Einleitung
Die intravasale Volumentherapie ist eine der häufigsten therapeutischen Maßnahmen im periinterventionellen Setting. Sie wird insbesondere bei Patienten mit akuter Hypovolämie bzw. im Schock oder bei hämodynamischer Instabilität durchgeführt, um ein ausreichendes intravasales Volumen und Sauerstoffangebot sicherzustellen und konsekutiv eine adäquate Pumpleistung des Herzens, Gewebeoxygenierung, Gewebeperfusion und Organfunktion zu erreichen [
1].
Zur Behandlung einer intravasalen Hypovolämie werden kristalloide und kolloidale Infusionslösungen eingesetzt. Kolloide sind seit der Erstanwendung von Gelatine zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein fester Bestandteil im perioperativen Bereich sowie in der Akut- und Notfallmedizin [
2]. Sie beinhalten hochmolekulare Substanzen wie Proteine oder Polysaccharide, die Wasser durch ihren kolloidosmotischen Druck binden und das Gefäßsystem nicht verlassen können, sodass bis zu 100 % der infundierten Menge intravasal zur Verfügung stehen.
Demgegenüber handelt es sich bei kristalloiden Infusionslösungen um Elektrolytlösungen, die keinen kolloidosmotischen Druck aufbauen können, da ihnen Makromoleküle fehlen und die Elektrolyte nur zu 25 % im Intravasalraum verbleiben und zu 75 % in den Extravasalraum umverteilt werden [
3].
Um denselben Volumeneffekt zu erzielen, muss dementsprechend etwa die vierfache Menge an Kristalloiden infundiert werden [
4,
5,
6,
7]. Die damit einhergehende Gefahr der interstitiellen Überwässerung ist auch der entscheidende Nachteil einer Volumensubstitution mit Kristalloiden [
8].
Mehrere Studien haben gezeigt, dass eine inadäquate Flüssigkeitsüberladung vermehrt Komplikationen induziert, u. a. durch eine generalisierte Ödembildung mit verzögerter Normalisierung der Darmfunktion, interstitielle Ödembildung mit Verlängerung der Sauerstoffdiffusionsstrecke und Sauerstoffmangelversorgung der Gewebe, Lungenödem und/oder abdominelles Kompartmentsyndrom [
9,
6,
10]. Eine positive Flüssigkeitsbilanz ist darüber hinaus mit einer erhöhten Mortalität verbunden [
11,
12]. Andererseits ist auch ein nicht ausreichender Volumenersatz für den Patienten nachteilig [
13,
14,
15].
Daher wurde in den letzten Jahren v. a. in der Chirurgie immer häufiger eine zielwertorientierte Volumentherapie angewandt, die sich nicht an absoluten Volumenmengen, sondern an der Optimierung von Kreislaufvariablen wie Schlagvolumen und Pulsdruck orientiert.
Unter dem Einfluss der jüngsten Entwicklungen in Hinblick auf Empfehlungen zum Einsatz von HES-Präparaten in der Intensivmedizin und bei elektiven Eingriffen sollen im vorliegenden Expertenstatement im ersten Teil die verschiedenen Aspekte einer rationalen patientenorientierten Volumenersatztherapie kurz dargestellt werden. Der zweite Teil des Statements ist die Zusammenfassung eines Expertenmeetings, bei dem österreichische Experten die präklinische und klinische Praxis der Volumentherapie anhand verschiedener Themenbereiche diskutierten.
Volumenersatzmittel
Kolloide
Künstliche Kolloidlösungen enthalten kolloidale Makromoleküle wie Kohlenhydrate (Hydroxyethylstärke, Dextrane) oder Proteine (Gelatine oder humanes Albumin). Dextran spielt wegen der potenziellen Nebenwirkungen (renale Effekte, Beeinträchtigung der Hämostase, allergische Reaktionen, Notwendigkeit einer Haptenprophylaxe) in Mitteleuropa keine Rolle mehr.
Hydroxyethylstärke (HES) besteht aus Amylopektin (Mais, Kartoffeln), an dessen Glukosegruppen Hydroxyethylgruppen angefügt werden. HES wird enzymatisch gespalten und entweder metabolisiert oder durch das retikuloendotheliale System aus dem intravasalen Raum entfernt.
HES-Lösungen sind durch drei verschiedene Kriterien charakterisiert:
1.
das Molekulargewicht, hier stehen Lösungen zwischen 70 und 450 kDalton zur Verfügung,
2.
den Substitutionsgrad, der die Anzahl der Hydroxyethylgruppen pro Glukosemolekül angibt (z. B. 0,4),
3.
die Stelle im Glukosemolekül, an der eine Hydroxyethylgruppe angelagert wurde (C2 oder C6), woraus sich der Substitutionstyp ergibt, bezeichnet als das C2/C6-Hydroxyethylierungsverhältnis [
16].
In Österreich stehen derzeit nur noch niedermolekulare HES-Präparationen der dritten Generation (130/0,4 bzw. 130/0,42) zur Verfügung.
