Was ist das Mikrobiom?
Das humane Mikrobiom bezeichnet die Gemeinschaft aller Mikroorganismen, also Bakterien, Archaeen, Viren, Pilze und Protozoen, welche den menschlichen Organismus besiedeln [
1]. Im Folgenden ist weitgehend vom intestinalen Mikrobiom die Rede. Die Anzahl dieser Mikroorganismen übersteigt um ein Vielfaches die Anzahl der humanen Zellen im menschlichen Körper. Zu den Hauptaufgaben des intestinalen Mikrobioms gehört die Verdauung von Nährstoffen, die Bereitstellung von Energie, Metaboliten, Vitaminen und Gallensäuren für den Organismus, die Unterstützung der Darmschleimhaut und deren Barrierefunktion sowie der Schutz gegen Pathogene. In den letzten Jahren hat jedoch die Bedeutung des intestinalen Mikrobioms immer mehr an Bedeutung gewonnen. Denn dieses wird zunehmend in Zusammenhang mit immunologischen, hormonellen wie auch Stoffwechselfunktionen des Menschen gebracht. Einerseits kann die Zusammensetzung des Mikrobioms die Mikrobiom-Darm-Gehirn-Achse so verändern, dass es nicht nur einen Einfluss auf die Stimmung des Menschen haben kann, sondern auch psychiatrische Erkrankungen, darunter schwerwiegende Depressionen, beeinflussen kann. Anderseits kann eine Dysbiose – eine Veränderung der Besiedlung bzw. der Zusammensetzung der Darmbakterien – einen erheblichen Einfluss auf das Vorhandensein von metabolischen Erkrankungen haben. Darunter gehören beispielweise Adipositas, Hypertonie oder Atherosklerose. Nicht zuletzt ist das intestinale Mikrobiom mit dem Auftreten von gastroenterologischen Erkrankungen, wie chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED), Reizdarmsyndrom oder Tumorerkrankungen assoziiert [
1]. Somit spielt diese mikrobielle Gemeinschaft im Darm eine zentrale und oftmals günstige Rolle für unsere Gesundheit; umgekehrt kann eine Veränderung des Mikrobioms das Auftreten zahlreicher Pathologien begünstigen. Es ist daher naheliegend, dass die Aufrechterhaltung einer
gesunden Mikrobiomzusammensetzung bzw. die therapeutische Beeinflussung des Mikrobioms eine wichtige gesundheitliche Bedeutung hat und möglicherweise grosses therapeutisches Potenzial besitzt.
… und Probiotika?
Bei Probiotika (
pro lateinisch „für“,
bios altgriechisch „leben“) handelt es sich um Präparate, welche lebende Mikroorganismen enthalten und einen günstigen Effekt auf den Organismus ausüben, indem sie das Mikrobiom positiv beeinflussen und unterstützen. Erstere Definitionen, wie z. B. durch den Wissenschaftler Werner Kollath in den 1950er-Jahren, erwähnten Mikroorganismen noch nicht explizit. Allerdings war bereits damals bekannt, dass Bakterien für die Fermentation von Nahrungsstoffen und somit die Verdauung entscheidend sind und möglicherweise die Gesundheit des Menschen begünstigen können [
2]. Fermentierte Produkte, seien es Getränke oder Nahrungsmitteln, wurden bereits seit tausenden von Jahren konsumiert. Positive Effekte auf die Gesundheit wurden ebenfalls schon vor langer Zeit beobachtet: Für Ägypter und Phönizier war fermentierte Milch mit einem langen Leben verbunden, in Italien wurden fermentierte Getränke mit Milch, Zitrone und Wasser als Schutz gegen Darmerkrankungen eingenommen. In China war man jedoch bereits schon vor hunderten von Jahren einen wichtigen Schritt weiter: Humaner Stuhl von Gesunden wurde zur Behandlung gegen Lebensmittelvergiftungen und Durchfall eingesetzt [
