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Erschienen in:

Open Access 14.10.2024 | Originalien

Symptomatische Hyperkalzämie und hyperkalzämische Krise

verfasst von: PD. Dr. med. Dirk Weismann

Erschienen in: Journal für Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel | Ausgabe 4/2024

Zusammenfassung

Biochemisch wird die Hyperkalzämie häufig in mild (< 3 mmol/L), moderat (3–5 mmol/L) oder schwer (> 3,5 mmol/L) eingeteilt. Eine milde Hyperkalzämie ist in der Regel asymptomatisch. Auch eine schwere Hyperkalzämie kann oligo- oder asymptomatisch sein, wenn sie sich langsam entwickelt hat. Eine symptomatische Hyperkalzämie ist daher in der Regel mindestens biochemisch moderat. Eine ausgeprägte akute Symptomatik geht mit Übelkeit, Erbrechen, Exsikkose und einer entsprechenden Vigilanzstörung einher. Bei chronischen Verlaufsformen spielen Müdigkeit, Nephrolithiasis und gastrointestinale Beschwerden eine größere Rolle.
Mit > 90 % der Fälle liegt einer Hyperkalzämie ein primärer Hyperparathyreoidismus (pHPT) oder eine maligne Hyperkalzämie („humoral hypercalcemia of malignancy“, HHM) zugrunde. Ein erhöhtes Parathormon (PTH) und eine Hyperkalziurie sind diagnostisch für einen pHPT. Im Falle einer HHM ist das Tumorleiden sehr häufig entweder bekannt oder offensichtlich. Ist dann das PTH supprimiert, erübrigt sich meist eine weitere Abklärung. Die calcitriolabhängigen Hyperkalzämien sind dagegen bereits selten. Therapeutisch kommt dem Volumenausgleich im Falle einer kalziuminduzierten Exsikkose eine entscheidende Bedeutung zu. Die Inhibition der Knochenresorption durch Bisphosphonate oder Denosumab stellen dann die wichtigste pharmakologische Intervention dar. In aller Regel kann hierdurch das Kalzium innerhalb von 2–4 Tagen normalisiert oder zumindest ausreichend gut gesenkt werden. In aller Regel lassen sich auch intensivpflichtige Patienten mit diesen Maßnahmen gut stabilisieren und eine Therapieeskalation ist nicht erforderlich.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

Hintergrund

Vielleicht gerade wegen seiner selbstverständlichen Verwendung ist der Begriff Krise zu hinterfragen. Ganz allgemein kann man als Krise einen Wendepunkt definieren, an dem sich das Schicksal entscheidet. In Bezug auf die Hyperkalzämie wurde der Begriff Krise auch als „parathyroid crisis“ in den 1960er-Jahren eingeführt. In dieser Zeit lag die Herausforderung darin, aufgrund der klinischen Präsentation bereits initial eine Kalziummessung zu veranlassen, um operativ das Schicksal zu wenden, da unbehandelt der Tod innerhalb von 3–4 Tagen eintreten würde [1, 2]. Konzeptionell betrachtet ist heute die Bezeichnung „symptomatische Hyperkalzämie“ typischerweise treffender. Aus der Literatur ist umgekehrt nicht gut zu entnehmen, ob und gegebenenfalls wann der Begriff „Hyperkalzämische Krise“ oder „parathyroid crisis“ in der Abgrenzung von einer symptomatischen Hyperkalzämie auch heute seine Berechtigung haben könnte.