Zu den wichtigsten Nebenwirkungen der HES-Lösungen gehören wie bei Dextran ein Coating-Effekt mit Abnahme der Thrombozytenadhäsivität sowie Veränderungen der plasmatischen und zellulären Blutgerinnung [
17,
18]. Die Beeinträchtigung des Gerinnungssystems und der Thrombozytenfunktion ist umso geringer, je kleiner das Molekulargewicht, der Substitutionsgrad und das C2/C6-Verhältnis sind. Am wenigsten ausgeprägt scheinen diese Nebenwirkungen bei niedermolekularem HES mit niedrigem Substitutionsgrad (z. B. HES 130/0,4 oder HES 70/0,5) zu sein [
19,
20]. Niedermolekulare Präparate werden zum größten Teil renal eliminiert und nur zu einem sehr kleinen Teil im retikuloendothelialen System (RES) eingelagert [
16]. Der Unterschied dieser Präparate im Vergleich zu mittel- oder hochmolekularen Hydroxyethylstärken liegt in der kürzeren intravasalen Volumenwirkung in der Größenordnung von 2–3 Stunden.
Gelatine wird durch Hydrolyse aus Kollagen von Rinderhaut und Rinderknochen gewonnen. Als Volumenersatz bietet es gegenüber HES keine entscheidenden Vorteile: Der Volumeneffekt liegt nur bei rund 50 % [
21]. Das Risiko für anaphylaktische Reaktionen ist um eine Vielfaches höher als unter Humanalbumin [
22,
23]. Gelatine beeinträchtigt die Hämostase bzw. Koagulation (erhöhte Blutviskosität, reduzierte Blutgerinnung) und verlängert so die Blutungszeit [
24,
25,
26,
27]. Bei akuter Hämodilution im Rahmen einer kardiopulmonalen Bypassoperation ist die Gabe von HES 130/0,4 gegenüber Gelatine nicht nur in Hinblick auf eine verbesserte und raschere mikrovaskuläre Perfusion überlegen [
28], sondern auch bzgl. Der Reduktion von Entzündungsmarkern (z. B. IL-8) und Erhöhung antiinflammatorischer Marker (z. B. Il-10) [
29].
Die Gewinnung von Gelatine aus bovinem Rohmaterial ist zwar einem aggressiven Herstellungsverfahren unterworfen, dennoch kann die Übertragung des Erregers der bovinen spongiformen Enzephalopathie (BSE) grundsätzlich nicht vollständig ausgeschlossen werden [
30,
31].
Obwohl Gelatine bereits seit rund 100 Jahren als Infusionslösung angewendet wird, ist die Datenlage mit der von HES kaum vergleichbar, da mit Gelatine keine großen kontrollierten Studien durchgeführt wurden, die ein Statement „Gelatine ist sicher“ unzweifelhaft rechtfertigen könnten [
32,
33]. Nicht zuletzt aufgrund von Sicherheitsbedenken ist Gelatine in den USA bereits seit 1978 nicht mehr zugelassen [
34].
Kristalloide
Als Kristalloide werden Elektrolytlösungen oder niedermolekulare Kohlenhydratlösungen bezeichnet. Sie unterscheiden sich in Hinblick auf Osmolarität, kolloidosmotischen Druck, Elektrolytgehalt und pH-Wert. Unbalancierte Kristalloide wie die fälschlicherweise als „physiologisch“ bezeichnete 0,9 %ige Natriumchlorid-(NaCl-)Lösung werden in Europa kaum mehr als Volumenersatzmittel verwendet, da der unphysiologisch hohe Chloridgehalt von 154 mmol/l mit Hyperchlorämie, Azidose oder Nierenfunktionsstörungen vergesellschaftet ist [
35]. Speziell bei intensivmedizinischen Patienten wurden mehr hyperchlorämische Azidosen bzw. eine höhere Inzidenz an Nierenversagen mit Dialysepflichtigkeit berichtet [
36,
37].
Demgegenüber wurden in der rezenten SPLIT-Studie bei kritisch Kranken keine nachteiligen Effekte von NaCl im Vergleich zu einem balancierten Kristalloid (Plasmalyte 148) auf die Nierenfunktion beobachtet, sofern nicht mehr als zwei Liter (Median) innerhalb von drei Tagen verabreicht werden [
38]. Allerdings erhielten mehr als 60 % der Patienten bereits vor Randomisierung ein balanciertes Kristalloid, das meiste Volumen wurde am Tag der Randomisierung verabreicht (NaCl: 1694 ± 292; Plasmalyte: 1711 ± 1385). Die durchschnittlich verabreichte Kristalloidmenge betrug während des gesamten ICU-Aufenthalts allerdings nur zwei Liter, sodass sich aufgrund dieser Studie am Risiko-Nutzen-Profil von NaCl kaum etwas ändern dürfte [
39]. Zudem wussten am Ende der Studie zwei Drittel der Ärzte trotz doppelter Verblindung, welches Kristalloid sie infundiert hatten, da es in der NaCl-Gruppe vermehrt zu Hyperchlorämien und metabolischen Azidosen kam und aufgrund dieser Beobachtungen auf die Gabe von NaCl geschlossen wurde, auch wenn die Chloridwerte nicht dokumentiert wurden [
38].
