Dr. Tekal
Privat
Mikrogymnastik als Hoffnungsschimmer für passionierte Couch-Potatos.
Die WHO empfiehlt wöchentlich 150 Minuten Bewegung mittlerer Intensität. Abgesehen davon, dass eine durchschnittliche Woche gar nicht so viele Minuten hat, sind das umgerechnet 2,5 Stunden, in denen man nicht auf der Couch sitzen darf. Aufs Leben hochgerechnet ist das mehr als ein Jahr entgangene Mußezeit.
Während sich sportlich aktive Menschen jedoch über eine sportliche Aktivität freuen, stellt die medizinisch verordnete Bewegung für die inaktiven Couch-Poatos eine aktive Zumutung dar. Ein zu hoch gestecktes Ziel kann sich negativ auf die Motivation auswirken. Das weiß man aus unzähligen Präventionsprogrammen, die empfehlen, „vorerst mit drei Stunden Gymnastik pro Halbtag zu beginnen“ und allesamt kläglich scheitern. Niederschwellige Angebote, wie „lassen Sie bei der nächsten Zigarette den letzten Zug weg“, „schlecken Sie den Tortenteller nachher nur zur Hälfte ab“ oder „gehen Sie ausnahmsweise mal zu Fuß zum Kühlschrank“, können von der Zielgruppe hingegen gut angenommen werden.
Daher werden Interventionen immer beliebter, die bei minimalem Aufwand ein maximales Ergebnis versprechen. Etwa das sportwissenschaftlich geprüfte „7-Minuten-Training“, wo man zwar Hampelmänner, Liegestütze und Kniebeugen macht, in Minute 8 jedoch wieder auf der Couch liegen darf.
Ein Trend neueren Datums ist die Mikrogymnastik, die als bewegungstechnisches Understatement verstanden werden kann. „Mikro“ bedeutet bekanntlich „ein Millionstel“. Und Gymnastik bedeutet, „mit komplett nacktem Körper turnen“. Unterm Strich bleibt eine sehr reduzierte Form des Work-outs über, die unauffällig am Arbeitsplatz durchgeführt werden kann, so man es nicht allzu wörtlich nimmt und angezogen bleibt. Der Vorteil der Mikrogymnastik ist, dass man als Außenstehender ein bloßes „in die Luft schauen“ nicht von einem mikrogymnastisch aktiven „in die Luft schauen“ unterscheiden kann. Im Detail hört sich das so an: Linke Hand aufs rechte Knie (im Zeitalter von #MeeToo bitte das eigene Knie). Dann den Kopf für eine halbe Minute nach links und rechts bewegen. Fertig. Damit werden 20 Kilokalorien verbrannt und man kann sich drei Gummibärchen in den Mund schieben, ohne zuzunehmen. Rein rechnerisch zumindest.
Man kann im Büro auch aufstehen. Stehen ist das neue Sitzen, denn dabei verbrennt man rund 0,15 kcal mehr pro Minute. Mag nicht viel klingen aber rein rechnerisch nimmt man dabei über einen Zeitraum von vier Jahren rund 10 Kilo ab, wie die European Society of Cardiology errechnet hat. Man müsste dazu auch während des Schlafens stehen. Um das zu bewerkstelligen wäre man ein Pferd und hätte weniger mit Übergewicht zu kämpfen, sondern mehr mit Hufbeschwerden. Ist man bei der Mikrogymnastik ins Schwitzen gekommen, kann man sich mit einem Snack belohnen. Aber bitte nicht mehr als eine Handvoll Mikrochips.