Open Access 01.06.2016 | Biologika
Biologika und Infektionen
Therapeutischen Erfolg und Nebenwirkungen abwägen
Erschienen in: rheuma plus | Ausgabe 2/2016
Zusammenfassung
Die Entwicklung biologisch hergestellter Wirkstoffe hat entscheidende neue Behandlungsmöglichkeiten eröffnet. Vor allem monoklonale Antikörper sind aus der Therapie chronisch-inflammatorischer Erkrankungen und auch im onkologischen Bereich nicht mehr wegzudenken. Aufgrund ihrer Wirkung weisen sie ein jeweils spezifisches, individuelles Infektionsrisiko auf, senken dabei aber auch das krankheitsspezifische Grundrisiko. Biologika verursachen mit typischen Erregern untypische Infektionen.
Biologika, v. a. monoklonale Antikörper, haben die Therapie vieler Erkrankungen revolutioniert und sind heute aus der Behandlung chronisch inflammatorischer oder auch autoimmunologisch bedingter Störungen nicht mehr wegzudenken.
Wenngleich jede dieser Substanzen durch einen spezifischen Wirkmechanismus charakterisiert ist, ist ihnen doch allen gemeinsam, dass sie supprimierend in das Immunsystem eingreifen. Je nachdem, an welcher Stelle und in welchem Ausmaß dies geschieht, ist mit dem Auftreten typischer Infektionen als Nebenwirkung zu rechnen [1, 2]. Andererseits wird durch den therapeutischen Erfolg gleichzeitig das krankheitsbedingte Grundrisiko vieler Patienten gesenkt, sodass wir es bei diesen Nebenwirkungen immer mit einem individuellen Nettoeffekt zu tun haben.
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Aus der Vielfalt der in klinischen Studien dokumentierten unerwünschten Ereignisse, die mehr oder weniger eindeutig einer Substanz zugeordnet werden können, stechen allgemeine und opportunistische Infektionen als mit Abstand häufigstes Problem deutlich hervor [1, 3]. Inwieweit sich die einzelnen Wirkstoffklassen bezüglich des Risikos schwerer Infektionen tatsächlich unterscheiden, ist aus den vorliegenden Daten nur schwer zu ersehen. So wurde z. B. das Auftreten gewisser Infektionen, die unter den ersten Tumornekrosefaktor-alpha(TNFα)-Blockern für Aufsehen gesorgt hatten, bei der Prüfung späterer Biologika allein durch das Design der Zulassungsstudien mit ihren Einschlusskriterien verhindert. Patienten, die sich für eine Biologikatherapie qualifizieren, bilden eine sehr heterogene Gruppe mit vielen Variablen, bei der das Ausmaß der Anfälligkeit aufgrund der individuellen Krankheitsaktivität kaum einzuschätzen ist. Dazu kommt, dass die spontane Dokumentation von Komplikationen nie lückenlos durchgeführt wird, das Konstrukt der klinischen Studien nicht immer der praktischen Realität entspricht und mehr auf die Beurteilung der Effektivität als auf das weit komplexere Infektionsrisiko ausgerichtet ist.
Neben dem Grundrisiko haben sich bestimmte Parameter bzw. Zustände als Risikofaktoren etabliert. An erster Stelle steht wohl das Lebensalter des Patienten mit parallel ansteigendem Risiko, mit einer Hazard Ratio von 1,6 für die über 60-Jährigen bis zu einer von 2,4 bei Patienten, die das 80. Lebensjahr überschritten haben. Mit zunehmendem Alter und Immunoseneszenz muss nicht nur mit gehäuftem Auftreten, sondern auch mit schwereren Verläufen gerechnet werden. Auch der Impfschutz ist nicht mehr so ausgeprägt wie bei Jüngeren und die Betroffenen merken die Zeichen der Erkrankung oft erst sehr spät. Änderungen der Physiologie betreffen z. B. die Produktion und Mobilisation von Sekreten, was die Elimination mancher Erreger erschwert. Multimorbide Patienten werden häufiger hospitalisiert und kommen dadurch mit jeder Menge an Keimen in Berührung und der Ernährungszustand entspricht oft nicht den Ansprüchen des Organismus [4].