2,
3]. Einer der ersten Mikroorganismen, welcher als gesundheitsfördernd für den Darm erkannt wurde, war
Lactobacillus delbrueckii subs. bulgaricus, welcher noch heute für die Joghurtherstellung eingesetzt wird [
2]. Die ersten medizinisch eingesetzten Probiotikapräparate enthielten vorwiegend
Saccharomyces (Hefe) oder Lactobacillen, jedoch in geringen Dosierungen [
3]. Heutzutage ist das Spektrum an Probiotikapräparaten bzw. probiotischen Keimen deutlich breiter; einerseits in der Vielfalt der eingesetzten Bakterien, anderseits in den erhältlichen Kombinationen und nicht zuletzt in den unterschiedlichen Dosierungen. Wichtig ist jedoch, Probiotika von Präbiotika zu unterscheiden. Präbiotika enthalten, im Gegensatz zu Probiotika, keine lebenden Mikroorganismen, sondern Stoffe bzw. Produkte, welche durch das intestinale Mikrobiom metabolisiert werden können (Synbiotika hingegen enthalten die Kombination aus Pro- und Präbiotika).
Im deutschsprachigen Raum enthalten die gängigsten Probiotikapräparate Enterococcus faecium, Lactobacillus ssp. Bifidobacterium ssp., Escherichia coli, oder Saccharomyces boulardii. Weitere Mikroorganismen werden jedoch zunehmend als vorteilhaft erkannt und eingesetzt.
Wirkungsweise von Probiotika
Hinsichtlich der Wirkung von Probiotika im menschlichen Organismus werden verschiedene Mechanismen diskutiert, welche schlussendlich einen positiven Effekt auf das intestinale Mikrobiom ausüben können. Während Antibiotika im Darm eine Dysbiose verursachen und beispielweise die Kolonisierung von pathogenen Bakterien ermöglichen (beispielweise
Clostridioides difficile), können Probiotika das Gegenteil bewirken, nämlich durch eine Modulation des intestinalen Mikrobioms eine Barriere gegen pathogene Bakterien bilden. Zu den Mechanismen gehören beispielsweise die Bildung von kurzkettigen Fettsäuren, welche einer Veränderung des pH-Werts im Darm bewirken, oder die direkte Bildung von bakteriziden Substanzen. Probiotika, welche beispielweise Lactobacillen enthalten, verursachen durch die Bildung von verschiedenen Säuren einen tieferen pH-Wert im Darm, was wiederum einen Schutz gegen pathogene Bakterien und Enterotoxine bietet. Durch den direkten Kontakt mit der intestinalen Mukosa können Probiotika Einfluss auf verschieden Signalwege der Zellen nehmen. Beispielweise können Probiotika (und hier wiederum vorwiegend Lactobacillen) eine Hochregulierung der interzellulären Tight Junctions – der Zellkontakte zwischen den Epithelzellen – verursachen, was wiederum die Barrierefunktion des Darmes verstärkt und somit einem vermeintlichen
Leaky-Gut-Phänomen entgegenwirken, das für zahlreiche, v. a. intestinale Pathologien, ursächlich sein könnte. Ebenfalls können Probiotika die Mucinproduktion hochregulieren, was ebenfalls durch eine erhöhte Schleimproduktion und intakte Schleimschicht die Darmschleimhaut unterstützt; diese intakte Barriere schützt die Epithelzellen, vereinfacht den Durchfluss von Metaboliten und verhindert die Adhäsion von pathogenen Erregern. Nicht zuletzt befindet sich eine grosse Anzahl von Immunzellen im Verdauungstrakt, so dass Probiotika offensichtlich auch einen Einfluss auf Immunzellen und somit auch auf die Produktion von Zytokinen und Chemokinen haben können [
1,
3].
