Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
01:15 Uhr
Beide diensthabenden Anästhesieteams sind mit Notfallpunkten beschäftigt. Ein Anruf von der Kinderintensivstation kündigt ein zweijähriges Mädchen mit Hämoglobin(Hb)-wirksamem Nasenbluten zur Blutstillung im OP an.
Zusammengefasst ergibt sich folgende Anamnese: Gegen 21 Uhr wird vom Notarzt ein bis kurz zuvor unauffälliges Kind nach einer Episode mit starkem Nasenbluten und Bluterbrechen somnolent und leicht tachykard, aber mit sonst normwertigen Vitalparametern in die interdisziplinäre Notaufnahme gebracht. Dort kommt es bei Aufnahme zu einem weiteren Blutungsereignis. Nach Sistieren der Blutung, klinischer Besserung durch Gabe von 250 ml kristalloider Infusionslösung (25 ml/kg bei 10 kgKG) und unauffälliger Abdomensonographie wird das Kind gegen 22:30 Uhr auf die pädiatrische Normalstation aufgenommen. Das Labor zeigt sich – bis auf einen durch Verdünnung erwartungsgemäß gefallenen Hb – verbessert.
Anzeige
Die Fremdanamnese über die Eltern ergibt einen ASD II (Vorhofseptumdefekt Typ II) und eine stattgehabte COVID-Infektion vor zwei Wochen, mit Genesung seit einer Woche. Insbesondere ein vorhergehender Sturz oder ein Fremdkörpergeschehen, eine vorbekannte Gerinnungsstörung, eine Dauermedikation oder eine aktuelle Medikamenteneinnahme sowie Allergien werden verneint.
Eine weitere Kontroll-Blutgasanalyse um 00:05 Uhr ergibt ebenfalls stabile Werte (Tab. 1). Um 00:30 Uhr kommt es zu einer erneuten relevanten Blutungsepisode auf der Normalstation. Die diensthabende HNO-Ärztin wird informiert und das Kind nach Infusion von 150 ml Kristalloid (15 ml/kg) auf die Kinderintensivstation verlegt. Dort werden 300 mg Tranexamsäure verabreicht (30 mg/kg), das Kind klart unter Transfusion eines Erythrozytenkonzentrats (23 ml/kg Push and Pull) wieder zunehmend auf und die Vitalparameter stabilisieren sich vorübergehend. Aufgrund weiter rezidivierender Blutungen und erschwerter Untersuchungsbedingungen wird entschieden, eine Blutstillung in Allgemeinanästhesie im OP durchzuführen und der diensthabende Anästhesist wird kontaktiert.
Tab. 1
Entwicklung der kapillären Blutgasanalysen und Vitalwerte
Die Eltern werden durch HNO und Anästhesie aufgeklärt (u. a. Blutaspiration, Intubations‑/Beatmungsschwierigkeiten, Nachbeatmung bei z. B. Tamponade auf PICU). Dann wird das Kind gemeinsam in den OP verbracht. Auf dem Weg scheint sich das Kind trotz laufender Transfusion klinisch zu verschlechtern, sodass eine Vorwärtsstrategie zur raschen Kontrolle der Blutung angeraten scheint.
01:52 Uhr: Eintreffen im OP
Nach Anlage des Standard-Monitorings, rascher Besprechung des Vorgehens im Team (inklusive HNO und OP-Pflege) wird die Narkose unter laufender Infusion und Transfusion induziert. Nach oralem Absaugen wird das Kind primär videolaryngoskopisch problemlos intubiert und der Situs an die HNO freigegeben. Beim Versuch der sonographisch gezielten Anlage eines arteriellen Zuganges ist die A. radialis nicht darstellbar, die Leistengefäße zeigen sich maximal schlecht gefüllt. Über die zwei liegenden blauen Venenverweilkanülen werden weiter Erythrozytenkonzentrate (EK) per Push and Pull verabreicht. Vonseiten der HNO kommt die Rückmeldung, dass es keine nasale Blutungsquelle gebe, sondern das Blut aus dem Ösophagus nach oben drücke. In der orientierenden Sonographie zeigt sich ein riesiger gefüllter Magen und ein global schlecht gefülltes Herz. Es werden weitere EKs in der Blutbank sowie Fibrinogen und PPSB von der Intensivstation bestellt. Parallel wird versucht, dem trotz Drucktransfusion zunehmend schockierten Kind weitere großlumige Zugänge zu legen. Nach verschiedenen frustranen Punktionsversuchen wird ein i. o.-Zugang tibial sowie ein i.v.-Zugang in der V. jugularis interna etabliert. Dies wird möglich, da die HNO zwischenzeitlich – nach ebenfalls frustranen Versuchen die Blutung aus dem Ösophagus zu stoppen – den Endoskopiedienst gerufen und nach ösophagealem Abstopfen den Zugang zum Hals freigegeben hat. Kurz vor Eintreffen des Endoskopiedienstes wird das Kind unter Massivtransfusion reanimationspflichtig. Der Magen wird nach oben ausgestrichen, es entleert sich mindestens 1 l Blut/Koagel. Im Weiteren wird versucht, unter Reanimation die Blutung im Ösophagus mittels Unterspritzung und Clipping in den Griff zu bekommen.