Auch das jeweils praktizierte Therapieschema könnte das Risiko beeinflussen. Mithilfe einer großen
Netzwerkmetaanalyse, in die die Daten aus 106 Studien Eingang fanden, wurde der Frage nachgegangen, ob die
Biologikabehandlung das Infektionsrisiko gegenüber der Therapie mit traditionellen krankheitsmodifizierenden
Antirheumatika (DMARD disease-modifying anti-rheumatic drugs) erhöht. Diese Annahme wurde bestätigt – für Schemata mit Hoch- und Standarddosierungen. Wurden Behandlungsstrategien mit niedriger Dosierung geprüft, gab es im untersuchten Kollektiv kein erhöhtes Risiko für schwere Infektionen. Es bleibt weiteren Untersuchungen zur Nutzen-Schaden-Korrelation vorbehalten, die Möglichkeit individualisierter Anwendungen der Biologika zu erkunden [5].
Mit welchen Infektionen muss gerechnet werden? Bei Analyse der Daten aus Zulassungsstudien zeigt sich ein breites Spektrum unterschiedlicher Infektionen, doch wird in diesem Rahmen die Frage der Kausalität nicht berücksichtigt, sodass viele nicht typische Infektionen, die auch ohne Anwendung von Biologika häufig auftreten, die Komplexität scheinbar erhöhen. Als typische Infektionen, die sicher im Zusammenhang mit der immunsuppressiven Biologikabehandlung stehen, gelten v. a. Tuberkulose, Infektionen mit atypischen Mykobakterien, viralen und mykotischen Erregern oder auch das Auftreten einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML; [6]).
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Die Frage nach Unterschieden im Risikopotenzial der einzelnen Biologika ist, wie erwähnt, nicht einfach zu beantworten. Daten aus klinischen Studien (im Standarddosisbereich) weisen nur geringe Unterschiede in der Inzidenz schwerer Infektionen unter verschiedenen TNFα-Blockern aus, die Auswertung von Langzeitdaten (bis zu 5 Jahre) aus dem holländischen Dutch-Rheumatoid-Arthritis-Monitoring(DREAM)-Register hingegen zeigte ein signifikant niedrigeres Risiko unter Etanercept gegenüber Adalimumab und Infliximab [7, 8].
Eindeutig hingegen ist der Zusammenhang in Bezug auf die Kortikoidgabe, bei der das Risiko mit der kumulativen Dosis zunimmt. Der Zuwachs für 5 mg Prednisolon täglich beträgt nach 3 Monaten 30 %, erreicht nach 6 Monaten 46 % und nach 36 Monaten 100 % [9‐11].
Auch die neueren Klassen an Biologika sind nicht frei von erhöhten Risiken. Anakinra zeigt diese v. a. unter Hochdosistherapie, Abatacept häufiger bei Kombination mit anderen Biologika, Tocilizumab weist ebenfalls eine signifikant erhöhte Infektionsrate auf, bei Divertikulitis in der Anamnese kann es zu Darmperforationen kommen [12‐14].
Aufgrund der hohen Komplexität ist es sehr schwer, das Infektionsrisiko im Einzelfall vorherzusagen. Um dem abzuhelfen, hat die Arbeitsgruppe des deutschen Rheumatoide-Arthritis-Beobachtung-der-Biologikatherapie(RABBIT)-Registers versucht, aus bekannten, verfügbaren Risikofaktoren einen Risikoscore für Infektionen zu erstellen, der inzwischen validiert wurde und im Internet frei verfügbar ist [15, 16].
