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Ärzte Woche

27.11.2024 | Tekal

Schrödingers System

verfasst von: Dr. Ronny Tekal, Medizinkabarettist

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Über die allseits gefürchtete Macht im Hintergrund.

Kennen Sie das System? Jenes unbeschreibliche Wesen, dessen Namen du nicht nennen darfst, das im Hintergrund die Fäden und den Kunden den letzten Nerv zieht? Ein Wesen, das wir nie zu Gesicht bekommen, das aber scheinbar sehr aktiv in so gut wie alle Prozesse miteingebunden ist. „Das ist leider schon im System“ ist das unabänderliche Totschlagargument jedweder Änderungswünsche. Es ist die Black Box, die wir mit unseren Anliegen speisen und bei der wir, wie bei Schrödingers Katze, nicht wissen, ob diese Anliegen leben oder tot sind.

Im Sprachgebrauch des Systems kommen Worte wie „ausnahmsweise“ nicht vor, Fehler werden nicht verziehen. Der Polizist, der bei der Vernehmung irrtümlich ein Formular für Verdächtige, statt für Zeugen ausgestellt hat, kann dies nicht mehr ändern, da es das System leider nicht mehr zulässt. Schließlich existiert in unserem Land Gottseidank die Gewaltentrennung: Legislative, Exekutive, Judikatur und Bürokratie. Daher darf weder auf Amtswege noch auf vermeintliche Fehler im System Einfluss genommen werden, um die Demokratie nicht auszuhebeln. Und dass aus dem Zeugen rasch mal ein Delinquent wurde, ist dann eben fix im System hinterlegt.

Tatsächlich stelle ich mir das System wie einen überaus sturen Beamten vor, der dienstbeflissen, jedoch auch mit einer gewissen Genugtuung seine Aufgabe darin sieht, zu gewährleisten, dass die Menschheit nicht allzu hochmütig wird. Eine falsche Eingabe, eine irrtümlich vergessene Zahl, eine zufällige Fehlentscheidung – diese Flüchtigkeitsfehler lassen sich nur mit konsequenter Paragrafenpädagogik auf lange Sicht vermeiden. Damit die Menschen ein wenig achtsamer werden, wenn sie etwas in das System einspeisen.

Die Privatwirtschaft ist auf den erfolgreichen Zug aufgesprungen und so lassen sich

auch keine Flugbuchungen rückgängig machen, obwohl offensichtlich ist, dass man sich vermutlich beim Hinflug Wien-Malediven und Rückflug Malta-Wien um eine Zeile nach unten vertan hat. Sobald der Bestätigungsbutton geklickt ist, gibt es kein Zurück mehr, die Reise ist im System genauso gespeichert. So muss man eben den Urlaub auf den Malediven etwas früher beenden, um nach Malta zu schwimmen und rechtzeitig den Flug nach Wien zu erwischen.

Wir alle haben schon einmal in die unendlich traurigen Augen eines Kundenbetreuers geblickt, der nach der besten Lösung für den betreuten Kunden sucht, jedoch im Endeffekt resigniert mitteilen muss, dass das System nun die Kontrolle über die Kundenbetreuung übernommen hat.

Allerdings kann ich mir umgekehrt durchaus auch vorstellen, dass so ein System auch an uns völlig verzweifelt. Im Glauben, das Richtige zu tun und durch Beständigkeit eine gewisse Struktur in den Alltag zu bringen, scheitern alle Bemühungen letztlich am Menschen. Denn bezüglich der Dinge, die immer schon so waren und die leider nicht mehr abänderlich sind, kann uns das System nicht das Wasser reichen.

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Metadaten
Titel
Schrödingers System
Schlagwort
Tekal
Publikationsdatum
27.11.2024
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 50/2024