Fallbericht
Zur stationären Aufnahme gelangte ein Patient als Überstellung von einer neurologischen Abteilung. Dort war er einige Tage zuvor aufgrund eines Verwirrtheitszustandes aufgenommen worden. Er verkannte eine fremde Frau als seine eigene verstorbene Gattin und lud sie zu sich nach Hause ein. Bei Aufnahme an unserer Abteilung wirkte der Patient im Gespräch deutlich hilfesuchend. Der Leidensdruck war insgesamt sehr groß, denn seine verstorbene Frau sprach in letzter Zeit immer wieder zu ihm, er konnte sie aber nicht verstehen. Auch ging sie ständig in seiner Wohnung ein und aus.
Ausgeprägte visuelle Halluzinationen sind typisch für Lewy-Body-Demenz
Im Status präsentierte er sich nur zum Ort orientiert, er wähnte sich in einer Gesundheitseinrichtung, welche Werbung für anhaltende Gesundheit mache, war zeitlich desorientiert und konnte auch sein Alter nicht benennen. Der Ductus war weitschweifig, teils inkohärent, verworren mit Paraphasien und mäßig paranoiden Inhalten. Neurologisch zeigte sich eine diskrete Dysthymie im Knie-Hacke-Versuch links, ansonsten ein unauffälliger neurologischer Status.
Der Patient war mobil, selbstständig und lebte allein. An Vorerkrankungen bestand eine koronare Herzerkrankung mit Zustand nach Dreifach-Bypass, welche zu einer medikamentösen Einstellung mit Thrombo ASS führte.
Bereits beim ersten Aufenthalt klagte der Patient über vermehrtes Stürzen, welches auch stationär beobachtet werden konnte. In Zusammenschau der Symptome und Vitalparameterveränderungen diagnostizierten wir eine orthostatische Dysregulation.
Es bestand während des zehntägigen Aufenthalts eine fluktuierende Symptomatik; er wechselte zwischen kohärentem Ductus und angepasstem Verhalten und völliger Verkennung (versuchte die Brille an der Steckdose aufzuladen oder glaubte sich in einem Gefängnis). Eine kognitive Testung ergab einen MMSE-Wert von 22/30 Punkten und der Uhrentest ein Ergebnis von 3/9. Medikamentös wurde er mit Quetialan 25 mg viermal täglich behandelt, welches er auch in Phasen mit erhöhter Unruhe noch zusätzlich als Bedarf benötigte.
Schlussendlich wurde er nach UBG-Ende lt. richterlicher Entscheidung stationsflüchtig. Da laut Richterin keine erhebliche Gefährdung bestand, entschieden wir uns gegen eine polizeiliche Fahndung, dennoch bestand unsererseits Sorge, ob der Patient wohl eigenständig nach Hause finden würde. Nach fehlgeschlagener Kontaktaufnahme mit dem Patienten selbst telefonierten wir mit dem Sohn. Obwohl dieser zu dem Patienten zuletzt kaum noch Kontakt hatte, fuhr er zu ihm nach Hause und informierte uns schließlich, dass der Patient unversehrt zu Hause eingetroffen war.
Einen Monat später gelangte er neuerlich zur Aufnahme, weil er selbst die Rettung alarmierte, da er laut telefonischen Angaben gerade seine Frau reanimierte. Bei Eintreffen der Rettung wurde der Patient allein angetroffen, wirkte insgesamt verloren und schien zu halluzinieren. Der stationäre Aufenthalt blieb sehr kurz, da die Unterbringung neuerlich im Rahmen der Erstanhörung beendet wurde. Trotz fehlender Betreuung zu Hause entschied sich der Patient gegen einen freiwilligen Aufenthalt.
Wenige Tage später wurde er durch den Sohn angekündigt und in Begleitung der Polizei zur Aufnahme gebracht. Der Patient präsentierte sich ablehnend, bagatellisierend, sah keinen Bedarf an Hilfe; es gab keinerlei Krankheitseinsicht. Fremdanamnestisch (Sohn) hatte der Patient zu Hause verdorbene Lebensmittel und sogar Toilettenpapier gegessen. Zudem hatte er den Keller unter Wasser gesetzt, was von dem Patienten verharmlost wurde. Er wirkte im Gespräch misstrauisch, vertraute noch nicht einmal dem eigenen Sohn und gab an, die Medikation abgesetzt zu haben.
Ab diesem Aufenthalt waren die Angehörigen – insbesondere der jüngere Sohn sowie die Ex-Lebensgefährtin – vermehrt präsent und in den Krankheitsprozess involviert. Während der häufigen Besuche erfolgten vermehrt Kontakte zwischen dem medizinischen Personal und den Angehörigen. Wir informierten über die Erkrankung, den Verlauf und die Prognose. Zudem erfolgten mehrere Kontakte mit der Sozialarbeiterin, in denen die Notwendigkeit einer weiterführenden Betreuung für zu Hause sowie einer Erwachsenenvertretung besprochen wurden.