Seit vielen Jahren werden in der Chirurgie bevorzugt Vollelektrolytlösungen wie Ringer-Laktat eingesetzt. Da die Zufuhr von Laktat bei Patienten mit bereits erhöhten Laktatwerten nicht sinnvoll ist, enthalten einige kristalloide Lösungen stattdessen Acetat oder Malat, die wie Laktat zu Bikarbonat metabolisiert werden, wodurch eine Dilutionsazidose vermieden werden kann [
40]. Während Acetat unabhängig von der Leber verstoffwechselt wird, ist der vorwiegende metabolische Weg für infundiertes Laktat mit bis zu 70 % die intrahepatische Glukoneogenese [
41]. Dies ist insbesondere bei Sepsispatienten von prognostischer Bedeutung, bei denen die hepatische Laktat-Clearance aufgrund des Schockzustandes beeinträchtigt ist [
42,
43,
44].
Die hepatische Metabolisierung von Laktat benötigt außerdem überproportional viel Sauerstoff, sodass pro Liter Ringer-Laktat der Sauerstoffbedarf des Patienten für 7 min verdoppelt wird [
45].
Im Gegensatz zu Kolloiden verteilen sich Kristalloide nicht nur intravasal, sondern im gesamten Extrazellularraum, demnach muss für einen vergleichbaren unmittelbaren Volumeneffekt deutlich mehr Kristalloid als isoonkotisches Kolloid verabreicht werden.
Jacob et al. [
6] untersuchten mit Hilfe der direkten Bestimmung des menschlichen Blutvolumens durch Double-Tracer-Techniken vor und nach Infusion die intravasalen Volumeneffekte von Ringer-Laktat, 5 % Humanalbumin und 6 % HES 130/0,4. Dabei war der mittlere Volumeneffekt von Ringer-Laktat kleiner als 20 %. Über 80 % belasteten als Ödem das Interstitium. In dieser Studie war es faktisch nicht möglich, bei relevanter Blutung (>1 l in 30 min) mit Ringer-Laktat die Normovolämie zu erhalten. Dies war bei der indikationsgerechten Verwendung isoonkotischer Kolloide anders: 5 % Humanalbumin, 6 % HES 130/0,4 und 6 % HES 200/0,5 zeigten hier mittlere Volumeneffekte von 82–98 % [
46,
47].
Unter Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen pharmakologischen Eigenschaften sind kristalloide Lösungen – idealerweise in balancierter Form – für den Ausgleich des präoperativen Defizits und des intraoperativen Erhaltungsbedarfs indiziert, während kolloidale Lösungen bei Zeichen einer Hypovolämie gegeben werden sollten [
48,
49,
50].
Dies wird durch die Ergebnisse von experimentellen und klinischen Untersuchungen gestützt, in denen unterschiedliche Kolloide im Vergleich zu Kristalloiden nicht nur Verbesserungen im Hinblick auf Volumenwirksamkeit gezeigt haben, sondern auch auf eine Normalisierung des kolloidosmotischen Drucks (KOD), der Inzidenz von interstitiellen Ödemen, der Leukozyten-Endothel-Interaktionen und der Gewebeoxygenierung hinweisen [
51,
49,
52,
53,
54,
55,
56].
In einer rezenten Studie erhöhte HES 130/0,4 den KOD in gesunden Freiwilligen, während er unter Ringer-Acetat abnahm [
57]. In einem Tiermodell zu kontrolliertem hämorrhagischen Schock konnte mit HES 130/0,4 die Hämodynamik nach einer Blutung viermal rascher als mit Ringer-Laktat und mit signifikant weniger Volumen stabilisiert werden [
58]. Zudem waren in einer aktuellen Analyse der 6S-Studie unter HES 130/0,42-Gabe Biomarker eines Endothelschadens und einer Gerinnungsstörung (i. e. lösliches Thrombomodulin, Syndecan 1, Plasminogen-Aktivator-Inhibitor, löslicher CD40-Ligand, Gewebeplasminogenaktivator) versus Ringer-Acetat deutlich reduziert [
59].
Eine adäquate Infusionstherapie sollte bedarfsorientiert und unter Berücksichtigung physiologischer Grundprinzipien durchgeführt werden. Um eine Hypo- und Hypervolämie zu vermeiden, sollte der tatsächliche intravasale Volumenmangel durch ein geeignetes Kolloid und der basale Flüssigkeitsbedarf durch eine kontinuierliche Infusion balancierter Kristalloide ausgeglichen werden.
Physiologischer Exkurs: die Funktion der endothelialen Glykokalyx
Das Konzept einer kolloidbasierten Volumenersatztherapie wird auch durch experimentelle Studienergebnisse zur Funktion des sogenannten „endothelial surface layer“ (ESL) gestützt [
60]. Er besteht aus der Glykokalyx, einer bis zu 1000 nm großen Struktur auf der endothelialen Oberfläche mit gebundenen Plasmaproteinen, die eine wichtige Barrierefunktion zwischen intravasalem und interstitiellem Kompartiment des Extrazellularraums einnimmt [
61,
62,
63]. Als vaskulär-endotheliale Barriere verhindert die Glykokalyx trotz permanentem (Blut-)Druck einen quantitativ relevanten druckpassiven Abstrom von Proteinen in das Interstitium während kleine gelöste Substanzen, wie z. B. Elektrolyte nicht zurückgehalten werden und sich frei im gesamten Extrazellularraum verteilen können.
