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Erschienen in:

Open Access 18.09.2024 | Gastrointestinale Tumoren | Journal Club

Prävalenz von Darmkrebs und Vorläuferläsionen bei Erwachsenen jünger als 50 Jahre ohne Symptome

verfasst von: Dr. med. Fabian Kalt, Dr. med. Michaela Ramser, Prof. Dr. med. Matthias Turina

Erschienen in: Schweizer Gastroenterologie | Ausgabe 3/2024

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Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Originalpublikation
Penz D et al (2023) Colorectal Cancer and Precursor Lesion Prevalence in Adults Younger Than 50 Years Without Symptoms. JAMA Netw Open 6(12):e2334757. https://​doi.​org/​10.​1001/​jamanetworkopen.​2023.​34757
Hintergrund.
Über die letzten Jahrzehnte nahm die Inzidenz wie auch die Mortalität kolorektaler Karzinome (CRC) in der Altersgruppe der ≥ 55-jährigen Patienten in den westlichen Ländern stetig ab. Diese Tendenz dürfte hauptsächlich auf Screeningprogramme und neuere Therapieoptionen zurückzuführen sein. Beunruhigend ist hingegen die konträre Entwicklung bei den jüngeren Patienten. Hier wird eine Zunahme von Inzidenz wie auch der Mortalität beobachtet. Die American Cancer Society hat daher bereits 2021 empfohlen, das Alter für den Screening-Beginn von 50 auf 45 Jahre zu senken.
Es finden sich Hinweise, dass seit 1990 bis 2015 in der Altersgruppe der 40- bis 45-jährigen Patienten, CRC in einem weiter fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert werden als noch im Jahr 1990. Dies wird als Zeichen einer Verschiebung des Erkrankungsalters hin zu einer jüngeren Population gewertet [1]. Ein anderer Faktor, welcher beim Screening berücksichtigt werden sollte, ist das Geschlecht. Es ist bekannt, dass das männliche Geschlecht ein unabhängiger Risikofaktor für ein CRC darstellt und die CRC-Inzidenz bei Männern zwischen 40 und 49 Jahren vergleichbar ist mit derjenigen von 10 Jahre älteren Frauen [2].
Ziel der Studie.
Ziel der Studie war es, die Prävalenz und number needed to screen (NNS) für Adenome, fortgeschrittene Adenome und serratierte Läsionen wie auch CRC bei jungen Patienten (< 50 Jahre) zu analysieren.
Methodik.
Die Daten für die vorliegende Arbeit stammen aus einem österreichischen Register für Qualitätssicherung in der Koloskopie, das von der österreichischen Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie zusammen mit der Krebshilfe etabliert worden war. Rund 45 % aller endoskopisch tätigen Ärztinnen und Ärzte beteiligen sich am Register. Zwischen 2008 und 2018 wurden so 305.229 Koloskopien ausgewertet. Für diese Arbeit wurden symptomatische Patienten und solche mit einer positiven Familienanamnese und/oder mit einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (CED) ausgeschlossen.
Ausgeschlossen wurden Koloskopien, welche von Untersuchern durchgeführt worden waren, die weniger als 30 Untersuchungen/Jahr durchführen (n = 560) und Koloskopien mit schlechter Darmvorbereitung (n = 8499).
Zur statistischen Auswertung wurden die Patienten in Altersgruppen eingeteilt und dabei für jede Gruppe die Prävalenz von Adenomen und fortgeschrittenen Adenomen, sowie die NNS im Zeitraum 2008–2018 errechnet. Serratierte Läsionen wurden ab 2012 in dem Programm miterfasst. Zur Abschätzung der Trends von präkanzerösen Läsionen und CRC wurde die average annual percentage change (AAPC) verwendet.
Resultate.
In die Analyse konnten 296.170 Patienten eingeschlossen werden mit einem medianen Alter von 60 Jahren und einem Frauenanteil von 50,9 %. Zur Altersgruppe der < 50-Jährigen gehörten 11.103 Patienten (3,8 %).
Die mediane Detektionsrate für Adenome betrug 21,4 %. Die Inzidenz von diagnostizierten CRC (jeweils pro 100.000) für die Jahre 1988, 1998, 2008 und 2018 bei Männern < 50 Jahren errechnete sich wie folgt: 9,1, 8,5, 8,6 und 10,2, was zusammenfassend einem AAPC von 0,5 % entspricht.
Bei Frauen (< 50 Jahren) fanden sich in denselben Zeiträumen CRC-Inzidenzen von 9,7, 7,0, 7,8 und 7,7. Das ergibt einen AAPC von −0,2 %.
In der Gruppe der ≥ 50-jährigen Patienten waren die Inzidenzen erwartungsgemäss höher und erreichten bei Männern 217, 220, 199 und zuletzt 143 mit einem AAPC von −1,2 %. Bei den Frauen zeigten sich Inzidenzen von 168, 166, 132 und 97, was einem AAPC von −1,8 % entspricht.
Die Prävalenz von Adenomen bei Personen in den Gruppen der 40- bis 44- und 45- bis 49-jährigen Patienten betrugen 9,2 % respektive 7,4 %. Fortgeschrittene Adenome wurden bei 3,9 und 4,5 % diagnostiziert. Seltener fanden sich serratierte Läsionen (1,5 und 1,9 %).
Diskussion.
In der vorliegenden Studie wurde eine grosse Kohorte von nahezu 300.000 asymptomatischen Patienten aus Österreich analysiert. Im untersuchten Zeitraum stieg dabei die Inzidenz von detektierten Adenomen in allen Altersgruppen an. Des Weiteren konnte im untersuchten Zeitraum auch eine Abnahme der CRC-Inzidenz der Gesamtpopulation festgestellt werden. Diese Tatsachen können einerseits auf technische Verbesserungen, standardisierte Abläufe von Screeningkoloskopien sowie auf allfällige stärkere Adhärenz zum Screeningprogramm zurückgeführt werden. Eher besorgniserregend ist dagegen die zeitgleiche Zunahme der Inzidenz von fortgeschrittenen Adenomen in der Gruppe der jüngeren Patienten. Sowie die Zunahme von CRC bei den 40- bis 44-jährigen Patienten beider Geschlechter.
Ähnliche Entwicklungen konnten bereits in einer früheren Arbeit von Vuik et al. gezeigt werden [3]. Die Daten dafür stammten aus verschiedenen nationalen wie auch regionalen Krebsregistern aus mehreren europäischen Ländern. Darin konnte sogar eine Zunahme von CRC in der Gruppe der 20- bis 39-jährigen Patienten aufgezeigt werden.
Dass Koloskopien im Alter von 45 bis 49 Jahren die Inzidenz von CRC signifikant senken können, konnte eine amerikanische Registerstudie zeigen. Hier wurde die CRC-Inzidenz von Patienten, welche im Alter von 45–49 Jahren eine Koloskopie hatten, mit jenen verglichen, die im angegebenen Alter keine Koloskopie hatten. Es zeigte sich eine Hazard-Ratio von 0,48 zugunsten einer Koloskopie [4].
Der Grund für die Koloskopie wurde in beiden Studien nicht angegeben und könnte einem gewissen Selektionsbias zugrunde liegen. Da in der diskutierten österreichischen Arbeit alle symptomatischen Patienten und solche mit einem erhöhten Risiko ausgeschlossen wurden, eignen sich die Resultate sicher besser, um Schlussfolgerungen für die allgemeine, asymptomatische Bevölkerung zu ziehen und Empfehlungen zu formulieren.
Neben dem CRC wurden in der vorliegenden Arbeit auch Adenome untersucht. Dabei wiesen in der Gruppe der 40- bis 44-jährigen Patienten 10,9 % mindestens ein Adenom auf, was einer NNS von rund 9 entspricht. In der Subgruppe der 40- bis 44-jährigen Männer fand sich bereits eine Prävalenz von Adenomen von 14,2 % mit einer NNS von lediglich 6.
Neben dem deskriptiven Design ist eine weitere Schwäche der Studie, dass Komorbiditäten und Lifestylefaktoren, von denen wir wissen, dass sie Risikofaktoren für ein CRC darstellen, nicht erfasst wurden.

