Erfolgreiche humanistische psychotherapeutische Prozesse: Therapeutische Beziehung und signifikante Aspekte aus Sicht von Patient:innen und Therapeut:innen der Integrativen Therapie
verfasst von:
Maria Denkmayr, Clemens Werner-Tutschku, Yvonne Schaffler, Thomas Probst, Elke Humer, Brigitte Schigl
Dieser Beitrag untersucht psychotherapeutische Prozesse mit besonderem Augenmerk auf die therapeutische Beziehung. Konkret geht es dabei um Überlegungen zur therapeutischen Beziehung aus Sicht von Psychotherapeut:innen sowie der Wahrnehmung von besonderen, förderlichen oder hinderlichen Aspekten durch Patient:innen und Therapeut:innen. Die qualitativen Daten stammen aus Interviews einer Studie zu „Prozess und Outcome in niedergelassener psychotherapeutischer Praxis (POPP)“ mit Integrativen Therapeut:innen bzw. ihren Patient:innen. Die Daten wurden mittels qualitativer Inhaltsanalyse bearbeitet. Aus Sicht der Psychotherapeut:innen lassen sich von Therapeut:innen und ihren Patient:innen gemeinsam hergestellte Allianzfaktoren, individuelle Faktoren die diese bzw. ihre Patient:innen betreffen sowie kontextuelle Faktoren extrahieren. Die Sicht von Patient:innen und Psychotherapeut:innen zu „significant events“ zeigt hohe Kongruenzen in der Sicht der Dyaden. Die Beziehung soll durch Empathie und Wertschätzung und ein partizipatives Arbeiten auf Augenhöhe gekennzeichnet sein. Anhand zweier Studien zur Integrativen Therapie als Beispiel für den humanistischen Ansatz heben die Ergebnisse die Bedeutung der therapeutischen Beziehung hervor und identifizieren damit zusammenhängende Faktoren, die sowohl für Patient:innen als auch ihre Therapeut:innen relevant sind.
Hinweise
Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Therapeutische Beziehung und signifikant events: Ein Überblick
Die therapeutische Beziehung ist als entscheidender Faktor für Behandlungsprozesse in jedem psychotherapeutischen Verfahren herausgearbeitet und beschrieben (Horvath 2005). Sie beeinflusst die Wirkung therapeutischer Techniken, Interventionen und damit den therapeutischen Prozess entscheidend (Löffler-Stastka und Datz 2016). In ihrer Untersuchung der allgemeinen Wirkfaktoren in der Psychotherapie betonen Wampold und Imel (2015), dass die therapeutische Beziehung ein zentraler Prädiktor für den Therapieerfolg ist. Ihre Meta-Analysen zeigen, dass eine gelingende therapeutische Beziehung unabhängig von der spezifischen Methode entscheidend für positive Therapieergebnisse ist. Orlinsky, Rønnestad und Willutzki (2004) fassen 50 Jahre Forschung zusammen und zeigen, dass die Qualität der therapeutischen Beziehung systematisch mit besseren Behandlungsergebnissen verbunden ist. Weiters haben Norcross und Wampold (2011) in einer umfassenden Analyse evidenzbasierter psychotherapeutischer Praktiken die Rolle der therapeutischen Beziehung als fundamental für den therapeutischen Erfolg unterstrichen. Aktuell gibt es allerdings keine von allen Psychotherapieverfahren geteilte Definition der therapeutischen Beziehung beziehungsweise dessen, was sie ausmacht. In den humanistischen Psychotherapien wird die therapeutische Beziehung als zentrale und aktive Kraft betrachtet, die Veränderungen im Therapieprozess bewirkt und in der therapeutischen Ausbildung besonders beachtet wird (Kriz 2023).
Als prägendes Element der therapeutischen Beziehung wird empathisches Verhalten der Psychotherapeut:innen beschrieben; ebenso werden deren Beziehungsfähigkeit, Kompetenz, Erfahrung, Flexibilität, Kommunikationsfähigkeit, Verständnis, Unterstützung und affektiv positiv gestaltete Begegnungen sowie das Eingehen auf Präferenzen der Patient:innen als notwendig postuliert (Lindhiem et al. 2014; Windle et al. 2020). Persönlichkeitsfaktoren, Motivation, Bindungsstil, persönliche Belastungsfaktoren, soziale Unterstützung und der Schweregrad einer Störung sowie Komorbiditäten von Patient:innen bedingen ebenso die Qualität dieser therapeutischen Beziehung zwischen Patient:innen und ihren Therapeut:innen (Wampold und Flückiger 2023); alle Faktoren gemeinsam nehmen Einfluss auf Therapieergebnisse bzw. -abbrüche.