Definition

Im Allgemeinen wird angenommen, dass eine milde Hyperkalzämie (< 3 mmol/l) asymptomatisch ist oder allenfalls mit unspezifischen Allgemeinsymptomen einhergeht. Auch eine moderate Hyperkalzämie (3–3,5 mmol/L) ist häufig inapparent. Für die Diagnose einer symptomatischen Hyperkalzämie sollte das Kalzium daher > 3 mmol/L (ionisiertes Kalzium > 2 mmol/L) sein. Werte > 3,5 mmol/l definieren biochemisch eine schwere Hyperkalzämie, wobei abhängig von der Dynamik auch diese inapparent sein kann [3].
Eine hyperkalzämische Krise wiederum kann als eine lebensbedrohliche Hyperkalzämie definiert werden. Koma und Rhythmusstörungen werden häufig als bedrohliche Folgen genannt werden. Für die Bewusstseinsstörung könnte allerdings die Hyperkalzämie-induzierte Exsikkose ursächlich sein. Im Falle von Rhythmusstörungen werden QT-Zeit-Verkürzungen beschrieben und in der Literatur wird insbesondere vor einer Komedikation mit Digitalis gewarnt, da Kalzium die Digitalistoxizität erhöht (nicht umgekehrt). Es ist damit nicht klar, ob mechanistisch betrachtet eine direkte Kalzium-Wirkungen für bedrohliche Veränderungen verantwortlich ist, oder ob indirekte Effekte (z. B. Exsikkose) im Vordergrund stehen.
Eine hyperkalzämische Krise könnte ebenfalls definiert werden als eine Situation, in der die Hyperkalzämie zwar eine kritische Erkrankung ausgelöst hat (z. B. Pankreatitis), die Behandlung der Hyperkalzämie selbst aber zur Stabilisierung nicht mehr ausreicht und daher möglicherweise sogar sekundär geworden ist.
Für die Therapie stellt sich dann die Frage, ob und wann sich eine Indikation für eine aggressive Kalziumsenkung ableiten ließe. Da die Ursachen von Hyperkalzämien pathophysiologisch vielfältig sind, gibt es allerdings keine universelle Therapie, wie sie analog der Hyperkaliämie ursachenunabhängig möglich wäre.

Physiologie und Pathophysiologie

Etwa 1 kg Kalzium ist im Knochen gespeichert und verleiht ihm seine Stabilität. Gleichzeitig dient der Knochen als Kalziumreservoir. Im Serum ist Kalzium zu 50 % Albumin-gebunden, aber nur das ionisierte Kalzium ist physiologisch wirksam, beispielsweise für die Muskelkontraktion, Signaltransduktion oder Nervenleitung.
Veränderungen der Serumkalziumkonzentration werden durch den Calcium-Sensing-Rezeptor (CaSR) auf den Nebenschilddrüsen sensitiv registriert und dann die Parathormon(PTH)-Sekretion reguliert. PTH erhöht die Kalzium-Konzentration durch Aktivierung von Osteoklasten sowie über die PTH-abhängige renale Umsetzung von 25-Hydroxy-Vitamin D (25-OHD) zu 1,25-Dihydroxy-Vitamin D (Calcitriol, 1,25-OHD). Calcitriol steigert die intestinale Ca2+-Resorption. PTH erhöht zudem die renale Ca2+-Rückresorption und steigert die renale Phosphat-Ausscheidung.
Die autonome Sezernierung von PTH (z. B. primärer Hyperparathyreoidismus, pHPT) resultiert daher in einer Hyperkalzämie. Eine PTH-unabhängige Hyperkalzämie führt hingegen zu einer Suppression von PTH. PTH-related protein (PTHrp) wird paraneoplastisch sezerniert und aktiviert ebenfalls den PTH1-Rezeptor auf Osteoklasten, sodass dies humoral zu einer ubiquitären ossären Ca2+-Freisetzung (humorale maligne Hyperkalzämie) führt. Die Kalziumfreisetzung aus Knochenmetastasen erfolgt dagegen parakrin.
Calcitriol kann in Lymphozyten innerhalb von Granulomen gebildet werden (z. B. Tuberkulose, Sarkoidose) oder paraneoplastisch in Lymphomen. In beiden Fällen unterliegt die Calcitriolsynthese keiner Feedbackinhibition. Eine massive Steigerung der intestinalen Kalziumresorption ist die Folge.
Insbesondere bei granulomatösen Erkrankungen kann die Calcitriolsekretion schwanken mit entsprechenden Fluktuationen in den Kalziumspiegeln, welche zwischenzeitlich im Normbereich liegen können.
Allen erworbenen Hyperkalzämien gemeinsam ist, dass die renale Rückresorptionskapazität überschritten wird und es zu einer Hyperkalziurie kommt. Da die Kalzium- und Natriumausscheidung miteinander korrelieren [4], führt eine Hyperkalziurie auch zu einer verstärkten Diurese, wobei infolge einer exsikkosebedingt einbrechenden Diurese die Serumkalziumspiegel weiter steigen und dies in einem anurischen prärenalen Nierenversagen enden kann. Symptome und die Schwere der Hyperkalzämie bessern sich unter Volumensubstitution prompt, da die wiedereinsetzende Diurese und Kalziurie die Hyperkalzämie senken. Eine chronische Hyperkalziiurie führt zu einer Nephrolithiasis oder Nephrokalzinose.