Wird die Glykokalyx zerstört, treten ungehindert hochmolekulare Plasmabestandteile und in der Folge auch Wasser in das Interstitium aus. Weitere potenzielle deletäre Folgen einer zerstörten endothelialen Oberfläche sind eine lokale und generalisierte Inflammation sowie eine kompromittierte Mikroperfusion.
Sowohl im perioperativen als auch im intensivmedizinischen Kontext korreliert die Zerstörung der Glykokalyx bei Patienten im septischen Schock mit dem Mortalitätsrisiko, nach Ischämie und Reperfusion mit der Dauer und dem Ausmaß der Ischämie, und ist darüber hinaus bei Patienten nach Trauma ein unabhängiger Prädiktor für die Mortalität. Klinische Studien haben gezeigt, dass auch eine Hypervolämie zur Abnahme des Volumens des „endothelial surface layers“ führt [
64].
Die Intaktheit der Glykokalyx ist durch verschiedene Faktoren gefährdet, die häufig bei kritisch kranken Patienten oder infolge eines Traumas anzutreffen sind. So kommt es beispielsweise durch hohe Konzentrationen proinflammatorischer Zytokine und Ischämie/Reperfusion zu einer Degradation der Glykokalyx [
61,
65,
66]. Darüber hinaus führt eine intravasale Hypervolämie durch Dehnung der Herzvorhöfe zur Freisetzung natriuretischer Pepetide. Diese und vor allem ANP (atriales natriuretisches Peptid) aktivieren Metalloproteasen, die die endotheliale Glykokalyx degradieren. Es kommt zu einem vermehrten Flüssigkeitsabstrom ins Interstitium [
67]. Zudem gefährdet eine akute präoperative Hypervolämie durch Gabe von Flüssigkeitsboli die Integrität des ESL [
21].
Eine intakte endotheliale Glykokalyx ist zentraler Bestandteil einer physiologisch wirksamen vaskulären Barriere. Wird sie durch Trauma, Chirurgie oder Hypervolämie degradiert, kommt es zu einem proteinreichen Flüssigkeitsshift in den interstitiellen Raum.
Rekapitulieren der großen klinischen Studien: Kolloide zur initialen Stabilisierung
Während Studien und entsprechende Metaanalysen im perioperativen Setting die erfolgreiche Behandlung einer Hypovolämie mit modernen HES-Präparaten belegen und deren Stellenwert und Sicherheit bei chirurgischen Patienten außer Frage steht [
68,
69,
70,
71,
72,
73], führten Untersuchungen an kritisch kranken, v. a. septischen Patienten aufgrund ihrer Studienprotokolle und Ergebnisse in den letzten Jahren zu heftigen Diskussionen und trugen eher zur Verunsicherung als zur Klärung der Situation bei. Kaum ein anderes Thema der Intensivmedizin wurde so emotional diskutiert wie das Volumen- und Flüssigkeitsmanagement [
68].
Ausgangspunkt der heftigen Diskussionen war die 2008 publizierte VISEP-Studie [
74], gefolgt von der 6S-Studie [
75] und CHEST [
76], in denen unter HES-Präparaten versus Ringer-Laktat/Acetat bei septischen bzw. intensivpflichtigen Patienten eine erhöhte Rate an Nierenersatzverfahren beobachtet wurde. Die Ergebnisse dieser Studien führten zu einem Pharmakovigilanzverfahren der europäischen Zulassungsbehörde EMA, die in der Folge den Einsatz von HES bei kritisch kranken Patienten deutlich einschränkte. Im Oktober 2013 gab der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) die Empfehlung ab, HES bei Sepsis, Brandverletzungen und intensivpflichtigen Patienten aufgrund eines erhöhten Risikos für Nierenversagen und Mortalität nicht mehr anzuwenden [
77]. Die Empfehlung mündete am 19. Dezember 2013 in einem endgültigen rechtsverbindlichen Beschluss der Europäischen Kommission mit Gültigkeit in der gesamten Europäischen Union (Tab.
1; [
78]).