Anzeige
In Summe werden verabreicht:
5 EKs (1250 ml = 12 × 10 ml/kg)
4 g Fibrinogen (= 13 × 30 mg/kg)
1000 IE PPSB (= 4 × 25 IE/kg)
12 ml Calciumglukonat (= 4 × 0,3 ml/kg)
600 mg Tranexamsäure (= 4 × 15 mg/kg)
1500 ml Kristalloid (= 15 × 10 ml/kg)
800 µg L-Adrenalin (= 8 × 10 µg/kg)
3:26 Uhr OP
Die Blutung erweist sich als endoskopisch nicht kontrollierbar, in CPR-Pausen zeigt sich eine inzwischen auch sonographisch aktionslose Asystolie, sodass bei weiten lichtstarren, entrundeten Pupillen im Konsens mit den anwesenden Fachabteilungen Anästhesie, Pädiatrie, HNO, Chirurgie und Innere Medizin (Endoskopie) die Reanimationsbemühungen eingestellt werden.
Es erfolgt eine kurze Nachbesprechung im Team. Die Eltern werden gemeinsam informiert und bis 6 Uhr im Aufwachraum bei dem verstorbenen Kind betreut.
9:30 Uhr Fallbesprechung in der Pathologie
In der Obduktion zeigt sich als Todesursache Verbluten aus einer aortoösophagealen Fistel (Sonde in Abb. 1). Diese mündet im Ösophagus 4 cm oberhalb der Kardia in einer etwa 20 mm großen runden nekrotischen Läsion. Eine Literaturrecherche lässt auf eine Knopfbatterie des Typs CR 2032 (Abb. 2) als Ursache schließen. In der Folge werden von der zuständigen Pathologin Versuche mit Knopfbatterien an frischem Schweineösophagus durchgeführt (Abb. 3). In Übereinstimmung mit der Literatur zeigt sich hier bereits nach wenigen Stunden ein makroskopisch und mikroskopisch den Obduktionsbefund erklärendes Bild (Abb. 3). Die Batterie selbst wurde nicht im Situs gefunden.
Abb. 1
a Obduktionspräparat des Ösophagus mit mittig durchschnittener, runder, blutig nekrotischer Läsion ca. 4 cm oberhalb der Kardia. Sonde in der aortoösophagealen Fistel. b Obduktionspräparat der Aorta descendens mit Sonde in der aortoösophagealen Fistel. (Mit der freundlichen Genehmigung von GOÄ Fr. Dr. Susanne Dertinger, LKH Feldkirch, Abteilung Pathologie)
Abb. 2
a Knopfzellbatterie CR 2032 und 10-Cent-Münze im Vergleich. b Profilaufnahme: Knopfzellbatterie links, mit typisch sich konisch verjüngendem Minuspol, verantwortlich für den zu Münzen differentialdiagnostischen „double halo“ siehe c. c Symbolische Darstellung einer Knopfzellbatterie im Röntgenthorax: „double halo“. d Darstellung einer Münze im Röntgenthorax [1]
Abb. 3
a Schweineösophagus nach Knopfzellbatterieversuch. b Kindlicher Obduktionssitus des Ösophagus, siehe auch Abb. 1. (Mit der freundlichen Genehmigung von GOÄ Fr. Dr. Susanne Dertinger, LKH Feldkirch, Abteilung Pathologie)
×
×
×
Diskussion
Tödlich verlaufende Blutungen nach Knopfbatterieingestion sind ein seltenes, aber in der Literatur wiederholt und mit zunehmender Häufigkeit beschriebenes Ereignis [2]. Im vorliegenden Fall war nie von einem Fremdkörperereignis die Rede. Weder wurde ein solches beobachtet noch wurden zu irgendeinem Zeitpunkt die klassischen, wenn auch unspezifischen Symptome wie Schluckbeschwerden, Speicheln, Fieber, Husten oder Übelkeit seitens des Kindes präsentiert oder von den Eltern berichtet [3]. Das führende Symptom Bluterbrechen mit nasalem Blutaustritt war entsprechend irreführend und wurde von allen Beteiligten als verschlucktes Blut bei Nasenbluten interpretiert. Aufgrund der Blutungsschwere wurde direkt vor der Operation differentialdiagnostisch unter anderem an ein seltenes nasopharyngeales Tumorgeschehen gedacht. Retrospektiv muss das Blutungsereignis als eine in der Literatur beschriebene „Sentinelblutung“ bei aortoösophagealer Fistel gedeutet werden [4]. Der zeitliche Abstand zwischen Batterieingestion und Blutung bleibt in unserem Fall unklar. Es sind Verläufe mit Massenblutungen nach weniger als 12 h beschrieben [5], aber ebenso auch Verläufe mit großer Latenz nach endoskopisch entfernter Batterie, Entlassung am 12. Tag nach 3 Kontroll-MRTs und erneuter Notfallhospitalisierung mit fulminanter Blutung nach 25 Tagen [6]. In unserem Fall wurde die Batterie selbst nicht gefunden. Möglich ist ein Verlust mit dem ersten Erbrechen zu Hause, aber auch ein zweizeitiges Geschehen mit Schleimhautschädigung bis zu ca. 4 Wochen vor dem Blutungsereignis.
