Ichthyosen sind generalisierte Verhornungsstörungen, die sich durch sichtbare Schuppung und/oder Hyperkeratosen der Haut manifestieren. Der klinische Ausprägungsgrad und die Ätiologie sind heterogen. Zahlreiche verschiedene Mutationen in Genen mit Bedeutung für die Keratinozytendifferenzierung und epidermale Barrierefunktion wurden beschrieben. Für die klinische Differenzialdiagnose ist das Leitsymptom der generalisierten Schuppung herausfordernd. Die vorliegende Übersichtsarbeit beschreibt die wichtigsten differenzialdiagnostischen Kriterien und therapeutischen Möglichkeiten.
Hinweise
Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Ichthyosen sind eine klinisch und genetisch heterogene Gruppe von schuppenden Verhornungsstörungen der Haut. Man unterscheidet solche mit Beteiligung anderer Organe (syndromal) von solchen ohne primäre Organbeteiligung (nichtsyndromal). Bei der Erstpräsentation sind vor allem andere generalisierte Ausprägungsformen von schuppenden Hautkrankheiten wie Psoriasis, Ekzem und Epidermomykosen differenzialdiagnostisch auszuschließen.
Klinik
Generalisierte Hautschuppung, meist unter Einbeziehung der großen Körperbeugen (Ausnahmen: X‑chromosomale Ichthyose, Ichthyosis vulgaris) sowie der Handinnenflächen und Fußsohlen in Form von Hyperlinearität oder palmoplantarem Keratoderm. Oft (aber nicht immer) bereits bei Geburt und meist als Kollodiumbaby symptomatisch (Ausnahmen: Ichthyosis vulgaris, X‑chromosomale Ichthyose).
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Häufige Formen
Ichthyosis vulgaris (IV; Abb. 1a): feine, hellgraue Schuppung unter Aussparung der großen Gelenkbeugen, palmoplantare Hyperlinearität (Abb. 1b) und Keratosis pilaris an den Oberarmaußenseiten. Manifestation meist erst Monate nach der Geburt.
X‑chromosomale Ichthyose (XLI): sowohl feine als auch mittelgroße graue bis bräunliche Schuppung an Stamm und Extremitäten mit Betonung der Nackenregion und des lateralen Gesichts, Aussparung der Gelenkbeugen. Die Schuppung ist etwas dicker und gröber gefeldert als bei der IV. Die palmoplantare Hyperlinearität fehlt meist. Assoziierte Symptome inkludieren Hornhauttrübungen der Descement-Membran bei Erwachsenen (selten bei Kindern).
Abb. 1
Ichthyosis vulgaris, FLG-Mutationen. a Feinlamelläre Schuppung. b Hyperlinearität
×
Seltene Formen
Autosomal-rezessive kongenitale Ichthyosen (ARCI; Abb. 2 und 3): Bei Geburt sehr häufig Kollodiumbaby, gelegentlich „kongenitale ichthyosiforme Erythrodermie (CIE)“; Entwicklung einer lamellären Ichthyose mit sehr unterschiedlicher Schuppengröße am gesamten Integument einschließlich der Handinnenflächen und Fußsohlen und mehr oder weniger ausgeprägter Erythrodermie. Bislang assoziierte Gene siehe Tab. 1.
Sonderformen: selbstheilendes/selbstverbesserndes Kollodiumbaby (Mutationen in TGM1, ALOX12B oder ALOXE3), Badeanzug-Ichthyose (spezifische TGM1-Mutationen) und Harlekin-Ichthyose (trunkierende ABCA12-Mutationen).
Keratinopathische Ichthyosen (KPI; Abb. 4): Histologisch ist allen Formen eine epidermolytische Hyperkeratose gemeinsam.
1.
Epidermolytische Ichthyose (EI): Bei Geburt ichthyosiforme Erythrodermie (CIE) mit zum Teil schwerer Blasenbildung („enfant brûlé“), gegen Ende des ersten Jahres schwächt sich die Erythrodermie ab; es entwickelt sich eine stachelige Hyperkeratose besonders in den großen Beugen. Am Stamm Lichenifikation, Blasenbildung nach Hautverletzung. Mutationen der Gene KRT1 oder KRT10. Palmoplantares Keratoderm vorwiegend bei KRT1-Mutationen.