Tab. 1
Empfehlungen der EMA in Hinblick auf den Einsatz von HES-Lösungen (Auszug) [
78]
Aufgrund des Risikos der Nierenschädigung und der Mortalität dürfen HES-Lösungen bei Patienten mit Sepsis, mit Verbrennungen oder bei intensivpflichtigen Patienten nicht mehr verwendet werden |
HES-Lösungen sollten nur zur Behandlung von Hypovolämie aufgrund akuten Blutverlusts eingesetzt werden, wenn Kristalloide allein nicht als ausreichend angesehen werden |
Für Patienten, die sich chirurgischen Eingriffen unterziehen, und für Traumapatienten liegen keine zuverlässigen Daten zur langfristigen Sicherheit vor. Der erwartete Nutzen der Behandlung sollte sorgfältig gegen die Unsicherheiten im Hinblick auf die langfristige Sicherheit abgewogen werden, und es sollten andere Behandlungsmöglichkeiten in Betracht gezogen werden. Weitere Studien mit HES-Lösungen bei Patienten mit Trauma sowie Patienten, die sich einer elektiven Operation unterziehen, werden durchgeführt |
HES-Lösungen sollten über den kürzestmöglichen Zeitraum und in der niedrigsten wirksamen Dosierung angewendet werden. Die Behandlung sollte sich an einer kontinuierlichen hämodynamischen Überwachung orientieren, wobei die Infusion beendet werden sollte, sobald die angestrebten hämodynamischen Zielwerte erreicht sind |
Bei Patienten mit Niereninsuffizienz oder unter Nierenersatztherapie sind HES-Lösungen nun kontraindiziert |
Inwieweit diese Maßnahmen wissenschaftlich gerechtfertigt sind, bleibt dahingestellt, Tatsache ist jedoch, dass eine genauere Analyse der Studien zahlreiche Mängel und Protokollverletzungen zutage bringt.
In der
VISEP-Studie (n = 537, kochsalzbasiertes 10 % HES 200/0,5 versus Ringer-Laktat) wurde bei Patienten mit septischem Schock eine „alte“ hyperonkotische HES-Lösung verwendet, die zu Studienbeginn bereits von isoonkotischen Lösungen mit einem niedrigeren Molekulargewicht von 130 kDa als Standard abgelöst waren, da mittlerweile bekannt war, dass hyperonkotische größermolekulare HES-Präparate Nierenfunktionsstörungen begünstigen können [
79].
Das hyperonkotische HES-Präparat wurde innerhalb der ersten 24 h im Median um 60 %, maximal sogar um 700 % gegenüber der in der Fachinformation als Tagesmaximaldosis festgehaltenen Menge überdosiert. Die initiale hämodynamische Stabilisierung wurde in beiden Behandlungsgruppen meist durch ein Kolloid durchgeführt (58 % der Patienten in der Kristalloid-Gruppe), und zwar noch bevor die Patienten in die Studie eingeschlossen wurden [
74, Appendix]. Die Randomisierung der Patienten in die Kolloid- und Kristalloid-Gruppe erfolgte erst bis zu 24 h nach Diagnosestellung des septischen Schocks, sodass Patienten, die bereits stabilisiert waren, ein nicht mehr zeitgemäßes Kolloid über einen längeren Zeitraum und außerhalb der Indikation erhielten.
Bei Randomisierung lagen daher die medianen Werte für den zentralvenösen Druck (ZVD) bei 12 mm Hg, die zentralvenöse Sauerstoffsättigung (SzvO
2) bei 74 % und Serumlaktat bei 2,2 mmol/l und befanden sich somit bereits vor Studienbeginn im Bereich der von der Surviving Sepsis Campaign empfohlenen Zielwerte einer angestrebten Volumentherapie [
80].
In der
6S-Studie (n = 798, balanciertes 6 % HES 130/0,42 versus Ringer-Acetat) wurden 42 % der Patienten aufgrund ihres septischen Schockzustandes bereits vor Studieneinschluss mit bis zu 1 Liter HES behandelt [
75, Appendix]. Dementsprechend lagen – ähnlich wie in VISEP – die medianen Werte zu Studienbeginn für den ZVD bei 10 mm Hg, die SzvO
2 bei 75 % und Serumlaktat bei 2,0 mmol/l, sodass die Indikation für eine (weitere) Volumentherapie äußerst fraglich erscheint.
Darüber hinaus wurde bei 36 % der Patienten in der HES-Gruppe (35 % in der Ringer-Acetat-Gruppe) ein Nierenversagen diagnostiziert. Diese Patienten hätten gemäß Fachinformation aufgrund der Kontraindikation kein HES-Präparat erhalten dürfen. Zudem brachen 216 Patienten in beiden Gruppen (26 %) die Flüssigkeitstherapie ab und 32 % der Patienten in der Kristalloid-Gruppe erhielten zusätzlich Kolloide während des Studienverlaufs [
68].
Demgegenüber zeigten die
CHEST-Studie [
76] mit einem heterogenen intensivmedizinischen Patientenkollektiv (
n = 7000) und die
CRYSTMAS-Studie (196 Patienten mit septischem Schock) [
81], in denen
6 % HES 130 mit isotoner Kochsalzlösung verglichen wurde, bei septischen Patienten keine klinisch relevanten negativen Effekte unter HES [
68].
Zusammenfassend konnte sowohl in der VISEP-Studie als auch in der 6S-Studie die initiale hämodynamische Stabilisierung des septischen Schocks – gemessen an der Zielerreichung der Kriterien der Surviving Sepsis Campaign – erfolgreich auch mit HES behandelt werden. Allerdings fehlte in beiden Studien der Nachweis der Hypovolämie durch ein geeignetes Volumenmonitoring, da nur druckbasierte hämodynamische Parameter gemessen wurden.