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Die significant events Forschung fokussiert auf hilfreiche und hinderliche Aspekte im therapeutischen Prozess (Timulak 2007, 2010; Ladmanová et al. 2021). Das sind jene Ereignisse, die von den Beteiligten rückblickend als bedeutsam erinnert werden und den Therapieprozess und -outcome erheblich beeinflussen. Während hilfreiche Ereignisse gut erforscht sind, werden hinderliche Aspekte weniger untersucht (Burton und Thériault 2020). Meta-Analysen zu significant events (Levitt et al. 2016; Ladmanová et al. 2021) zeigen, dass Patient:innen hilfreiche Therapieereignisse häufig mit Aspekten der therapeutischen Beziehung wie Verstandenwerden verbinden; außerdem mit Momenten, in denen sie Wachstumsprozesse, kognitive Einsichten oder eine Erweiterung ihrer Handlungsfähigkeit erleben. Vergleichende Untersuchungen der Perspektiven von Patient:innen und Therapeut:innen sind selten.
In den humanistischen Psychotherapien wird das Erleben dieser realen, von Wertschätzung und Empathie getragenen Beziehung als zentral gesehen (Slunecko 2009). Als humanistisches Therapieverfahren geht die Integrative Therapie hier von einem intersubjektiven Beziehungsgeschehen aus, das sich in einem sog. Ko-respondenzprozess (Petzold 1991/2017) entwickelt. Darin stehen beide Interaktionspartner:innen als Subjekt und Mit-Subjekt auf einer Ebene. Dies schließt im Verständnis der Integrativen Therapie das Einbeziehen von Übertragung- und Gegenübertragungsprozessen mit ein, welche in therapeutischen Beziehungen – wie auch in anderen wichtigen Beziehungen – stattfinden. Im Ko-respondenzprozess werden diese Phänomene interpretiert, verstanden und durch vielfältige Interventionsmöglichkeiten bearbeitet. Einsichten auf Ebene der Kognition, Volition und Motivation sowie des Erlebens sollen angeregt und so Veränderung in Wahrnehmung und Handeln der Patient:innen ermöglicht werden (Leitner und Höfner 2020). Die Betonung des erlebnisfokussierten Arbeitens in und an der Beziehung, eine prozessorientierte phänomenologisch-hermeneutische Herangehensweise, die die aufkommenden Themen und Dynamiken interventionell nützt, kennzeichnen diesen Therapieansatz. Damit verortet sich integrative Therapie im humanistischen Therapieverständnis, dem eine phänomenologische Herangehensweise im therapeutischen Prozess wie im Beziehungsaufbau zugrunde liegt.
Psychotherapieforschung basiert meist auf sog. Randomized Controlled Trial-Studien in kontrollierten, stationären Settings mit manualisierten Therapien und monosymptomatischen Patient:innen. Diese Bedingungen unterscheiden sich stark von jenen in ambulanten Praxen, weshalb die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf Alltagsbedingungen psychotherapeutischer Behandlungen fraglich ist. Die POPP-Studie untersucht daher die Prozesse und Ergebnisse im niedergelassenen Bereich als naturalistische Beobachtungsstudie und erhebt über vier Jahre (2020–2024) quantitative Prozessdaten sowie den Erfolg von 187 ambulanten Psychotherapien bei 94 Psychotherapeut:innen in einer Prä-Post-Messung. Zusätzlich wurden 83 qualitative Leitfaden-Interviews (Witzel 2000) mit Therapeut:innen und ihren Patient:innen durchgeführt (Schaffler et al. 2024). Die Studie war offen für alle Psychotherapieverfahren. In diesem Beitrag werden jedoch nur die Aussagen von Psychotherapeut:innen der Integrativen Therapie und ihren Patient:innen hinsichtlich ihrer Überlegungen zur therapeutischen Beziehung und der Wahrnehmung signifikanter Aspekte im therapeutischen Prozess herangezogen.
