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Erschienen in:

01.11.2024 | Diabetes | DIABETESPFLEGE

Volkskrankheit — Diabetes Mellitus vs. Osteoporose

Parallelen zweier chronisch verlaufenden Stoffwechselerkrankungen

verfasst von: DGKP Ruth Giesinger

Erschienen in: PRO CARE | Ausgabe 9/2024

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Hinweise
Der Verband der Österreichischen DiabetesberaterInnen sieht seine Verantwortung in der medizinisch-technischen Führung und der psychosozialen Betreuung der Menschen mit Diabetes. Der Mensch steht im Mittelpunkt.
Diabetes mellitus und Osteoporose sind beides chronische Erkrankungen. Erkrankungen, die mit zunehmendem Lebensalter eine steigende Prävalenz aufzeigen. Laut Österreichischer Diabetesgesellschaft (ÖDG) sind ca. 800.000 Menschen von Diabetes mellitus betroffen und ca. 350.000 von einem Prädiabetes. Bei der Erkrankungshäufigkeit von Diabetes mellitus ist der Geschlechterunterschied sehr gering. Hingegen bei einer Osteoporose sind Frauen stärker betroffen als Männer. Die Österreichische Gesellschaft für Knochen und Mineralstoffwechsel (oegkm) drückt es in Zahlen wie folgt aus: ca. 370.000 Frauen und 90.000 Männer sind von Osteoporose in Österreich betroffen und somit die häufigste Erkrankung des Knochenstoffwechsels. Menschen, die an einem Diabetes mellitus leiden, haben ein erhöhtes Risiko für Fragilitätsfrakturen und benötigen mehr Aufmerksamkeit in der Prävention von Osteoporose und der Vermeidung des Sturzrisikos.
Die Stoffwechselerkrankung Diabetes mellitus Typ 2, die 90 Prozent der Betroffenen ausmacht und die mit zunehmendem Alter vermehrt auftritt, ist die Erkrankung, die im folgenden Bericht im Fokus steht. Zur Prävention von DM-Typ 2 und Osteoporose ist es wichtig, die Risikogruppen zu eruieren und die beeinflussenden Risikofaktoren zu reduzieren.
Zu den Risikogruppen für Diabetes mellitus Typ 2 gehören Menschen mit einer genetischen Veranlagung, ältere Personen, adipöse Menschen oder Frauen mit einem Gestationsdiabetes in der Anamnese. Risikofaktoren sind hier Bewegungsmangel, unausgewogene bzw. Fehlverhalten in der Ernährung. Rauchen, aber auch Schlafmangel und eine schlechte Schlafqualität können zu einer Insulinresistenz führen und die Wahrscheinlichkeit zu erkranken erhöhen. Bei der Osteoporose sind die Risikozielgruppen ältere Menschen, Frauen, Menschen mit einem Elternteil mit einer Hüftfraktur in der Anamnese, Personen, die an Rheumatoider Arthritis leiden oder endokrinologisch erkrankt sind. Rauchen, Untergewicht, übermäßiger Alkoholkonsum und orale Cortisontherapie gehören zu den Risikofaktoren, wobei hier noch separat das Sturzrisiko angeführt wird, ausgelöst durch zum Beispiel mikrovaskuläre Komplikationen, die zu schlechtem Sehen, Hypoglykämieneigung, Gangunsicherheiten etc. führen können.
„Zu den Risikogruppen für Diabetes mellitus Typ 2 gehören Menschen mit einer genetischen Veranlagung, ältere Personen, adipöse Menschen oder Frauen mit einem Gestationsdiabetes in der Anamnese.“
Überblick zur Basistherapie (nicht medikamentös) bei Diabetes Mellitus Typ 2 und Osteoporose:
Evidenzbasierte Empfehlungen
Diabetes Mellitus Typ 2
Osteoporose
Bewegung
Förderung von regelmäßigen Aktivitäten, die in den Alltag integriert sind
mind. 150 min pro Woche Ausdauertraining im Ausmaß einer mittleren Intensität ist erforderlich
mind 2x/Wo muskelkräftigende Übungen mit 9 Muskelgruppen zu 4 Sätzen
Individuelles Programm zur Verbesserung von Kraft, Balance und Koordination den Betroffenen zur Verfügung stellen
Effektiv ist ein progressives Widerstandstraining: Joggen, Treppensteigen, Liegestütze, Terabandübungen, Seilspringen; (nicht dazu gehören Schwimmen, Radfahren, langsames Gehen)
Immobilität durch gezieltes Training vermeiden unter Berücksichtigung des funktionellen Status (frühe Mobilisation, nach Frakturen)
Ernährung
Individuelle Ernährungsberatung empfohlen
Stoffwechsel- und Gewichtsziele definieren mit der Gewichtsabnahme im Fokus