Verfolgt man die kumulative Inzidenz der Infektionen unter Biologikatherapie, erkennt man das Phänomen einer ausgeprägten Zeitkurve mit frühem Gipfel innerhalb der ersten 6 Monate mit anschließendem Abflachen der Kurve. Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum einen geht es den Patienten mit der Zeit einfach klinisch besser, was schon ihr Grundrisiko senkt und außerdem eine Reduktion der Kortikosteroiddosis bewirkt. Zum anderen könnte hier auch durch Patientenselektion ein sogenannter „healthy drug survivor effect“ bewirkt werden: Patienten mit hohem Risiko scheiden relativ früh aus der Anti-TNF-Kohorte aus [10, 17‐19].
Rechtzeitige Diagnose und zielgerichtete Therapie der Infektionserkrankungen erfordern Sorgfalt und Aufmerksamkeit. Subjektiv wahrnehmbare Symptome werden anfangs oft durch die Biologika unterdrückt, die klinische Symptomatik läuft nicht immer ganz so typisch wie erwartet ab. Fieber, Nachtschweiß, Schüttelfrost können als Warnzeichen fehlen, sodass sich z. B. eine Pneumonie nur durch anhaltende Abgeschlagenheit und Husten manifestiert.
Da es ein Charakteristikum der Biologika ist, mit typischen Erregern untypische Infektionen zu verursachen, muss mit klassischen Erregern an atypischen Lokalisationen gerechnet werden. Insgesamt dominieren als spezifische Infektionen Pneumonien, Haut- und Weichteilbefall, septische Arthritiden, Osteomyelitis und intraabdominale Lokalisationen. Anders gesagt, finden wir die typischen Organmanifestationen im Respirationstrakt und im Bereich der Haut und Weichteile, sowie die verschiedenen Formen der Tuberkulose.
Das Risiko opportunistischer Infektionen wird – ähnlich wie das der allgemeinen – durch Kortikosteroide deutlich erhöht. Auch hier scheint das Risiko unter Etanercept geringer zu sein als unter den TNFα-Blockern Adalimumab und Infliximab. Das Keimspektrum umfasst Bakterien (Mykobakterien, Nokardien), Pilze (Aspergillosen, Candidiasis, Coccidioidomykosen, Pneumocystis jirovecii) und Protozoen (Toxoplasma und die v. a. in Südamerika auftretenden Trypanosomen), die Inzidenz liegt, nach französischen Registerdaten, bei 150–200 Infektionen pro 100.000 Patienten [1, 20‐22].
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Über den Zusammenhang zunehmender Tuberkuloseinzidenz mit Migrationsströmen wird zurzeit viel diskutiert. Tatsächlich zeigt sich aber nur in der Gruppe der eher Jüngeren (Personen bis etwa 40 Jahren) eine höhere Inzidenz in der Population der Personen mit nicht österreichsicherer Staatsbürgerschaft als bei Österreichern. Schon im mittleren Lebensalter überwiegen Inländer, die Randgruppen zugerechnet werden, während bei der von hoher Inzidenz gekennzeichneten Alterstuberkulose (Gruppe 64+) Personen mit österreichischer Staatsangehörigkeit eindeutig dominieren. Es ist daher besonders wichtig, bei älteren Patienten an die Möglichkeit einer latenten Tuberkulose zu denken, denn das Risiko einer Reaktivierung einer an sonsten harmlosen inaktiven Tuberkulose ist unter immunsuppressiver Therapie, ganz besonders mit Anti-TNFα-Antikörpern, deutlich erhöht. TNFα spielt für die Stabilisierung der tuberkulösen Granulome eine wichtige Rolle. Kommt es nun durch iatrogene Blockade dieser Wirkung zur Desintegration eines Granuloms, können die darin befindlichen säurefesten Stäbchen freigesetzt werden und erneut infektiöse Wirkung entfalten [23‐25].
