01.11.2020 | Aktuelles
Wie wird im 21. Jahrhundert die Schilddrüse operiert?
Erschienen in: Journal für Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel | Ausgabe 4/2020
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Ende des 19. Jahrhunderts war die Thyroidektomie noch eine sehr gefährliche Operation, die perioperative Mortalität wurde mit bis zu 45 % angegeben. In manchen Ländern war die Schilddrüsenoperation verboten, wie in England, wo die Royal Society of Surgeons dazu festhielt: „no serious surgeon should do this butchery!“. Theodor Kocher hat mit seiner subtilen Operationstechnik und exakter Blutstillung die Mortalität auf 5 % senken können. Er hat nebst seinen genauen Aufzeichnungen im Sinne einer Qualitätskontrolle die Patientendaten akribisch dokumentiert und analysiert und dafür 1909 als einer der wenigen Chirurgen den Nobelpreis für Medizin erhalten. Kocher musste allerdings erkennen, dass die totale Thyroidektomie ohne die damals mögliche Schilddrüsenhormonsubstitution zu den schwerwiegenden Folgen der Hypothyreose führte, und hat deshalb die totale Thyroidektomie wieder verworfen. Bis in die 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts war dann die Technik der subtotalen Resektion, bei der auf jeder Seite zumindest bei den gutartigen Befunden ein ca. daumenendgliedgroßer Rest belassen wurde, führend. Diese Ära wurde dann abgelöst von der Empfehlung, die Schilddrüse im Sinne einer (totalen) Thyroidektomie komplett zu entfernen. Dies wurde und wird derzeit immer noch bei beidseitigen gutartigen Knotenstrumen empfohlen, da vor allem bei jungen Patienten ein genetischer Hintergrund die Entstehung der benignen Knotenstruma begünstigt und die Rezidivhäufigkeit im belassenen Rest mit 50 % innerhalb von 10 Jahren sehr hoch ist. Trotz der in den Leitlinien empfohlenen Thyroidektomie bei beidseitiger Knotenstruma kann mit dem Patienten ein individuelles Therapieziel vereinbart werden. Beispielsweise kann bei solitären Knoten, welche am oberen oder unteren Schilddrüsenpol oder ventral gelegen sind, an die Möglichkeit des Funktionserhalts der Schilddrüse gedacht werden und der Knoten mit gesundem Randsaum entfernt werden. Diese Entscheidung sollte auch der relativ hohen Rate an postoperativem Hypoparathyreoidismus geschuldet sein, welche selbst in spezialisierten Zentren (passagerer und permanenter Hypoparathyreoidismus) bis zu 15 % betragen kann! Zudem ist derzeit mit der Möglichkeit des kontinuierlichen Neuromonitorings ein Reeingriff mit keiner höheren Morbidität assoziiert. Beim Morbus Basedow ist die totale Thyroidektomie zu empfehlen, da auch aus kleinen belassenen Geweberesten ein Rezidiv entstehen kann. Die Rezidivoperation eines Morbus Basedow gilt als die anspruchsvollste Schilddrüsenoperation, da das Gewebe stark durchblutet und vernarbt ist. …Anzeige