Die Adipositas ist neben der Genetik der wohl wichtigste Risikofaktor für den Typ 2 Diabetes. In der EU sind 17 % der Erwachsenen zwischen 20 und 74 Jahren adipös, 36 % sind übergewichtig [
1]. Erhöhter BMI bedeutet erhöhte Mortalität bei Männern und Frauen, wobei dies allerdings auch für Untergewicht gilt (J Shaped curve) [
2]. Weltweit ist der größte Teil des Typ 2 Diabetes der Adipositas zuzuordnen, so auch in Europa [
3,
4].
Diabetes und Adipositas zusammen erhöhen das Mortalitätsrisiko auf das 7-Fache [
5].
Es wird häufig darüber diskutiert, ob sie eine Erkrankung für sich selbst darstellt oder einem krankhaften Zustand entspricht, eine rezente Publikation der European Association for the Study of Obesity (EASO) hat sie zum „Gateway of Ill Health“, also zu einem zentralen Krankheits-bestimmenden Faktor erklärt [
6]. Die „Milan Declaration 2015“ der EASO hat die Adipositas nunmehr selbst als „progressive Erkrankung“ genannt und als zentrales „Tor“ zu vielen anderen Erkrankungen wie die meisten NCDs (Non Communicable Diseases; nicht übertragbare Erkrankungen) erklärt. Die zentrale Rolle der Adipositas bei Diabetes, Hyperlipidämie und Hypertonie mit der Konsequenz erhöhter kardiovaskulärer Morbidität und Mortalität wird gewürdigt (
http://www.easo.org). Die enge Beziehung von Adipositas und Typ 2 Diabetes hat auch zur Bezeichnung „Diabesity“ geführt.
Die WHO hat die Adipositas daher zum größten globalen chronischen Gesundheitsproblem erklärt, das sogar die Bedeutung der Malnutrition übertrifft. Im Jahre 2030 könnten neueren Projektionen zufolge etwa 60 % der Weltbevölkerung übergewichtig oder adipös sein [
7,
8,
9].
Neben den an anderer Stelle behandelten Themen soll die Betrachtung des Typ 2 Diabetes im Folgenden aus diesem Blickwinkel beleuchtet werden.
Anthropometrische Daten
Es ist heute erwiesen, dass das Körpergewicht selbst ein schlechtes Maß für die Körperverfettung darstellt. Zwar weisen fast 100 % der Personen mit einem BMI > 30 kg/m
2 einen hohen Fettanteil auf, aber auch immerhin noch etwa ein Drittel der Normalgewichtigen [
10]. Dies ist auf den heute häufigen Muskelmangel (Sarkopenie) zurückzuführen, die also eine ungünstige Fett-Muskel-Relation auch bei Normal- oder Übergewicht bedeutet. Viele der genannten Personen werden auch über den erhöhten Bauchumfang entdeckt. Besteht eine abdominelle Fettansammlung, ist das Risiko für Atherosklerose und Mortalität selbst bei normalem BMI erhöht. Als Grenzwerte für den Bauchumfang gelten für eine kaukasische Bevölkerung 88 cm für Frauen und 102 cm für Männer, wobei diese Werte jedoch bei älteren Personen (geringere Körpergröße, Kyphose, Skoliose) nicht anwendbar sind. Da andere ethnische Populationen (z. B. Asiaten) bei gleichem BMI eine größere Fettmasse aufweisen, werden für diese Kollektive andere Grenzwerte diskutiert [
11].
Eine korrekte Untersuchung umfasst daher zusätzlich den Bauchumfang und eine geeignete Methode zur Erfassung des Körperfettes (DEXA, BIA, BODPOD). Zwar haben letztere auch ihre Schwächen, geben aber eine gute Orientierung und sind besonders im Verlauf eines Gewichtsmanagements von unschätzbarem Wert [
12,
13]. Ein Screening auf Sarkopenie mittels SARC-F kann helfen, eine Sarkopenie frühzeitig zu erkennen.
Implikationen für das Lebensstilmanagement
Beim Gewichtmanagement bevorzugen in den USA und auch weltweit in allen Kulturen Frauen Ernährungsmaßnahmen und Männer Bewegungsmaßnahmen [
14,
15]. Eine Zunahme der Muskelmasse und eine Verminderung der Körperfettmasse braucht in der Regel aber bei allen Menschen beides.