Klinik

Klinisch präsentiert sich eine Hyperkalzämie durch eine beliebige Kombination aus Beschwerden durch die beteiligten Organsysteme, wie auch in Tab. 1 zusammengefasst [5]. Empirisch lassen sich aber aus diesen arbiträr anmutenden Kombinationen doch charakteristische Präsentationen zusammenfassen [6].
Tab. 1
Symptome einer Hyperkalzämie
Renal
Gastrointestinal
Muskuloskelettal
Neurologisch
Kardiovaskulär
Polyurie
Polydypsie
Nephrolithiasis
Nephrokalzinose
Diabetes insipidus renalis
Akutes und/oder chronisches Nierenversagen
Distal tubuläre Azidose
Appetitlosigkeit
Übelkeit
Erbrechen
Obstipation
Pankreatitis
Peptische Ulzera
Muskelschwäche
Knochenschmerzen
Osteoporose/Osteopenie
Müdigkeit
Konzentrationsschwäche
Verwirrtheit
Stupor/Koma
Bradykardie
Hypotonie
QT-Verkürzung
1.) Ein typischer chronisch oligo- bis asymptomatischer primärer Hyperparathyreoidismus-Patient (Zufallsbefund in Routinekontrolle) gibt präoperativ keine Beschwerden an, fühlt sich aber postoperativ deutlich besser. Aufgrund dieser Beobachtung fällt die Klassifikation als asymptomatisch schwer, gleichwohl wird die Hyperkalzämie typischerweise nicht infolge der Abklärung von Symptomen gefunden. 2.) Die Symptome sind geprägt durch gastrointestinale Beschwerden, depressive Verstimmung und eine kompensierte Polyurie und Polydipsie. Folgen einer chronischen Hyperkalzämie, wie Nierensteine oder eine Osteoporose, finden sich nicht. Der Symptomkomplex umfasst akute, aber keine chronischen Folgen einer Hyperkalzämie und kann am besten als akut symptomatische Hyperkalzämie zusammengefasst werden, wie sie beispielsweise bei einer malignen Hyperkalzämie mit hoher Dynamik auftritt. 3.) Das dritte Engramm beschreibt einen somnolenten, womöglich hypotonen Patienten mit einer biochemisch schweren Hyperkalzämie. Es können sich aber auch Zeichen einer chronischen Hyperkalzämie finden. Die Präsentation ist geprägt durch eine schwere Exsikkose und nach Ausgleich der Exsikkose ist auch die biochemisch schwere Hyperkalzämie weniger stark ausgeprägt. Diese Präsentation wird vermutlich am ehesten durch die Begriff „hyperkalzämische Krise“ oder „parathyroid crisis“ beschrieben. Lebensrettend in der heutigen Zeit ist aber nicht die zeitnahe Operation, sondern die intensivmedizinische Stabilisierung, pharmakologische Kalziumsenkung und dann die kausale Therapie nach Abschluss der Diagnostik.
Natürlich können sich gelegentlich auch einmal Patienten mit klassischen Symptomen, wie Stein, Bein und Magenpein vorstellen oder die Hyperkalzämie wird über die Abklärung einer Nephrolithiasis oder gar Pankreatitis diagnostiziert. Insbesondere durch die hohe Frequenz an Routinekontrollen hat sich die Präsentation eines primären Hyperparathyreoidismus in der heutigen Zeit aber deutlich gewandelt.
Das Erkrankung wird also von der Dynamik des Kalziumanstiegs sowie der Höhe der Werte bestimmt, während der Verlauf zusätzlich von dem Umfang der Routinekontrollen bei jedem einzelnen Patienten abhängig ist. Die Dynamik des Kalziumanstiegs ist dabei bedeutsamer als die Genese der Hyperkalzämie.

