Welche Maßnahmen können Ärzte ergreifen, um Suizidalität bei ihren Patienten zu erkennen und zu verhindern? Wir haben nachgefragt bei Ärztin und Psychotherapeutin Dr. Anna Sigmund.
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Fröhliche Weihnachten! Der Gruß klingt in den Ohren suizidgefährdeter Menschen nicht so positiv, wie er gemeint ist: „Alle sind froh, außer man selbst“, brachte ein Schüler bei einem Vortrag in Wien die Frage nach dem Warum auf den Punkt. Dabei ist im Herbst oder vor Weihnachten die Suizidrate nicht am höchsten. Die meisten Selbsttötungen geschehen im Mai. Gerade im Frühling, wenn bei vielen die Lebensgeister erwachen, die Tage länger werden, öfters die Sonne vom Himmel lacht, ist es für psychisch kranke Menschen besonders schlimm, sagt der Journalist Ernst Marboe, Initiator der Mental Health Days. Er berichtete von seiner familiären Katastrophe, nachdem sein Sohn Suizid begangen hat und wie er damit umgeht.
Die Ärzte Woche fragte bei Dr. Anna Sigmund vom Kompetenzzentrum für Suizidprävention in Leibnitz nach, welche präventiven Maßnahmen niedergelassene Ärztinnen und Ärzte ergreifen können, um Suizidalität frühzeitig zu registrieren? „Das individuelle Leid eines Menschen erkennen und würdigen; zuhören können, Begleitung in schweren Zeiten anbieten. Die Kenntnis der Lebensgeschichte und Belastungsfaktoren, der Charakterstruktur und von Krisenbewältigungsstrategien eines Patienten können Hinweise für eine Gefährdung sein. Die Wahrnehmung einer depressiven Entwicklung und die leitliniengerechte Behandlung einer Depression und das Erkennen von anderen psychischen Erkrankungen, vor allem Suchterkrankungen, sind die wirksamste Suizidprävention. Welche Rolle spielen regelmäßige psychologische Fortbildungen für Ärzte in der Erkennung und dem Umgang mit suizidalen Patienten? „Wissen hilft! Die Fähigkeit, professionell Krisenintervention einzusetzen kann gelernt werden. Kenntnisse über Warnzeichen, Risikofaktoren und Gesprächsführung mit psychisch belasteten Menschen kann im Rahmen des Fortbildungsprogramms für Ärzte erworben werden.“ Frage an Sigmund: Wie können Ärzte ein Gespräch über Suizidgedanken ermöglichen? „Sich durch Übung Fertigkeiten zur Gesprächsführung und Krisenintervention anzueignen ist wichtig. Selbsterfahrung und Supervision sind geeignet sich für emotional schwierige Gespräche zu wappnen. Balintgruppen für Ärzte sind eine bewährte Form die Beziehungsebene einer Arzt-Patientenbeziehung zu reflektieren, sich selber und den Patienten besser zu verstehen.“
Zurück bei den Mental Health Days: Er habe nicht gewusst, dass sein Sohn Tobias so schwer krank sei, sagte Marboe. Die Familie dachte sich, dass er eine schlechte Phase durchmache, weil er sich in seiner Wohnung zurückzog. „Wir wussten zu wenig über Fragen des psychischen Wohlbefindens.“ Wenn sich jemand das Bein breche, wüsste man genau, was zu tun sei – Spital, Gips, Medikamente, Kontrolle im Spital. „Aber da hatten wir keine Rezepte oder Anleitungen. Über so was haben wir nicht gesprochen.“ Sein Appell: „Ich wünsche mir, dass Sie lernen, über Ihre Gefühle zu sprechen.“ „Es hat sich noch niemand das Leben genommen, weil man ihn darauf angesprochen hat“, sagt Johann Kneihs vom Kriseninterventionsteam Wien.