Es ist daher selbstverständlich, dass vor dem Beginn einer geplanten Biologikatherapie ein Tuberkulosescreening durchgeführt werden muss. Dazu gehören eine eingehende Anamnese, ein Immunreaktionstest (Interferon Gamma Release Assay, IGRA) sowie eine Röntgenthoraxaufnahme. Bei begründetem Verdacht auf eine aktive Tuberkulose sollte neben Sputum, Bronchiallavage und Kultur auch auf eine histologische Abklärung nicht verzichtet werden. Jeder positive Befund bedeutet die Indikation zur Tuberkulosetherapie. Liegt im Röntgenbefund nur ein Hinweis auf eine alte Tuberkulose vor, kann, wenn eine ausreichende Behandlung adäquat durchgeführt und dokumentiert wurde, ohne Verzögerung die Behandlung mit dem Biologikum begonnen werden. Wenn keine nachweisbare Behandlung stattgefunden hat, muss eine Tuberkuloseprophylaxe mit Isoniazid (INH, 5 mg/kg Körpergewicht; maximal 300 mg) über 6–9 Monate durchgeführt werden. Leberparameter und Blutbild müssen unter INH regelmäßig alle 4 Wochen geprüft werden. Und nicht ganz vergessen sollte man, dass auch extrapulmonale Manifestationen einer Tuberkulose (Knochen, Urogenitaltrakt) vorkommen können. Auch andere, nichttuberkulöse granulomatöse Infektionen können mit erhöhter Inzidenz auftreten, wie z. B. durch Histoplasma (v. a. nach Aufenthalten in den USA), atypische Mykobakterien, Candida, Listerien oder die in Kultur nur langsam wachsenden Nokardien.
Das Charakteristikum „typische Erreger mit atypischen Lokalisationen“ ist auch und besonders im Zusammenhang mit bakteriellen Infekten zu beachten. So liegen illustrative Berichte über Listerien-Arthritiden im Schultergelenkt vor; Keime, die man dort nicht unbedingt erwarten würde [35]. Treten unter Biologikatherapie, besonders unter der Behandlung mit Anti-TNFα-Antikörpern, Pneumonien auf, sollte man die Möglichkeit einer Legionelleninfektion nicht vergessen, denn das Risiko dafür ist bis zum 21-Fachen erhöht und die Erkrankung kann tödlich verlaufen. Breite Anamnese und ein Schnelltest (Harn-Antigen) können den Verdacht erhärten. Zwar erfasst der Schnelltest nur Keime der Serogruppe 1, doch werden von diesen 90 % aller Legionelleninfektionen verursacht. Der Nachweis der Antikörper im Blut sichert die Diagnose ab. Die Therapie erfolgt mit Chinolonen (Levofloxacin, Moxifloxacin); Makrolide sollten nicht eingesetzt werden [36, 37].
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Unter der Behandlung mit Cetuximab und ähnlichen Antagonisten des epidermalen Wachstumsfaktorrezeptors EGFR (Onkologie) kommt es zu akneartigen Hautausschlägen, die als Zeichen des klinischen Ansprechens betrachtet werden und daher nicht unerwünscht sind. Orale Tetrazykline können wegen ihres entzündungshemmenden Effekts angewandt werden. Wenn der Ausschlag aber auf orale Antibiose nicht reagiert, sollte nach Staphylococcus-aureus-Superinfektion untersucht und bei positivem Befund unverzüglich behandelt werden [38].