Differenzialdiagnostik

Zur Differenzierung einer PTH-abhängigen von einer malignen oder Calcitriol-abhängigen Hyperkalzämie stellt die PTH-Messung den ersten und entscheidenden Schritt dar. Eine Übersicht der Differenzialdiagnosen ist in der Infobox wiedergegeben. Über 90 % der Hyperkalzämien liegt eine primärer Hyperparathyreoidismus oder eine maligne Hyperkalzämie zugrunde [5]. Die meisten Differenzialdiagnosen können unter ambulanten oder normalstationären Bedingungen abgeklärt werden und sind während der Behandlung einer kritischen Erkrankung noch nicht, vor einer definitiven Therapie aber sehr wohl relevant. Während unter einer kontrollierten Symptomatik die Diagnostik sequenziell abgearbeitet werden kann, kann bei einer kritischen Präsentation die sofortige Messung von PTH, PTHrp und 1,25 OHD Zeit sparen, falls die Ursache der Hyperkalzämie nicht offensichtlich ist [3].

PTH-abhängige Hyperkalzämie

Der primäre Hyperparathyreoidismus ist paradigmatisch für eine chronische Hyperkalzämie. In 80 % liegt ein singuläres Adenom vor und in 20 % eine Mehrdrüsenerkrankung [6]. Die geringe Dynamik führt über einen langen Zeitraum mit gering bis moderat erhöhten Kalziumwerten zu primär chronischen Veränderungen, wobei die klassische Trias Stein, Bein und Magenpein eine Rarität geworden ist. In den letzten Jahren wurde neben dem asymptomatischen pHPT auch der normokalzämische pHPT zunehmend definiert, welcher bei der Abklärung der Osteoporose beschrieben wird. Für eine umfassende Übersicht sei hier auf die Arbeit von John P. Bilezikian aus dem Jahr 2018 verwiesen [6].
Die häufigste Differenzialdiagnose zu einem primären Hyperparathyreoidismus stellt die familiäre hypokalziurische Hyperkalzämie dar (ca 10 %). Ursächlich hierfür ist ein Defekt des Calcium-Sensing-Rezeptors, sodass die Empfindlichkeit der PTH-Steuerung reduziert ist, mit der Folge von erhöhten Ca2+ und erhöhten PTH-Spiegeln. Der Nachweis einer Hypokalziurie ist diagnostisch, eine genetische Analyse des CaSR-Gens bleibt sehr seltenen Zweifelsfällen vorbehalten. In weiteren sehr seltenen Fällen kann ursächlich für einen primären Hyperparathyreoidismus ein Nebenschilddrüsenkarzinom vorliegen. Besonders große Nebenschilddrüsen-Raumforderungen oder Aspekte eines invasiven Wachstums können den Verdacht lenken, die definitive Diagnose ist jedoch nur histologisch oder durch den Nachweis von Metastasen möglich. In noch selteneren Fällen kann PTH auch paraneoplastisch aus Tumoren nichtparathyreodialen Ursprungs sezerniert werden. Dies stellt dann in aller Regel eine große diagnostische Herausforderung dar.

Maligne Hyperkalzämie

Eine maligne Genese der Hyperkalzämie liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit bei hospitalisierten Patienten mit supprimierten PTH-Spiegeln vor. In diesem Formenkreis spielt PTH-related protein (PTHrp) eine große Rolle, wobei typischerweise die Tumorerkrankung bekannt und fortgeschritten ist. Eine Messung von PTHrp erübrigt sich daher meist.

Calcitriolinduzierte Hyperkalzämie

Neben der Vitamin‑D Überdosierung und der in der Vergangenheit häufigeren Calcitriolintoxikation (z. B. A.T. 10® Tropfen) ist die ektope 1,25-OHD-Sekretion differenzialdiagnostisch bedeutsam. Granulomatöse Erkrankungen wie Sarkoidose und Tuberkulose sind klassische Beispiele. Auch granulierende Pilzinfektionen können mit einer 1,25-OHD-abhängigen Hyperkalzämie einhergehen. Gerade bei den granulomatösen Erkrankungen kann die Hyperkalzämie fluktuieren. Bei der Sarkoidose ist zudem auch die Sonnenexposition als Auslöser beschrieben. Eine wichtige Differenzialdiagnose stellt die paraneoplastische 1,25-OHD-Sekretion bei Lymphomen dar. Die Hyperkalzämie kann hier durchaus auch zu der Erstdiagnose aggressiver Lymphome führen.
Jüngere Untersuchung deuten darauf hin, dass bereits bei einer mittleren täglichen Einnahme von ca 2354 IE Vitamin D (Cholecalciferol) das Risiko einer Hyperkalzämie um 50 % steigt, sodass gelegentliche Kalziumkontrollen sinnvoll sind [3]. Unter Substitution mit Cholecalciferol werden hingegen routinemäßige Vitamin-D-Spiegel-Kontrollen im Allgemeinen nicht empfohlen [7].