Ein mediterraner Ernährungsstil - Kohlenhydratreduziert, Ballaststoffreich und mit hochwertigen Eiweißen und Fetten ist zu empfehlen
BMI > 20 erstrebenswert, aber keine Gewichtszunahme bei Adipositas
Beachtung der Ausgewogenheit bzw. Supplementierung von Eiweiß, Vit D, Kalzium (vorzugsweise über die Ernährung)
Vermeidung von: Fehlernährung, Alkohol, Nikotin
Achtung: Sarkopenie (auch bei Übergewicht möglich) auf die entsprechende Eiweißzufuhr achten
Therapieadhärenz
Maßnahmen zur Krankheitsbewältigung empfehlen
Infos zu Selbsthilfegruppen weiterleiten
Nutzen-Risiko-Verhältnisse der Medikamente prüfen, besonders wenn sie Stürze begünstigen oder den Stoffwechsel negativ beeinflussen
Zahnärztliche Vorstellung empfohlen, vor einer medikamentösen Therapie mit Bisphosphonaten, Denosumab, Romosozumab (Handelsnamen z.B.: Fosamax, Prolia, Evenity)
Sturzrisiko erfassen
Gute Blutzuckereinstellung mit Verhinderung von Hypoglykämien
Sulfonylharnstoffe und Insulin erhöhen das Risiko zum Sturz bzw. Fraktur
Kein Einsatz von Pioglitazone bei einem Risikoprofil für Fragilitätsfrakturen
Sturzanamnese ab 70 Jahren: Assessments wie „Timed Up-and-Go“-Test;
Bei positiver Sturzanamnese auch mit Fragilitätsfraktur sind geriatrische Rehamaßnahmen empfohlen (Hüftprotektor, Sehkraft überprüfen, Lichtquellen sichten, Stolperfallen entfernen…)
Sowohl die Diagnostik als auch die medikamentöse Therapie ist bei beiden Erkrankungen sehr vielschichtig. Beides wird vom Arzt/von der Ärztin gesteuert, der/die regelmäßig Kontrollintervalle anbietet.
In der Basistherapie, die Prävention und begleitende Maßnahme in einem ist, werden die Betroffenen zum richtigen Umgang mit den Risikofaktoren geschult. Dieses Erlernen neuer Lebensgewohnheiten erfordert ein hohes Maß an Eigenverantwortung und Durchhaltevermögen, da die Lebensstilinterventionen ein Leben lang einzuhalten sind.
Damit die Betroffenen zu einem individuellen und bedarfsbezogenen Wissen kommen, ist ein gutes Zusammenspiel verschiedener Berufsgruppen erforderlich.
Da die Altersschere immer mehr auseinanderdriftet, ist es wichtig, dass die Menschen bis ins hohe Alter ihre Selbständigkeit erhalten können. Laut einer Gesundheitsbefragung aus dem Jahr 2019 der Statistik Austria gaben 15,8 % der Befragten über 55 Jahre, das entspricht hochgerechnet ca. 450 000 Personen, mindestens eine Einschränkung einer basalen Aktivität des täglichen Lebens an. Basale Aktivitäten sind zum Beispiel die Nahrungsaufnahme, Mobilität im Sinne des selbständigen Aufstehens und Setzens oder der Körperpflege. Frauen, die älter als 75 Jahre waren, gaben am häufigsten Einschränkungen der basalen Aktivitäten an. Hier zeigt sich, wie wichtig es ist, Menschen mit einer chronischen Erkrankung im Alter so selbständig als möglich erhalten zu können. Dazu braucht es eine frühzeitige Erkennung der Erkrankung und das Einleiten der passenden Therapie. Hierfür gibt es auch Risikofragebögen, die eingesetzt werden können, damit Betroffene und auch Gesundheitsberufe das Risiko besser einschätzen können. Zur Basistherapie gehört immer eine Schulung und eine individuelle Beratung, damit der Patient die gesetzten Therapieziele erreichen kann. Im Idealfall einer chronischen Erkrankung durchläuft der Patient bzw. die Patientin einen Schulungsprozess, indem er oder sie nicht nur einen Zuwachs an Informationen erfährt, sondern auch eine beratende Begleitung, die ihn/sie an das Selbstmanagement seiner chronischen Erkrankung heranführt. Da es sich bei Stoffwechselerkrankungen meist um komplexe Erkrankungen mit vielen Therapieansätzen handelt, sind in der Betreuung oft viele Professionen notwendig, um die richtigen Informationen und Skills an die Betroffenen weiterzugeben. Hier könnte die Pflege, wie es oft in der Diabetesberatung üblich ist, eine Schlüsselfigur übernehmen, damit eine kontinuierliche Betreuung und Verbesserung der Situation verfolgt wird.
Kompetenzrahmen zum endokrinologischen Krankheitsbild „Osteoporose“:
Kompetenz 9 Osteoporose.
  
