Skip to main content
Ärzte Woche

03.10.2024 | Tekal

Diebesgut

verfasst von: Dr. Ronny Tekal, Medizinkabarettist

print
DRUCKEN
insite
SUCHEN

Über Kavaliersdelikte und andere moralische Grauzonen.

Man kann sich vielleicht noch daran erinnern, als Toilettenpapier während der Pandemie, im Gegensatz zu Künstlern, plötzlich systemrelevant wurde. Man blickte der Gefahr einer Atemwegserkrankung ins Auge und sicherte sich dreilagig ab. Die Hygieneartikel waren vielerorts ausverkauft, der Wert einer Rolle wurde in Bitcoins aufgewogen. Scheinbar wird das kostbare Produkt nach wie vor am Schwarzmarkt gehandelt. Denn vor Kurzem ist ein hochrangiger Beamter der Landespolizeidirektion Eisenstadt aufgeflogen, als er im Kofferraum seines Wagens Klopapier aus dem Polizeihauptquartier geschleust hat. Dabei soll es sich, wie nun bekannt wurde, um „hochwertige Ware“ gehandelt haben, also nicht das kratzbürstige zweilagige Papier für Streifenbeamte, sondern die weiche Luxusvariante, die für die Azubis der Polizeischule gedacht war. Als Humorist wird es einem in diesem Land tatsächlich leicht gemacht: So muss man einfach geduldig am Ufer des Flusses sitzen und warten, bis die Pointen von alleine vorbeitreiben.

Der Skandal wird jedoch kaum, als HAKLE-Gate, Eingang in die heimischen Geschichtsbücher finden. Gerade mal einen Tag kam er in die Schlagzeilen, gerade genug, um das Bedürfnis nach sozialvoyeuristischer Skurrilität zu stillen. Eine ausführliche Nachberichterstattung oder Analysen von Experten über die Beschaffenheit der Oberfläche des Diebesgutes blieb man uns schuldig. Man wird wohl nie erfahren, ob die internen Ermittlungen eingestellt wurden oder es sich hier nicht um einen Einzelfall, sondern die Spitze eines Eisbergs organisierter Bandenkriminalität handelt, ein Netzwerk dunkler Machenschaften, das selbst die höchsten stillen Orte des Landes umspannt und Vanille-angereichertes Papier an Schurkenstaaten verhökert.

Vielleicht war es einfach ein Kavaliersdelikt, so etwas wie Mundraub, nur für die aborale Seite, aus purer Not heraus. Und es werfe der die erste Rolle, der noch nie in einem Hotel kleine Shampoo-Fläschchen, Handtücher, Bademäntel, Wandschränke oder einen Concierge unauffällig im Koffer mitgehen ließ. Auch in Spitälern greift der eine oder andere Kollege zu medizinischen Souvenirs aus der Arbeit, schließlich kann man Handschuhe, Masken, Spritzen oder Ultraschallgeräte auch zu Hause ganz gut brauchen.

Ob es nun rechtlich oder moralisch bedenklich ist, in einem Restaurant die nicht benutzten Zuckerbeutelchen in der Tischmitte einzustecken oder den Parmesan in die Jackentasche zu leeren, mag Ermessenssache sein. Doch auch wenn es geduldet wird, ist die Mitnahme kleiner Einwegartikel im Hotel genau genommen genauso verboten, wie sich den Concierge vor die eigene Wohnungstür zu setzen. Und im Endeffekt sieht ein bewusst versehentlich mitgereister Frotteemantel zu Hause doch sehr mitgenommen aus.

Bleiben wir also gnädig. Der arme Polizeibeamte hatte vielleicht gerade mit einer Magen-Darm-Grippe zu kämpfen. Oder er hat klug vorgesorgt. Denn die nächste Pandemie kommt bestimmt.

print
DRUCKEN
Metadaten
Titel
Diebesgut
Schlagwort
Tekal
Publikationsdatum
03.10.2024
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 42/2024