Therapie

Volumen

Die erste Maßnahme stellt der Volumenausgleich dar.
Nach Ausgleich einer Exsikkose und Wiedereinsetzen der Diurese sinken konsekutiv die Kalziumspiegel. Je nach Ausmaß der Exsikkose und Höhe der Kalziumspiegel wird frühzeitig eine Bisphosphonat- oder Denosumab-Therapie eingeleitet.

Bisphosphonate und Denosumab

Bisphosphonat der 1. Wahl ist Zoledronat, welches bis zu einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) von 60 ml/min/1,73 m2 in voller Dosierung und < 60 in angepasster Dosierung gegeben wird. Pamidronat kann in drei üblichen Dosierungen an die Nierenfunktion angepasst werden: 90 mg bei einer GFR > 60, 60 mg bei einer GFR 30–60 und 30 mg bei einer GFR < 30 ml/min. Allerdings deuten jüngere retrospektive Auswertungen darauf hin, dass kein Unterschied zwischen Zoledronat (3–4 mg über 15–60 min) und Pamidronat (15–90 mg über 120–360 min) bezüglich der Nephrotoxizität besteht [3].
Denosumab bindet den RANK-Liganden und inhibiert hierdurch die Osteoklasten. Die klinische Datenlage bezüglich der Therapie einer akuten Hyperkalzämie ist jedoch nicht besonders gut. Möglicherweise ist Denosumab etwas potenter in der Progressionsverzögerung von Knochenmetastasen, ohne dass sich Hinweise auf einen Einfluss auf das Gesamtüberleben ergeben [8]. Von der Food and Drug Administration (FDA) zugelassen ist Denosumab zur Therapie einer unter Bisphosponaten refraktären malignen Hyperkalzämie. Während die Nephrotoxizität von Denosumab geringer als die von Bisphosponaten zu sein scheint, ist das Risiko von Hypokalzämien offenbar erhöht [3]. Während Denosumab insbesondere bei Patienten mit einer fortgeschrittenen Niereninsuffizienz eine therapeutische Alternative darstellt, ist umgekehrt das Stadium der Niereninsuffizienz unklar, bei welchem routinemäßig Denosumab anstelle von Bisphosphonaten eingesetzt werden sollten.
Mit Bisphosphonaten bestehen hingegen langjährige Erfahrungen. Zudem besteht anfangs in aller Regel ein akutes Nierenversagen, welches sich unter Volumentherapie maßgeblich bessern kann. Es kann also sein, dass möglicherweise ein etwas zu starker Trend weg von den Bisphosphonaten zu beobachten ist, als physiologisch erforderlich wäre und durch Daten abgesichert ist. Aktuelle Praxisleitlinien zur Therapie der malignen Hyperkalzämie geben Denosumab den Vortritt vor Bisphosphonaten, aber nur als schwache Empfehlung mit geringer Evidenz [9]. In der Kommentierung wird deutlich gemacht, dass diese Empfehlung auf einem geringfügig häufigeren Vorkommen von Hypokalzämien als unerwünschter Wirkung basiert und aus dieser Beobachtung auf eine möglicherweise höhere Potenz von Denosumab geschlossen wird [10].
Beide Interventionen sind gleichermaßen mit dem seltenen Risiko von Kiefernekrosen behaftet. Im Falle der Akuttherapie kann jedoch eine zahnärztliche Untersuchung im Vorfeld häufig nicht erfolgen, sodass Risikofaktoren nicht kontrolliert werden können. Damit ist das insgesamt sehr niedrige Risiko für Kiefernekrosen in einem akut behandelten Kollektiv wahrscheinlich erhöht.

Calcitonin

Die Datenlage für Calcitonin ist nicht gut [10]. Aus den wenigen Daten kann ein geringer Vorteil zu wenigen Zeitpunkten gegenüber einer Therapie mit einem Bisphosphonat alleine gezeigt werden [11]. Die Kosten sind hingegen erheblich. Daher sollte Calcitonin keine Standardtherapie darstellen. Die Gabe von Calcitonin sollte Situationen vorbehalten bleiben, in denen eine kurzfristige Kalziumsenkung geboten erscheint und daher die Zeit bis zur Wirkungsentfaltung von Bisphosphonaten/Denosumab womöglich nicht abgewartet werden kann.