Die hier präsentierten Analysen entstanden im Rahmen zweier Masterarbeiten zur Integrativen Psychotherapie (IT) an der Universität für Weiterbildung Krems. Für Studie 1, die die Forschungsfrage „Was macht die therapeutische Beziehungsgestaltung aus Sicht von Psychotherapeut:innen der Integrativen Therapie aus?“ untersucht, wurden elf Interviews mit neun Psychotherapeut:innen (sieben Frauen, zwei Männer) im Alter von 40 bis 65 Jahren analysiert. Die Therapien umfassten 10 bis 30 Sitzungen, zwei davon waren abgeschlossen. Neun von elf Therapiekonstellationen waren genderhomogene weibliche Dyaden.
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Für Studie 2, die die Fragen „Welche Aspekte in der Praxis der Integrativen Therapie erleben Dyaden rückblickend als hilfreich bzw. hinderlich?“ und „Welche Kongruenzen und Diskrepanzen ergeben sich aus den dyadischen Sichtweisen?“ behandelte, wurden Aussagen in sechs Dyaden verglichen (12 Interviews). Davon waren fünf Patient:innen weiblich und einer männlich, mit vier weiblichen Therapeutinnen und einem männlichen Therapeuten (eine Therapeutin wurde für zwei verschiedene Patientinnen zweimal separat interviewt).
Die Forschungsergebnisse wurden mittels strukturierender Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2016) (Studie 1) bzw. qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) (Studie 2) erarbeitet.
Ergebnisse
Studie 1: Die therapeutische Beziehung
In der Analyse von Interviews mit elf Psychotherapeut:innen wurden zwei Hauptbereiche der therapeutischen Beziehung, nämlich „gemeinsam hergestellte Beziehungsfaktoren“ und „individuelle Faktoren“ herausgearbeitet (Abb. 1).
Abb. 1
Bereiche und Hauptkategorien aus Sicht der Psychotherapeut:innen
„(Gemeinsam hergestellte) Beziehungsfaktoren“
×
Die erste Hauptkategorie „Kennzeichen der Beziehungsgestaltung“ umfasst unterschiedliche Ausformungen der Beziehungsgestaltung, wie zum Beispiel eine supportive oder auf Intersubjektivität achtende Herangehensweise, Übertragungsphänomene und nimmt auch Bezug auf die veränderte Beziehungsdynamik durch die Studienteilnahme.
Als wichtige Merkmale für eine gelungene therapeutische Beziehung nennen Integrative Therapeut:innen eine unterstützende und akzeptierende Haltung, Sympathie für ihre Patient:innen, sowie das Vertrauen ihrer Patient:innen in sie und den psychotherapeutischen Prozess; Sicherheit in Bezug auf Transparenz, was im Prozess passieren kann und wie gearbeitet wird und dass Patient:innen sich auch außerhalb von Therapieeinheiten in Akutsituationen melden können; sowie schließlich das Erkennen von Übertragungsphänomenen.
Im Rahmen einer Subkategorie „supportive Beziehungsgestaltung“, betonen sie die Bedeutung des Containings, des „Da-Seins“ und der aktiven Unterstützung des emotionalen Ausdrucks der Patient:innen. Diese Haltung ermöglicht es den Patient:innen, sich sicher zu fühlen, wodurch ein fruchtbarer Boden für die therapeutische Arbeit geschaffen wird. Die Analyse verdeutlicht, dass eine solche Haltung seitens der Therapeut:in nicht passiv ist, sondern eine aktive, empathische Teilnahme am Erleben der Patient:innen erfordert. Eine befragte Therapeutin beschreibt:
