Dr. Tekal
Privat
Merke! Nicht nur die trüben Tage trüben die Tassen.
Normalerweise würde ich zu dieser Jahreszeit eine ulkige Kolumne über Herbstdepression, Schnupfen oder den bereits im Oktober startenden Weihnachts-Schlussverkauf verfassen. Doch dieses Jahr ist irgendwie alles anders: Die Depression wurde bereits während des Lockdowns durchlebt und zweimal im Jahr darf man, den Regeln des Arbeitsmarktes folgend, dieselbe Krankheit nicht haben. Der gemeine Schnupfen wird als Corona-Verdachtsfall gehandelt, sodass die meisten tunlichst vermeiden, ihre rinnende Nase der Öffentlichkeit zu präsentieren, um nicht zum Cluster erklärt zu werden. Und von Weihnachtsstimmung im Handel ist kaum etwas zu spüren, da der Handel selbst in eine schwere Herbstdepression verfallen ist.
Die Bemühungen, Normalität zu vermitteln, scheitern. Selbst wenn die Sicherheitsauflagen erfüllt sind, will keine rechte Freude aufkommen. Es ist nur der halbe Spaß, im Fußballstadion den Fan der gegnerischen Mannschaft nur aus der Ferne anspucken zu dürfen. Ein reguliertes Punkkonzert ist ein Widerspruch in sich und der Lamourhatscher auf der schummrigen Party macht auch wenig Spaß, wenn man ihn alleine tanzt. Menschen brauchen die Geborgenheit des Rudels, um sich darüber aufregen zu können, wie eng es ist.
Die Krise will nicht gehen, noch nicht, bleibt scheinbar über die Weihnachtsfeiertage, wird es sich wohl auch kommendes Jahr auf unserer Couch gemütlich machen und unsere Hilfstöpfe leerfuttern. Der Wintertourismus befindet sich im Panikmodus und bastelt an virensicheren Gondeln, virensicheren Hüttenwirten, virensicheren Viren und virensicheren Après-Ski–Sausen, bei denen bis zu 1.000 Partygäste in der Tenne abfeiern dürfen, allerdings nur einer nach dem anderen.
So ist die Stimmung im Land schaumgebremst fröhlich und man wartet sehnsüchtig auf die leuchtende Impfung am Ende des Tunnels. Die Unterscheidung zwischen echter Depression, im psychiatrischen Sinn, und falscher Depression, im Sinn einer Trump’schen Fake-Depression, gestaltet sich schwierig. Wirte und Veranstalter beklagen den mangelnden Antrieb ihrer Gäste und deren Unlust, außer Haus zu gehen, sodass man hier eindeutig von einer Depression im gastronomischen Sinn sprechen kann.
Vielleicht ist die Talsohle aber bereits durchschritten und das Ende der Ausnahmesituation absehbar. Dabei kann die derzeitige Lage getrost als Probelauf für eine Epoche gesehen werden, auf die wir im Prinzip zusteuern. Die jahrzehntelangen, gut gemeinten Bemühungen, das Extreme zu vermeiden, eine wohltemperierte, auf Abstand bedachte, Atmosphäre zu schaffen und kleine Vorsorgekapellen am Pilgerweg zur absoluten Gesundheit zu platzieren, zielt darauf ab, die Sicherheit im Ranking vor die Gaudi zu platzieren. Dann ist, im wahrsten Sinn der Depression, Schluss mit lustig.