Geschlechtsdysphorie als Inkongruenz zwischen dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht und der Geschlechtsidentität klassifiziert. Solche Texte sind ein Zahnrad in der „diskursiven Maschinerie“ (Borba
2019, S. 25), die Trans* Personen als spezifische Subjekttypen in medizinischen und psychologischen Wissenssystemen identifiziert. Die Zweischneidigkeit einer Diagnose zeigt sich daran, dass sich einerseits Zugänge zu Kostenerstattung, etwa für Hormontherapie und Operationen, öffnen und eine Diagnose als Ausdruck eines möglichen hohen Leidensdrucks wahrgenommen werden kann. Gleichzeitig werden mit der Diagnose nicht-konforme Geschlechtsidentitäten pathologisiert und eigene verkörperte Geschlechtlichkeit wird in institutionalisierte, gesellschaftskonform glattpolierte und fremdbestimmende Entscheidungsstrukturen (unauflöslich) verflochten. Für die Arbeit mit Trans* Personen können sich Psychotherapeut*innen an internationalen Richtlinien
10 orientieren, wobei es sich dabei vorwiegend um Konsensuserklärungen von sogenannten ›Expert*innen‹ ohne Einbezug der Perspektiven von Trans* Personen handelt. Dies erscheint in Bezug auf die oben ausgeführten Topoi, besonders die Abwertung von Erfahrungswissen, nicht überraschend: So existieren wenige Studien, die auf Erfahrungen von Trans* und Inter* Personen als TiAnP fokussieren – einige zentrale Elemente dennoch gefundener werden in der Folge vor der Hintergrundfolie obiger Ergebnisse diskutiert.
Diskursives (Ra)umgestalten in der psychotherapeutischen Praxis
Mizock und Lundquist (
2016) haben in ihrer Studie Fehltritte herausgearbeitet, die von Trans* und GNC Personen in der Psychotherapie wahrgenommen werden. Diese stellen wir verknüpft mit zentralen Erkenntnissen zum Inter* Diskurs vor und geben anschließend praxisrelevante Empfehlungen.
Als erste praktische Konsequenz leiten wir aus den besprochenen Ergebnissen die Notwendigkeit ab, Erfahrungswissen anzuerkennen und Inter* und Trans* Personen als Sprecher*innen und Expert*innen ernst zu nehmen und zu stärken. Spezifische Mikroaggressionen, denen Trans* und Inter* Personen ausgesetzt sind (Chang und Chung
2015) können zu Erwartungen von Ablehnung oder Diskriminierung in der psychotherapeutischen Beziehung führen. Es ist dabei zentral, gesellschaftliche Diskriminierungserfahrung als solche wahrzunehmen, nicht zu verharmlosen und die je eigene Definitionsmacht hinsichtlich der Geschlechtlichkeit zu respektieren; dies schließt auch die Frage nach und die Verwendung von selbstgewählten Pronomen mit ein. Gleichzeitig, und hier ist hohe Sensibilität gefordert, soll der therapeutische Raum ermöglichen, eigene Deutungs- und Wahrnehmungsmuster in einem möglichst sicheren Rahmen zu reflektieren. Dafür ist die Auseinandersetzung mit und die Reflexion von Geschlechtlichkeit aufseiten der Therapeut*innen wesentlich (McCann und Sharek
2016). Poteat und Kolleg*innen (
2013) weisen anhand von Tiefeninterviews mit TiAn Trans* Personen und klinischem Personal aus dem US-amerikanischen Gesundheitsbereich darauf hin, dass ein diesbezüglicher Mangel die Beziehungsgestaltung so stark beeinflussen kann, dass sich die individuelle Situation von TiAnP verschlechtert, die Behandlungszufriedenheit verringert und die zukünftige Annahme von Unterstützungsangeboten nachhaltig beeinträchtigt wird. Zudem stellen White Hughto und Kollegen* (
2015) dar, wie Stigmata gegenüber Trans* Personen auf individuellen, interpersonalen und institutionellen Ebenen wirken und argumentieren vor dem Hintergrund von Interventionsmöglichkeiten und anknüpfend an die Befunde von Poteat et al. für eine verstärkte Schwerpunktsetzung im Rahmen der Ausbildung (S. 227). Für die psychotherapeutische Arbeit haben wir folgende Orientierungslinien formuliert:
1.
Erwerb von Wissen, z. B. Inanspruchnahme und (mitunter auch finanzielle) Wertschätzung von Beratung durch (zumeist unbezahlt arbeitende) Selbstvertreter*innen und Aktivist*innen; begleitende Supervision.
2.
Hegemoniale Diskurse zu Geschlechtern, Sexualitäten und deren Zusammenhänge mit Machtverhältnissen kennen und reflektieren, sodass sie den psychotherapeutischen Raum weniger stark beherrschen und dennoch als Realität sichtbar sind; Kulturelle/gesellschaftliche (Selbst‑)Stigmatisierungen von Geschlecht erkennen und unterbrechen: Nach Hakeem (
2010) fördert dies nicht nur ein besseres Verständnis der TiAnP, sondern stellt auch einen sozialen, politischen und kulturellen Beitrag dar, um auf Veränderungen in der gesellschaftlichen Grundmatrix hinzuarbeiten.
3.
Heranziehung intersektionaler Ansätze, die neben gender Kategorien wie race, class, dis/ability und weitere mit einbeziehen (Duong
2012): Da psychotherapeutische Zugänge im überwiegenden Maße auf heteronormativen, monokulturellen Annahmen basieren, ist es wichtig, multidimensionale Facetten sozialer und psychischer Realitäten mitzubedenken; die Reflexion historisch gewachsener Privilegien und Macht erscheint dafür unerlässlich.
Geschlechtliche Dimensionen und damit verbundene Diskurse durchwandern alle gesellschaftlichen – und damit auch psychischen Welten. Wir haben darüber nachgedacht, was dies für psychotherapeutische Räume bedeuten kann – dies aus der Perspektive weißer*, temporarily able-bodied Akademiker*innen und angehender Psychotherapeut*innen als Autor*innen, die sich als Trans* jenseits binärer Geschlechtszuschreibungen bzw. als queere Frau* selbst bezeichnen. Wir haben in diesem Artikel Trans*, Inter* und GNC aufseiten der TiAnP fokussiert. Dabei haben wir uns auf Befunde gestützt, die das Erfahrungswissen von Trans* und GNC Personen ins Zentrum stellen. Fragen danach, wie Trans*, Inter* und GNC Personen auf Therapeut*innenseite den psychotherapeutischen Raum erleben und gestalten, sind ebenso spannend. Lautstark kritisieren wir, dass die Wege zur psychotherapeutischen Praxis für Inter*, Trans* und GNC Personen durch massiv ausgrenzende Zugangsbarrieren erschwert bis hin zu versperrt sind.
Wir imaginieren psychotherapeutische Räume, die freier sind: Um sich selbst in Erfahrung zu bringen/zu singen; um weniger Schranke und weniger Quadra(n)t sein zu müssen.
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