Probiotika in der Praxis
Probiotika haben vermutlich initial durch ihre Entdeckung und Entstehung als Teil von Joghurtpräparaten ihre Bekanntschaft erlangt. Mittlerweile sind zahlreiche Joghurtpräparate oder Drinks, welche mit Probiotika angereichert werden (vorwiegend Bifidobakterien oder Lactobacillen) auf dem Markt vorhanden. Probiotika sind jedoch ebenfalls in definierten Dosierungen als Tabletten, Kapseln oder Suspensionen vorhanden (Dosierung häufig als CFU – Colony Forming Unit – angegeben). Was jedoch den Einsatz von Probiotika erschwert, ist die Breite an möglichen Bakterien, welche eingesetzt werden können, die exakten Dosierungen, die Therapiedauer, sowie die Komposition des eigenen Mikrobioms der jeweiligen Person, welche die Probiotika einnimmt. Diese Schwierigkeiten in der Standardisierung spiegeln sich wiederum in der aktuellen Studienlage wider, was einen Vergleich zwischen einzelnen Studien häufig erschwert. Folglich herrscht aktuell Unsicherheit im Einsatz von Probiotika, was ebenfalls in internationalen Guidelines zu sehen ist [
4]. In den kommenden Abschnitten sollen daher einzelne Pathologien und deren Zusammenhang mit Probiotika erläutert werden (Tab.
1 und
2).
Tab. 1
Krankheitsbilder, probiotische Präparate und Empfehlungen (Quelle:
http://compendium.ch – Stand 07/2024). Diese Tabelle erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es wurden bewusst Präparate ausgesucht, welche im Handel verfügbar sind und durch Swissmedic eine Abgabekategorie erhalten haben
Akute Gastroenteritis und Reisediarrhoe | Lactobacillus rhamnosus GG Saccharomyces boulardii | Bioflorin ® Kapseln Lacteol ® Kapseln Lactoferment ® Kapseln/Pulver Perenterol ® Kapseln/Pulver | Aufgrund der jetzigen Studienlage keine klare Empfehlung |
Antibiotika-assoziierter Durchfall | Bacillus licheniformis Lactobacillus acidophilus Saccharomyces boulardii | Bioflorin ® Kapseln Perenterol ® Kapseln/Pulver | Vorhanden |
C.-difficile-assoziierter Durchfall | Lactobacillus acidophilus Lactobacillus casei Lactobacillus rhamnosus | Bioflorin ® Kapseln Perenterol ® Kapseln/Pulver | Aufgrund der jetzigen Studienlage keine klare Empfehlung |
Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen | E. coli Nissle 1917 Saccharomyces boulardii Lactobacillus rhamnosus GG | Mutaflor ®/-mite | Empfehlung für E. coli Nissle 1917 bei C. ulcerosa Patienten |
Reizdarmsyndrom | Lactobacillus plantarum Streptococcus faecium Bifidobacterium infantis | – | Aufgrund der jetzigen Studienlage keine klare Empfehlung |
Obstipation | Lacticaseibacillus casei Bifidobacterium lactis | – | Aufgrund der jetzigen Studienlage keine klare Empfehlung |