Dieses Vorgehen steht im Einklang mit der viel zitierten Studie von Rivers und Mitarbeitern [
82], in der eine frühzeitige aggressive Optimierung der kardialen Vorlast und der zentralvenösen Sauerstoffsättigung innerhalb von sechs Stunden nach Diagnose mit einer deutlichen Verbesserung des klinischen Ergebnisses und des Überlebens bei Patienten mit schwerer Sepsis und septischem Schock verbunden war. Die frühe hämodynamische Stabilisierung gilt seither als State of the Art [
80]. Diese entscheidende Zeitspanne wurde jedoch in beiden Studien nicht berücksichtigt, sondern lediglich der weitere Verlauf nach erfolgter Stabilisierung auf der Intensivstation.
Die beiden Studien VISEP und 6S belegen, dass die Weiterverwendung von HES als Erhaltungstherapie anstelle eines Kristalloids nach initialer Stabilisierung kontraindiziert ist.
Andererseits konnten Annane et al. [
83] in der großen randomisierten CRISTAL-Studie mit über 2800 Patienten mit hypovolämischem Schock zeigen, dass die frühzeitige Gabe von Kolloiden (meist 6 % HES 130/0,4) gegenüber Kristalloiden mit einer niedrigeren 90-Tage-Mortalität assoziiert ist. Dies galt auch für die Patienten mit Sepsis (54 %). Darüber hinaus zeigte sich ein signifikanter Unterschied in den Überlebenstagen ohne Beatmung und ohne Katecholamine am 7. Tag und am 28. Tag, ein signifikant niedriger Volumenbedarf am Tag 7 und ein niedrigeres Risiko für eine Nierenersatztherapie zugunsten der Kolloidgabe.
In der CRISTAL-Studie profitierten Patienten im hypovolämen, zum Teil septischen Schock von einer frühzeitigen hämodynamischen Stabilisierung durch die Kolloidgabe.
Geeignete Parameter zum Volumenmonitoring
Vor der Substitution einer Flüssigkeit sollte gemäß rezenter S3-Leitlinie die
Diagnose des Volumenmangels anhand der Anamnese, ergänzt durch Laborparameter wie Laktatkonzentration, SzvO
2, Hämatokrit (HKT) und Basenüberschuss gestellt werden [
84].
Die
Steuerung einer Volumenersatztherapie sollte immer zielorientiert sein. Nur mit dem geeigneten Monitoring kann die Indikation und die Dosis eruiert werden. Im Vordergrund steht dabei die Sicherstellung des Sauerstoffangebots durch Optimierung der kardialen Funktion – Vorlast, Kontraktilität und Nachlast. Durch das Monitoring der kardialen Vorlast sollen eine perioperative Hypovolämie und ihre negativen Auswirkungen auf das Herzzeitvolumen (HZV) verhindert werden und gleichzeitig einer unangepasst hohen Flüssigkeitszufuhr und den daraus resultierenden Risiken vorgebeugt werden [
85].
Dabei sind flussbasierte, dynamische Parameter wie Schlagvolumenvarianz (SVV) und Pulsdruckvarianz (PPV) besser geeignet als statische druckbasierte, da mehrfach gezeigt werden konnte, dass sich die aktuelle kardiale Vorlast eines Patienten anhand der traditionellen statischen Zielgrößen (ZVD, pulmonalarterieller Okklusionsdruck, PAOD) nicht adäquat abbilden lässt [
86,
87,
88]. Folglich sprechen sich die aktuellen Leitlinien der European Society of Anesthesiology (ESA) zum Management perioperativer schwerer Blutungen gegen die alleinige Nutzung von ZVD und PAOD zur Steuerung der Volumentherapie und Optimierung der kardialen Vorlast und für dynamische Parameter sowie nichtinvasive Methoden zur Messung des HZV aus [
89].
Die
Volumenreagibilität sollte entweder durch Lagerungsmanöver (PLR, „passive leg raising“) oder mithilfe des SVV oder PPV gemessen werden, da weder ZVD noch PAOD in der Lage sind, mit ausreichender Sensitivität und Spezifität eine Volumenreagibilität vorherzusagen [
90,
84,
87,
91,
92,
93].
Allerdings bedeutet Volumenreagibilität nicht, dass immer Volumen verabreicht werden muss bzw. werden darf. Voraussetzung dafür ist der klinische Nachweis einer Minderperfusion, d. h. wenn zwei oder mehr der folgenden Zeichen vorhanden sind:
-
Hautmarmorierung oder schlechte periphere Perfusion (z. B. kalte Hände/Füße),
-
Kaltschweißigkeit,
-
Oligurie,
-
verzögerte kapilläre Füllungszeit,
-
erhöhtes Laktat (>2 mmol/L oder >18 mg/dL),
-
erniedrigte zentral-/gemischtvenöse SO2 (<60 %),
-
Verwirrtheit/Unruhe.
Die Füllungsdrücke ZVD und PAOD sind zur Abschätzung der kardialen Vorlast nicht geeignet.
Druck ist kein Volumen.
Darüber hinaus sind ZVD und PAOD aufgrund der Invasivität des Messverfahrens auf Hochrisikoeingriffe beschränkt. Sie können aber als Stopp-Signal für eine weitere Volumenzufuhr genutzt werden [
94,
84].