„Nun, ich habe das Gefühl, ich gehe dann so in diese Containing-Haltung […] Ich tue dann […] unterstützend. Wenn sie dann die Luft anhält, dann sage ich ‚Tun Sie weiteratmen, lassen Sie die Tränen heraus […]‘ Also, ich unterstütze diesen Ausdruck eher.“
Eine andere Therapeutin erklärt, wie sie unterschiedliche Übertragungsphänomene wahrnimmt und den Beziehungsmodus je nach Situation anpasst:
„Natürlich bin ich manchmal auch in der Resonanz, ja, wahrscheinlich eher eine Stimme, die sie ergänzend braucht zur Stimme der Mama, ja. Dann bin ich wieder eher eine Stimme, die sie dann braucht, die ganz einen Außenblick reinbringt […] Und in der Summe bin ich natürlich die Therapeutin mit den Übertragungs- und Gegenübertragungsprozessen, und in der Ko-respondenz sowieso immer.“
Die zweite Hauptkategorie „Interventionen“, beschreibt, wie Psychotherapeut:innen Methoden anwenden, um prozessdiagnostische und therapeutische Ziele zu erreichen. Eine gute therapeutische Beziehung ermöglicht hilfreiche Interventionen, die wiederum die Beziehung positiv beeinflussen. Solche Interventionen unterstützen Patient:innen beispielsweise im Alltag oder helfen Unausgesprochenes zu benennen. Dadurch stärken sie die Beziehung weiter. Eine Therapeutin erläutert ihre an die Patientin angepasste Herangehensweise:
„[Was] ich mit ihr jetzt nicht so geteilt habe […], dass es vielleicht ihr im Kontakt dann auch schwer fällt neue Beziehungen aufzubauen. Da bin ich noch sehr zurückhaltend […] weil mir auffällt, dass je stabiler sie […] in ihrer eigenen Emotionswelt wird, umso ah fließender wird es im Kontakt. […] da tut sie sich dann auch leichter auf das Gegenüber einzugehen.“
„Individuelle Faktoren“
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Im Bereich „Individuelle Faktoren“ wurden seitens der Psychotherapeut:innen personenbezogene Phänomene sowie Gender identifiziert; ebenso Ressourcen, Vorerfahrungen und Motivation der Patient:innen oder Gemeinsamkeiten mit ihren Therapeut:innen. Eine Therapeutin beschreibt die individuellen Ressourcen und Defizite einer Patientin:
„Und da fällt mir als Erstes ein, ah, dass diese Patientin sprachlich sehr versiert ist, ja. […] In der Leibarbeit zum Beispiel […] da glaube ich, tut sie sich zum Beispiel nicht so leicht. Aber alles so auf kognitiv-intellektueller Ebene, geht wirklich gut mit ihr.“
Ein befragter Therapeut hebt den Einfluss der Motivation des Patienten hervor:
„Er war sehr motiviert und bemüht, alles einzuordnen. Insofern hat sich die therapeutische Beziehung von Anfang an gut entwickelt.“
Zum Thema Gender wird in Bezug auf die Zusammensetzung der therapeutischen Dyade beispielhaft von jeweils weiblichen Therapeutinnen folgendes reflektiert:
„[Es ist] auch typisch für […] genderhomogene Dyaden, wenn das zwei Frauen sind, dass wenig Aggression ausgedrückt wird und wenig Konkurrenz.“
Oder: „Ich bin sicher mutiger bei Frauen […] freier, gelassener. Ich bin bei Männern vorsichtiger.“
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Insgesamt zeigt sich, dass Psychotherapeut:innen die Beziehungsgestaltung geplant und reflektiert individuell an ihre Patient:innen sowie deren Ressourcen, Defizite und Motivation anpassen. Beziehungsgestaltung erweist sich als ein aktiver, elaborierter Prozess, der prozessuale Diagnostik umfasst und nicht nur intuitiv gesteuert ist.