 
Erfahren
Experte
Kompetent
Wie Kompetent, jedoch zusätzlich
Wie Kompetent und Erfahren, jedoch zusätzlich
• Demonstriert Verständnis der Mechanismen/Krankheitsprozesse, die Osteoporose verursachen oder begünstigen
• Verfügt über Kenntnisse und Verständnis der nationalen Richtlinien für Osteoporose
• Kennt geeignete Behandlungsmodalitäten und ist in der Lage, diese dem Patienten zu erklären
• Erkennt die Auswirkungen der Diagnose für Patienten und weiß, dass sich individuelle Entscheidungen hinsichtlich des Lebensstils auf die Gesundheit der Knochen auswirken können
• Bietet ggf. Zugang zu weiterer Unterstützung an, z. B. Selbsthilfegruppen, psychologische Unterstützung
• Dokumentiert präzise und kommuniziert mit weiteren Teammitgliedern
• Versteht Krankheitsverlauf der Osteoporose und ist in der Lage, einzelne Ergebnisse dem Patienten zu erläutern
• Demonstriert die Fähigkeit zur Auswahl und Initiierung einer angemessenen Behandlung gemäß lokalen/nationalen Protokollen
• Diskutiert mit den Patienten die Vorteile und möglichen Nachteile aller Behandlungsmöglichkeiten
• Sorgt für eine effektive Nachbeobachtung der Patienten, fordert Knochendichtemessungen (Dual energy x-ray absorptiometry - DEXA) Scans und Analysen biochemischer Knochenmarker gemäß örtlichen Regelwerken und nationalen Richtlinien an
• Interpretiert Untersuchungsergebnisse, und berät über Veränderungen oder Anpassungen der Behandlung
• Fördert Änderungen des Lebensstils, die einen positiven Einfluss auf die Gesundheit und die Knochenfestigkeit haben
• Erkennt erkrankungsspezifische psychologische Probleme und bietet Unterstützung für den Patienten und seine Angehörigen an
• Fungiert als ein Vorbild für Nachwuchskräfte
• Entwickelt und bietet vom Pflegepersonal geleiteten Osteoporose Service an
• Ist aufgrund umfangreicher Kenntnisse in der Lage, mit Hilfe radiologischer und biochemischer Untersuchungen Osteopenie/Osteoporose zu diagnostizieren
• Beteiligt sich aktiv an Diskussionen innerhalb des MDTs über das Management einzelner Patienten
• Entwirft, implementiert und evaluiert regelmäßig individuelle Behandlungspläne, einschließlich Verschreibung von Medikamenten unter Verwendung relevanter aktueller Forschungsergebnisse
• Identifiziert Defizite in der Versorgung und entwickelt Strategien, um sie zu beheben
• Beteiligt sich an Forschungsaktivitäten, um die evidenzbasierte Praxis zu verbessern
• Tritt mit entsprechenden Patientenorganisationen und Selbsthilfegruppen in Verbindung, um Fachwissen auszutauschen und mit den Verbänden zusammenzuarbeiten
• Entwickelt eigenständige Praxis durch Führung und Beratung, praktiziert selbständig
• Unterstützt, schult und beurteilt Nachwuchskräfte innerhalb dieser Kompetenz
aus: V Kieffer et al., Kompetenzrahmen für das Pflegepersonal bei der Betreuung von erwachsenen Patienten mit endokrinologischen Erkrankungen, Society for Endocrinology, 2.Auflage, 2015
„In der Betreuung von Patient:innen mit einer endokrinologischen Erkrankung fehlen in Österreich die Möglichkeiten für Pflegepersonen, sich in diesem Bereich zu spezialisieren.“
In Österreich gibt es verschiedene Ausbildungsmöglichkeiten, um sein Wissen und seine Kompetenzen zum Thema Diabetes mellitus zu erweitern und die Berater:innen haben eine berufspolitische Vertretung durch den Verband der österreichischen Diabetesberater:innen (VÖD). In der Betreuung von Patient:innen mit einer endokrinologischen Erkrankung (wie z. B.: Osteoporose) fehlen in Österreich die Möglichkeiten für Pflegepersonen, sich in diesem Bereich zu spezialisieren, obwohl die Erkrankungsbilder hoch komplex und auch schon im Diagnoseverfahren Pflegepersonen involviert sind. Doch dieses Problem ist nicht nur in Österreich aktuell, auch andere Länder versuchen hier eine Verbesserung in die Wege zu leiten. So hat sich eine Arbeitsgruppe gebildet, die einen Kompetenzrahmen für Pflegepersonal bei der Betreuung von erwachsenen Patienten mit endokrinologischen Erkrankungen erarbeitet hat.
In der Diabetesberatung gibt es in Österreich flächendeckend Kolleg:innen, die den Status eines/einer Experten/Expertin zur Pflege von Diabetes mellitus erlangt bzw. auch eine Ausbildung zur APN-Diabetes Care absolviert haben. An der Fachhochschule Oberösterreich besteht das Angebot einer Ausbildung zur Spezialisierung in der Pflege von Menschen mit Diabetes Mellitus im Umfang von 60 ECTS-Punkten nach den Erfordernissen der aktuellen GuKG-Novelle 24/25.
Für andere endokrinologische Krankheitsbilder gibt es einen deutlichen Verbesserungsbedarf, um die Pflege in ihrer Spezialisierung zu fördern, damit die Betroffenen durch die Betreuung und Begleitung durch die professionelle Pflege profitieren können. Eine Gegenüberstellung von zwei Stoffwechselerkrankungen macht den Bedarf an Pflegepersonen mit einer hohen Expertise in ihrem Fachbereich sichtbar. Eine Umsetzung würde die zukünftige pflegerische Versorgung von komplexen Krankheitsbildern weiter entwickeln.

