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Ärzte Woche

08.10.2024 | Gesundheitspolitik

Welche Stücke muss die Regierung spielen

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Wir haben Vertreter aus dem Kreis der Ärzteschaft, der Pflege und der Kinderrechte gefragt, welche Maßnahmen eine nächste Bundesregierung angehen oder fortsetzen muss, unabhängig von ihrer Zusammensetzung.

Die Zeit von Schwarz-Grün ist abgelaufen, gerade hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen die Chefs der drei größten Parteien zu Vorgesprächen vergattert. Das Resümee über Schwarz-Grün fällt aus Sicht der Gesundheits- und Pflege-Experten ambivalent aus. Einiges sei zwar gelungen, manches auf der Strecke, anderes unvollendet geblieben. „Uns rennt die Zeit davon“, trauert etwa Elisabeth Potzmann vom Gesundheits- und Krankenpflege-Verband ÖGKV dem scheidenden Gesundheitsminister Johannes Rauch nach.

So oder so steht ein politischer Wechsel an. Aus aktueller Sicht ist es zwar noch unklar, mit welcher Farbkonstellation wir es zu tun bekommen, doch gibt es eine Reihe von Gesundheitsthemen, die jede Regierung angehen muss. UNICEF-Geschäftsführer Christoph Jünger nennt folgende Punkte: Kinderrechte müssen gestärkt werden, der Umgang mit mentaler Gesundheit grundsätzlich besser aufgestellt sein. Elisabeth Potzmann hat vor allem einen Wunsch: Die Akademisierung der Pflege- und Gesundheitsberufe, die unter Schwarz-Grün angegangen wurde, dürfe keinesfalls zurückgenommen werden.

Prof. Dr. Beatrix Volc-Platzer, die Vizepräsidentin der Karl Landsteiner Gesellschaft, fordert von der nächsten Regierung, dass das „geballte Wissen“ der Gesundheitsexperten endlich genutzt werde. Der Mitbegründer der Gesellschaft, Prof. Dr. Robert Fischer, erkennt „ein Defizit bei der Prävention. Der Patient selbst ist der wichtigste Coproduzent der eigenen Gesundheit. Dazu braucht er entsprechendes Know-how“, spricht sich Fischer für Investitionen in die Gesundheitskompetenz aus.

Mehr Ärzte im System? Das sieht die Berufsgruppe skeptisch. „Dafür braucht es eine faire Honorierung“, sagt Kamaleyan-Schmied.

Markus Stegmayr

Modernisierung der Jobs im Gesundheitswesen steht an

(Mit Beatrix Volc-Platzer hat Martin Křenek-Burger gesprochen.) „Die Karl Landsteiner Gesellschaft ist politisch unabhängig, dennoch nehmen wir aktiv am politischen Geschehen teil. So findet monatlich das Gesundheitspolitische Forum statt. Zuletzt waren vor der Wahl die Gesundheitssprecher der Parteien eingeladen, um über die Herausforderungen der Zukunft zu diskutieren.*

Normalerweise, wenn man gefragt wird, welche Maßnahmen eine künftige Regierung auf jeden Fall umsetzen muss, kommt als Antwort die Forderung nach mehr finanzieller Unterstützung. Ich sehe das etwas differenzierter. Ich würde meinen, und gerade die Karl Landsteiner Gesellschaft hat so viele renommierte Expertinnen und Experten, dass ich jeder zukünftigen Regierung raten würde, dass sie dieses geballte Wissen mehr nützt. Zu wenige der Protagonisten im Gesundheitswesen werden zurate gezogen, und wenn doch, dann wird zu wenig von deren Ratschlägen umgesetzt. Gerade von den erfahrenen Mitgliedern dieser Gesellschaft und von den akademischen Lehrkörpern.

Das ist das eine. Das andere, was gemacht werden müsste, ist eine Modernisierung und ein Anlegen von neuen Profilen für Jobs im Gesundheitswesen. Das fängt bei den Leitern von Gesundheitsinstitutionen an, die oft nach veralteten Gehaltsschemata bezahlt werden, oft verbunden mit rigiden Dienstzeiten. Hier ist Kreativität gefragt. Aber ich denke, dass man auf diese Weise viele ältere Mitarbeiter noch einmal abholen und junge hineinholen kann.

Bei den Primarärzten und -ärztinnen ist es je nach Bundesland unterschiedlichm geregelt. In diesem Bereich könnte man auch überlegen, ob man nicht Dienstverträge und Gehaltsschemata anpasst, dass man ihnen wieder gewisse Freiheiten und Verantwortlichkeiten zurückgibt – etwa die finanzielle Hoheit und die Personalhoheit –, dafür aber regelmäßige Evaluierungen einführt.“

Prof. Dr. Beatrix Volc-Platzer, Vizepräsidentin der Karl Landsteiner Gesellschaft und stv. Leiterin des Instituts für pädiatrische Dermatologie und seltene Erkrankungen

Wir brauchen einen Master für Spezial-Pflegekräfte

„Wenn wir über eine kommende Bundesregierung reden, möchte ich zurückblicken, was unter Schwarz-Grün gelungen ist und was nicht. Diese Regierung muss man unter dem Blickwinkel der Pandemie betrachten. In Anbetracht dessen war einiges dabei, was noch bis vor fünf, sechs Jahren undenkbar gewesen ist. Es hat zumindest – und das ist mir sehr wichtig – ein klares Bekenntnis zur Professionalisierung und Akademisierung der Pflege gegeben. Gute Pflege braucht nämlich davor eine gute, die beste Ausbildung.