Studie 2: Significant Events
Die Analyse von insgesamt 12 Interviews von Integrativen Therapeut:innen und ihren Patient:innen zeigt ein breites Spektrum an hilfreichen bzw. hinderlichen Therapieaspekten, wobei hilfreiche Aspekte häufiger thematisiert sind. Aussagen von Patient:innen und Therapeut:innen wurden jeweils innerhalb von fünf übergeordneten Bereichen kategorisiert:
Patient:innenbeiträge: Einstellungen, Eigenschaften und Ressourcen von Patient:innen, z. B. hohe Eigenmotivation oder außertherapeutische Ereignisse wie Zulassung zu einem Studium
Therapeut:innenbeiträge: z. B. wertschätzende und empathische Grundhaltung, ermutigendes oder auch konfrontatives Verhalten
Interaktionale Beiträge: Aspekte der therapeutischen Passung sowie der Interaktion im Therapieprozess, z. B. beim Umgang mit Irritationen, etwa das Besprechen einer Kränkung der Patientin; oder die Wahl von Interventionen in gemeinsamer Entscheidung, etwa über den Einsatz kreativer Medien
Konkrete Interventionen wie z. B. Leibtherapeutische Interventionen, alltagspraktische Hilfestellungen, Aufstellungsarbeit (mit Symbolen), Arbeit mit Stühlen, Arbeit mit Persönlichkeit-Anteilen sowie bestimmte Themen, z. B. die Herkunftsfamilie
Settingbedingungen: z. B. Sitzungsfrequenz oder Regelung zur Erreichbarkeit der Psychotherapeut:in
Im Bereich „Patient:innenbeiträge“ zeigt sich, dass hilfreiche und hinderliche Aspekte auch außerhalb des Einflussbereichs von Psychotherapeut:innen liegen. So antwortet ein Patient die Frage, was er in seiner Psychotherapie als besonders bedeutsam erlebt habe:
„[…] mein Bruder und ich haben auch gleichzeitig angefangen, so eine Männerarbeit an Wochenenden. Und tatsächlich ist da eigentlich viel mehr passiert, das mich wirklich weitergebracht hat, als in der Therapie.“
Von Psychotherapeut:innen werden außerdem häufig hilfreiche Patient:inneneigenschaften und Ressourcen thematisiert. So erzählt eine Befragte über ihre Patientin:
„Das ist eine, eine sehr gebildete Frau, die, die bewusst lebt und (‑) wo es halt so leicht ist, (‑) über Dinge miteinander zu reden oder zu versuchen, in diesen intersubjektiven Prozess zu kommen, weil es gute Voraussetzungen gibt dafür.“
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Ein Großteil der thematisierten Aspekte aus allen Bereichen steht in Zusammenhang mit der therapeutischen Beziehung und bestätigt – aus beiden Perspektiven – die zentrale Bedeutung derselben. Die interviewten Patient:innen schätzen eine empathische, wertschätzende und authentische Grundhaltung, um die ihre Psychotherapeut:innen sich bemühen (Therapeut:innenbeiträge). Eine Psychotherapeutin beschreibt für den therapeutischen Prozess als hilfreich:
„Eben wenn es gelingt, dass ich sie [die Patientin] ein bisschen mit ihren Gefühlen in Kontakt bringe. Und dann schaue ich sie an, und ich sehe wie es ihr geht, und ich spüre das auch, und ich merke, sie kann einen Moment zulassen, dass jemand ihr Elend sieht und ihr Mitgefühl entgegenbringt.“
Indem es dieser Patientin gelingt, sich in kurzen Momenten emotional berührt zu zeigen, eröffnet sich die Möglichkeit, Mitgefühl und Verständnis zu bekommen. Die Patientin dieser Therapeutin drückt es so aus:
„Ich würde wirklich sagen, dass sie [die Psychotherapeutin] die einzige Person ist, in meinem Leben die (‑) so richtig erfassen kann, wie schlecht es mir geht.“
Vermitteln von Sicherheit, Erteilen von Zuspruch und Beruhigung stellen ebenso zentrale hilfreiche Therapeut:innenbeiträge dar. Gegenteilige Erfahrungen werden als hinderlich erlebt – und untermauern damit zusätzlich die Bedeutung einer wertschätzenden therapeutischen Beziehung. Ein Patient bemerkt kritisch:
„Also, was ich [in der Psychotherapie] brauchen würde wäre eben das Gefühl, dass ich wahrgenommen werde und gesehen. Und das habe ich aber nicht.“
Der Blick auf die einzelnen Therapiedyaden zeigt, dass es individuell unterschiedlich ist, was Patient:innen als besonders hilfreich empfinden: Für eine etwa die Arbeit mit kreativen Medien, für einen anderen leibtherapeutische Interventionen:
„Ja, da habe ich ein paar Mal etwas gespürt, [legt die Hand auf die Brust] in meinem Herz. Und dann habe ich das Gefühl gehabt, das bringt mir was. Zumindest irgendwie irgendwas. Also auch wenn man es jetzt nicht so erklären kann.“
Viele Patient:innen betonen, dass sie durch erlebnisaktivierende Interventionen mit intensiven Gefühlen in Kontakt kommen – was ihnen „nur“ im Gespräch nicht gelingt bzw. fehlt. Im Gegensatz dazu lehnt eine Patientin die Arbeit mit kreativen Medien ab. Sie möchte nur im Gespräch bleiben und empfindet es als hilfreich, dass ihre Psychotherapeutin diesen Wunsch respektiert. Die dem Bereich „interaktionale Beiträge“ zugeordneten Interviewpassagen zeigen, dass die gelingende intersubjektive Ko-respondenz über die Effekte von Interventionen als hilfreich wahrgenommen wird. Eine Psychotherapeutin beschreibt, wie sie darauf eingeht, dass ihre Patientin nicht mit erlebnisaktivierenden Methoden arbeiten möchte:
„Aber wenn dieser Zugang ihr nicht so angenehm ist und sie lieber im Gespräch bleiben möchte, dann bleiben wir einfach im Gespräch. Ja, also und ich glaube, das war für sie ganz wichtig, dass sie das selber gut steuern kann, wie auch die Therapie dann sich anfühlt oder was, was sie braucht in dem ganzen Setting, damit sie sich wohlfühlen kann auch. Genau, also ich bin da sehr auf ihr Tempo eingegangen.“
Patient:innen schätzen diese Haltung und bringen ähnliche Beispiele, wie eine Patientin, die in ihrem Interview mehrmals davon erzählt, wie die Psychotherapeutin auf ihre Wünsche hinsichtlich der Länge der Sitzungen, der Frequenz und der Art der Interventionen eingeht:
„Ich habe sonst auch Sachen äußern dürfen, was mir gefällt, also was ich brauche und was ich nicht brauche. Das habe ich mir bei den früheren Therapien nicht erlaubt zu sagen, bzw. habe ich einfach gemerkt, das kannst du denen jetzt sagen, aber es versteht dich keiner; dass du das brauchst.“
Der Vergleich der Perspektiven in den Dyaden zeigt viele Parallelen und nur wenige Diskrepanzen. Übereinstimmungen treten prägnant in der Gegenüberstellung der Sichtweisen innerhalb der Dyaden hervor und betreffen alle Bereiche bedeutsamer Aspekte. Das folgende Beispiel zeigt die dualen Perspektiven zum selben Therapieereignis, in welchem die Patientin eine selbst geschriebene Geschichte vorliest. Diese erzählt:
„Und dann hatte sie [die Psychotherapeutin] Tränen in den Augen und irgendwie so gesagt, dass ich das ganz gut dargestellt habe und dass sie das … Sie hat immer gesagt, dass sie das gut verstehen kann. Und das hat sich so ehrlich angefühlt. So wie wenn sie mich wirklich verstehen würde.“
Unabhängig davon benennt die Psychotherapeutin dieselbe Szene:
„Also wie gesagt, diese … wie sie mir das, diese, diese Geschichte vorgelesen hat, dieses war sehr, sehr viel gemeinsames Schwingen und wirklich so berührt sein, auch gefühlsangesteckt zu sein.“
Dasselbe gilt auch für negativ wahrgenommene Aspekte: In einer der Dyaden scheint die therapeutische Beziehung schwierig zu sein – ein Therapieabbruch stand im Raum. Der Patient nannte überwiegend hinderliche und nur wenige hilfreiche Aspekte. Trotzdem gab es auch in dieser Dyade viele Kongruenzen mit dem Therapeuten.
Wie sich zeigt, teilen Psychotherapeut:innen zumeist auch die Einschätzung ihrer Patient:innen, wenn Ereignisse außerhalb der Psychotherapie den Outcome im Positiven wie im Negativen entscheidend beeinflussen.