Hinweis zum Lehrgang APN Diabetic care an der FH-OÖ:

Das Studium APN Diabetic Care wird ab 28.01.2025 wieder an der FH-OÖ in Linz angeboten.
Anmeldefrist ist der 28.11.2024
Nähere Informationen: https://fh-ooe.at/weiterbildung/master-lehrgaenge/advanced-nursing-practice?campus=linz
Wer über eine Weiterbildung „Diabetesberatung“ verfügt, so kommen einzelne Lehrveranstaltungen nach individueller Prüfung zur Anrechnung. Somit müssen nicht die gesamten 90 ECTS absolviert werden, ebenso reduzieren sich dadurch die Gesamtkosten.
WICHTIG: Es handelt sich um einen Hochschullehrgang und nicht um einen ANP Masterlehrgang.
Es war von Beginn an wichtig, einen niederschwelligen Zugang für alle Kolleginnen und Kollegen aus der Praxis anzubieten und gleichzeitig ein hohes Niveau an Fachlichkeit/Expertise der zukünftigen APN aufzubauen und zu fördern. Langfristig wird die Ausbildung zur APN Diabetic care auf Masterniveau folgen. Aber zur Zeit braucht es wirksame Lösungen und Angebote für die Anforderungen der Ist-Situation. Dieses Angebot ist im APN-Lehrgang Diabetic care der FH-OÖ, der gemeinsam mit dem VÖD enzwickelt wurde, zu sehen!
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Literatur
Zurück zum Zitat Muschitz, C. et al. Wiener klinische Wochenschrift (2023) 135 (Supp1): S207–224 Muschitz, C. et al. Wiener klinische Wochenschrift (2023) 135 (Supp1): S207–224
Metadaten
Titel
Volkskrankheit — Diabetes Mellitus vs. Osteoporose
Parallelen zweier chronisch verlaufenden Stoffwechselerkrankungen
verfasst von
DGKP Ruth Giesinger
Publikationsdatum
01.11.2024
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
PRO CARE / Ausgabe 9/2024
Print ISSN: 0949-7323
Elektronische ISSN: 1613-7574
DOI
https://doi.org/10.1007/s00735-024-1901-7