Die Basis jeden Lebensstilmanagementes liegt in der Einleitung körperlicher Bewegung. Aerobe Bewegung ist zur Verminderung des Körperfettes geeignet [
16]. Bei Sarkopenie ist auf eiweißreiche Ernährung in Kombination mit Muskelaufbau durch unterstützendes Krafttraining zu achten [
17]. Einen besonders wichtigen Faktor stellt neben der Muskelmasse die Funktionalität dar, weswegen im Monitoring geeignete Parameter empfohlen werden (z. B. „Handgrip-Test“) [
18], auch die physikalische Fitness ist von großer Bedeutung, insbesondere im Alter [
19,
20].
Eine erfolgreiche Gewichtsreduktion kann nur mit einer
energiereduzierten Diät, die fettreduziert, aber auch kohlenhydratereduziert sein kann oder einem mediterranen Ernährungsmuster entspricht, erreicht werden [
21,
22,
23]. Eine mediterrane Ernährung konnte darüber hinaus die Notwendigkeit der Verordnung oraler Antidiabetika bei neu diagnostizierten Diabetikern reduzieren [
24].
Im Fall einer fettreduzierten Diät sollte die Kohlenhydratqualität beachtet werden (bevorzugt komplexe Kohlenhydrate, möglichst wenig Mono- und Disaccharide).
Wie von Dansinger et al. [
25] sehr gut gezeigt, geht es in der Praxis darum, die Patienten zu motivieren, ihre unter Berücksichtigung der persönlichen Präferenzen Ernährung zu verändern, die Energiezufuhr zu reduzieren und diese Umstellung dauerhaft beizubehalten.
In der Ernährungstherapie sind heute individuell maßgeschneiderte Kostformen, die auch persönliche Präferenzen, Abneigungen, den kulturellen und religiösen Hintergrund sowie die individuelle ökonomische Situation in Betracht ziehen, zu erstellen.
Supplemente mit definiertem Inhalt können im Ersatz einzelner oder mehrerer (meist zwei) Mahlzeiten hilfreich sein (Low Calorie Diets) [
27]. Für kurze Zeiträume können bei entsprechender Eignung der Patienten auch stark hypokalorische ketogene Kostformen (Very Low Calorie Diets, VLCDs) eingesetzt werden, die dann meist von Low Calorie Diets mit ein- bis zweimal tägigem Mahlzeitenersatz (LCDs) über längere Zeit gefolgt werden.
Benefit von Gewichtsverlust in Diabetesprävention und Therapie
Im „Diabetes Prevention Programme“ (DPP) konnte moderater Gewichtsverlust mittels Lebensstilintervention die Diabetesmanifestation um 58 % reduzieren und damit besser als mit Metformin (ohne Lebensstiländerung) [
28].
Epidemiologische Daten belegen den Wert einer frühen Gewichtsreduktion bei Diabetes mellitus Typ 2. Jedes Kilo Gewichtsverlust im ersten Jahr nach Manifestation war in einer Studie von Lean et al. mit einem erhöhten „Survival“ von 3–4 Monaten assoziiert, 10 kg Gewichtsverlust mit einer Wiederherstellung der Lebenserwartung von 35 % [
29].
Geplanter moderater Gewichtsverlust von etwa 10 kg konnte in einer Studie von Williamson die Mortalität von Diabetikern um etwa 25 % senken [
30].
Implikationen für die Verwendung antiadipöser medikamentöser Therapien
Aus Sicht der Adipositas hat die kombinierte Betrachtung von glykämischer Kontrolle und Körpergewicht (besser Muskel- und Fettmasse bzw. deren Relation) zunehmend Bedeutung erlangt. In einer Observations-Studie von Eeg-Olofsson wurden koronare Herzkrankheit, Schlaganfall und Gesamtmortalität mit einer Gewichtszunahme unter antidiabetischer Therapie korreliert [
31]. Entsprechende Interventionsstudien können allerdings nicht vorweggenommen werden, insbesondere bei leichter Gewichtszunahme.
Aus Sicht des Gewichtsmanagements sind jedenfalls jene antidiabetischen Therapien zu bevorzugen, die das Gewicht der Diabetiker nicht steigern, idealerweise eine Gewichtsreduktion unterstützen. Dies kann auch als Entscheidungshilfe bei der Auswahl der Medikamente dienen, insbesondere nach der Einleitung der heute fast obligaten Metformintherapie (Tab.