Im Gegenzug dazu bieten bereits nichtinvasive Technologien eine Vielfalt an kontinuierlichen dynamischen Parametern, die es ermöglichen, eine zielgerichtete Volumentherapie in der täglichen Routine durchzuführen – auch beim Patienten mit mittlerem Risiko [
95]. Die perioperative Outcome-Verbesserung der zielgerichteten Volumentherapie mit nichtinvasiven Messmethoden ist klinisch bestätigt [
96,
97].
Bei Intensivpatienten kann zur
Untersuchung des Volumenstatus eine transthorakale Echokardiographie (TTE) erfolgen. Bei Patienten mit unklarer hämodynamischer Instabilität empfehlen die Leitlinien ebenfalls, eine Echokardiographie zur Diagnose durchzuführen. Dadurch kann bei diesen Patienten eine Vielzahl von relevanten Differenzialdiagnosen (Perikarderguss und -tamponade, akute Rechtsherzbelastung als Hinweis für eine Lungenarterienembolie, eingeschränkte Pumpfunktion, Klappenvitium etc.) eingegrenzt werden [
84]. Insbesondere beim kardiogenen Schock, aber auch bei allen anderen Schockformen, sind TTE und transösophageale Echokardiographie (TEE) zentraler Bestandteil in der Diagnostik und Differenzialdiagnostik [
98].
Zur Abschätzung des Volumenbedarfs bzw. der Volumenreagibilität sollen funktionelle hämodynamische Parameter genutzt werden; diese sollen nicht isoliert betrachtet werden, sondern stets unter Einbeziehung von Anamnese und klinischem Untersuchungsbefund [
84]
.
Steigerung der Anämietoleranz durch Volumentherapie
Folgesymptome einer relevanten Anämie entstehen durch globale oder regionale Sauerstoffdefizite. Solche anämiebedingten Symptome, wie z. B. ST-Streckenveränderungen, Delir und Niereninsuffizienz, treten eher bei Hypo- als bei Normovolämie auf, eher bei hohem als bei niedrigem Sauerstoffbedarf. Entsprechend können (oberhalb des individuellen, kritisch niedrigen Hämoglobinwerts) therapeutische Interventionen die Empfindlichkeit gegenüber einer bestehenden Anämie herabsetzen, d. h. eine Anämietoleranz herbeiführen. Der österreichische interdisziplinäre Konsensus zum patientenorientierten Blutmanagement (POBM) empfiehlt zur Erhöhung der Anämietoleranz situationsangepasst und individualisiert anästhesiologisch-intensivtherapeutische Maßnahmen [
99] wie die Erhöhung des Sauerstoffangebots über Optimierung des Herzzeitvolumens (inklusive Volumentherapie, Vasopressoren, Inotropika, Vasodilatatoren). Kolloide können dazu genutzt werden, bei bestehender Anämie eine Hypovolämie zu korrigieren und damit Fremdbluttranfusionen oberhalb eines kritischen physiologischen Hämoglobintriggers [
100] zu vermeiden. Die Kompensationsmechanismen einer normovolämischen Anämie können auch bei Säuglingen, Kindern, alten Patienten, kardial vorerkrankten Patienten und Patienten unter chronischer β‑Rezeptor-Blockade nachgewiesen werden [
101].
Weitere Maßnahmen zur Anämietoleranzsteigerung sind die Optimierung der Beatmung (hyperoxisch, normokapnisch), Reduktion des Sauerstoffverbrauchs über therapeutische (milde) Hypothermie, adäquate Muskelrelaxation, Ausschalten von Stressreizen (mittels adäquater Sedierungs- bzw. Anästhesietiefe und Analgesie), Vermeidung bzw. Behandlung von schweren Erkrankungen wie z. B. Sepsis, Trauma und Herzerkrankung.
Postoperativ können auf der Bettenstation folgende allgemeinen Maßnahmen erwogen werden: Aufrechterhaltung der Normovolämie, Schmerztherapie, Weiterbehandlung von vorbestehenden und Vermeidung von sekundären Erkrankungen, Vermeidung von Medikamenteninteraktionen, die eine Anämie oder Blutung begünstigen, gegebenenfalls passive (anstatt aktive) Mobilisierung, Sauerstoffinsufflation [
99]. Die postoperative Korrektur eines Eisenmangels kann in Erwägung gezogen werden, aber der Therapieeffekt ist verzögert zu erwarten.
Während einer Hypovolämie ist die Anämietoleranz des Körpers reduziert. Grundvoraussetzung für die effektive Kompensation der Verdünnungsanämie ist die Normovolämie.
Geeignete Algorithmen zur Volumentherapie: „goal-directed therapy“ (GDT)
Im Kontext einer Volumentherapie erfolgt die zielgerichtete hämodynamische Therapie (GDT) gemäß einem vordefinierten Therapiealgorithmus mit Parametern, die direkte oder indirekte Informationen über fluss-, volumen- oder stoffwechselbezogene Determinanten der Hämodynamik liefern, um durch eine individuell angepasste Optimierung des Sauerstoffangebots die perioperative Morbidität und Mortalität zu senken.