Nekrotisierende Enterokolitis | Saccharomyces boulardii Lactobacillus spp Bifidobacterium spp | – | Vorhanden |
Tab. 2
Beispiele für in der Schweiz verfügbare probiotische Präparate (Quelle:
http://compendium.ch – Stand 07/2024). Diese Tabelle erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es wurden bewusst Präparate ausgesucht, welche im Handel verfügbar sind und durch Swissmedic eine Abgabekategorie erhalten haben
Bioflorin® (Opella Healthcare Switzerland AG, Rotkreuz, Schweiz) Kapseln | Lebende Enterokokken des Stammes SF 68 | Enteritis, Enterocolitis, Antibiotika-assoziierter Durchfall, Reisediarrhoe | 2–3 Kapseln pro Tag, je nach Indikation. Therapiedauer 5–7 Tage |
Lacteol® (Gebro Pharma AG, Liestal, Schweiz) Kapseln | Abgetötete Lactobacillus-acidophilus-Bakterien und deren Stoffwechselprodukte | Symptomatische Diarrhoebehandlung | 2 Kapseln 3‑mal täglich |
Lactoferment® (Gebro Pharma AG, Liestal, Schweiz) Kapseln/Pulver | Abgetötete Lactobacillus-acidophilus-Bakterien und deren Stoffwechselprodukte | Symptomatische Diarrhoebehandlung | 2 Kapseln oder 1 Sachet 3‑mal täglich |
Mutaflor®/mite (OM Pharma Suisse SA, Villars-sur-Glâne, Schweiz) | Lebensfähige E. coli Nissle 1917 Bakterien | Colitis ulcerosa in der Remissionsphase | 1.–4. Tag 1 Kapsel Mutaflor mite täglich, am 5.–6. Tag 2 Kapseln Mutaflor mite täglich. An den folgenden Tagen 3 Kapseln Mutaflor mite täglich. Sobald 3 Kapseln mutaflor mite pro Tag toleriert werden, kann man auf 1 Kapsel Mutaflor pro Tag übergehen und dann auf 2 Kapseln pro Tag steigern. Zur Rezidivprophylaxe sollte Mutaflor kontinuierlich eingenommen werden |
Perenterol® (Zambon Switzerland Ltd, Cadempino, Schweiz) Kapseln/Pulver (Suspension) | Saccharomyces boulardii lyophilisiert | Symptomatische Behandlung von akuten Durchfallerkrankungen Vorbeugung und Therapie von Antibiotika-assoziiertem Durchfall Diarrhoe infolge Sondenernährung | Diarrhoe Am 1. Tag 2 Einzeldosen. An den folgenden Tagen 1 Einzeldosis täglich, bis keine Symptome mehr auftreten. Übliche Therapiedauer beträgt eine Woche. Antibiotika-assoziierter Durchfall Bis zu 1 g pro Tag (entspricht 4 Einzeldosen). Die übliche Therapiedauer beträgt 4 Wochen |
Sicherheit von Probiotika
Obwohl die Wirksamkeit und die Indikationen von Probiotika zur Diskussion stehen, werden sie meistens als sicher eingestuft. Es ist hier jedoch zu betonen, dass die Mehrzahl der Studien sich mit der Wirkung und weniger mit der Sicherheit von Probiotika auseinandergesetzt haben. Schwere Nebenwirkungen wurden jedoch selten beobachtet. Betroffen waren vorwiegend immunkompromittierte Patienten oder Frühgeborene. Es sind jedoch weitere Studien notwendig, welche vorwiegend die Sicherheit von Probiotika untersuchen [
5].