1).
Tab. 1
Gewichtseffekte von antidiabetischen Therapien
Metformin | Neutral |
A-Glucosidasehemmer | Neutral |
Glinide | Neutral bis + |
Sulfonylharnstoffe | (+) bis ++ |
Pioglitazon | Neutral bis ++ |
DPP-IV-Hemmer | Neutral |
SGLT-2-Hemmer | Neutral bis −− |
GLP-Agonisten | Neutral bis −−− |
Insulin | + bis +++ |
Neben der bewusst auch am Gewicht orientierten antihyperglykaemischen Therapie sind in den USA mehrere Antiadiposita registriert worden, von denen Liraglutid (bis 1,8 mg bei Diabetes mellitus Typ 2 und 3 mg bei Adipositas) und die Fix-Kombination von Naltrexon und Bupropion auch in Europa von der EMA zugelassen worden sind. Beide zur Adipositas-Therapie zugelassenen Produkte sind in Österreich aber noch nicht eingeführt. Eine Übersicht über alle Antiadiposita in den USA und bei uns in Europa ist in Obesity Facts erschienen [
32]. Über die Verwendung der Antiadiposita in der Diabetes-Therapie können noch keine Empfehlungen abgegeben werden.
Bariatrische Chirurgie bei Diabetes mellitus
Während bei Patienten mit Adipositas ohne Diabetes ein BMI > 40 kg/m
2 zur Indikationsstelllung für bariatrische Operationen gilt, ist dies bei Diabetes mellitus ein BMI > 35 kg/m
2, da diese Subgruppe einen Überlebensvorteil zeigte [
33]. Diese Vorgangsweise geht vor allem auf Erkenntnisse aus der SOS-Studie zurück. In der chirurgischen Welt werden solche Operationen heute auch bereits bei viel niedrigerem BMI durchgeführt. Hier sind jedoch sorgfältige Nutzen-Risikoanalysen aus kontrollierten Studien abzuwarten. Im Gegensatz zu Personen ohne Diabetes sind Menschen mit Diabetes in der Regel in allgemeinmedizinischer, internistischer oder endokrinologischer Betreuung, was die Chance eröffnet, die erforderlichen Basis- und Kontroll-Untersuchungen vor und nach bariatrischen Operationen durchzuführen. Neben den möglichen Mangelerscheinungen ist jedenfalls die Körperzusammensetzung (Muskel-Fett-Relation) und auch die Knochendichte erstmals spätestens zwei Jahre nach der Operation, unabhängig von der Art, zu untersuchen [
34].
Vergleich medikamentöse und bariatrische Therapien
Bariatrische Therapien sind im Hinblick auf die Gewichtsreduktion, aber auch den Stoffwechsel, zurzeit effektiver als medikamentöse Therapien. Längerfristig nehmen die Unterschiede, vor allem die Stoffwechsel-Parameter betreffend (Daten nicht dargestellt), aber ab. Entsprechende Langzeitstudien an größeren Kohorten stehen noch aus.
Begleittherapien
Aus Sicht der Adipositas ist auch darauf zu achten, gewichtssteigernde Begleittherapien zu vermeiden.
Zu den wichtigsten gewichtssteigernden Begleittherapien zählen viele Psychopharmaka. Die letzteren sind im Kapitel „Psychische Erkrankungen und Diabetes mellitus dargestellt“ [
34].
Moderate Gewichtszunahmen bzw. Zunahmen des viszeralen Fettes werden auch unter Cortisontherapien beobachtet. Unter Betalockern ist zumindest die Gewichtsabnahme erschwert und die Diabetesminfestation gehäuft (Daten nicht dargestellt).
Schlussfolgerungen
Die zunehmende Gewichtsentwicklung in der Bevölkerung und damit auch bei Diabetikern hat das Stabilisieren des Gewichtes und das aktive Gewichtsmanagement im Sinne einer begleiteten Gewichtsreduktion zum Primärziel erhoben. Lebensstilinterventionen sind – ergänzt durch Verhaltenstherapie – Basis jeder Therapie beim Übergewichtigen und Adipösen, und damit natürlich auch beim Menschen mit Typ 2 Diabetes. Der kombinierte Endpunkt „HbA1c UND Gewicht“ wird zum Ziel der therapeutischen Bemühungen werden.
Einhaltung ethischer Richtlinien
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