Eculizumab, ein monoklonaler Antikörper zur Therapie der paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie (PNH) wirkt über eine Blockade der terminalen Aktivierung des Komplementsystems und reduziert dadurch die Zerstörung der Erythrozyten, gleichzeitig wird dadurch aber auch die Abwehr des Körpers gegen Neisserien eingeschränkt. Im Rahmen klinischer Prüfungen wurden 3 Fälle von Meningokokkeninfektion, 2 bei geimpften und einer bei einem ungeimpften Patienten, beobachtet. Zur Prävention wird 2 Wochen vor Beginn der Behandlung die Impfung mit tetravalenter Meningokokken-Konjugat-Vakzine empfohlen. Da sich ein als protektiv geltender Antikörpertiter erst nach Wochen aufgebaut hat, ist in Abhängigkeit von der Dauer der Therapie eine Nachimpfung zu empfehlen. Kopfschmerzen treten häufig sowohl als Impfreaktion wie auch als Nebenwirkung der Eculizumabtherapie auf. Bei bestehender Besiedelung des Nasopharynx wird eine Eradikation der Meningokokken mit Azithromycin, Chinolonen und Rifampicin durchgeführt, die bei neuerlichem Nachweis nach 2 Wochen wiederholt wird [39].
Eine immer wieder gestellte Frage betrifft das Infektionsrisiko der Patienten mit rheumatoider Arthritis, bei denen eine Endoprothese eingesetzt werden muss. Müssen Biologika und chemische DMARD abgesetzt werden und wenn ja, wann und für wie lange? Leider ist die Datenlage dazu nicht eindeutig und widersprüchlich. Zahlen aus einem großen Register zeigen – zumindest für das erste postoperative Jahr – ein erhöhtes Risiko für Protheseninfektionen unter TNFα-Blockade, während aktuelle Untersuchungen aus den USA keinen signifikanten Unterschied im postoperativen Infektionsrisiko zwischen Patienten, bei denen die Biologika pausiert wurden und denen, bei denen sie kontinuierlich weiter gegeben wurden, fanden. Auch Infektionen an der Eingriffsstelle und verzögerte Wundheilung traten nicht vermehrt auf. Ein endgültige Entscheidung steht noch aus, es finden sich aber in der Literatur jedenfalls noch gut publizierte Empfehlungen mit detaillierten Angaben zum Absetzen und Wiederbeginn der antirheumatischen Therapie im Umfeld einer Prothesenoperation. Eine präoperative Abklärung durch einen Zahnarzt mit allfälliger Sanierung stellt aber sicher immer eine gute präventive Maßnahme dar [40‐44].
Eine neue Gruppe oral verfügbarer antirheumatischer Substanzen greift nicht auf Zytokinrezeptorebene in das Immungeschehen ein, sondern etwas tiefer in der Kaskade, im sog. JAK-STAT-Mechanismus. Bei Baricitinib, einem Vertreter dieser Klasse, wurden bei einer Beobachtung über 24 Monate keine Fälle von Tuberkulose, Herpes-zoster- oder opportunistischen Infektionen entdeckt. Langzeitdaten müssen diese Befunde noch bestätigen [45].
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Nicht schlüssig ist auch die Datenlage zu Virusinfektionen unter Biologika, bei denen wir uns weitgehend mit Fallberichten zufriedengeben müssen. Relativ gut dokumentiert ist dabei das Problem der Hepatitis-B-Virus(HBV)-Reaktivierung unter Immunsuppression. Die verschiedenen Biologika werden dort einer von 3 Risikoklassen zugeordnet. Hohes Risiko tragen z. B. B‑Zell-depletierende Substanzen wie Rituximab oder Kortikosteroide in mittlerer und hoher Dosierung (> 4 Wochen), ein mittleres Risiko wird unter anderem den TNFα-Inhibitoren zugewiesen, während sich in der dritten Gruppe mit niedrigem Risiko die traditionellen Immunsuppressiva wie Methotrexat oder Azathioprin finden. Patientenseitig besteht erhöhtes Risiko bei HBV-surface-antigen(HBsAg)-Positiven und bei Personen mit okkulter HBV-Infektion (HBV-DNA-Nachweis), aber auch bei HBsAg-Negativen, die einen anti-HBc-positiven Befund aufweisen. Für diese Patienten wird eine begleitende antivirale Therapie mit Entecavir oder Tenofovir empfohlen, die 6–12 Monate nach Ende der immunsuppressiven Therapie abgesetzt werden kann [46‐52].