Während des Aufenthalts war der Patient teilweise im Gespräch nicht erreichbar, fand das Zimmer nicht, vergaß zu trinken, glaubte seinen Sohn bei schulischen Aufgaben unterstützen zu müssen. Die zunehmende Störung der Exekutivfunktionen wurde immer deutlicher, der Patient wirkte planlos, apathisch und im Werkzeuggebrauch apraktisch.
Die Wiederholung des kognitiven Status deutete ebenfalls auf eine Verschlechterung hin, der Uhrentest ergab nun einen Wert von 0; im MMSE erreichte er nur noch 19 Punkte, was verglichen mit der Klinik immer noch viel schien. Im EEG fanden sich intermittierend leicht- bis mittelgradige Einlagerungen von Theta- und niedrigen Deltawellen bitemporal, was, wie erwartet, unspezifischen Veränderungen entsprach. Im bildgebenden Verfahren (3-T-MRT) zeigten sich eine frontal betonte Hirnatrophie und leichte mikroangiopathische Veränderungen.
Stürze infolge orthostatischer Hypotonie blieben ohne Verletzungsfolgen.
Vor Entlassung wurde eine tägliche Betreuung durch das Hilfswerk organisiert. Bei Entlassung bestand eine Medikation mit 125 mg Quetialan Tagesdosis, aufgeteilt auf vier Einzeldosen.
Weitere zwei Monate später kam es zu einer neuerlichen Aufnahme, diesmal nach Amtsarzteinweisung in Rahmen eines Polizeieinsatzes. Diese wurde aufgrund tätlicher Aggression gegenüber der Heimhilfe (der Patient ging mit einem Regenschirm auf sie los) alarmiert. Auch tags zuvor kam es zu einem Großeinsatz mit Polizei und Feuerwehr, weil der Patient vergessen hatte, die Herdplatte wieder abzudrehen und sich deshalb ein Feuer entzündete.
Die Verschlechterung der Symptomatik wurde nun deutlicher, insbesondere fielen jetzt auch körperliche Symptome auf, der Patient ging schlechter, war unsicher und kleinschrittig im Gangbild mit Retropulsion und Breitbasigkeit und vermindertem Mitschwingen der Arme; zusätzlich zeigten sich ein linksbetonter Rigor und eine reduzierte Mimik. Die Orientierung wurde deutlich schlechter, er fand oftmals das Zimmer nicht, bei Ansprache suchte er die Sauna oder das Schwimmbad, der Ductus war phasenweise völlig verworren mit Wortfindungsstörungen, Konfabulationen und Neologismen, die Wahninhalte wurden deutlicher, er wurde zunehmend misstrauisch, paranoid, spuckte die Medikamente aus oder zerstampfte sie. Auch zeigte er sich zunehmend dysphor mit gelegentlichem Impulskontrollverlust und Wutausbrüchen.
Delirante Episoden sind auch in einer LBD möglich
Aufgrund dessen starteten wir einen Versuch mit einem Rivastigmin-Pflaster 4,6 mg, welches wir nach nur wenigen Tagen aufgrund vermehrter und offensichtlich belastender Angetriebenheit wieder absetzen mussten. Infolge erhöhten wir die Dosis von Quetialan in den antipsychotisch wirksamen Bereich auf 300 mg. Darauf kam es zu Zunahme von Bewusstseinstrübung, völliger Inkohärenz im Ductus, Angstüberflutung, Schlaflosigkeit, Einnässen bzw. Urinieren an verschiedenen Stellen im Zimmer etc., sodass der Patient intermittierend zum Selbstschutz im Geriatriestuhl fixiert werden musste.
Unter Annahme einer Verschlechterung im Rahmen der Dosiserhöhung reduzierten wir die Medikation wieder. Der erwartete Erfolg blieb jedoch aus. Er schlug um sich, kratzte und biss das Pflegepersonal und schrie während der täglichen Visiten. Im Labor zeigten sich erhöhte Entzündungswerte und im Lungenröntgen bildeten sich Infiltrate beidseits ab, welche mit einem Breitbandantibiotikum behandelt werden mussten. Die Stimmung wechselte zwischen Ablehnung und völliger Apathie.
Erschwerend kam in diesem Stadium der Erkrankung nun auch eine Dysphagie hinzu. Auch diese musste mehrmals mit den Angehörigen besprochen werden, da sie dem Patienten immer wieder Speisen mitbrachten. Schlussendlich konnte der Patient Nahrung nur noch eingedickt zu sich nehmen. Unter logopädischer Betreuung musste nun eine Entscheidung für die Zukunft besprochen werden. Es erfolgte ein Familiengespräch mit dem Sohn, der zu diesem Zeitpunkt bereits Erwachsenenvertreter war, und der Ex-Lebensgefährtin. Wir klärten über die Prognose der Dysphagie auf und besprachen die weiterführende Betreuung. Ein Antrag für ein Pflegeheim war bereits durch den Sohn in Unterstützung unserer Sozialarbeiterin gestellt, dennoch überlegten die Angehörigen, den Vater mit einer 24-h-Hilfe betreuen zu lassen. Hinsichtlich der PEG-Sonde erfolgte noch ein klinisches Ethikkomitee, in dem interdisziplinär beschlossen wurde, dass der Patient in Zukunft über eine Sonde ernährt werden sollte. Die Anlage erfolgte im Anschluss ohne Komplikationen; eine Einschulung im Umgang mit dieser erfolgte für die Angehörigen am Krankenbett.