Akute infektiöse Gastroenteritis und Reisediarrhoe
Das Auftreten von akutem Durchfall (14 Tage oder weniger in der Symptomdauer) ist häufig infektiöser Genese und in den meisten Fällen spontan regredient. Zu den häufigsten Erregern gehören Viren (z. B. Noroviren, Rotaviren, Adenoviren) und Bakterien (z. B. Salmonellen,
Campylobacter, Shigellen, Escherichia coli), zu einem kleineren Anteil auch Protozoen (z. B. Giardien, Cyclospora, Amöben). Das Auftreten von akutem Durchfall verursacht eine Dysbiose des Darmmikrobioms, was als Folge zu einem Verlust der Mikrobiomdiversität im Darm führt. Denn durch die schnellere Darmpassage ist mehr Sauerstoff im Verdauungstrakt vorhanden, was das Wachstum von fakultativen Anaerobiern begünstigt. Anaerobe Bakterien werden somit verdrängt und es kommt zu einem Verlust von wichtigen Stoffwechselprodukten. Abgesehen von symptomatischen Massnahmen, sowie bei Bedarf der Einsatz von Antibiotika, können Probiotika potenziell zur Rekonstruktion der Darmflora eingesetzt werden. Ein Cochrane-Review, welches jedoch vorwiegend Kinder berücksichtige (82 Studien wurden eingeschlossen, jedoch die Mehrheit wurde bei Kindern durchgeführt), zeigte einen tendenziell kürzeren Krankenhausaufenthalt infolge der Einnahme von Probiotika [
6]. Probiotische Präparate mit entweder
Lactobacillus rhamnosus GG oder
Saccharomyces boulardii führten zu milderen Symptomen, und der Krankheitsverlauf wurde um mindestens 24 h verkürzt. Ob der Einsatz von Probiotika nur bei bakteriellen Infektionen – oder nicht auch bei viralen Erkrankungen – einen Vorteil zeigt, bleibt jedoch aktuell noch unklar. Die meisten Studien beschränken sich vorwiegend auf Kinder und auf bestimmte Bakterienstämme, so dass aktuell keine Empfehlungen für den routinemässigen Einsatz von Probiotika, sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern, vorliegen [
4,
7].
Das Auftreten von Reisedurchfall ist je nach Destination eine der häufigen Pathologien, welche auf einer Reise auftreten können. Die meisten Fälle werden durch enteropathogene Bakterien ausgelöst, darunter insbesondere ETEC (enterotoxische Escherichia coli). Die gängige Empfehlung „boil it, cook it, peel it or forget it“ (grob übersetzt als „koche es, brate es, schäle es oder vergiss es“) ist häufig nicht ausreichend als präventive Massnahme. Ebenfalls ist der Einsatz von Probiotika, mit dem Hintergedanken, dem Wirt eine gewisse Resistenz von enteropathogenen Bakterien zu bieten, nicht empfohlen bzw. nicht ausreichend erforscht [
4,
7]. Ebenfalls ist der Einsatz von Probiotika als therapeutische Massnahme aktuell nicht angezeigt.
Antibiotika-assoziierter Durchfall
Die Einnahme von insbesondere Breitspektrum-Antibiotika kann in bis zu 30 % der Patienten zu gastrointestinalen Beschwerden führen, darunter vorwiegend Durchfall, was schlussendlich auch einen Einfluss auf die weitere Einnahme bzw. Nichteinnahme der Antibiotika hat. Da Antibiotika auf eine nichtselektive Art und Weise auch das intestinale Mikrobiom angreifen können (und somit eine Dysbiose verursachen), bieten Probiotika potenziell einen Schutz, indem sie das Mikrobiom entweder rekonstituieren oder schützen. Die Einnahme von Probiotika zusammen mit einer Antibiotikatherapie zeigte in Metaanalysen eine Reduktion von Antibiotika-assoziierter Diarrhoe [
8]. Was jedoch die Analyse der Studien erschwert, ist die Heterogenität der Krankheitsbilder, der Einsatz von unterschiedlichen Antibiotika sowie die Vielfalt an Probiotika (häufig Mischung aus mehreren Bakterienstämme). Die Dauer der Probiotikaeinnahme deckte sich mit der Einnahme der Antibiotika und wurde für weitere 7 Tage fortgesetzt. Zu den Probiotika, welche den grössten Effekt zeigte, gehörte
Bacillus licheniformis, welches jedoch nicht als Präparat in der Schweiz erhältlich ist [
8]. Die aktuell hier erhältlichen Präparate mit
Lactobacillus acidophilus und
Saccharomyces boulardii zeigten, jedoch moderater in ihrem Effekt, ebenfalls eine positive Wirkung [
8]. In Betrachtung der jetzigen Datenlage ist somit der Einsatz von Probiotika in diesem Falle durchaus sinnvoll, eine Empfehlung zugunsten eines der beiden Präparate besteht jedoch nicht.