Diskussion
Die Ergebnisse der beiden Analysen zur therapeutischen Beziehung und zu signifikanten Aspekten der Psychotherapie in der Integrativen Therapie aus den qualitativen Daten der POPP-Studie zeigen eine hohe Übereinstimmung untereinander und mit zentralen Ergebnissen der Psychotherapieforschung. Die in beiden Untersuchungen unabhängig voneinander identifizierten Kategorien ähneln sich und spiegeln wesentliche Parameter wider, wie Patient:innen- und Therapeut:innenvariable, Beziehung sowie Interventionen (Constantino et al. 2021). Beide Studien belegen, dass eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung die Grundlage der Behandlung bildet, da sie den Patient:innen ermöglicht, Verständnis für sich selbst zu entwickeln und sich auf schwierige und schmerzliche Themen einzulassen (Horvath 2005). Sowohl Psychotherapeut:innen als auch Patient:innen betonen gemeinsame, in der Interaktion entstandene Aspekte sowie solche, die vor allem durch die Therapeut:innen und ihre Interventionen getragen werden (Del Re et al. 2021). Patient:innen nennen hilfreiche eigene Aspekte seltener und weniger explizit, was darauf hindeutet, dass sie ihren eigenen Beitrag zum Therapieprozess nicht erkennen oder unterschätzen. Integrative Psychotherapeut:innen hingegen sind sich ihres Beitrags an der aktiven Gestaltung sehr bewusst: Sie erwähnen mehrfach das zentrale Beziehungsmodell Integrativer Therapie – das Ko-respondenzmodell (Petzold 1991/2017) – und konzipieren einen intersubjektiven Prozess, der auf Augenhöhe, aber mit unterschiedlicher Prozessverantwortlichkeit aktiv von beiden Interaktionspartner:innen gestaltet wird. So entsteht die therapeutische Beziehung als tragender Wirkfaktor durch eine ständige aktive Abstimmung aufeinander, etwa in Bezug auf Ziele, Interventionen und Rahmenbedingungen (Norcross und Lambert 2018), eine Grundlage, wie sie in humanistischen Verfahren konzipiert ist.
Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass Psychotherapeut:innen der Integrativen Therapie einen zentralen Fokus im psychotherapeutischen Prozess auf die therapeutische Beziehung legen und dabei sich selbst als Person, sowie das persönlich Erlebte im gemeinsamen Prozess einbringen. Die therapeutische Beziehung wird so als Intervention im psychotherapeutischen Prozess eingesetzt. Der Vergleich der Aussagen von Therapeut:innen und Patient:innen bestätigt den Grundgedanken der significant events Forschung, dass hilfreiche und hinderliche Aspekte immer personen- und kontextabhängig zu verstehen sind (Cooper und McLeod 2015). Umso wichtiger ist es, die duale Perspektive, wie in der POPP Studie verwirklicht und im Ko-respondenzmodell theoretisch unterlegt, einzunehmen: Im Gestaltungsprozess der therapeutischen Beziehung sind ständige Abstimmung und Berücksichtigung der aktuellen Situation unerlässlich. Auch extratherapeutische Faktoren werden als hilfreich oder hinderlich genannt, wie auch Lambert in seinem Wirkfaktorenmodell (1992) konzipiert.
Die Daten der Studien können als Einsichten in humanistische Therapieprozesse gewertet werden, in denen vor einem potentialorientiertem Menschenbild beide Partner:innen zum Erfolg der Therapie beitragen. Humanistische Psychotherapeut:innen haben dabei die Verantwortung für den Prozess. Unsere Ergebnisse legen nahe, dass es für einen gelingenden psychotherapeutischen Prozess aus Sicht der Integrativen Therapie wie im gesamten humanistischen Cluster unerlässlich ist, die Sichtweisen der Patient:innen zu berücksichtigen und das therapeutische Vorgehen an ihre individuellen Bedürfnisse anzupassen (Timulak 2010; Schigl und Gahleitner 2013; Norcross und Lambert 2018; Flückiger 2021). Die Aussagen von Patient:innen wie Therapeut:innen lassen sich in das Menschenbild humanistischer Psychotherapien einordnen, wo die Einzigartigkeit, Freiheit und Selbstverantwortung jedes Menschen betont werden (Slunecko 2009). Aus dieser Haltung erwächst in der Integrativen Therapie „intersubjektive Ko-Respondenz“, welche laut den befragten Patient:innen als heilsam erlebt wird.
Danksagung
Wir danken der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften, Krems, Österreich, für ihre Unterstützung durch den Open Access Publikationsfonds.
Interessenkonflikt
M. Denkmayr, C. Werner-Tutschku, Y. Schaffler, T. Probst und E. Humer geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. B. Schigl ist als Editorin in Chief nicht mit dem reviewing der Beiträge dieses Heftes befasst und hatte keinen Einfluss auf die Akzeptanz dieses oder anderer Artikel.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Erfolgreiche humanistische psychotherapeutische Prozesse: Therapeutische Beziehung und signifikante Aspekte aus Sicht von Patient:innen und Therapeut:innen der Integrativen Therapie
verfasst von
Maria Denkmayr Clemens Werner-Tutschku Yvonne Schaffler Thomas Probst Elke Humer Brigitte Schigl