2.
Superfizielle epidermolytische Ichthyose (SEI): leichterer Verlauf als bei EI; Blasenbildung bei Geburt, dunkelgraue Hyperkeratosen auch in den Beugefalten, mit Lichenifikation streckseits der großen Gelenke. Umschriebene Areale der Axillae mit zentraler Aussparung und lokalisierte Hyperkeratosen am Stamm. Blasenbildung nach minimalen Traumen. Meist oberflächliche Hautablösungen an Händen und Füßen (Mauserungsphänomen), Hand- und Fußflächen frei. Mutationen im Gen KRT2.
3.
Kongenitale retikuläre ichthyosiforme Erythrodermie (CRIE): Konfetti-Ichthyose; charakteristisch sind Inseln normaler Haut (Folge von Rückmutationen), umgeben von erythematöser schuppiger Haut.
4.
Seltene Varianten der KPI: Typen siehe Tab. 1. Zum Beispiel Ichthyosis hystrix Curth-Macklin: schwere diffuse Hyperkeratose, mit stachelig-pflastersteinartigem („hystrix“) Erscheinungsbild, besonders an Extremitäten-Streckseiten und am Rumpf, assoziiert mit striärer oder diffuser PPK. Aufgrund Hautinfektionen oft Geruchsbildung. Epidermolytischer Nävus: geringer ausgeprägtes Erscheinungsbild, gekennzeichnet durch eine lokalisierte epidermolytische Ichthyose als Nävus. Ursache ist ein Mosaik infolge postzygotischer KRT1- oder KRT10-Mutation. Cave: Nachkommen können evtl. das Vollbild der epidermolytischen Ichthyose zeigen.
Abb. 2
ARCI; Kollodiumbaby (TGM-1)
Abb. 3
ARCI (TGM-1); a–c großlamelläre Schuppung postpartaler Phänotyp AQ8nach Abstoßung der Kollodiummembran. d Histologie ARCI
„Keratosis linearis with ichthyosis congenita and sclerosing keratoderma (KLICK-Syndrom)“
#601952
AR
POMP
13q12.3
Syndromale Ichthyosen
Zahlreich
Meist AR
>20 verschiedene Genmutationen
Siehe OMIM
AD autosomal dominant, AR autosomal rezessiv, SD semidominant, XR X-chromosomal rezessiv
Abb. 4
KPI (KRT10); epidermolytische Ichthyose. a–c Hyperkeratotischer Phänotyp (Neugeborene können kongenital mit Blasen/Erosionen präsentieren). d–e Histologie KPI
×
Andere Ichthyoseformen und assoziierte Gene sind Tab. 1 zu entnehmen, z. B. Loricrin-Keratodermie mit zum Teil mutilierenden palmoplantaren Hyperkeratosen einhergehend.
Gemeinsam sind allen Ichthyosen zugrundeliegende Defekte in Schlüsselkomponenten der epidermalen Barriere (Barrierelipide, Strukturproteine, Zell-Zell-Kontakte, regulatorische Enzyme u. a.). Es resultiert eine Verhornungsstörung.
Allen Ichthyosen liegen Defekte in Schlüsselkomponenten der epidermalen Barriere zu Grunde
Ichthyosis vulgaris (IV): Mutationen im FLG-Gen. Heterozygote können eine leichte Schuppung und Hyperlinearität der Hände aufweisen; Homozygote und Compound-Heterozygote wie beim autosomal-rezessiven Erbgang.
Filaggrin spielt eine zentrale Rolle in der terminalen Differenzierung der Keratinozyten zu kernlosen Korneozyten, damit für die Strukturbildung der äußersten epidermalen Hornschicht.
Fallbericht
Ein holländischer Staatsbürger arbeitet seit den 1970er Jahren als Barkeeper in Tirol. Er leidet seit früher Kindheit unter ausgeprägter Hautschuppung. Laut Fremdanamnese bestanden zum Zeitpunkt der Geburt keine Besonderheiten der Haut.
Einige Monate nach der Geburt entwickelte der Patient jedoch eine generalisierte Schuppung der Haut. Die Familienanamnese ergibt, dass Mutter, Schwester, zwei Brüder und eine Nichte von ähnlicher generalisierter Hautschuppung betroffen sind. Einer der von der Schuppung betroffenen Brüder leidet gleichzeitig an Neurodermitis und Heuschnupfen.