Ebenfalls zeigte die Einnahme von Probiotika im Rahmen einer
Helicobacter-pylori-Eradikation einerseits eine höhere Eradikationsrate sowie anderseits eine bessere Toleranz (weniger unerwünschte Nebenwirkungen) der Antibiotikaeinnahme [
9]. Hier muss jedoch bemerkt werden, dass eine grosse Heterogenität an Präparaten eingesetzt wurde und somit keine Empfehlung für ein bestimmtes Probiotikum gegeben werden kann.
Clostridium-difficile-assoziierter Durchfall
Eine Sonderform der Antibiotika-assoziierten Diarrhoe, die Infektion mit
Clostridioides-difficile-Bakterien, kann schwere gastrointestinale Symptome auslösen und in vereinzelten Fällen zu schwersten Komplikationen führen, darunter die Entwicklung eines toxischen Megakolons – die Dilatation des Kolons mit Gefahr der Perforation, Multiorganversagen und Tod. Zu den häufigeren Risikofaktoren für die Proliferation des grampositiven, toxinbildenden Bakteriums gehören das Alter, die Hospitalisationsdauer sowie die Medikation und hier insbesondere die Antibiotikatherapie. Wie bereits oben erwähnt, führt die Antibiotikaeinnahme zu einer Dysbiose des intestinalen Mikrobioms, was wiederum die Kolonisation von
C. difficile vereinfacht. Hier zeigte sich, dass die Einnahme von Probiotika zwar das Risiko für
C.-difficile-assoziierten Durchfall senkte, jedoch verglichen mit Placebo zu keinem therapeutischen Vorteil führte [
10].
Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen
Für die Entstehung und den Verlauf von CED werden mehrere Faktoren diskutiert, darunter genetische oder immunologische Faktoren, Umweltfaktoren und nicht zuletzt das Mikrobiom. Denn bei CED-Patienten konnte eine gestörte Biodiversität des Mikrobioms festgestellt werden. Dieser Verlust an Biodiversität hat womöglich als Folge, dass gewisse regulatorische Faktoren fehlschlagen, was wiederum zu Entzündung und zu einer Beschädigung der Darmbarriere als Folge haben.
Bei Patienten mit Colitis ulcerosa zeigte der Einsatz von
E. coli Nissle 1917 gegenüber Mesasalazin keinen Unterschied bezüglich Remission, Rückfall oder Komplikationen, war also nicht schlechter als das Medikament. Im Gegensatz dazu, zeigte die Einnahme von
Saccharomyces boulardii oder
Lactobacillus GG im Vergleich zu Placebo keinen Unterschied bezüglich Remissionserhaltung. Aktuell wird somit einzig
E. coli Nissle zur Remissionserhaltung bei Patienten mit Colitis ulcerosa empfohlen [
4,
11,
12].
Bei Morbus-CrohnPatienten wurde ebenfalls u. a.
E. coli Nissle,
Lactobacillus GG oder
Saccharomyces boulardii in Studien eingesetzt. Hier zeigte sich jedoch gegenüber herkömmlichen Erhaltungstherapien kein Vorteil. Die Studienlage bleibt jedoch weiterhin spärlich [
4,
13].
Reizdarmsyndrom
Patienten mit Reizdarmsyndrom („irritable bowel syndrome“, IBS) leiden an abdominellen Schmerzen, Blähungen und Veränderungen im Stuhlverhalten bzw. Stuhlgang. Die weltweite Prävalenz der Erkrankung wird zwischen 5 und 20 % eingestuft. Obwohl mehrere Faktoren im Zusammenhang mit der Entstehung und Verlauf der Erkrankung stehen, wird das Mikrobiom immer häufiger damit in Verbindung gebracht. Einerseits wird im Diarrhoe-prädominanten Typ (IBS-D) eine niedrigere Biodiversität des Mikrobioms verglichen zu gesunden Probanden beobachtet. Anderseits zeigt sich bei IBS-Patienten häufig eine Korrelation mit der Ernährung, welche die Symptome teils akzentuieren oder lindern kann. Die Ernährung hat ebenfalls einen Einfluss auf die Komposition des Mikrobioms und somit potenziell einen Einfluss auf die Erkrankung [
14,
15].