Das Risiko einer Herpes-Zoster-Infektion ist unter Kortikosteroiden in Dosierungen > 10 mg/Tag deutlich erhöht; für die anti-TNF-Behandlung liegen in verschiedenen Kollektiven unterschiedliche Werte vor, doch scheint auch hier das Risiko erhöht zu sein. Für die Prophylaxe durch Herpes-Zoster-Impfung ist eine 50%ige Senkung der Inzidenzrat belegt, allerdings ist der Impfstoff nicht immer verfügbar. Für die Therapie steht Valaciclovir 1,0 g 3 × 1 p. o. zur Verfügung [53‐56].
Fingolimod, eingesetzt bei Multipler Sklerose, wirkt über Hemmung der Lymphozytenmigration aus lymphatischen Geweben. Aber genau diesem Wirkmechanismus ist es zuzuschreiben, dass unter dieser Therapie Fälle schwerer Varizella-Zoster-Virus(VZV)-Infektionen aufgetreten sind. Deshalb wird empfohlen, Patienten mit negativem Antikörpertest eine VZV-Impfung zu verabreichen. Einen Monat nach dieser Impfung kann mit der Fingolimod-Behandlung begonnen werden. Sollte die Gesamtlymphozytenzahl unter 0,2 × 109/l sinken, muss die Therapie pausiert werden [47].
Der Antikörper Visilizumab bindet an den CD3-Rezeptor aktivierter T‑Zellen und führt zu deren Apoptose. Die Behandlung wird mit einem erhöhten Risiko einer Epstein-Barr-Virus(EBV)-Infektion in Verbindung gebracht. Bei EBV-negativen Patienten besteht mit einiger Wahrscheinlichkeit ein erhöhtes Risiko für das Auftreten EBV-assoziierter lymphoproliferativer Erkrankungen. Es gibt keine Möglichkeit einer Prophylaxe und keine suffiziente Therapie [57, 58].
Obinutuzumab, wie Rituxan ein gegen CD20 gerichteter monoklonaler Antikörper, wird mit disseminierten Enteroviren-Infektionen (Coxsackie, Echo) in Verbindung gebracht, die sich als Hepatitis-, Ödembildung- und Dermatomyositis-ähnliches Syndrom, in einem Fall aber auch als Meningoenzephalitis, manifestierten. Frühe Diagnose und der Einsatz intravenöser Immunglobuline (IVIG) sind in dieser Situation das therapeutische Werkzeug [59].
Mykotische Infektionen sind eher als Raritäten einzustufen, sind aber durch hohe Mortalität (32 %) gekennzeichnet. Anhand von Fallberichten lassen sich für die Zeit von 1966 bis 2007 nur 281 Fälle invasiver Pilzinfektionen identifizieren. Klassifiziert nach Erregern finden sich, gleichmäßig verteilt, Aspergillosen, Candida-Infektionen und Histoplasmosen. Bezüglich der Häufigkeiten und der Zeit bis zur Infektion unter Anti-TNF-Therapie liegen für die einzelnen Wirkstoffe sehr unterschiedliche Angaben vor [60].