Der Patient erhält eine topische 4 % Urea-Basistherapie, worunter sich die Schuppung deutlich bessert
Der 76-jährige Patient zeigt eine generalisierte, feinlamellöse Schuppung des gesamten Integuments mit Aussparung der großen Beugen der Extremitäten. Die Palmar- und Plantarflächen zeigen eine Hyperlinearität. Es wird eine Hautbiopsie entnommen, in der bei Hyperkeratose und milder Akanthose ein Fehlen des Stratum granulosum auffällt. Eine molekulargenetische Untersuchung aus peripherem Blut ergibt eine Mutation des Filaggrin.
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Der Patient erhält eine topische 4 % Urea-Basistherapie, worunter sich die Schuppung deutlich bessert.
X‑chromosomale Ichthyose (XLI): Die XLI gibt es sowohl nichtsyndromal als auch syndromal (ca. 10 % bei größeren Deletionen am kleinen Arm des X‑Chromosoms, dann zusätzlich Kryptorchismus, Anosmie, Hypogonadismus, mentale Retardierung u. a.). Der Hautsymptomatik jeweils zu Grunde liegend ist eine genetische Defizienz des Steroidsulfatase-Gens (STS) mit verminderter Bildung von Cholesterin aus Cholesterinsulfat, welches die Zusammensetzung der Hornschichtlipide beeinträchtigt.
ARCI: Am häufigsten sind Mutationen im TGM1-Gen (ca. 1 Drittel), gefolgt von NIPAL4-(Ichthyin-)Mutationen (16 %); des Weiteren Mutationen der Gene ALOX12B (12 %), CYP4F22 (8 %), ABCA12 5 %; schwere lamelläre Ichthyose bei Missense-Mutationen, trunkierende Mutationen häufig letal, siehe Harlekin-Ichthyose, ALOXE3 (5 %), CERS3 und PNPLA1 (zusammen 3 %). Bei etwa 20 % der Fälle bislang kein Mutationsnachweis möglich. TGM1 ist für die Vernetzung von Proteinen im Stratum corneum zuständig. Ichthyin ist ein transmembranäres Protein, das den Lipidtransport im Lamellarkörperchen gewährleistet. ALOX12B, ALOXE3, CERS3- und PNPLA1 kodieren für verschiedene Transportproteine und Enzyme, die Lipidkomponenten der Hornschicht regulieren. Daraus resultieren eine gestörte Keratinozytendifferenzierung, Veränderungen im Stratum granulosum und Stratum corneum (gestörte Lipidbarriere, klinisch vermehrte Schuppung).
Keratinopathische Ichthyosen (KPI): Mutationen in Keratin-Genen (KRT1, KRT2 und KRT10). Keratinmutationen bewirken einen Zusammenbruch des Keratinfilamentsystems und damit den Verlust der Keratinozytenstabilität.
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Andere Ichthyose-Formen: assoziierte Gene siehe Tab. 1. KRT1- oder KRT10-Mosaik beim epidermolytischen Nävus.
Syndromale Ichthyosen: Beteiligung von Nervensystem, Skelett, Gastrointestinaltrakt, Innenohr, Lunge, Niere u. v. m.
Häufigkeit
Prävalenzen der häufigsten Formen:
Ichthyosis vulgaris: 1:300 bis 1:250,
ARCI: 1:100.000,
epidermolytische Ichthyose: 1:500.000–1:200.000.
Verlauf, Prognose
Abhängig vom Typ der Ichthyose. Komplikationen: Pruritus, Hautinfektionen (Impetigo), Hyper- oder Hypohidrosis, Alopecia ichthyotica, Ektropion.
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Therapie
Abhängig vom Phänotyp: mechanische Keratolyse in Kombination mit Externa (Harnstoff, Milchsäure, Glycerin, Natriumchlorid, Polyethylenglykol, Retinoide) je nach individueller Verträglichkeit.
Bei sehr ausgeprägter Schuppung erfolgt die Keratolyse mechanisch mit diversen Hilfsmitteln (z. B. Bürsten, spezielle Schwämme mit rauer Oberfläche), muss jedoch sehr dem individuellen Krankheitsbild angepasst werden. Häufige Bäder sind zur Vorbereitung und Förderung der Keratolyse bei Ichthyose-Betroffenen empfehlenswert, der tägliche Kontakt mit Wasser ist in dieser Situation kein Problem.