Somit scheint es naheliegend, dass die Einnahme von Probiotika eine Veränderung des Mikrobioms und somit des Krankheitsverlaufs bei IBS-Patienten haben könnte. Eine Metaanalyse aus 53 randomisierten kontrollierten Studien (mit über 5500 Patienten) zeigte, dass eine Kombination aus Bakterienstämmen sowie auch vereinzelte spezifische Bakterienstämme (darunter
Lactobacillus plantarum, Streptococcus faecium und
Bifidobacterium infantis) die IBS-Symptome linderten und zu einer Verbesserung der Lebensqualität führten. Leider bleibt als limitierender Faktor die Diversität der Studienpopulation und vor allem die unterschiedlich eingesetzten Probiotika (und die Kombinationen davon) zu nennen [
14]. Obwohl hier ebenfalls tendenziell positive Effekte festgestellt werden, macht die Heterogenität der Präparate, Therapiedauer und Patientenpopulation wiederum einen Vergleich schwierig.
Zusammengefasst zeigt sich hier, was wiederum auch in den internationalen Guidelines bezüglich IBS widergespiegelt wird, eine grössere Meinungsdiskrepanz bezüglich Einsatz von Probiotika [
4,
14]. Eine Empfehlung zu deren Einsatz bei IBS ist somit aktuell noch nicht gegeben.
Obstipation
Mehrere Metaanalysen zeigen einen positiven Effekt zugunsten der Probiotikaeinnahme im Rahmen einer chronischen Obstipation. Die Einnahme von
Lacticaseibacillus casei oder
Bifidobacterium lactis für mindestens 2 Wochen war mit einer Zunahme der Stuhlfrequenz verbunden. Eine weitere Metaanalyse zeigte ebenfalls einen Vorteil zugunsten der Einnahme von
Bifidobacterium lactis. Die Einnahme über 2 bis 8 Wochen war mit einer kürzeren Kolontransitzeit und besserer Stuhlkonsistenz verbunden [
15]. Weitere randomisierte, kontrollierte Studien bzw. Metaanalysen zeigen tendenziell positive Effekte zugunsten der Probiotikaeinnahme. Was jedoch auch hier die Interpretation der Ergebnisse erschwert, ist die Heterogenität der eingesetzten Bakterienstämme, die Dosierung, die Dauer der Therapie und nicht zuletzt die definierten Studienendpunkte. Aufgrund dieser Heterogenität wird der Einsatz von Probiotika nicht empfohlen.
Nekrotisierende Enterokolitis
Kinder, welche vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche geboren werden, werden als Frühgeburten bezeichnet. Das Auftreten von Frühgeburten wird weltweit auf 15 Mio. geschätzt. Eine Frühgeburt ist mit einer erhöhten Mortalität und Morbidität für das Neugeborene verbunden. Zu den wichtigeren und häufigeren gastroenterologischen Komplikationen gehört die nekrotisierende Enterokolitis (NEK). Die entzündliche Darmerkrankung kann fulminant verlaufen und stellt einen gastroenterologischen Notfall dar. Obwohl die Ursache einer nekrotisierenden Enterokolitis nicht vollends geklärt ist, konnte man Unterschiede in der Mikrobiomzusammensetzung zwischen gesunden Kindern und Kindern mit einer NEK feststellen [
4]. Es ist somit naheliegend, dass eine Modulation des Mikrobioms einen präventiven bzw. therapeutischen Ansatz darstellt. Eine Metaanalyse mit Einschluss von über 15.000 Frühgeborenen zeigte beim Einsatz von Probiotika gegenüber Placebo eine niedrigere Mortalität, einen milderen Verlauf der NEK und eine kürzere Hospitalisationszeit [
16]. Zu den eingesetzten Präparaten gehörten Präparate oder Kombinationen aus Lactobacillen, Bifidobakterien und
Saccharomyces. Aufgrund der Datenlage gibt die American Gastroenterological Association (AGA) grünes Licht für den Einsatz von Probiotika für diese Indikation [
4].