Glukokortikoide

Glukokortikoide sind bei einer Vitamin-D-Intoxikation, bei nichtinfektiösen granulomatösen Erkrankungen und bei manchen Lymphomen Therapie der ersten Wahl zu Senkung der Hyperkalzämie. Glukokortikoide senken die intestinale Kalziumresorption, steigern die renale Exrektion und inhibieren die 1‑alpha-Hydroxylase. Die Dosierung ist abhängig von der Grunderkrankung, aber ein Beginn mit 20–40 mg/d Prednison kann versucht und die Dosis bedarfsweise gesteigert werden.

Sonstiges

Schleifendiuretika werden nicht zur Pharmakotherapie der Hyperkalzämie eingesetzt.
Entgegen dem häufigen Einsatz von Schleifendiuretika bei Hyperkalzämien sind deren kalziurische Effekte ausgesprochen gering. In der ursprünglichen Arbeit aus dem Jahr 1970 wurde Furosemid mit 100 mg/h verabreicht und unter einer durchschnittlichen Diurese von 17 l/d eine Kalziumkorrektur von −0,7 mmol/L erzielt [12]. Das entspricht einer moderaten Kalziumsenkung, die problemlos mit weniger aggressiven Methoden erzielt werden kann. Auch in einer Übersichtsarbeit zum Stellenwert von Furosemid in der Therapie der Hyperkalzämie wird betont, dass Furosemid nicht zur Kalziumsenkung eingesetzt werden sollte [13]. Einen Stellenwert hat Furosemid natürlich zur Korrektur einer Volumenüberladung. Volumenwirksame Dosierung beispielsweise von 40 mg i.v. oder ähnlich sind in jedem Fall nicht Kalziumsenkend.
Zwar kann unter Dialyse das Serumkalzium gesenkt werden, im Falle einer intermittierenden, diskontinuierlichen Dialyse steigt das Kalzium bis zum nächsten Morgen typischerweise wieder auf die Ausgangswerte an. Die Dialyse ist also nur für den Moment der Durchführung effektiv. Sollte sich also eine Situation ergeben, in welcher das Kalzium in einem euvolämen Patienten ad hoc gesenkt werden müsste und ein erneuter Anstieg des Kalziums sicher verhindert werden sollte (sonst müsste es auch nicht ad hoc gesenkt werden!), dann müsste eine kontinuierliche Dialyse eingesetzt werden, welche mit allen Konsequenzen einer Osteomalazie und einer Aggravierung eines möglichen „Hungry-Bone-Syndroms“ einherginge und damit eine Ultima-Ratio-Indikation darstellen würde.