Unter Umständen ist zur Verstärkung des vorbereitenden Effekts der Zusatz von Kochsalz, spreitendem Badeöl oder Backpulver vorteilhaft. Dabei wird die Haut hydriert und für die mechanische Keratolyse empfänglicher. Kontraproduktiv sind Schaumbäder, weil sie Detergenzien enthalten und damit die Lipidbarriere beeinträchtigen. Die Betroffenen entwickeln oftmals eigenständig eine tägliche Routine, ohne dass pflegerisch unterstützt werden muss.
Unmittelbar auf das Bad folgende Salbenteilbehandlungen sind ein wichtiger Bestandteil der pflegenden Routine. Diese kann keratolytische Externa wie z. B. Harnstoff oder Milchsäure enthalten (s. oben), muss aber nicht. Auch eine reine rückfettende Basistherapie kann die Schuppung erheblich lindern. Insgesamt handelt es sich um tägliche Pflege mit erheblichem Zeitaufwand, weit über den pflegerischen Zeitaufwand von Normalhaut hinausgehend.
Bei Neugeborenen in den ersten Lebensjahren ist die Anwendung der rückfettenden Basistherapie der Keratolyse vorzuziehen und den individuellen Bedürfnissen (manche Ichthyosehaut hat eine entzündliche Komponente, andere weniger) in Rücksprache mit der betreuenden Ärztin/dem betreuenden Arzt individuell angepasst werden.
Cave: Salicylsäure und Urea sind in den ersten beiden Lebensjahren, sowie auch, wenn größere Hautareale betroffen sind, mit Vorsicht anzuwenden!
Sind obige Maßnahmen nicht ausreichend, sollten die Patientinnen und Patienten einer Fachärztin oder einer Klinik zugewiesen werden, um zusätzlich den Einsatz topischer oder systemischer Retinoide zur Regulation der epidermalen Differenzierung zu evaluieren.
In den letzten Jahren gibt es fallbasierte Erfolgsberichte über den Einsatz von Biologika (Anti-Interleukin-4/13, Anti-Interleukin-12, Anti-Interleukin-17), ausgehend von dem Befund erhöhter Zytokinexpression (insbesondere Interleukin-17) in entzündlicher Ichthyosehaut. Auch der Einsatz von JAK-Inhibitoren wird diskutiert. Mangels breiter Erfahrung sind derartige Behandlungen allerdings Spezialzentren vorbehalten.
In der Entwicklung befinden sich weitere pathogenetische Therapieansätze. Dazu gehören die gezielte Substitution fehlender Stratum-corneum-Lipide oder -Proteine und gentherapeutische Ansätze.
Neue Leitlinien über die therapeutischen Möglichkeiten wurden kürzlich publiziert (siehe Weiterführende Literatur). Es ist wichtig, mit den Patientinnen und Patienten zu besprechen, dass es sich um eine chronische, genetische Hauterkrankung handelt und die Erwartungen realistisch zu halten (Notwendigkeit der kontinuierlichen Behandlung).
Zuweisungsmöglichkeit
Für Allgemeinmedizinerinnen besteht in Österreich die Möglichkeit zur differenzialdiagnostischen Abklärung und Therapieempfehlung an Fachärztinnen für Haut- und Geschlechtskrankheiten oder Kliniken für Dermatologie zuzuweisen. Die Univ.-Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Medizinischen Universität Innsbruck wurde vom Gesundheitsministerium als Expertisezentrum für Seltene Erkrankungen mit Schwerpunkt Verhornungsstörungen anerkannt und ist mit dem Europäischen Referenznetzwerk für Seltene Hauterkrankungen (ERN-Skin) assoziiert. Patientinnen können für Erst- und Zweitmeinungen unter der Telefonnummer 050 504 24801 zugewiesen werden.
Danksagung
Danke für Teile des konzeptiellen Rahmenwerks und Text an Frau Prof. Sigrid Tinschert, Medizinische Genetik, Medizinische Universität, Innsbruck.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
M. Schmuth gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden vom Autor keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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