Die alkoholfreien Getränke sind die perfekten Produkte der Hochleistungsgesellschaft. Sagt der Jugendforscher. Der Ernährungswissenschaftler warnt vor dem hohen Zuckergehalt. Der Kardiologe wirbt für H₂O.
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„Energydrinks können einen plötzlichen Herztod auslösen.“ Die Quelle dieser Schlagzeile vom Juni dieses Jahres ist eine US-Studie mit einer Gruppe von 144 Personen, die einen Herzstillstand überlebt haben. Fünf Prozent haben vor dem Ereignis ein solches Getränk konsumiert. Wahrscheinlich stecke dahinter eine genetische Ursache, meinen die Autoren der Untersuchung, Kardiologen von der Mayo Clinic in Rochester im US-Staat Minnesota.
Ist es also gesundheitsschädigend, jeden Tag dosenweise Energydrinks oder Kaffee zu trinken? Wissenschaftliche Evidenz für die Gefährlichkeit fehlt. „Die vorliegende Studie weist jedoch deutliche wissenschaftliche Limitationen auf“, sagt der Kardiologe der tirol kliniken , Martin Reindl. Er erinnert daran, dass die Dosis das Gift macht und ein vernünftiger Umgang mit Energydrinks nicht weiter bedenklich sei. Reindl bricht eine Lanze für das als eher „uncool“ geltende Leitungswasser, das als Durstlöscher die besten Ergebnisse erziele.
Im Gegensatz zu Kaffee haftet den Energydrinks das Image des „Coolen“ an. Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier hält die Energydrinks für die perfekten Produkte, um in der neoliberalen Gesellschaft zu reüssieren. Er gibt zu bedenken, dass mit diesen Getränken nicht nur eine Substanz verkauft wird, sondern auch ein Lebensgefühl. Ähnlich, nur umgekehrt, verhalte es sich mit der Forderung nach legalem Cannabis-Konsum – dem „Downer“ der neoliberalen Gesellschaft.
Ernährungswissenschaftler Tilmann Kühn sagt, dass neben dem Koffein- auch der Zucker-Anteil in den Blick gelangen muss. Man könnte den Konsum bei Kindern in den Griff bekommen, wenn man eine Zuckersteuer einführen würde.
Energydrinks und Kiffen passen gut zur neoliberalen Kultur
Mag. Bernhard Heinzlmaier, Institut für Jugendkulturforschung
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„Natürlich gibt es so etwas wie einen Hype um Energydrinks. Der ist allerdings nicht neu, sondern ist in Wellenbewegungen immer schon da gewesen. Insgesamt zeigt die Kurve des Konsums über die Jahre aber nach oben. Wenn wir Österreich betrachten, dann haben wir es mit einer Art von Energydrink-Monokultur zu tun. Eine Marke hat die meisten anderen verdrängt. Die führende Marke spielt selbstverständlich auch in der Jugendkultur eine nicht unwesentliche Rolle. Das hat vor allem damit zu tun, dass nicht nur ein Produkt als solches verkauft wird, nicht nur die bloße Substanz, sondern eine Lebenswelt, ein bestimmter Lebensstil. Dieses Produkt ist mit dieser Lebenswelt aufgeladen, sie kommt gewissermaßen in dieses Produkt hinein. Dieser Lebensstil pocht auf das Riskante, die Herausforderung. Es geht dabei darum, an die Grenzen zu gehen. Der damit verkaufte Lebensstil sagt im Grunde aus, dass es immer schneller, immer höher, immer weiter gehen muss. Diese Art des Lebens ist klarerweise gut mit dem vorherrschenden Zeitgeist des Neoliberalismus kompatibel. Es ist schlicht ein Steigerungsspiel der Gesellschaft, die auf immer mehr Wachstum abzielt. Dieses Spiel passt bestens mit der Lebenswelt der Energydrinks zusammen.