Die Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie (PcP) ist eine gefürchtete, lebensbedrohende Infektionserkrankung bei Patienten mit beeinträchtigter Immunkompetenz. Bei immunkompetenten Personen führt die Infektion meist nur zur wahrscheinlich weit verbreiteten asymptomatischen Besiedelung. Das gesteigerte Risiko im Rahmen von inflammatorischen Erkrankungen (wie rheumatoide Arthritis) dürfte auf die Grunderkrankung zurückzuführen sein; es gibt keinen Hinweis auf ein gesteigertes Risiko durch die Behandlung mit Biologika; unter Hochdosis-Kortikosteroiden ist die Inzidenz erhöht. Hohes Alter und vorbestehende Lungenerkrankungen erhöhen das Risiko, es gibt aber keinen quantitativen Risikomarker. Therapie der Wahl ist Cotrimoxazol (3 × 40/200 mg/kg Körpergewicht) in Kombination mit Methylprednisolon. Wegen der einzigartigen Wirksamkeit von Cotrimoxazol in dieser extremen Situation sollte auf den Einsatz im medizinischen Alltag, z. B. bei Harnwegsinfekten, verzichtet und auf das dort gut wirksame Trimethoprim zugegriffen werden. Patienten mit Allergie gegen Cotrimoxazol müssen unter stationären Bedingungen desensibilisiert werden. Wegen der vermuteten Möglichkeit einer aerogenen Mensch-zu-Mensch-Übertragung, sollten Erkrankte eigentlich isoliert werden, was jedoch in der Praxis nicht durchführbar ist. Ein japanisches Zentrum hat einen eigenen Weg der Prophylaxe erarbeitet und publiziert: Patienten mit potenziell höherem Risiko (Alter, Lungenkrankheiten, Hochdosis-Kortikosteroide), die für eine antirheumatische Therapie vorgesehen sind, werden einer Kurzzeitprophylaxe mit Cotrimoxazol unterzogen, bevor sie stationär oder tagesstationär betreut werden. Sobald innerhalb der Mitpatienten ein neuer PcP-Fall auftritt, wird die Kurzzeitprophylaxe für die ganze Kohorte durchgeführt [61‐69].
Die PML ist eine durch reaktivierte JC-Viren (JCV) hervorgerufene opportunistische Infektion mit meist rasch tödlichem oder zu schwerer Behinderung führendem Verlauf. Durch Zerstörung der myelinproduzierenden Oligodendrozyten kommt es zur progressiven Demyelinisierung im Zentralnervensystem. Fallberichte liegen für Rituximab, das Multiple-Sklerose-Therapeutikum Natalizumab und das in der Hämatoonkologie eingesetzte Brentuximab vor. Eine Möglichkeit zur präventiven Selektion bildet das Screening auf Anti-JCV-Antikörper, da bei positiv getesteten Patienten ein erhöhtes Risiko für die Reaktivierung unter Therapie besteht [70‐72].
Vorweg – Totimpfstoffe unterliegen fast keiner Einschränkung. Einzig bei Rituximab ist zu berücksichtigen, dass die Immunogenität für mindestens 6 Monate nach Behandlungsstopp reduziert ist. Lebendimpfungen sind bei fast allen immunsupprimierenden Therapien kontraindiziert. Es sollte daher vor Beginn einer geplanten Behandlung der Impfstatus erhoben werden. Was die Mumps-Masern-Röteln-Prophylaxe betrifft, so empfiehlt es sich bei vor 1975 Geborenen, die noch vorhandene Impfantwort zu kontrollieren. Bei Hepatitis C sollte man, wenn möglich, mit der Immunsuppression noch warten, weil diese Infektion innerhalb von 24 Wochen ausheilbar ist und danach eine Immuntherapie problemlos gegeben werden kann. Die Impfung gegen Pneumokokken senkt das Infektionsrisiko deutlich im Kollektiv, wobei aber aufgrund von Mutationen ein Restrisiko bestehen bleibt. Anders bei den Meningokokken, hier sollte, schon um das individuelle Risiko zu senken, bis zum 15. bzw. 20. Lebensjahr jeder geimpft worden sein. Über den persönlichen Vorteil hinaus handelt es sich hier um eine potenziell ausrottbare Erkrankung, da keine Shifts zu erwarten sind.
Impfungen mit Lebendstoffen, die nach der Beendigung einer immunsuppressiven Therapie durchgeführt bzw. nachgeholt werden sollen, dürfen – mit wenigen Ausnahmen – erst nach einer bestimmten Wartezeit gegeben werden, die sich über Zeiträume von einem Monat (Methotrexat, Kortikosteroide) bis zu 12 Monaten (Rituximab) erstrecken [73, 74].
F. Thalhammer gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.
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