Diskussion und Ausblick
Das intestinale Mikrobiom, die mikrobielle Gemeinschaft, welche unseren Verdauungstrakt besiedelt, ist in den letzten Jahren zunehmend zum Forschungsthema geworden. Und dies zu Recht, denn die Funktion und die Wirkung, welche ein gesundes Mikrobiom auf unseren Körper ausübt, ist ausgesprochen vielfältig und wichtig.
Als Gegenstück trägt eine Dysbiose – eine Störung der Besiedlung – wohl zur Entstehung von zahlreichen Pathologien bei. Es ist somit naheliegend, dass die Aufrechterhaltung eines gesunden Mikrobioms einen wichtigen präventiven und therapeutischen Ansatz darstellen kann. Hier spielen dabei Probiotika potenziell eine wichtige Rolle, denn diese enthalten Mikroorganismen, welche das intestinale Mikrobiom unterstützen. Aus der aktuellen Studienlage und unter Betrachtung der Guidelines ist jedoch der Einsatz von Probiotika bisher nur für selektive Indikationen reserviert [
4]. Limitierend sind aktuell insbesondere das Fehlen von randomisierten und kontrollierten Studien. Zusätzlich werden unterschiedliche Probiotikapräparate (somit auch mit unterschiedlichen Bakterienpopulationen), teils auch als Kombinationspräparate (mehrere Populationen oder sogar als Synbiotika) und für unterschiedliche Zeitperioden eingesetzt, was einen Vergleich ebenfalls erschwert. Studien haben zusätzlich gezeigt, dass die Wirkung von Probiotika (und hier vor allem eine erfolgreiche Kolonisierung des Darms gemeint) sehr von der eigenen Mikrobiomzusammensetzung bestimmt ist. Dies hat zur Folge, dass je nach Region, genetischen Faktoren oder Diät, die Probiotika unterschiedlich wirken können [
17].
Nichtsdestotrotz bleiben die Forschung und der zukünftige Einsatz von Probiotika spannend. Das Zusammenspiel zwischen Mensch und Mikrobiom ist ein komplexes System, welches auf unterschiedlichen Ebenen von beiden Seiten wechselseitig beeinflusst werden kann und sich zwischen einzelnen Individuen und Populationen unterscheidet. Aufgrund dieser Komplexität könnte der Einsatz einer personalisierten Medizin zukünftig einen spannenden Ansatz bieten; Probiotikapräparate unter Berücksichtigung des eigenen Mikrobioms und der spezifischen Bedürfnisse.
Fazit für die Praxis
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Das intestinale Mikrobiom ist eine Gemeinschaft an Mikroorganismen, welche den Verdauungstrakt besiedeln und Schlüsselfunktionen in der Verdauung, Immunabwehr und Homöostase der Darmschleimhaut übernehmen.
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Störungen oder Veränderungen des Mikrobioms – eine Dysbiose – sind mit zahlreichen Pathologien assoziiert.
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Probiotika sind Präparate, welche Mikroorganismen enthalten und einen positiven Effekt auf das intestinale Mikrobiom ausüben.
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Diese können für unterschiedlichste Erkrankungen eingesetzt werden, die Studienlage und Evidenz bleiben jedoch aktuell gering.
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Vor allem im Einsatz bei Antibiotika-assoziiertem Durchfall ist diese gegeben.
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Nichtdestotrotz bleibt das intestinale Mikrobiom weiterhin von grossem Forschungsinteresse.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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