Die Problematik einer Batterieingestion wird häufig in einer Korrosionsfolge im Magen durch Freiwerden von „Batteriesäure“ vermutet. Tatsächlich ist der gravierendste Schädigungsmechanismus bei Inkarzeration im Ösophagus das Umschließen und Kurzschließen der Batterie mit feuchter Schleimhaut. Im Hundemodell konnte gezeigt werden, dass die dabei am Minuspol (s. Abb. 2b) entstehenden Hydroxidionen (OH−) innerhalb von 15 min zu einer relevanten Schleimhautschädigung im Sinne einer Kolliquationsnekrose führen und innerhalb einer Stunde die Trachea erreichen können [7]. Neben lebensbedrohlichen Blutungen sind mit ebenfalls hoher Mortalität und Morbidität verbundene ösophagotracheale Fisteln, Stenosen und Infektionen (u. a. Mediastinitis, Spondylodiszitis) beschrieben.
Die im Magen befindliche Salzsäure kann theoretisch bei gastraler Lage der Knopfzelle die am Minuspol entstehenden Hydroxidionen puffern. In der Literatur werden die Dringlichkeit und das Vorgehen bei gastraler im Vergleich zu ösophagealer Lage entsprechend unterschieden [8]. Dennoch konnte in einer Auswertung von 68 Kindern mit gastraler Knopfzellbatterielage gezeigt werden, dass insbesondere bei einer Verweildauer von > 12 h auch im Magen Schleimhautschäden bis hin zur Perforation auftreten können [9].
Sowohl das Risiko des ösophagealen Steckenbleibens als auch die Stromstärke machen 20 mm, 3 V-Lithium-Knopfzellbatterien des Typus CR2032 bei Kindern < 5 Jahren zur Hauptgefahr [10]. Aus der raschen Schädigungskinetik bei ösophagealen Lage ergibt sich die im Vergleich zur diagnostizierten gastralen Lage hohe Dringlichkeit.
Anzeige
Es gibt in diesem Zusammenhang nur wenige Fallberichte von überlebten aortoösophagealen Blutungen [11]. In einem Fall wurde nach überbrückender Blutungsverminderung mit einer ösophagealen Sengstaken-Sonde erfolgreich ein endovaskulärer Stent in die Aorta platziert [12]. In anderen Fällen konnte die wegweisende CT-Diagnostik noch unter akzeptablen Kreislaufverhältnissen durchgeführt werden. Wichtig scheint hier die diagnostische Idee einer aortoösophagealen Fistel nach einer etwaigen Sentinelblutung zu sein.
Generell scheint auch trotz wiederholter Artikel in der deutschsprachigen Laienpresse die spezielle Problematik bei Eltern wenig bekannt zu sein.
Als Erstmaßnahme durch die Eltern wird für Kinder > 1 Jahr bis zu 12 h [5] nach Verschlucken der Batterie die Verabreichung von 2 TL Honig zur Verminderung des Kurzschlussstromes bzw. zur Neutralisation der entstehenden Lauge empfohlen [13].
Wir schließen uns den Empfehlungen verschiedener Übersichtsartikel und Leitlinien an, im jeweiligen Krankenhaus einen Behandlungsalgorithmus mit den beteiligten Abteilungen (Pädiatrie, Radiologie, HNO, Endoskopie, Anästhesie) festzulegen und z. B. durch eine interdisziplinäre Fortbildung für die Problematik zu sensibilisieren [8, 14, 15].
Anzeige
Interessenkonflikt
E. Reithmeier gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.