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Ein 32-jähriger Patient wird wegen rezidivierender Schmerzen in den Fingerspitzen der linken Hand vorstellig. Was könnte es sein?
Der Lokalbefund zeigt unauffällige Fingerspitzen und Endglieder der linken Hand – keine Rötung, keine Schwellung, keine Druckschmerzhaftigkeit und eine normale Rekapillarisierung.
Der Brachialispuls bzw. die Unterarmpulse der A. radialis und A. ulnaris sind gut tastbar, das Hoffmann-Tinel-Zeichen ist negativ. Sensibilität und Motorik im Bereich der oberen Extremitäten zeigen ebenfalls keinen pathologischen Befund.
Eine Morgensteifigkeit bzw. Schwellung werden vom Patienten negiert. Die Medikamentenanamnese ist negativ, außer einem chronischen Nikotinkonsum (derzeit zehn Packungsjahre) sind keine atherosklerotischen Risikofaktoren erhebbar. Ein Kälteprovokationstest bzw. ein durchgeführtes EMG sind unauffällig.
Der zweite Besuch
Nach zwei Wochen wird der Patient erneut vorstellig. Er berichtet von einer Zunahme der Beschwerden bzw. zeigen die Fingerkuppen der ersten drei Finger nekrotische Veränderungen.
In der farbkodierten Duplexsonografie zeigen sich eine unauffällige A. brachialis, A. subclavia, A. radialis, A. ulnaris bzw. ein durchgängiger Arcus palmaris.
Das Gerinnungslabor ist unauffällig, in der Familie sind keine thromboembolischen Ereignisse erhebbar.
Bei erneutem Nachfragen gibt der Patient regelmäßigen Drogenkonsum von Amphetaminen sowie Kokain an.
Die Differenzialdiagnosen
- Akrozyanose
- Erythromelalgie
- Periphere arterielle Verschlusskrankheit
- Neurales Engpasssyndrom
- spontanes Fingerhämatom
Bei blanden Untersuchungsergebnissen ist von einem sekundären Morbus Raynaud durch die Einnahme von Vasospasmen verursachende Drogen, insbesondere Kokain, auszugehen.
So ging es weiter
Dem Patienten wurde die Möglichkeit eines Entzugs angeboten und eine absolute Nikotinkarenz empfohlen. Zum aktuellen Zeitpunkt war keine andere Therapie erforderlich.
Bei jungen Patienten mit rezidivierenden Angina-pectorisBeschwerden sollte ebenfalls an den Konsum von Kokain oder die Einnahme vasoaktiver Drogen gedacht werden.
Der Hintergrund: Das Raynaud-Syndrom ist von einer charakteristischen Symptomatik gekennzeichnet: Nach Kälteeinwirkung oder Stress kommt es zunächst zum Abblassen der Finger. Im Anschluss werden die Finger zyanotisch, bis sie nach einigen Minuten (spätestens jedoch nach einer Stunde) aufgrund der reaktiven Durchblutung erröten (das Trikolore-Phänomen).
Ätiologisch wird außer einem idiopathischen Auftreten (primäres Raynaud-Syndrom) auch eine Assoziation mit verschiedenen Systemerkrankungen (sekundäres Raynaud-Syndrom, beispielsweise bei Kollagenosen, Vaskulitiden, hämatologischen Erkrankungen, Vergiftungen, Nebenwirkungen von Medikamenten) beobachtet.
Wegweisend für ein sekundäres Raynaud-Syndrom ist, dass nur eine Hand betroffen ist und es zu lokalen Gewebeschädigungen kommt.
Das Auftreten der typischen Beschwerden bei Männern älter als 30 spricht ebenfalls eher für das Vorliegen eines sekundären Raynaud-Syndroms.
Wegweisend für ein sekundäres Raynaud-Syndrom ist, dass nur eine Hand betroffen ist und es zu lokalen Gewebeschädigungen kommt.
jürgen preimesberger
Bis zur Sympathektomie
Therapeutisch stehen die Behandlung der Grunderkrankung sowie das Vermeiden der auslösenden Situationen oder Noxen im Vordergrund. Medikamentös kann auch die Gabe von Kalziumantagonisten (z. B. Nifedipin, Diltiazem), durchblutungsfördernde Salben oder vasoaktive Substanzen in Betracht gezogen werden.
Wegweisend für ein sekundäres Raynaud-Syndrom ist, dass nur eine Hand betroffen ist und es zu lokalen Gewebeschädigungen kommt.
jürgen preimesberger
Bei therapierefraktären oder besonders schweren Fällen kann eine Durchtrennung des versorgenden Sympathikus der betroffenen Extremität (Sympathektomie) in Betracht gezogen werden.
Dr. Jürgen Preimesberger
privat
Jürgen Preimesberger: Code Alpha. Coole Drinks und bittere Pillen. Ein Schiffsarzt auf Kreuzfahrten. 224 S., Berenkamp 2022, Hardcover 19,90 Euro, ISBN 978-3-85093-359-9