Kommentar zur Studie

Die Studie regt die Frage an, ob die aktuell geltende Screening-Empfehlung für asymptomatische Patienten ohne erhöhtes Risiko ab dem 50. Altersjahr noch richtig ist oder ob eine Korrektur nach unten erfolgen sollte. Die Autoren der Studie schlagen hier einen Start des Screenings für Männer ab dem 40. Lebensjahr und für Frauen ab dem 50. Lebensjahr vor.
In der Schweiz konnte bis anhin gemäss Zahlen der nationalen Krebsregistrierungsstelle nur ein leichter Anstieg der Inzidenz von CRC bei Patienten < 50 Jahren festgestellt werden [5]. Eine Arbeit unserer Gruppe untersuchte die klinischen und histologischen Unterschiede von CRC bei Patienten < 50 Jahre und ≥ 50 Jahre. Prospektiv wurden alle Patienten mit einem CRC an einem universitären Spital eingeschlossen und anschliessend nach Altersgruppen analysiert. Es zeigte sich, dass die Patienten <50 Jahre tendenziell häufiger ein T4-Stadium und häufiger eine schlechtere Differenzierung (G3) aufwiesen. In der Subgruppe der Patienten < 40 Jahre hatten sogar 51,8 % bereits Fernmetastasen [6].
Auch wenn die Gründe für die beunruhigende Zunahme von fortgeschrittenen Adenomen und auch des CRC bei jungen Patienten unklar bleiben, stellt sich auch in der Schweiz heute die Frage, ob der Beginn des Screenings mit dem 50. Lebensjahr angepasst werden sollte. Studien aus dem Ausland wie die hier vorliegende sollten zudem als Anlass genommen werden, auch bei unter 50-Jährigen eine niedere Indikationsschwelle zur Koloskopie in der täglichen Routine zu verwenden, auch wenn hierzulande bisher noch kein herabgesetztes Screeningalter existiert.