Dieser Bereich war ja bisher zum Teil gar nicht akademisiert. Bisher war es zweigeteilt: Es gab eine berufliche Ausbildung und eine FH-Ausbildung nebeneinander. Die berufliche Ausbildung läuft nun aus. Dieser Schritt wurde jetzt endlich gegangen. Es gab da massiven Widerstand und es ist auch darauf zu achten, dass dieser richtige und wichtige Schritt nicht wieder rückgebaut wird.

In dieser Hinsicht kann ich auch schon ein wenig in die Zukunft blicken. Von Seiten mancher Partei wurde in Aussicht gestellt, dass dieser Schritt rückabgewickelt werden würde. Aus deren Sicht ist eine Akademisierung nicht notwendig. Ich bin da ganz anderer Meinung und spreche mich jetzt schon vehement dagegen aus, sollte es zu dieser Diskussion oder gar zur Umsetzung kommen.

Ein Rückbau der Akademisierung wäre fatal, weil wir das schiere Gegenteil brauchen. Wir müssen den Weg der Akademisierung bewusst weitergehen! Das war eigentlich auch von dem derzeitigen Gesundheitsminister Johannes Rauch (Die Grünen) geplant. Er konnte es wohl aus Zeitgründen nicht umsetzen. Jetzt läuft uns gewissermaßen die Zeit davon.

Unter einer neuen Bundesregierung muss es so weitergehen. Es braucht etwa die Master-Ebene für sehr spezialisierte Pflegekräfte. Ich denke da an Pflegekräfte für chronische Kranke, etwa in der Onkologie. Da braucht es Spezialisierung, damit diese Pflegekräfte auch versorgungswirksam werden. Ich denke, wir brauchen eine Strukturreform im Gesundheitssystem. Die dem Krankenhaus vor- und nachgelagerten Systemen müssen ausgebaut werden. Die Befugnisse der Gesundheitsberufe müssen dem angepasst sein. Die Patientenlenkung über 1450 ist ein guter Anfang. Dieses Vorgehen, Erstkontakt und Patientenlenkung, könnte auch auf Gesundheitszentren ausgeweitet werden. Wenn nicht jeder Kontakt mit dem Gesundheitssystem zwangsläufig ein Arztkontakt ist, werden hier Ressourcen frei.“

Mag. Elisabeth Potzmann, Präsidentin im Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverband ÖGKV

Bei Fast-Food-Werbung auf Kinderschutz achten
 

„An eine kommende Bundesregierung – unabhängig von der Koalitionskonstellation – haben wir konkrete Erwartungen. Bedürfnisse von Kindern mit Behinderung und vulnerablen Gruppen sollten deutlich stärker im Fokus stehen. Neben verbessertem Zugang zu psychosozialen Diensten braucht es für Kinder mit Behinderung einfacheren, uneingeschränkteren, barrierefreieren und gemeindenahen Zugang zu zu allen für sie relevanten Leistungen im Gesundheitswesen. Wir erachten es als wichtig, ein Begutachtungssystem zu entwickeln, mithilfe dessen der Pflegebedarf von Kindern und Jugendlichen entsprechend den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention erhoben wird. Auch gilt es, Kinder mit Behinderung und/oder chronischen Erkrankungen insgesamt durch den Ausbau und die Finanzierung von Versorgungsangeboten noch stärker zu unterstützen. Nicht zuletzt sollte der Abbau von bürokratischen Hürden und eine Vereinheitlichung der Rechte und Leistungen durch länderübergreifende Vereinbarungen vorangetrieben werden.

Wir wissen, dass jungen Menschen stark von vergangenen und gegenwärtigen Krisen belastet sind. Gerade während der COVID-Pandemie stieg die Zahl an Kindern und Jugendlichen, die unter psychischen Erkrankungen leiden, stark an. Eine aktuelle Studie zur Gesundheit österreichischer Schülerinnen und Schüler ab der 5. Schulstufe zeigt, dass 22 Prozent der Mädchen und 10 % der Burschen Anzeichen einer Depression aufweisen. Rund 20 Prozent der jungen Menschen in Österreich leiden zudem – und das ist eine alarmierende Zahl – an einer chronischen Erkrankung. Wir begrüßen ausdrücklich die Neufassung der Kinder- und Jugendgesundheitsstrategie. Ganz generell sehen wir Aufholbedarf in Bezug auf leistbarere Gesundheitsangebote für Kinder. Das Thema mentale Gesundheit braucht sehr viel mehr Aufmerksamkeit, therapeutische Angebote sollten stark ausgebaut werden. Darüber hinaus sehen wir Bedarf, Kinderschutz im digitalen Raum zu stärken sowie niederschwellige Präventionsangebote wie Gesundheitsförderungsprojekte bezüglich Bewegung, Ernährung und sozialer Teilhabe auszubauen. Was wir gerne im gesellschaftlichen Diskurs als selbstverständlich annehmen: Jedes Kind soll Zugang zu einem warmen und gesunden Mittagessen haben. Wir regen darüber hinaus an, den Kinderschutz auch hinsichtlich der Werbung für Fast Food zu stärken.“

Mag. Christoph Jünger, MBA, UNICEF-Österreich-Geschäftsführer

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Metadaten
Titel
Welche Stücke muss die Regierung spielen
Schlagwort
Gesundheitspolitik
Publikationsdatum
08.10.2024
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 42/2024

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