Entsprechend einer schwedischen Registeranalyse von Jernberg et al. ist die Ereignisrate bei Patienten/innen nach einem akuten Myokardinfarkt innerhalb des ersten Jahres bei 18,3 % [
8]. Dies gilt nur für jene Patienten/innen, die ihren Index-Myokardinfarkt bis zur Entlassung überlebt haben. Mehr als die Hälfte der in diesem ersten Jahr auftretenden Ereignisse sind letal, wobei 2/3 der Todesfälle kardiovaskulär bedingt sind. Somit besteht im ersten Jahr nach einem Myokardinfarkt ein substanziell hohes Ereignis- und Mortalitätsrisiko. Jene Patienten/innen (
n = 76.687), die das erste Jahr nach Myokardinfarkt ohne Ereignis überleben, werden als
stabile Post-Myokardinfarkt-Patienten/innen bezeichnet. Der Begriff „stabil“ kann jedoch durchaus als irreführend betrachtet werden, da diese Menschen in den nächsten 24 Monaten (also in den Jahren 2 und 3 nach dem Index-Myokardinfarkt) eine nach wie vor hohe (17,7 %ige) Wahrscheinlichkeit, ein erneutes kardiovaskuläres Ereignis zu erleiden, haben. Somit geht aus diesen Registerdaten klar hervor, dass sicherlich die höchste Ereignisrate im ersten Jahr nach Myokardinfarkt besteht, aber auch, dass in den darauf folgenden Jahren Patienten/innen unverändert in einem zweistelligen Prozentbereich kardiovaskulär gefährdet sind. Eine ähnlich hohe Ereignisrate in Post-Myokardinfarkt-Patienten/innen konnte auch in der „Osaca Acute Coronary Insufficiency“ Studie mit einem Nachbeobachtungszeitraum von bis zu 5 Jahren bei 7870 Patienten/innen beobachtet werden [
9]. Besonders gefährdet sind dabei jene Menschen mit mehr als einem Myokardinfarkt in ihrer Anamnese. Mit einem Follow-up von bis zu 20 Jahren konnten Nauta et al. in einer Arbeit aus dem Jahr 2012 ein besonders hohes Risiko für Patienten/innen mit Diabetes mellitus und Myokardinfarkt in der Vorgeschichte aufzeigen [
10]. Dementsprechend wurde in einer Analyse der Framingham Heart Study bereits zu Beginn dieses Jahrtausends eine dramatische Reduktion der Lebenserwartung der Patienten/innen mit der Vorgeschichte eines akuten Myokardinfarkts im Vergleich zur Patienten ohne kardiovaskuläre Erkrankung berichtet. In Abhängigkeit des Geschlechts und des Alters reduziert sich durch einen Myokardinfarkt die Lebenserwartung von 4,3 Jahren (bei 80-jährigen Männern) bis zu 14,9 Jahren (bei 50-jährigen Frauen) [
11]. Diese Fakten berücksichtigend ist somit jeder Arzt/jede Ärztin, der/die mit der Behandlung von Post-Myokardinfarkt-Patienten/innen betraut ist, gefordert, möglichst effektiv und langfristig Risiko-senkend zu agieren. Mehrere Studien und Metaanalysen der letzten Jahre haben rehabilitativen Maßnahmen einen Mortalitäts-Benefit bescheinigt [
12,
13]. Die Teilnahme an multidisziplinären Rehabilitationsprogrammen erhält daher nicht zu unrecht in diversen Richtlinien durchwegs eine vorrangige Empfehlung [
14]. Neben der Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit, der Patienten/innen-Aufklärung und -Erziehung sowie der psychologischen Betreuung bieten multiprofessionelle Rehabilitationsprogramme auch die Möglichkeit einer intensiven Beschäftigung mit der medikamentösen Risikominimierung von Patienten/innen mit koronarer Herzkrankheit, insbesondere von Post-Myokardinfarkt-Patienten/innen. In kurzer Zeit häufige und regelmäßige Arzt-Patienten-Kontakte erlauben eine detaillierte Kontrolle/Überprüfung des Wirkungs- und vor allem auch Nebenwirkungsprofils verschiedener Substanzklassen, unter anderem auch von Antiplättchen-Medikamenten.
Das langfristig erhöhte kardiovaskuläre Risiko von Post-Myokardinfarkt-Patienten/innen einerseits und der Nutzen einer DAPT speziell im ersten Jahr nach einem ACS andererseits werfen die Frage auf, wie ausgeprägt das Risiko-Nutzen-Verhältnis für eine über 12 Monate verlängerte DAPT nach einem ACS im individuellen Fall sein kann bzw. ist. Diese Einzelfallentscheidung ist in den NSTE-ACS-Management-Richtlinien der europäischen kardiologischen Gesellschaft 2015 [
4] mit einer Klasse-IIb-Empfehlung auf einem Evidenzniveau A [
15,
16] folgender Maßen verankert: „P2Y
12 inhibitor administration in addition to aspirin beyond one year may be considered after careful assessment of the ischaemic and bleeding risks of the patient.“