Studien und Metaanalysen zeigen, dass eine GDT in Verbindung mit flussbasierten Parametern perioperativ die Komplikationsrate und auch die Mortalität senken kann [
94,
102,
103,
104,
105,
106,
70].
Allerdings bestätigen nicht alle Studien einen signifikanten Benefit für chirurgische Patienten durch eine GDT im Vergleich zu den Kontrollgruppen mit konventioneller Versorgung [
107,
108,
109]. Ein Cochrane-Review, der 38 Studien inkludierte, legt nahe, dass durch eine GDT die perioperative Mortalität nicht reduziert werden kann, wohl aber die Komplikationsrate und Länge des Spitalaufenthalts [
110].
Eine der größten Studien, OPTIMISE, die 734 Hochrisikopatienten einschloss, die sich einem abdominalen Eingriff unterziehen mussten, erbrachte für die GDT durch Monitoring des HZV keinen signifikanten Vorteil im Hinblick auf die 30-Tage-Mortalität (
p = 0,07) oder schwere Komplikationen [
111].
Welcher Algorithmus den höchsten Therapieeffekt erzielt, ist derzeit nicht geklärt. Ein systematischer Review identifizierte 81 Studien mit insgesamt 13.052 Patienten zur GDT, in denen 31 unterschiedliche Zielparameter (Z) mit 22 verschiedenen Monitoring-Methoden (M) und letztlich 118 Z/M-Kombinationen zur Anwendung kamen [
112]. Diese Untersuchung spiegelt die Vielzahl an Möglichkeiten wider, eine an unterschiedliche Patientenkollektive einerseits und den individuellen Patienten andererseits angepasste GDT anzuwenden.
Die GDT stellt zwar ein allgemein anerkanntes Konzept dar, das sich aber noch nicht in einem etablierten Versorgungsstandard niederschlägt [
113,
112]. Die klinische Praxis zeigt nämlich, dass trotz Studienevidenz und Leitlinienempfehlungen die kardiale Vorlast und andere relevante hämodynamische Parameter selbst bei chirurgischen Hochrisikopatienten nur selten Bestandteil des perioperativen Monitorings sind [
103]. Gemäß rezenter US-amerikanischer Studien besteht selbst bei unkomplizierten Routineeingriffen nach wie vor eine hohe Variabilität in der Menge der verabreichten Kristalloide [
114,
15]. Thacker et al. [
15] stellten in ihrer Studie einen signifikanten Zusammenhang zwischen hoher Flüssigkeitsgabe und der Länge des Spitalsaufenthalts sowie der Gesamtkosten fest. Darüber hinaus kam es bei Patienten mit Rektum- und Darmoperationen häufiger zu einem postoperativen Ileus. Desgleichen war eine restriktive Flüssigkeitsgabe mit einem schlechteren Outcome der Patienten verbunden. Insgesamt wurde eine 20-fache mediane Abweichung zwischen liberaler und restriktiver Flüssigkeitsgabe beobachtet.
In der Untersuchung von Lilot et al. [
114] konnte die hohe Variabilität der verabreichten Kristalloidmengen nicht auf Patientenfaktoren oder Behandlungsprotokolle, sondern ausschließlich auf die Anwender und
ad libitum zurückgeführt werden. In dieser Studie wurde retrospektiv die intraoperative Flüssigkeitsabgabe (2009–2011) in zwei akademischen Krankenhäusern analysiert. Ein spezifisches Flüssigkeitsprotokoll gab es nur für Prostatektomie-Patienten in einem Zentrum, wobei diese Patienten im Vergleich zu allen anderen nicht nur weniger Kristalloide verabreicht bekamen, sondern auch die Spannbreite der infundierten Kristalloidmengen deutlich geringer ausfiel, vor allem im Vergleich zu Patienten mit Appendektomien im selben Krankenhaus (korrigierter Variationskoeffizient 34 % versus 97 %).
Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die Umsetzung von Leitlinien wie Restriktion von Kristalloiden und GDT helfen könnte, die Flüssigkeitsgabe zu standardisieren [
114]. Dies wurde 2012 in einem der beiden Zentren umgesetzt und die historische Analyse vor und nach der Implementierung des
Performance-Improvement-Projekts zeigt nicht nur eine signifikant reduzierte Flüssigkeitsverabreichung von durchschnittlich 9,9 ml/kg/h auf 6,6 ml/kg/h pro Fall (
p < 0,01), sondern auch einen kürzeren Spitalaufenthalt (10 versus 7 Tage;
p = 0,0001) und signifikant weniger Komplikationen (39 % versus 25 %;
p = 0,04) [
103].
Protokolle zur perioperativen hämodynamischen Stabilisierung („goal-directed therapy“, GDT) können das klinische Ergebnis der Patienten verbessern. Entsprechende Algorithmen sollten eine individualisierte Volumen- und Flüssigkeitstherapie erlauben, die auf sich ändernde physiologische Bedürfnissen und das Ansprechen auf die Flüssigkeitsgabe sowie der medikamentösen Behandlung basiert (International Fluid Optimization Group/Camacho Navarro et al. 2015 [
113]
).