Im Gegensatz zu Kaffee, der seltsamerweise – obwohl er natürlich ebenfalls reichlich Koffein enthält – für Gemütlichkeit und Entschleunigung steht, steht der Energydrink für die Beschleunigung. Er steht dafür, dass man alles auf die Spitze treiben muss, länger wach sein und mehr leisten muss, und zwar auf dynamischere Art und Weise. Mit dem Energydrink kann man, symbolisch gesehen, einfach mehr erreichen, noch länger arbeiten. Zusammengefasst gesagt ließen sich Energydrinks womöglich als legales Doping bezeichnen.
Dieses ,legale Doping’ muss man in einen größeren Zusammenhang stellen. Denn nicht nur dieser ,Upper’ ist in der Jugendkultur und in der Gesellschaft zu beoachten – dieser steht klar in Zusammenhang mit den sogenannten ,Downer’, dem Kiffen. Kiffen ist das Entgegengesetzte von Energydrinks. Die Diskussion um die Freigabe ist eine Reaktion auf die vorherrschende Hochgeschwindigkeitskultur. Es ist denkbar, dass Kiffen somit als eine Art Kompensationsraum funktioniert, um überhaupt wieder in der Gesellschaft zu funktionieren. Man muss bei all dem Tempo ja auch mal runterkommen, um dann wieder bei diesem Tempo mithalten zu können. Ich kann mir vorstellen, dass man beides gemeinsam verwendet. Es sind zwei verschiedene Ebenen der gleichen Kultur. Beides passt bestens zur neoliberalen Kultur, das eine zum Runterkommen, das andere um Leistung zu erbringen.“
Mag. Bernhard Heinzlmaier, Institut für Jugendkulturforschung
Die Gewöhnung an den Zucker ist das eigentliche Problem
Priv.-Doz. Dr. Martin Reindl, PhD, Universitätsklinik Innere Medizin III, tirol kliniken
privat
„Grundsätzlich ist zu betonen, dass der Konsum von Energydrinks während der vergangenen 20 Jahre enorm zugenommen hat. Von daher ist es wichtig, sich wissenschaftlich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Vor allem, weil die Produkte als Lebensmittel eingestuft werden und sie damit deutlich weniger streng reguliert sind als Arzneimittel. Die vorliegende Studie weist deutliche wissenschaftliche Limitationen auf. Ein kausaler Zusammenhang zwischen Energydrinks und plötzlichem Herztod lässt sich dadurch definitiv nicht ableiten.
Klar ist aber, dass die Inhaltsstoffe der Energydrinks nicht die gesündesten sind. Aber ebenso verhält es sich mit noch weiter verbreiteten Softdrinks. Sieht man sich die Energydrinks an, dann ist zu sagen, dass diese oft mit Alkohol gemischt werden. Und zudem hat das Koffein seine ganz eigene Wirkung. In hohen Dosierungen zu sich genommen kann das ein Gesundheitsthema und ein Gesundheitsrisiko sein.
In diesem Kontext müssen wir vor allem die vulnerablen Gruppen beleuchten. Bei Personen mit geschädigtem Herzen oder auf sonstige vergleichbare Weise erkrankten Menschen kann eine Überdosierung von Energydrinks auch in Verbindung mit Alkohol negative Effekte haben. Das müssen nicht zwingend absolut schwerwiegende Ereignisse sein, aber ich könnte mir eine Verschlechterung von Herzerkrankungen auf alle Fälle vorstellen.
Fakt ist jedenfalls, dass Energydrinks nicht gefährlicher als beispielsweise Softdrinks oder Kaffee sind. Das geben die Daten nicht her. Natürlich ist viel zu viel Zucker drinnen, was wiederum zu Themen wie Diabetes oder Übergewicht führen kann. Herzrasen kann ebenfalls eine Konsequenz sein, wenn man wieder hin zum Koffein kommt.
Es gibt keinen Grund, von Energydrinks pauschal abzuraten. In normalen Mengen sind diese wohl unbedenklich. Dennoch sollte das Bewusstsein geschaffen werden, dass diese Drinks in großen Mengen konsumiert ganz und gar nicht gut sind, vor allem für junge Menschen, bei denen der Konsum weit verbreitet ist. Von daher ist jede Initiative – komme sie von politischer Seite oder von anderswo – begrüßenswert. Auch eine Studie wie die amerikanische ist nicht negativ, denn dadurch kommt das Thema ja aufs Tapet.
