Rektumkarzinom: Neoadjuvante Therapie ohne Bestrahlung?

In der US-amerikanischen Phase-III-Studie PROSPECT hat sich gezeigt, dass die neoadjuvante Therapie beim lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinom auch ohne Bestrahlung der Beckenregion auskommt. Auf dem Annual Meeting der ASCO wurde die Bedeutung der Studie für die klinische Praxis diskutiert. Rektoskopischer Befund Rödel, C et al. / all rights reserved Springer Medizin Verlag GmbH | Onkologe 2020; 26(20): 1119–1128 × In der Phase-III-Studie PROSPECT konnte festgestellt werden, dass die meisten Rektumkarzinompatient*innen mit einem intermediärem Rezidivrisiko eine kurativ intendierte Therapie erhalten können, ohne die Notwendigkeit für eine Bestrahlung der Beckenregion, erklärte Dr. Deborah Schrag, Department of Medicine, Memorial Sloan Kettering Cancer Center, New York, NY/USA, auf der ASCO-Jahrestagung 2023. Die Ergebnisse der US-amerikanischen Studie wurden zeitgleich zu dem internationalen Kongress im New England Journal of Medicine [1] und die patientenberichteten Endpunkte im Journal of Clinical Oncology [2] veröffentlicht. Die neoadjuvante Radiochemotherapie (Bestrahlung plus 5-Fluorouracil, 5FUCRT) vor einer sphinkterschonenden Operation war laut Schrag zu Studienbeginn die Standardbehandlung in den USA für das lokal fortgeschrittene Rektumkarzinom (LARC). Dieser Ansatz könne zwar drei Viertel der Betroffenen heilen und die lokale Rezidivrate senken, sei aber auch mit erheblichen Langzeitnebenwirkungen verbunden, wie der Einschränkung von Darm- und Blasenfunktion, sexuellen Problemen, einem erhöhten Risiko für Beckenbrüche und Zweitmalignome sowie einer eingeschränkten Fertilität und einer frühzeitigen Menopause. Im Jahr 2012 startete deshalb das Team um Schrag die PROSPECT-Studie zur Optimierung der neoadjuvanten Therapie bei LARC. Unterschiedliche Toxizitätsprofile beachten 1.194 Personen mit LARC (cT2N+, cT3N- oder cT3N+), für die eine sphinkterschonende Operation infrage kam, erhielten randomisiert entweder neoadjuvant 5FUCRT oder sechs Zyklen FOLFOX (Fluorouracil, Folinsäure, Oxaliplatin) plus eine selektive Anwendung von 5FUCRT. Demnach mussten sich in der experimentellen Gruppe nur Erkrankte einer 5FUCRT unterziehen, wenn die FOLFOX-Therapie den Tumor nicht um mindestens 20% schrumpfen ließ. War die Chemotherapie hingegen erfolgreich, konnten die Patient*innen direkt operiert werden, ohne eine vorherige 5FUCRT. Letztlich benötigten in der FOLFOX-Gruppe 9,1% der Teilnehmenden eine 5FUCRT. Nach einem medianen Follow-up von 58 Monaten erwies sich im primären Endpunkt krankheitsfreies Überleben (DFS) die neoadjuvante FOLFOX-Therapie mit selektiver 5FUCRT einer neoadjuvanten 5FUCRT als nicht unterlegen. Die 5-Jahres-DFS-Rate betrug 80,8% in der Interventionsgruppe und 78,6% in der Kontrollgruppe (Hazard Ratio für Rezidiv oder Tod 0,92; 90,2%-Konfidenzintervall 0,74–1,14; p = 0,005). Auch die sekundären Endpunkte wie Gesamtüberlebensrate (89,5 vs. 90,2%) und die Rate für ein pathologisches Komplettansprechen (pCR: 21,9 vs. 24,3%) waren vergleichbar. Zwar sei die Toxizitätsrate für einige Symptome in der FOLFOX-Gruppe während der neoadjuvanten Therapie häufiger aufgetreten (Appetitverlust, Obstipation, Fatigue, Übelkeit, Neuropathie) als unter der 5FUCRT (hier häufiger Diarrhö), aber dies kehrte sich nach der Operation um, sagte Schrag. Ein Jahr postoperativ berichteten die Patient*innen von geringeren Raten an Fatigue und Neuropathie sowie eine bessere sexuelle Funktion in der FOLFOX-Gruppe [2]. Neoadjuvantes FOLFOX für fortgeschrittene Stadien nicht genug Die Forschenden hätten nun mit der selektiven totalen neoadjuvanten Therapie ein neues Puzzleteil zur Therapie des Rektumkarzinoms geliefert, meinte die Diskutantin Prof. Corrie Marijnen, Netherlands Cancer Institute, Amsterdam, Niederlande. Ein Verzicht auf die Bestrahlung und die damit geringere Langzeittoxizität spreche für diese Therapie. Allerdings verwies Marijnen darauf, dass LARC in den USA anders definiert werde als in Europa. Entsprechend der Einteilung des Rektumkarzinoms nach den ESMO-Leitlinien [3], müssten die Teilnehmenden der PROSPECT-Studie eigentlich größtenteils den frühen und intermediären Tumoren zugeordnet werden. Für diese Stadien werde aber von der ESMO überhaupt keine neoadjuvante Therapie empfohlen, klärte sie auf. Für weiter fortgeschrittene Tumoren sei FOLFOX allein als neoadjvuante Therapie nicht genug, um ein komplettes Ansprechen zu erreichen, erläuterte sie. Dies habe sich in den aktuellen Ergebnissen der Studien PRODIGE 23 [4] und FOWARC [5] gezeigt. Für fortgeschrittenere Tumoren hält sie deshalb die Radiochemotherapie für wirksamer. Gemeinsam entscheiden anhand individueller Faktoren Marijnen plädierte für die gemeinsame Entscheidungsfindung der Behandelnden mit den Patient*innen, um die individuell passende Therapie zu finden. Denn die verschiedenen Therapieansätze seien mit unterschiedlichen Toxizitätsprofilen verbunden. So sei für einen Taxifahrer wahrscheinlich eine neoadjuvante 5FUCRT mit höheren Raten an Diarrhö weniger angebracht als die FOLFOX-Therapie. Auch für eine junge Frau mit Kinderwunsch wäre die FOLFOX-Therapie sinnvoller. Wiederum wäre für eine Violinistin die FOLFOX-Therapie aufgrund der neuropathischen Nebenwirkungen ungünstig. Für eine ältere Person, die Schwierigkeiten habe, das Krankenhaus zu erreichen, wäre hingegen eine Kurzzeitbestrahlung möglicherweise am besten geeignet. Zuletzt forderte Marijnen dazu auf, mit intensiver Forschung Betroffene zu identifizieren, die ganz auf eine neoadjuvante Therapie verzichten könnten. basierend auf: ASCO Annual Meeting 2023, 2.-6.6.2023, Chicago (hybrid); Session: Schrag D et al.; Abstract LBA 2 abrufbar unter https://meetings.asco.org/abstracts-presentations/219804

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