Interessenkonflikt

F. Kalt, M. Ramser und M. Turina geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Literatur
1.
Zurück zum Zitat Meester RGS, Mannalithara A, Lansdorp-Vogelaar I, Ladabaum U (2019) Trends in Incidence and Stage at Diagnosis of Colorectal Cancer in Adults Aged 40 Through 49 Years, 1975–2015. JAMA 321(19):1933–1934CrossRefPubMedPubMedCentral Meester RGS, Mannalithara A, Lansdorp-Vogelaar I, Ladabaum U (2019) Trends in Incidence and Stage at Diagnosis of Colorectal Cancer in Adults Aged 40 Through 49 Years, 1975–2015. JAMA 321(19):1933–1934CrossRefPubMedPubMedCentral
2.
Zurück zum Zitat Ferlitsch M, Reinhart K, Pramhas S, Wiener C, Gal O, Bannert C et al (2011) Sex-specific prevalence of adenomas, advanced adenomas, and colorectal cancer in individuals undergoing screening colonoscopy. JAMA 306(12):1352–1358CrossRefPubMed Ferlitsch M, Reinhart K, Pramhas S, Wiener C, Gal O, Bannert C et al (2011) Sex-specific prevalence of adenomas, advanced adenomas, and colorectal cancer in individuals undergoing screening colonoscopy. JAMA 306(12):1352–1358CrossRefPubMed
3.
Zurück zum Zitat Vuik FE, Nieuwenburg SA, Bardou M, Lansdorp-Vogelaar I, Dinis-Ribeiro M, Bento MJ et al (2019) Increasing incidence of colorectal cancer in young adults in Europe over the last 25 years. Gut 68(10):1820–1826CrossRefPubMed Vuik FE, Nieuwenburg SA, Bardou M, Lansdorp-Vogelaar I, Dinis-Ribeiro M, Bento MJ et al (2019) Increasing incidence of colorectal cancer in young adults in Europe over the last 25 years. Gut 68(10):1820–1826CrossRefPubMed
4.
Zurück zum Zitat Sehgal M, Ladabaum U, Mithal A, Singh H, Desai M, Singh G (2021) Colorectal Cancer Incidence After Colonoscopy at Ages 45–49 or 50–54 Years. Gastroenterology 160(6):2018–2028.e1CrossRefPubMed Sehgal M, Ladabaum U, Mithal A, Singh H, Desai M, Singh G (2021) Colorectal Cancer Incidence After Colonoscopy at Ages 45–49 or 50–54 Years. Gastroenterology 160(6):2018–2028.e1CrossRefPubMed
6.
Zurück zum Zitat Mueller M, Schneider MA, Deplazes B, Cabalzar-Wondberg D, Rickenbacher A, Turina M (2021) Colorectal cancer of the young displays distinct features of aggressive tumor biology: A single-center cohort study. World J Gastrointest Surg 13(2):164–175CrossRefPubMedPubMedCentral Mueller M, Schneider MA, Deplazes B, Cabalzar-Wondberg D, Rickenbacher A, Turina M (2021) Colorectal cancer of the young displays distinct features of aggressive tumor biology: A single-center cohort study. World J Gastrointest Surg 13(2):164–175CrossRefPubMedPubMedCentral
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Titel
Prävalenz von Darmkrebs und Vorläuferläsionen bei Erwachsenen jünger als 50 Jahre ohne Symptome
verfasst von
Dr. med. Fabian Kalt
Dr. med. Michaela Ramser
Prof. Dr. med. Matthias Turina
Publikationsdatum
18.09.2024
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
Schweizer Gastroenterologie / Ausgabe 3/2024
Print ISSN: 2662-7140
Elektronische ISSN: 2662-7159
DOI
https://doi.org/10.1007/s43472-024-00140-x