Aus meiner Sicht müsste man aber anders und früher anzusetzen: Für viele junge Leute scheinen Softdrinks alternativlos zu sein. Man sieht immer weniger Leitungswasser als Getränk. Es gibt eine größere Gewöhnung an Softdrinks und damit eben auch an Zucker. Das ist das eigentliche Problem.“
Priv.-Doz. Dr. Martin Reindl, PhD, Universitätsklinik Innere Medizin III, tirol kliniken
Verbote von Energydrinks halte ich für nicht zielführend
Prof. Dr. Tilmann Kühn, Zentrum für Public Health, MedUni Wien
MedUni Wien
„Die Studie aus den USA, nach der Energydrinks mit Herzstillstand in Verbindung stehen könnten, ist interessant. Dies ist auch in einer guten, seriösen Fachzeitschrift erschienen. Persönlich habe ich aber Vorbehalte: 144 Personen, von denen sieben Energydrink-Konsumenten wiederbelebt werden mussten, sind eine viel zu kleine Zahl, um daraus fundierte und belastbare Rückschlüsse ziehen zu können. Es ist zudem nicht klar, inwiefern das alles etwa mit Koffein zusammenhängt. Fakt ist nämlich, dass der Koffeingehalt in Kaffee gleich hoch und problematisch sein kann. Die Autoren suggerieren, dass dieser in Energydrinks tendenziell höher wäre. Es ist aber so, dass die meisten Kaffeezubereitungen einen ähnlichen Gehalt wie Energydrinks haben. Es gibt Kaffeearten mit mehr Koffein. Und im Endeffekt ist aus meiner Sicht das Koffein das eigentliche Problem, allerdings nur bei Kindern, Personen, die sehr koffeinintensiv sind oder Patienten mit selteneren genetisch-bedingten Herzerkrankungen. Das ist die eine Seite. Aber es gibt aus der Sicht der öffentlichen Gesundheit viel, das gegen Energydrinks spricht. Neben Koffein enthalten diese Unmengen von Zucker. Es ist äußerst ungünstig, von den Energydrinks viel zu trinken. Zucker hat viele und zum Teil sehr problematische Wirkungen und Nebenwirkungen, vor allem wenn man zu viel davon zu sich nimmt. Ein zu hoher Konsum trägt auch zu Adipositas bei. Die Frage wird sein, wie man auf diese extrem zuckerhaltigen Energydrinks reagiert. In Polen ist gerade der Verkauf von Energydrinks an Kinder verboten worden. Ein reines Verbot halte ich für wenig zielführend. Ich glaube, dass es weitere Mittel gibt.
Eine politische Maßnahme, die in anderen Ländern gute Wirkung zeigt, ist eine Zuckersteuer. Diese führt dazu, dass die Getränke teurer werden, und dazu, dass Hersteller den Zuckergehalt ihrer Produkte und Getränke senken. Das geht oft in kleinen Dosierungen vor sich, sodass der Zuckergehalt immer mehr sinkt. Das ist definitiv sinnvoll. Es ist jedenfalls belegt, dass eine solche Maßnahme verlässlich zu Zuckerreduktion führt bzw. zu einer Reformulierung der Rezepturen. Es geht in Richtung von einem Drittel des bis dahin vorherrschenden Zuckergehalts. Auch die Einschränkung von Werbung, die sich an Kinder und Jugendliche richtet, ist eine Option.
In Österreich sind solche Vorstöße von der politischen Warte her noch nicht sonderlich ausgeprägt. Es gibt offensichtlich Bedenken. Das ist womöglich auch so, weil es in Österreich einige namhafte Getränkehersteller gibt, die mit hohen Zuckerdosierungen arbeiten. Diese Unternehmen lukrieren einen hohen Umsatz. Auch darum wird anscheinend vermieden, dieses Thema anzugehen. In England ist man deutlich weiter.“
Prof. Dr. Tilmann Kühn, Zentrum für Public Health, MedUni Wien