Kalzimimetika

Cinacalcet ist ein CaSR-Sensitizer, welcher zur Kalziumsenkung bei nichtoperablen Nebenschilddrüsenkarzinomen zugelassen ist. Erfahrungen in der Therapie einer akuten Hyperkalzämie sind nicht ausreichend, aber Cinacalcet stellt eine Option für die Weiterbehandlung dar, wenn ein Effekt über den CaSR angenommen werden kann, möglicherweise auch zur Überbrückung bis zu einer definitiven Therapie [14].
Infobox Differenzialdiagnose der Hyperkalzämie (nach [3])
I. Erhöhte Knochenresorption
A. Parathormon-vermittelt
1. Sporadischer primärer Hyperparathyreoidismus
2. Familiärer/vererbter primärer Hyperparathyreoidismus
a. Multiple endokrine Neoplasie
b. Familiärer isolierter Hyperparathyreoidismus
c. Hyperparathyreoidismus-Kiefer-Tumor-Syndrom („hyperparathyroidism jaw-tumor syndrome“)
d. Familiäre hypokalziurische Hyperkalzämie (CASR-, GNA11-, AP2S1-Varianten, usw.)
e. Neonataler schwerer Hyperparathyreoidismus (CASR-Variante)
3. Nebenschilddrüsenkarzinom
4. Tertiärer Hyperparathyreoidismus
5. Medikamente – Lithium
6. Malignität – ektope PTH-Sekretion (selten)
B. Nicht Parathormon-vermittelt
1. Maligne
a. Humorale maligne Hyperkalzämie (PTHrp)
b. Osteolytische Metastasen oder Multiples Myelom
2. Immobilisierung
3. Vitamin-A-Intoxikation
4. Hyperthyreose
5. Medikamente – Teriparatid, Abaloparatid, Rebound nach Absetzen von Denosumab
6. Metaphysäre Chondrodysplasie vom Jansen-Typ (aktivierende PTH1R-Variante)
7. Humorale Hyperkalzämie bei Benignität (Sekretion von PTHrp durch benignes Gewebe)
II. Erhöhte gastrointestinale Absorption
A. Vitamin-D-vermittelt
1. Vitamin D
2. 1,25-Dihydroxy-Vitamin-D-vermittelt
a. Hämatologische Tumore (erhöhte 1α-Hydroxylase-Aktivität)
b. Granulomatöse Erkrankungen
i. Infektiös – Tuberkulose, Katzenkratzkrankheit, Histoplasmose, Kryptokokkose, Candidose, Lepra, Pneumocystis jirovecii usw.
ii. Entzündliche Erkrankungen – Sarkoidose, granulomatöse Polyangiitis, Morbus Crohn, Blau-Syndrom, Langerhans-Zell-Histiozytose usw.
iii. Fremdkörper – Silikose, Talkum, Bacille-Calmette-Guérin-Impfung, Berylliose, Paraffinöl
iv. Sonstige – subkutane Fettnekrose des Neugeborenen, lipoide Pneumonie
c. Medikamente – Calcitriol, aktivierte Vitamin-D-Analoga-Intoxikation, 8‑Chlor-zyklisches Adenosinmonophosphat
d. Kongenital – CYP24A1-Variante, SLC34A1-Variante
B. Nicht Vitamin-D-vermittelt
1. Laktoseintoleranz
2. Saccharase-Isomaltase-Mangel
III. Niereninsuffizienz
A. Medikamente-Thiazide
B. Milch-Alkali-Syndrom (in Verbindung mit übermäßiger Kalziumkarbonateinnahme)
C. Akutes Nierenversagen
D. Bartter-Syndrom
E. Nebenniereninsuffizienz
IV. Andere oder unklare Mechanismen
A. Verminderte Ablagerung von Kalzium im Skelett
1. Adynamische Knochenerkrankung
2. Hypophosphatasie
B. Rhabdomyolyse
C. Andere oder unbekannte Ursache – Akromegalie, Phäochromozytom, Theophyllin, ketogene Diät, tubuläre Nierenazidose, Foscarnet, Omeprazol, Aromatasehemmer, Natrium-Glukose-Cotransporter-2-Protein-Inhibitoren, Immun-Checkpoint-Inhibitoren, Kalziumsulfatperlen, COVID-19, Williams-Syndrom

Fazit für die Praxis

In  90 % der Fälle ist eine Hyperkalzämie durch einen primären Hyperparathyreoidismus (pHPT) oder eine maligne Erkrankung bedingt, wobei der Tumor in aller Regel offensichtlich oder bekannt ist. Bei hochsymptomatischen, krisenhaften Präsentationen liegt in der Regel eine ausgeprägte Exsikkose vor und ein Volumenausgleich stabilisiert den Patienten und senkt gleichzeitig das Serumkalzium. Bisphosphonate und Denosumab sind Medikamente der ersten Wahl, deren volle Wirkung üblicherweise nach 2–4 Tagen eintritt. Calcitonin hat nur einen sehr geringen Nutzen zusätzlich zu Bisphosphonaten und sollte allenfalls in seltenen Ausnahmefällen eingesetzt werden. Aufgrund der Tachyphylaxie ist der Zeitraum der zudem nur moderaten Calcitoninwirkung, kurz. Glukokortikoide werden nur bei Vitamin-D- oder Calcitriolinduzierter Grunderkrankung eingesetzt, wobei einschränkend auch eine infektiöse Genese ausgeschlossen sein sollte. Furosemid hat keine kalziumsenkende Wirkung.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

D. Weismann gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
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5.
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Metadaten
Titel
Symptomatische Hyperkalzämie und hyperkalzämische Krise
verfasst von
PD. Dr. med. Dirk Weismann
Publikationsdatum
14.10.2024
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
Journal für Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel / Ausgabe 4/2024
Print ISSN: 3004-8915
Elektronische ISSN: 3004-8923
DOI
https://doi.org/10.1007/s41969-024-00251-5