Im Anschluss konnte er nach Organisation einer 24-h-Pflege nach Hause entlassen werden.
Zwei Jahre danach wurde er im Rahmen eines respiratorischen Infektes auf der internen Abteilung aufgenommen, wo er schließlich im Rahmen einer kardiovaskulären Insuffizienz verstarb.
Diskussion
Die allgemein gültigen Diagnosekriterien [
2] fordern 2 von 3 Kernsymptomen für eine wahrscheinliche Lewy-Body-Demenz. Differentialdiagnostisch kommen andere neurodegenerative Erkrankungen und ein Delir infrage.
Kernsymptome der LBD: fluktuierende Symptomatik, visuelle Halluzinationen, Parkinson-Symptome
Im Falle einer Lewy-Body-Demenz entwickelt sich der Krankheitsprozess über Wochen oder Monate, während ein Delir ein akutes Geschehen mit potenziell reversiblem Ausgang darstellt. So offensichtlich diese Fakten in der Theorie sind, so schwierig ist oft die klinische Differenzierung.
Leitsymptom beider Erkrankungen ist die kognitive Verschlechterung, welche in beiden Fällen Fluktuationen unterliegt. Delirante Episoden verändern sich im Tagesverlauf (Sundowning-Phänomen), während am Anfang einer LBD Phasen mit unauffälligem Verhalten vorkommen. Fluktuationen betreffen auch Wachheit und Aufmerksamkeit, ebenso kann es in beiden Erkrankungen zu einer psychotischen Symptomatik kommen. Typisch für delirante Episoden ist die Affektlabilität. Apathie und Depression kommen hingegen oft in der LBD vor [
3].
Körperliche Symptome sind in der LBD extrapyramidal motorischen Charakters, typisch im Delir sind allgemeine Ruhelosigkeit und Überaktivität oder seltener Stupor. Delirante Episoden sind oft begleitet von Schlaflosigkeit und Biorhythmusstörungen, bei LBD-Erkrankten können im Verlauf alle Arten von Schlafstörungen vorkommen, im speziellen auch REM-Schlaf-Verhaltensstörungen.
Therapeutisch muss im Rahmen eines Delirs die Ursache behoben werden, delirogene Pharmazie ist abzusetzen, anticholinerge Pharmaka sollten vermieden werden. Allgemeine Maßnahmen wie Vermeidung unnötiger Reize, aber auch sensorischer Deprivation, Bezugspflege, vermehrte Tagesaktivierung und Förderung der tagesrhythmischen Gegebenheiten sowie Miteinbeziehung der Angehörigen stehen im Vordergrund. Sollte dennoch die Therapie ohne Medikation nicht auskommen, kommen Antipsychotika wie Haloperidol, Risperidon und Quetialan zum Einsatz; bei Unruhe und oder Schlafmangel Melperon oder Prothipendyl [
4].
Auch die Medikation der LBD ist zumeist symptomorientiert. Leitliniengetreu gibt es für Antidementiva nur eine „Kann-Empfehlung“, Rivastigmin und Donepezil sollen das Verhalten positiv verändern und die Funktionalität in den ADLs verbessern [
5].
Nur wenige Antipsychotika indizieren keine EPS und/oder sind nicht anticholinerg wirksam, sodass in der Klinik im Grunde nur Quetialan Anwendung findet, welches in der LBD trotz Nebenwirkungen einen positiven Effekt zeigen kann [
6]. Es muss auf langsames und vorsichtiges Eindosieren geachtet werden; höhere Gaben von Antipsychotika können mit Eintrübungen des Bewusstseins und selten dem Tod einhergehen. Möglicherweise beeinflussen auch Antidementiva Psychosen positiv.
Kognitive Veränderungen in der LBD betreffen exekutive Funktionen und visiokognitive Fähigkeiten
Mögliche Motorsymptome können mit einer Levodopa-Monotherapie behandelt werden. Beachtet werden muss, dass diese Therapie zwar wirksam auf Motorsymptome ist – und zwar umso wirksamer, je jünger die Patienten sind [
6] –, aber oftmals Psychosen verursacht.
Der orthostatischen Dysfunktion soll mit langsamem Aufstehen, aufrechter Körperhaltung und ausreichend Flüssigkeitszufuhr entgegengewirkt werden. Die verlangsamte Magenentleerung (korreliert mit der Schwere der motorischen Symptomatik), welche die Absorption sämtlicher Medikamente verlängert, kann mit fettarmer Kost und körperlicher Bewegung nach dem Essen therapiert werden [
7].
Körperliche Symptome des fortgeschrittenen Stadiums sind erhöhter Speichelfluss und Dysphagie, welche in Symptomkombination aber auch jeweils für sich zu Aspirationspneumonie führen können. Logopädische Betreuung und als Ultima Ratio das Setzen einer PEG-Sonde können daher notwendig werden.